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hängt. Diesen Zusammenhang deutet schon die Benennung Mysterium an und der praktische Zweck, welchen die Schauspiele hatten, nähert sie der mystischen Auslegung. Besserung des Menschen erstrebten beide, das Drama wie die Mystik, jenes durch die geschichtliche Darstellung, objektiv, diese durch innere Anschauung, subjektiv. In so fern die mystische Anwendung des Leidens Christi eine dichterische Abfaffung hat, kann ich sie berücksichtigen. Daher gebe ich folgendes Stück aus einer Pergament - Handschrift in Duodez, Bl. 18 flg., des Herrn Generals von Radowig zu Karlsruhe, die noch am Ende des dreizehnten Jahrhunderts geschrieben ist. Reime und Assonanzen sind noch in dieser Prosa enthalten, die ich auch versweise abdrucken ließ, und die entweder Reste einer vollkommenen Abfassung oder eine Hinneigung dazu verrathen. Ich halte das Leßte für wahrscheinlicher, weil diese Reimpaare ohne Versmaß und die Verbindung je zweier Gedanken im Reime mit der Abfassung der alten Sequenzen übereinstimmt. (Ueber solche gemischte Schreibart siehe das Schauspiel Nr. 13 im zweiten Bande.)

Dis ist ein passio einer minnender sele,

die si hat in der waren gottis liebi.

Allerest so wirt [fi] verraten in eime füfzen nah gotte, so wirt si denne verföfet in eime heiligen iamer nah siner liebi, so wirt si den gesuchet mit den schahern der manigvalteclichen trehenen. Got ir herren hette si alse gerne, so wirt si denne ane gegriffen mit mangen heiligen gedanken, wie si ir vleisch also getwinge, daz ez nit enweke; so wirt sie denne gebunden

mit dez heiligen geistes gewalt.

ir wnne dú ist manigvalt,

ir ougen werdent verbunden,

so si sih hütet vor unnugen sehende ze allen stunden. So wirt si denne gehalsleget mit grosser unmaht, swenne

si dez ewigen liechtes ane underlas nit gebruchen mac. so

Mone, Schauspiele.

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wirt si denne fur gerichte gezogen mit menigen bibenden schamen, swenne si daz gedenket,

daz ir got dur ir sunde

also dike ist worden frömde.

si wirt oh gehalsleget vor gerichte,
swenne si der tüfel also geistliche anvichtet,
si antwrtet oh ze allen dingen heilekliche.
sie en mac sih mit nieman arcliche

begriben. Herodes wirt si gesant,

swenne si sich selben aller untùrest nut aller snodest hat irkant.

Also wirt si denne versmahet von dem grozen hern ir manigvaltklichen gedenken.

Pilato wirt si wider gegeben,

swenne si irdenscher dingen sol pflegen.

so wirt si zu der süle geslagen mit grozen sere, swenne si sich ze liplichen dingen sol keren.

so wirt sie denne mit manigvaltigen tugenden wnnekliche gekronet,

swenne si begert, daz ir got alles irs fumbers niemer gelone.

si wil ez ime allez lazen uf daz höchste ze zime lobe. Si treit ir cruce in eime suzen wegen,

swenne si sih gotte willekliche in allen pinen wil
geben.

So wirt si an daz cruce geslagen mit einem hamer
der minneklichen minne,

daz alle creature von niht muge gewinnen.
So hanget si ame cruce unt trunke gerne lutern win,
daz ist luters lebennes

begert si von allen gottiskinden:

swenne si daz an in niht envindet,

so koment si al mit allen

unt schenkent ir die gallen.

so wirt ir lichame denne getotet in der minne,
swenne ir geist wirt gefüret uber alle mensliche sinne.

So wirt si denne verwndet in ir siten mit einem sper von einem blinden der ungesichteklichen minne, dar us flüzet manig heilig lere. So wirt si denne mit eime heiligen ende vom cruce genomen,

so sprichet si: vater, nu ist ez vollekomen.

So wirt si denne geleit

in ein grab der tiefen diemütikeit,

swenne si sih under allen creaturen die snodeste weis. So steht si den uf in einem wnnenklichen ostertage swenne si mit irme liebe hat ge eine size minne klage. So erschinet si denne Marien mit dien englen dez morgens vrů, swenne ir got in der minne truwe het vertilget alle ir sunde. So get sie denne us Jerusalem mit einer wnneklichen schar der tugenden mit von Galilea uf einen hohen berg eines hohen lebennes. so vert si denne uf in den himel gegen den lebenden sunnen der ewigen gotheit. Da hanget si denne inne, biz daz si volle irdørret von allen irdenschen dingen.

Diz ist di passio einer iegelicher minnende sele,

diu dur gegangen ist mit der gewaren gottis minne.

Die minnende Seele wurde von mehreren Dichtern behandelt, auch gesprächweis, nach ihrem Vorbild dem hohen Liede, doch ist mir weder von diesem noch von der minnenden Seele ein altes Schauspiel bekannt, wozu sich der Inhalt auch nicht eignet. Bruchstücke eines solchen Gedichtes stehen in meinem Anzeiger 8, 334 flg. Vollständig enthält es eine Papier-Handschrift des fünfzehnten Jahrhunderts in Duodez, Nr. 89, Bl. 1-80 zu Karlsruhe, welche von St. Georgen

1 Diese Sylbe ist unnöthig.

herkommt und deren Text von dem gedruckten Stücke sehr abweicht. Es heißt ebenfalls die minnende Seele und fängt an: Ich leg mich an min betlin gût x.

Das Gedicht hat gegen 2000 Verse und ist an Kunst und Sprache sehr gering. Es kennt den Alexius des Konrads von Würzburg, auf welchen es so anspielt. Bl. 41. sich an sant Alerius leben,

der mås leben fast ain hailig man,
den solt du zů vorbild hän,

der lies sich an klainen fröden benügen,
bis das ich im es anders wolt fügen.

des bain lit nun in ainem guldin grab,
der vor mit karspulen beschüttet ward.

Die entsprechenden Stellen Konrads in Haupts Zeitschrift 3,556. 575.

8. Kindheit Jesu.

A. Uebersicht und Eintheilung des Stückes.
Erster Auftritt. Die Propheten. Vers 1-264.

Zweiter Auftritt. Vermählung Mariä. Vers 265-324.
Dritter Auftritt. Verkündigung. Vers 325-376.
Vierter Auftritt. Mariä Heimsuchung. Vers 377-420.

Fünfter Auftritt. Christi Geburt. Die Hirten. Vers 421-470.

Sechster Auftritt. Die Töchter Sion. Vers 471–505.

Siebenter Auftritt. Die drei Könige zu Jerusalem. Vers 506-730. Achter Auftritt. Dieselben und die Hirten. Vers 731-755.

Neunter Auftritt. Anbetung Christi durch die drei Könige. Vers 756-841.
Zehnter Auftritt. Lichtmesse. Vers 842-910.

Elfter Auftritt. Anschlag zum Kindermord. Vers 911-979.
Zwölfter Auftritt. Flucht nach Aegypten. Vers 980-1085.

B. Dramatischer Charakter.

Auch dieses Stück ist aus einer St. Galler Papier-Handschrift des vierzehnten Jahrhunderts, Nr. 966 in Duart, genommen.

Dem Anscheine nach hat dieses Stück keine Entwicklung, ihm fehlt der Knoten und die Auflösung, also der dramatische Charakter, man möchte es für eine Erzählung der Kindheit Jesu in Gesprächform halten. Es ist also zu untersuchen, worin das dramatische Wesen dieses Spieles beruhe. Das Stück gehört zu der Klasse der Dreifönig- oder Weihnachtspiele, welche gewöhnlich an den drei Feiertagen nach Weihnacht aufgeführt wurden. (Altt. Schausp. 14.) Solche Stücke konnten nicht die Entwicklung der Passionsspiele haben, weil sonst ihre Aufführung nicht zu den Weihnachtsfeiertagen gepaßt hätte. Das altteutsche Schauspiel mußte sich an die Ordnung der Kirchenfeste halten, mithin auch an die Geschichte, welche zu dem Feste gehörte.

Gleich nach Weihnacht fallen die Tage der ersten Märtyrer, Stephan und unschuldige Kinder (26. 28. Dezember.) Dieß gab den Weihnachtspielen ihre tragische Grundlage, das folgende weist daher am Schlusse auf den Kindermord hin. Die Passion ist in diesen Stücken bereits vorgebildet, nämlich im Kindermord, und die Auferstehung in der Flucht und der Wiederkunft aus Aegypten, daher schließt dieses Spiel mit der Flucht nach Aegypten, und läßt die Geschichte von dem zwölfjährigen Jesus im Tempel weg, weil sie nicht in diesen vorbildlichen Zusammenhang mit den Osterspielen paßt.

Die Lücke zwischen der Kindheit Jesu und seiner Taufe konnte dramatisch nicht ausgefüllt werden, weil in den Evangelien davon nichts weiter erwähnt ist, als eben jene Begebenheit mit dem zwölfjährigen Jesus im Tempel. Die Schauspiele mußten sich hierin an die canonischen Evangelien halten, weil sie zur Aufführung vor dem Volke bestimmt waren und namentlich in der Kirche willkürliche Sagen nicht zugelassen wurden. Andere Dichter folgten aber hierin den apokryphischen Schriften des neuen Testamentes, um jene be merkte Lücke auszufüllen. Auf die Schauspiele hätte dieses keinen Bezug, wenn nicht bei solchen Dichtern große Stellen

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