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greifen; allein immer noch treten die alten Irrthümer von der Fortsetzung des römischen Reiches durch die Deutschen, von der gesetzlichen Gültigkeit des römischen Staatsrechts, störend dazwischen. Es fehlt an jeder tiefern rechtsgeschichtlichen Behandlung der deutschen Staatseinrichtungen, vor allem an einer Quellenkunde des deutschen Rechts.

Diesem wesentlichen Mangel der wissenschaftlichen Behandlung hilft zuerst der grosse Polyhistor Hermann Conring ab1. Von ihm wird mit Recht der Beginn einer wissenschaftlichen Behandlung des deutschen Rechts, insbesondere des deutschen Staatsrechts, datirt. Sein berühmtes Werk »de origine juris germanici« giebt zum erstenmal eine wissenschaftliche Darstellung der Quellen des deutschen Rechts. Besonders bewundernswerth ist es, wie Conring die Receptionsgeschichte des römischen Rechts behandelt. Er zerstört schonungslos den phantastischen Wahn, dass die deutschen Könige Nachfolger Justinian's seien, er widerlegt die grundlose, aber damals allgemein übliche Annahme, dass ein deutscher Kaiser, etwa Lothar II., das Justinianische Corpus juris durch ein Gesetz eingeführt habe 2. Was die gelehrten Forschungen Savigny's und Eichhorn's, und in neuester Zeit Stobbe's, mit dem ganzen reichen, neu erschlossenen Quellenmaterial, gründlich und ausführlich im einzelnen dargelegt haben, hat Conring mit genialem Instinkt geahnt und im wesentlichen überall richtig ausgesprochen. Er verkündigt zum erstenmal die Wahrheit, dass das römische Recht zwar in Italien immer fortgelebt hat, in Deutschland aber nicht vor der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts 3 in umfassender Weise, und zwar nie durch

1) Geboren zu Norden in Ostfriesland 1606, studirte zu Helmstädt und Leiden Theologie und Medizin, ward 1632 zu Helmstädt Professor der Philosophie, dann der Medicin, 1660 auch der Politik und Geschichte, Braunschweigischer Wirklicher Geheimer Rath, einflussreicher Consulent in den wichtigsten Reichs- und Staatssachen, † 1681. Einen tiefen Einblick in die politischen und staatsrechtlichen Ansichten Conring's, wie in seinen bedeutsamen Einfluss auf praktische Staatsangelegenheiten, leider aber auch in die vielfach unwürdige Gesinnung des grossen Gelehrten, gewährt sein Briefwechsel besonders mit dem Kurmainzischen Minister von Boineburg. Commercii epistolici Leibnitiani tomus prodromus. Rec. J. D. Gruber. Han. et Gött. 1745.

2) Praef. ad Tac. Germ. : »Imperium Germanorum sive cis- sive transalpinum numquam aut expresso aut tacito consensu rempublicam suam Romanis illis constitutionibus Justiniani subjecit, etsi earum usum aliquem voluerit in foro esse.«

3) Praef. ad Tac. Germ.: » Germania nec tale quicquam ante seculum deci

ein Gesetz, sondern lediglich durch Gewohnheit, besonders durch die zunehmende Macht der Doktoren in den Gerichten eingeführt worden ist. Daraus ergiebt sich ihm die praktische Consequenz, dass das römische Recht in Deutschland nicht wie ein Gesetzbuch bindet, sondern lediglich als Gewohnheitsrecht gilt, und zwar nur so weit, als es recipirt ist, dass daneben aber das deutsche Recht in ungeschwächter Kraft fortbesteht 5. Insbesondere bestreitet er dem römischen Rechte jede Anwendung auf dem Gebiete des Staatsrechts. Er dringt zuerst auf gründliches Studium der deutschen Geschichte und weist überall auf den Nutzen derselben für die tiefere Kenntniss der deutschen Staatszustände hin 7. Er hebt die Bedeutung des Reichsstaatsrechts auch für die deutschen Partikularstaatsrechte hervor. Als die zwei Hauptfehler der bis

mum quintum audiit, quo tempore videlicet primum aliquis earundem legum in transalpina hac imperii parte coepit usus esse.«<

4) De orig. jur. germ. XXXIII. heisst es : »In Germaniae fora nulla communi totius imperii sanctione jus romanum traductum est. Neque enim ulla lege publica ita decretum deprehendas. Multo minus ulla imperii constitutio exstat, qua priscae leges et consuetudines omnes sint abrogatae. Indubium tamen est, quod tacito quodam usu introductum primo, illud jus inde plerisque in locis superiorum auctoritate accedente, majorem vim nactum esse.«

5) »Certe plerisque in locis haud pauca vetera legibus Romanis praeferuntur, nonnusquam in incerto jus fluctuat, nunc Romano nunc vetere praevalente. Constat nimirum nusquam illud ex omni parte, nec nisi liberrimo arbitratu receptum esse jus Romanum.«

6) Exercit. acad. de republica imperii germanici: »Ipsemet jam docui, jus publicum Romanum vetus non obligare imperii hodierna am rem publicam... Hinc vero sequitur gravissime illos hallucinari, qui Germaniam censent teneri legibus Justinianeis aut imperatori in Germaniam arrogant potestatem priscorum Caesarum in imperium Romanum.«

7) Den Plan seiner neuen Lehrart legte Conring in seiner Vorrede zum Tacitus de moribus Germanorum, 1635 dar: »Institutum meum postulat, historiarum imperii nostri studia commendare. Eo enim imprimis nomine laudanda illa veniunt, quo, cum intersit Germaniae ut quibus reipublicae cura est commissa, peritius statum omnem pernoscant publicum, quod ad hanc accuratam imperii notitiam majus momentum nullum quam ab historia nostrate conferatur. Quam contra illi sentire quum videantur, qui reipublicae nostrae naturam ex Romanis legibus discendam censent; habenda hic fuit ejus sententiae ratio, ut historiae Germanicae fructus eo magis patescat.<<

8) » Est enim ducatus omnis aut comitatus aut episcopatus aut urbs etiam Germanica, etsi suis quisque videatur legibus uti suaeque spontis esse, pars integri illius corporis, quod imperium dicimus, adeoque communi illo spiritu vivit floretque. Quapropter neque consuli recte ulli eorum potest, nisi imperii totius ratione habita. Arbitror decere nihil eorum ignorare, quae ad illam communem imperii

herigen Behandlung betrachtet er die zu privatrechtlichcivilistische Methode und das Schöpfen aus fremden, statt aus einheimischen Quellen. Conring schrieb zwar kein System des deutschen Staatsrechts, aber eine grosse Anzahl von einzelnen, zum Theil tief greifenden Abhandlungen, wodurch über viele Materien ganz neues Licht verbreitet wurde. Von ihm ging eine neue Richtung und eine ganze Anzahl gelehrter Schüler aus, die auf seiner Grundlage weiterbauten.

Wenn Conring vor allem als Begründer einer richtigen historischen Methode und eines tiefern Quellenstudiums betrachtet werden muss, so ist auch der Einfluss nicht zu unterschätzen, welchen seit Hugo Grotius das allgemeine philosophische Staatsrecht auf die wissenschaftliche Begründung auch des deutschen positiven Staatsrechts ausübte. Das epochemachende Werk: »de jure belli ac pacis, 1625«, legte den Grund zu einem gesunden allgemeinen Staatsrechte, ohne welches eine tiefere Erfassung und schärfere begriffliche Durchbildung des positiven Staatsrechts unmöglich ist. Nicht blos bei den Staats- und Rechtsphilosophen von Fach, wie bei Pufendorf, sondern auch bei den eigentlich positiven Publicisten zeigt sich seit dieser Zeit ein Einfluss der staatsphilosophischen Richtung, wenn man sich auch über das Verhältniss des allgemeinen und des positiven Staatsrechts noch nicht eigentlich klar war.

Nicht so tief wissenschaftlich eingreifend, wie die Schriften Conring's, wohl aber zündend wie ein Blitzstrahl, wirkte die berühmte Schrift: Dissertatio de ratione status in imperio nostro Romano-Germanico, in qua tum quisnam revera in eo status sit, tum quae ratio status observanda quidem, sed magno cum patriae libertatis detrimento, neglecta hucusque fuerit, tum denique formam attinent, quoniam de parte deliberari non possit, nisi toto perspecto corpore.«<

9) Viele derselben sind zusammengestellt unter dem Namen: »Exercitationes academicae de republica imperii Germanici«, 1674. Besonders hervorragend durch Umfang und Gelehrsamkeit ist sein Werk: »De finibus imperii Germanici«, libri duo, 1654. Seine Tendenz ist, nachzuweisen: »Majestatem vimque imperii nostri non Romanis deberi, sed Germanis, nomenque illud Romanum nulla gravi ratione ad universa hujus imperii translatum esse.« Ein Verzeichniss seiner staatsrechtlichen Abhandlungen findet sich bei Pütter, I. S. 204. Herausgegeben wurden Conring's Werke von Johann Wilhelm von Göbel, 1730 zu Braunschweig in 7 Foliobänden. Der 7. Bd. enthält das Register.

quibusnam mediis antiquus status restaurari ac firmari possit, dilucide explicatur auctore Hippolitho a Lapide, 1640 (die 2., vermehrte Auflage erschien 1647, nachher noch oft aufgelegt und auch übersetzt). Der wahre Verfasser dieser pseudonymen Schrift war Philipp Bogislaus von Chemnitz 10. Er eifert, wie Conring, gegen den Gebrauch des römischen Rechts in deutschen Staatssachen 11 und sucht darzuthun, dass das deutsche Reich vielmehr eine Fürstenaristokratie, als eine Monarchie sei, bei welcher Gelegenheit er besonders Reinkingk's Ansichten bekämpft. Der Kaiser stehe nicht über, sondern unter dem Reichstage 12, seine Macht sei ein wesenloser Schatten, ein »inane simulacrum«. Er sei nichts weiter als ein »comitiorum director, eorum, quae ab ordinibus conclusa sunt, exsecutor, ein imperii minister«. Jederzeit könnten die Reichsstände einen Kaiser wegen Verletzung seiner Pflichten absetzen, auch die ganze kaiserliche Gewalt für Deutschland durch einen Reichsschluss nach Belieben beseitigen. Mit besonderer Vorliebe vergleicht er den deutschen Kaiser mit dem Dogen von Venedig und dem Schattenkönige der polnischen Republik. Das ganze Werk ist reich an Gelehrsamkeit und historischem Wissen, aber auch an übertriebenen Behauptungen und offenbaren Verdrehungen. In seinem leidenschaftlichen Hasse gegen das Haus Oesterreich, zu dessen Vernichtung und Ausrottung Hippolithus auffordert, trägt das Buch mehr den Charakter eines Parteipamphlets, als einer besonnenen staatsrechtlichen Erwägung. Vielleicht hat diese Schrift dem kaiserlichen Hofe mehr Schaden gethan, als manche verlorene Schlacht, jedenfalls hat sie bedeutenden Einfluss gehabt auf die Neugestaltung des deutschen Staatsrechts durch das westphälische Friedensinstrument, welches den Auffassungen des Hippolithus in vielen Punkten Rechnung trägt.

10) Geboren zu Stettin 1605, trat in holländische und schwedische Kriegsdienste, später schwedischer Rath und Historiograph, † 1678 in Schweden.

11) Schon in der Vorrede greift er die Legisten aufs schärfste an: » Qui imperatoris potestatem cum Baldo jure antiquae legis metientes, legem regiam nec sublatam hodie esse, imo nec tolli potuisse suaviter somniarunt. Hinc monarchicum imperii statum imperatorisque majestatem, legibus solutam potestatem et plura talia, quae ex veterum legum monumentis hauserunt, tamquam aras focosque in consiliis dictis ac scriptis suis propugnarunt et propugnant.«

12) »Imperator itaque imperium seu ordines superiores agnoscit; tantum abest, ut arrogare majestatem sibi possit, ut vero potius majestas hac ratione ab Ordines imperii etiam seorsum ab imperatore consideratos eidem superiores esse exinde recte concludimus.<<

eo exsulet.

Das westphälische Friedensinstrument, gewöhnlich kurzweg instrumentum pacis genannt, wurde von nun an das Fundament des deutschen Staatsrechts, an welches sich auch die wissenschaftliche Behandlung desselben, bis zum Anfange dieses Jahrhunderts, wesentlich anschloss. Das Resultat dieses Friedensschlusses war eine tiefgreifende Beschränkung der kaiserlichen Gewalt und eine reichsgrundgesetzliche Sanktion der schon thatsächlich hochgesteigerten fürstlichen Landeshoheit.

Bald nach dem westphälischen Friedensschlusse fand das deutsche Territorialstaatsrecht seinen ersten Bearbeiter in dem trefflichen Veit Ludwig von Seckendorf 13, welcher 1655 in seinem berühmten » deutschen Fürstenstaat« eine praktische Staatsrechtsanleitung zur Regierung eines deutschen Fürstenthums herausgab. In diesem Buche behandelt er einerseits die Einrichtungen eines deutschen Fürstenthums, das Staatsgebiet, die Landeshoheit an und für sich, das Verhältniss des Landesfürsten zum Reiche, zu den Landständen, zu den Unterthanen vom staats rechtlichen Gesichtspunkte aus mit grosser Klarheit 14, andrer

13) Geboren 1626 zu Herzogen-Aurach in Franken, studirte zu Strassburg unter Boecler, kam 1646 in die Dienste des Herzogs Ernst des Frommen, wurde 1652 Hof- und Justizrath, später Hofrichter zu Jena, 1664 Wirklicher Geheimer Rath und Kanzler, trat in diesem Jahre in die Dienste des Herzogs Moritz von Sachsen-Zeitz, als Geh. Rath, Kanzler und Consistorialpräsident, zog sich 1681 auf sein Gut Meuselwitz zurück, wurde 1691 noch Kanzler der neugestifteten Universität Halle, wo er 1692 starb. Seine übrigen zahlreichen Schriften gehören meist in das Gebiet der Geschichte und Theologie. Bemerkenswerth ist, dass Seckendorf schon den praktischen Werth der Statistik für die Regierungskunst hervorhebt. Siehe O. Nasemann in Haym's preuss. Jahrbüchern, B. XII., Heft 3, S. 251-272, über V. L. von Seckendorf.

14) In staatsrechtlicher Beziehung entwickelt Seckendorf überall massvolle und sachgemässe Ansichten. Als Fürstendiener, in der Zeit des schlimmsten Absolutismus, vertritt er doch auch die Rechte der Stände und Unterthanen: »Aus dem, was wir oben von der Macht des Landesherrn insgemein erinnert, dass sie nicht geartet sei, wie eine eigenwillige Herrschaft eines Hauswirths über sein Gesinde, ist leicht zu ermessen, dass die Unterthanen im Lande nicht Sklaven und mit Leib und Gut so blosshin ihrem Herrn eigenthümlich ergeben seien, sondern dass sie regieret und in Gehorsam gehalten werden, wie Freigeborne unter einem rechtmässigen Regiment.« Der Landesherr ist zur Beobachtung der Gesetze und Landesfreiheiten verbunden und zwar nicht blos moralisch, sondern auch aus »äusserlicher verbindlicher Schuldigkeit, weil er oder seine Vorfahren es also zugesagt oder ihm in allgemeinen teutschen Rechten und Satzungen auf diese Masse auferlegt oder dem alten Herkommen also gemäss ist hätten sich die Stände und Unterthanen des Landes mit Fug zu beschweren, so könnten sie bei der hohen

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