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tur eins waren, und so vom Schicksal abzuhäns gen glaubten, wie sie von der Nothwendigkeit abs hangt. Der Mensch, der damals nur wenig dachte, wandte alle Thätigkeit der Seele nach Außen; das Gewissen selbst wurde durch außerliche Gegenstände dargestellt, und die Fackeln der Furien schüttelten die Qualen der Reue auf das Haupt des Schuldigen hinab. Im Alterthum war das Ereigniß Aules, in unsrer neueren Zeit greift der Charakter mehr Play; und das unruhige Reflectiren, welches oft, wie der Geier des Prometheus, an uns nagt, würde den Alten bei ihren klaren und bestimmten bürgerlichen und geselligen Verhältnissen als eine Thorheit erschienen seyn.

In der ersten Zeit der Kunst machte man in Griechenland nur einzelne Statuen; Gruppen wurs den erst später zusammengeseßt. Man könnte gleis chergestalt mit Wahrheit sagen, daß es in allen Künsten keine Gruppen gab; die dargestellten Ges genstände folgten aufeinander, wie in den Basres liefs, ohne Verbindung oder Verknüpfung irgend einer Art. Der Mensch personificirte die Natur; Nymphen bewohnten die Gewässer und Hamadryas den die Wälder, aber die Natur ihrerseits bemeis sterte sich des Menschen; man håtte fagen mögen, daß er dem Sturm, dem Bliß, einem Bulkan gleiche: so sehr handelte er nach einem unwillkührlichen Ans trieb und ohne daß die Reflerion irgend weder die Motive noch die Folgen seiner Handlungen zu åndern fähig war. Die Alten hatten, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine körperliche Seele, deren Bewegungen stark, gerade und consequent waren; anders verhält es sich mit dem durch das Christens thum entwickelten menschlichen Herzen; die Neueren haben aus der christlichen Buße die Gewohnheit geschöpft, immer in sich selbst zurückzugehen,

Um nun diese völlig innere Existenz zu offens baren, muß eine große Mannichfaltigkeit der. Thatsachen unter allen Gestalten die unendlichen Nuancen dessen, was in der Seele vorgeht, dars stellen. Wenn in unsern Tagen die schönen Künste in die Einfachheit der Alten eingezwängt würden, so würden wir die ursprüngliche Kraft, die jene auszeichnete, nicht erreichen, wohl aber die innigen und vielfachen Rührungen, deren unsre Seele fähig ist, einbüßen. Die Einfachheit der Kunst bei den Neueren würde leicht eine Wendung von Kålte und Abstraction nehmen, während die der Alten voller Leben war. Ehre und Liebe, Tapferkeit und Mitleid find Gefühle, die das ritterliche Christenthum bezeichnen, und diese Regungen des Gemůths können nur in Gefahren, Heldenthaten, Lies bes-Abentheuern, Unfällen, endlich in dem romans tischen Interesse, sichtbar werden, welches unaufs hörlich in jenen Darstellungen wechselt. Die Quellen der Kunsteindrücke sind also in vieler Hinsicht vers schieden in der classischen und romantischen Poesie; in der ersteren herrscht das Schicksal, in der ans dern, die Vorsehung. Das Schicksal achtet des Menschen Gefühle für nichts, die Vorsehung beurtheilt seine Handlungen nur nach seinen Gefühlen. Wie sollte die Poesie nicht eine Welt ganz anderer Natur schaffen, wenn das Werk eines blinden und tauben Schicksals, das immer mit den Sterblis chen in Streit liegt, oder wenn die weise Ordnung, die ein höheres Wesen leitet, das unser Herz bes fragt und das unserm Herzen antwortet, darges stellt werden soll?

Die heidnische Poesie muß einfach seyn, und in die Augen springend, wie die äußerlichen Ges genstände; die christliche Poesie braucht tausend Regenbogenfarben, um sich nicht in den Wolken

zu verlieren. Die Poesie der Alten ist reiner, als Kunst betrachtet, die der Neueren lockt die Thrånen mehr hervor; aber hier ist die Rede nicht von der classischen und von der romantischen Poesie, als solche, sondern von der Nachahmung der einen und der Begeisterung der andern. Die Literatur der Alten ist bei den Neueren ein verpflanztes Gewachs, die romantische oder ritterliche Literatur ist einheimisch unter uns; unsre Religion und unsre Gesetze haben ihre Blüthe gezogen. Die Schrifts steller, welche die Alten nachahmen, haben sich den strengsten Geschmacksregeln unterworfen; denn, da fie weder ihre eigene Natur, noch ihre eigenen Erinnerungen zu Rathe ziehen konnten, mußten sie sich den Gesetzen fügen, nach welchen die Meisterstücke der Alten unserm Geschmack angepaßt wer den konnten, obgleich alle politische und religiöse Verhältnisse, die diesen Meisterstücken das Daseyn gaben, verändert waren. Darum sind diese Poes fieen im Geiste des Alterthums, wie vortrefflich sie auch sonst seyn mögen, selten populår, weil sie in der gegenwärtigen Zeit mit nichts, was national ist, zusammenhängen.

Da die französische Poesie die am meisten class fische aller modernen Poesieen ist, so ist sie die eins zige, die nicht im Volke lebt. Die Stanzen des Lasso werden von den Gondolieren in Venedig ges sungen, die Spanier und Portugiesen aller Claffen wissen ihren Calderon und Camoens auswendig, Shakspeare wird in England eben so sehr vom Volke, als von den höheren Ständen bewundert, Gedichte von Bürger und Göthe mit Volksweisen ertönen vom Rhein bis zur Ostsee. Unfre französischen Dichter finden überall Bewunderung, weil es culs tivirte Geister bei uns und im übrigen Europa giebt; aber sie sind dem Volke und selbst dem Bürs

gerstande in den Städten völlig unbekannt, da die schönen Künste in Frankreich nicht, wie anders wårts, in dem Lande der Entstehung ihrer Schöns heiten selbst ihren Ursprung haben.

Einige französische Critiker haben behauptet, die Literatur der Germanischen Völker låge noch in der Kindheit der Kunst; diese Meinung ist durchs aus falsch die Deutschen, welche die Sprachen und die Werke der Alten am besten inne haben, miskennen gewiß eben so wenig die Nachtheile, als die Vortheile einer Gattung der Kunst, die sie annehmen oder die sie verwerfen. Aber Charakter, Sitten und Raisonnement haben sie dahin geleitet, die Literatur, welche sich auf die Erinnerungen der Ritterzeiten, auf das Wunderbare des Mittels alters, gründet, der vorzuziehn, deren Basis die Mythologie der Griechen ist. Die romantische Lis teratur ist die einzige, die noch der Vervollkomm nung fähig ist, weil, da ihre Wurzeln im eignen Boden ruhen, sie allein wachsen und sich neu bes leben kann; sie spricht unsre Religion aus; fie ruft unsre geschichtlichen Erinnerungen zurück: ihr Ursprung ist alt, aber nicht antik.

Die classische Literatur muß durch die Erinnerungen des Heidenthums ihren Durchgang nehmen, um zu uns zu gelangen; Die Poesie der Deuts schen ist die christliche Zeitrechnung der schönen Künste: sie bedient sich unsrer persönlichen Eindrüks ke, um uns zu rühren; der Genius, der sie beseelt, richtet sich unmittelbar an unser Herz, und scheint unser Leben selbst wie das mächtigste und das schrecks lichste aller Phantome vor uns aufsteigen zu lassen.

Zwölftes Capitel.

Von den deutschen Gedichten.

Es ergiebt sich, so scheint es mir, aus den verschiedenen Betrachtungen im vorstehenden Capis tel, daß es keine klassische Poesie in Deutschland giebt, nehme man das Wort klassisch als die Nachs. ahmung des Alterthums bezielend, oder nur das durch den möglichst hohen Grad der Vollkommens heit auszudrücken. Die fruchtbare Einbildungss kraft der Deutschen läßt sie eher produciren, als verbeffern, auch kann man in ihrer Literatur wes nig Werke angeben, die dort selbst als Muster gölten. Die deutsche Sprache ist noch nicht firirt; der Gez schmack åndert sich bei jedem neuen Erzeugniß eis nes Schriftstellers von Talent; alles ist im Fort, im Vorwärtsschreiten, und der feste Punkt der Volls kommenheit noch nicht erreicht. Ist dies aber ein Uebel? Bei allen Nationen, die sich schmeichelten, dahin gelangt zu seyn, sah man fast unmittelbar darauf den Verfall eintreten, und die Nachahmer den klassischen Schriftstellern folgen, gleichsam um Eckel davor zu erregen.

Es giebt in Deutschland eben so viele Dichs ter als in Italien: die Menge der Versuche, in welcher Gattung es seyn möge, deutet auf den Hang, den eine Nation ihrer Natur nach hat. Ist die Liebe zur Kunst in ihr allgemein verbreitet, so nehmen die Geister von selbst die Richtung zur Poesie, wie anderswo zur Politik oder zum Handelss Intereffe. Es gab bei den Griechen eine Unzahl von Dichtern, und nichts ist dem Genie günstiger,

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