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Bom nördlichen Deutschland.

Die ersten Eindrücke, die man im nördlichen Deutschland erhält, find, vorzüglich im Winter, ungemein traurig; und ich erstaune gar nicht dars über, daß diese Eindrücke die meisten Franzosen, welche die Berbannung in dieses Land geführt hat, verhindert haben, es ohne Vorurtheil zu beobach ten. Die Rheingrånze ift feierlich; indem man fie aberschreitet, fürchtet man das schreckliche Wort zu

hören: jekt bist du außerhalb Frankreich. Vergeb lich bemüht fich der Geist, mit Unpartheilichkeit. von dem Geburtslande zu urtheilen, unsere Gefühle trennen sich nie davon; und ist man genöthigt, es zu verlassen, so hat die Eristenz ihre Wurzel vers loren, so fühlt man, daß man sich selbst fremd geworden ist. Die einfachsten Gebräuche, wie die vertrautesten Beziehungen, die wichtigsten Angeles genheiten, wie die kleinsten Freuden, alles gehörte dem Vaterlande an, und dies Alles ist nicht mehr. Man begegnet Keinem, der uns von der Vergangenheit etwas sagen könnte, Keinen, der im Stände wäre, die Identitåt verlebter Lage mit den gegen= wärtigen zu bezeugen; das Schicksal hebt von neuem an, ohne daß das Vertrauen der Jugendjahre fich erneuert; mit unverändertem Herzen, verändert man seine Welt. Die Verbannung verdammt also zur Ueberlebung seiner selbst; daš Lebewohl, die Trennungen sind wie ein Augens blick des Todes, und doch ist man dabei mit allen Kräften des Lebens.

Vor sechs Jahren befand ich mich auf dem linken Rheinufer, die Barke erwartend, die mich zum rechten hinüber führen sollte; es war kalt, dunkel, und alles schien mir eine traurige Weiss fagung. Bewegt der Schmerz unsere Seele hefs tig, o kann man sich nicht einbilden, daß die Natur dabei gleichgültig bleibe; es ist dem Mens schen erlaubt, seinen Leiden eine gewisse Kraft beis zumeffen; dies ist nicht Stolz, dies ist Vertrauen zum himmlischen Mitgefühl. Ich war beunruhigt wegen meiner Kinder, wiewohl sie sich noch nicht in einem Alter befanden, jene Bewegungen der Seele zu empfinden, welche über alle äußerlichen Gegenstände Schrecken verbreiten. Meine französis fchen Bedienten wurden ungeduldig über die deuts

sche Langsamkeit, und wunderten sich darüber, daß man nicht die einzige Sprache verstand, die fie für die Sprache aller civilisirten Lånder hielten. In unserer Fähre war ein altes deutsches Mütterchen, das auf einem Karren saß, von welchem sie nicht einmal bei der Ueberfahrt über den Fluß abs: steigen wollte. „Sie sind sehr ruhig," sagte ich: zu ihr. Freilich, antwortete fie; wozu auch fo: viel Lärm machen? Diese einfachen Worte fies len mir auf. In Wahrheit, wozu Lärm machen? Aber wenn auch ganze Generationen schweigend durch das Leben wanderten, so würden Unglückund Tod sie nicht minder beobachten und sie zu erhaschen verstehen.

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Nach meiner Ankunft auf dem jenseitigen Ufer hörte ich das Posthorn, dessen schneidende und falsche Töne eine traurige Reise nach einem trauris gen Aufenthalte anzukündigen schienen. Die Erde war mit Schnee bedeckt, die Häufer mit kleinen" Fenstern, aus welchen die Köpfe einiger Einwohner hervorguckten, die das Geraffel des Wagens ihren eintönigen Verrichtungen entzogen hatte; eine Art von Zugwerk, welche den Balken bewegt, womit man die Barriere schließt, überhebt den Einnehmer der Landstraße der Mühe, aus seinem Hause zu treten, um das Chauffee - Geld zu erhalten. Alles ist aufs Unbewegliche berechnet, und der Denker, wie derjenige, dessen Existenz ganz materiell ist, verabscheuen gleich sehr die Zerstreuung der Aufs fenwelt.

Die dden Fluren, die von Rauch geschwärzten Häuser, die gothischen Kirchen, scheinen für Herens und Gespenstergeschichten gemacht zu seyn. Deutsch lands Handelsstådte sind groß und gut gebaut: aber sie geben keine Idee von dem, was den Ruhm und das Interesse des Landes ausmacht, von

dem literarischen und philosophischen Geift. Die kaufmännischen Interessen reichen hin, um den Vers stand der Franzosen zu entwickeln, und man kann in Frankreic, in einer aus lauter Handelsleuten zus fammengefeßten Stadt einige_gesellschaftliche Uns terhaltung antreffen; aber die Deutschen, mit ihrer hohen Empfänglichkeit für abstracte Studien, bes handeln die Geschäfte, wenn sie sich damit befass fen, so methodisch, so schwerkraftig, daß sie sich zu feiner allgemeinen Idee darüber erheben. Sie bringen in den Handel die Rechtlichkeit, welche sie auszeichnet; aber sie geben sich demselben auch dermaßen hin, daß fie im Umgange nur noch einen munteren Zeitvertreib suchen, und von einer Zeit zur andern grobe Spåße vorbringen, um sich selbst zu belustigen. Dergleichen Späße machen den Franzosen niedergeschlagen; denn man findet sich leichter in die Langeweile, welche in ernsten und eintönigen Formen auftritt, als in jene spaßhafte, welche so recht plump und vertraulich die Taße auf die Schulter legt.

Die Deutschen haben sehr viel Univerfalitåt in Literatur und Philosophie; aber durchaus nicht in Geschäften. Diese behandeln sie immer stůďweise, so daß sie sich nur mechanisch dan:it befass sen. In Frankreich das Gegentheil; der Geist der Geschäftsführung ist hier sehr entwickelt, und nur in der Literatur und Philosophie gestattet man keine Universalitåt. Wäre ein Dichter zugleich Ges lehrter, oder ein Gelehrter zugleich Dichter, fo würde er bei uns den Dichtern und Gelehrten vers dächtig vorkommen. Dafür aber trifft man nicht selten in dem einfachsten Handelsmann sehr klare Ansichten von den politischen und militärischen Angelegenheiten seines Landes. Daher, daß nian in Frankreich mehr Leute von Verstand und weniz

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