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lange es an jedem gründlichen historischen Studium der deutschen Staatsverhältnisse, an jeder tiefern Kenntniss der concreten Thatsachen fehlte, konnte man auch zu keiner gedeihlichen Grundlegung der deutschen Staatsrechtswissenschaft gelangen.

§. 18.

II. Von der Gründung des Reichskammergerichts bis auf Hermann Conring. (Beginn einer deutschen Staatsrechtswissenschaft, jedoch unter vorherrschendem Einflusse der romanistischen Jurisprudenz.)

Mit der zweiten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts beginnt die Wiedergeburt der Wissenschaften in Europa. Die grossartigsten Momente wirken zusammen, um den gebundenen Geist aus den Fesseln des Mittelalters zu befreien 1. Besonders tief eingreifend ist der Einfluss des klassischen Alterthums. Der Humanismus wirkt auch auf die Jurisprudenz umgestaltend ein; doch kam von diesen Fortschritten zunächst der deutschen Staatsrechtswissenschaft wenig zu Gute. Die Humanisten waren besser in Athen und Rom, als in ihrem deutschen Vaterlande zu Hause. Die auf humanistischer Grundlage sich erhebende Jurisprudenz war wesentlich romanisirend und konnte sich noch lange von dem gefährlichen Wahne nicht losreissen, dass die absolutistischen, völlig fremdartigen Grundsätze des römischen Staatsrechts auf die deutschen Staatsverhältnisse unmittelbar anwendbar seien. Die wunderlichen Phantasien des Mittelalters von dem dominium mundi des Kaisers, von der translatio imperii a Graecis ad Germanos, von der unmittelbaren Fortsetzung des alten römischen Reiches durch die Deutschen, wurden mit Zähigkeit festgehalten. Selbst noch in den offiziellen Staatsschriften des 16. Jahrhunderts erscheinen die deutschen Reichsfürsten mit ihrer Landeshoheit als »praesides provinciae cum mero et mixto imperio«, die Kurfürsten als die »praefecti praetorio« und der in der Wirklichkeit eingeschränkteste Monarch der Christenheit, der römischdeutsche Kaiser, ist den Juristen immer noch der »princeps legibus solutus«.

Einige Anregung zu staatsrechtlichen Untersuchungen gab die Reformation und dann auch die Wahl Karl's V. zum Kaiser. Besonders wurden damals zwei Fragen vielfach verhandelt,

1) Siehe Jacob Burkhardt, die Cultur der Renaissance in Italien Ein Versuch, 1860.

1) ob und wie weit den evangelischen Reichsständen erlaubt sein möchte, der Religion halber, wider den Kaiser zur Gegenwehr zu schreiten und durch Waffen und Verbindungen sich zu helfen 2?

2) ob ein Ausländer zum Kaiser gewählt werden dürfe3?

Dem Reichskammergerichte, welches von Maximilian I. 1495 errichtet war, aber erst unter Karl V. zu rechter Wirksamkeit gelangte, hat das deutsche Staatsrecht viel zu verdanken. Während sonst alle in das deutsche Staats- und Fürstenrecht einschlagende Streitigkeiten unter den Reichsständen entweder durch Vergleich ausgetragen oder durch Waffen ausgefochten wurden, fanden dieselben jetzt eine richterliche Entscheidung nach streng juristischen Grundsätzen. Es wurde daher auch bei solchen Fragen nöthig, der wahren Beschaffenheit des Rechtsfalles tiefer auf den Grund zu gehen.

Dadurch wurden Rechtsgelehrte vielfach veranlasst, in dergleichen staats- und fürstenrechtlichen Streitigkeiten De duktionen zu verfassen, worin sie die Rechte dieser oder jener Partei, als deren Vertheidiger, ausführten, um dadurch sowohl auf die Richter, als auf die öffentliche Meinung einzuwirken. So ent

2) Die theologischen und juristischen Bedenken über diese Frage sind zusammengestellt in Hortleder's Handlungen von Rechtmässigkeit, Anfang und Fortgang des deutschen Krieges im I. und II. B. S. 1–223. Häufig wurden über derartige Fragen auch Theologen zu Rathe gezogen, wie Luther, Melanchthon, Bugenhagen. Ueber die politischen Ansichten der Reformatoren siehe bes. K. von Kaltenborn, die Vorläufer des Hugo Grotius, S. 207 ff.; auch Julius Köstlin, über Luther's Theologie. Stuttgart 1863, B. II, S. 485 ff.

3) -Besonders bekannt ist das bei der Kaiserwahl Karl's V. veranlasste wittenbergische Bedenken über die Frage: »an non Alamanus eligi possit in regem Romanorum?« (verfasst von Henning Godenus, welcher eigentlich Goede hiess und Vorlesungen über die Kaiserwahl hielt. Erhard, Geschichte des Wiederauflebens der Wissenschaften, III. 470 ff. Kampschulte, Geschichte der Universität Erfurt, I. S. 39 ff.), ferner das von dem Leipziger Professor Simon Pistoris verfasste Gutachten. In demselben wird behauptet, allerdings müsse der Kaiser deutscher Nation sein, zugleich aber bewiesen, dass Karl V. und sein Bruder Deutsche seien: »quia nati sunt in vita sui avi paterni et per consequens in patria potestate ejusdem.« Pütter a. a. O. S. 100 und 103.

4) Die Veranlassung zu dergleichen Deduktionen gaben z. B. im XVI. Jahrhunderte die Kriegshändel des Markgrafen Albrecht von Brandenburg. Es entstand ein Schriftenwechsel über die Freistellung der Religion 1576 und 1586, über die kurpfälzische Vormundschaft, nach Abgang Ludwig's VI., 1583,

stand seit der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, auf dem Gebiete des Staatsrechts, eine bedeutsame Deduktionenliteratur, welche sowohl in einzelnen Abhandlungen wie in den grossen Consiliensammlungen dieser Zeit enthalten ist.

Da

Noch wichtiger wurden die Schriften der Mitglieder des Reichskammergerichts selbst, der s. g. Cameralisten. aus solchen Schriften zu ersehen war, nach welchen Grundsätzen am Kammergerichte geurtheilt wurde, so gelangten sie zu einem fast gesetzesähnlichen Ansehen. Als Herausgeber solcher kammergerichtlicher Observationen sind besonders zu nennen Joachim Mynsinger von Fründeck und Andreas Gail'. Der grösste Theil des Inhalts dieser Observationen gehört zwar dem Privatrechte und dem Prozesse an, doch werden darin auch vielfach wichtige staatsrechtliche Lehren erörtert. Alle diese Observationen zeigen deutlich, dass man sich auch, in Fragen des deutschen

und nach dem Tode des damaligen Vormundes Johann Casimir 1592, im Anfang des XVII. Jahrhunderts über die Huldigung der Stadt Braunschweig, 1603-13, über die Achtserklärung der Stadt Donauwerth, 1608-13, über die pfälzische Kur, ob sie auf der Pfalz oder auf Bayern hafte? Eine sehr zweckmässige, alphabetisch geordnete Zusammenstellung solcher staatsrechtlichen Deduktionen giebt Johann Christian Lünig, Bibliotheca deductionum S. R. J., vermehrt von Gottlob August Jenichen. Leipz. 1745.

5) Dahin gehören die besonders für das deutsche Fürstenrecht sehr beachtenswerthen Consilia von Johann Fichard, Everhard's Consilia 1603, Wesenbeck's Consilia 1584-1624, Marburgische Consilia von Hermann Vultejus, I. 1605, II. 1606, III. 1607, IV. 1631.

6) Geboren zu Stuttgart 1517 (nicht 1514 wie Pütter und auch noch Havemann, Geschiche der Lande Braunschweig und Lüneburg, B. II. S. 406, n. 2., angeben, siehe dagegen Jugler, Beiträge, II. S. 1 ff.), 1535 Professor zu Freiburg, 1548 Beisitzer des Kammergerichts, 1556 herzgl. Braunschweigischer Kanzler, † 1588. Der Titel seines Hauptwerkes lautet: Joachimi Mynsinger a Fründeck singularium observationum judicii imperialis camerae centuriae IV. Bas. 1563, ed. II. jam denuo renatae et a mendis propemodum innumeris, ut novum opus videri possit, quam accuratissime repurgatae, 1570, hernach mit der fünften centuria vermehrt 1576, mit der sechsten 1584 und seitdem mehrere Male gedruckt 1599. Die in Mynsinger's Observationen vorkommenden staatsrechtlichen Materien hat Pütter a. a. O. zusammengestellt. §. 52. S. 123. Mit Recht heisst Mynsinger »primus fundator jurisprudentiae cameralis typis

excusae«.

7) Geboren zu Köln 1525, war von 1558-1569 Mitglied des Kammergerichts, wurde dann Reichshofrath, dann Kanzler des Kurfürsten von Köln, † 1587. Der Titel seines Hauptwerks: Andreae Gail practicarum observationum tam ad processum judiciarium praesertim imperialis camerae quam caussarum decisiones pertinentium libri duo, ed. I. 1578. II. 1580. Die darin berührten staatsrechtlichen Materien hat Pütter, S. 127, zusammengestellt.

Staatsrechts, am Kammergerichte noch nicht von den römischen Gesetzen und der Autorität des Bartolus und Baldus losmachen konnte.

Seit dem Anfange des XVI. Jahrhunderts wurden Reichsgesetze häufiger erlassen; auch wurden sie meistens sogleich durch Abdrücke bekannt gemacht 8. Dagegen traten Schriftsteller, welche das deutsche Staatsrecht als solches, ohne Rücksicht auf einen vorliegenden Fall, wissenschaftlich behandelten, erst mit Beginn des XVII. Jahrhunderts auf..

Zuerst ist hier zu nennen Andreas Knichen, welcher in seinem Werke de jure territorii im Jahre 1600 die Territorialgewalt oder Landeshoheit der deutschen Fürsten wissenschaftlich zu begründen versuchte. Die Selbstständigkeit der fürstlichen Gewalt wird von ihm, dem Kaiser und Reiche gegenüber, mit der ganzen Energie eines eifrigen Fürstendieners geltend gemacht 1o.

10

Hierauf folgt Regner Sixtinus 11 mit seinem Werke de

8) Ueber diese Abdrücke siehe Pütter, I. S. 138.

9) Geboren zu Aschersleben 1560, war nacheinander bei dem Herzoge Johann Ernst von Sachsen, dem Herzoge Ulrich von Braunschweig, dem Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg Rath und Kanzler, † 1621. Von seinen Werken gehört hauptsächlich hierher sein: tractatus de sublimi et regio territorii jure. Frankfurt 1600, und jura territorialia civitatum liberarum imperialium. Helmst. 1607.

10) So kommen an verschiedenen Stellen folgende bezeichnende Aussprüche vor: »Hodie territoriis in dignitatem regiam erectis, conceditur jurisdictio universalis, successoria lege et conditione, in perpetuum ordinario et proprio jure. Collatione itaque instituta liquescit proprio Marte principibus competere jurisdictionem universalem territorio munitam, ad utilitatem propriam et sic dominii, non administrationis jure. Sic subditi vivunt legibus suorum principum iisque subjiciuntur, etiam sine assensu imperatoris. « Auch legt er schon den Fürsten ein volles Gesetzgebungsrecht bei: »permissum generatim electoribus et principibus non secus ac imperatori jura provincialia vel constitutiones promulgare, etiam communia jura tollere, quapropter principi suo fortius adstringuntur subditi quantum hoc, ac imperatori.« Ja er spricht in innern Angelegenheiten den Fürsten die volle Souveränetät zu: »constat igitur in particulari potestate quoad subditos et in regimine, regalibus, actibus jurisdictionalibus principes non videri recognoscere superiorem, quia praeferuntur imperatori . . . veluti omnigena jurisdictio in toto orbe competit imperatori, ita etiam principi in suo territorio, quo nomine imperator perhibetur.«

11) Geboren 1577, Professor zu Marburg, Hessischer Geheimer Rath, in Regierungssachen viel gebraucht. Sein Werk über die Regalien wurde, ohne sein Wissen, zum erstenmal 1602 zu Mühlhausen gedruckt. Die erste von ihm veranstaltete Originalausgabe erschien 1617 in ganz neuer Gestalt zu Marburg. Sixtinus fasst die fürstliche Gewalt viel massvoller auf, als Knichen, er bestreitet den Satz: duces Germaniae pro regibus habendos esse, alle ihre

regalibus 1602. In Anschluss an den Text des langobardischen Lehenrechts II. F. 56. handelt er im ersten Buche von den Regalien überhaupt, im zweiten Buche geht er die einzelnen II. F. 56. benannten Regalien durch und bespricht bei dieser Gelegenheit einen grossen Theil des deutschen Staatsrechts. Obgleich es bei ihm zu keiner klaren Scheidung zwischen den kaiserlichen und landesherrlichen Regalien kommt, so findet sich doch in diesem Buche manches Brauchbare, was sich auf Reichsgesetze, Kammergerichtserkenntnisse und eigene Erfahrung stützt.

Wie Sixtin an den Lehenrechtstext II. F. 56. anknüpfte, so musste für Tobias Paurmeister der Pandektentitel de jurisdictione gewissermassen zur Entschuldigung dienen, um unter dieser Firma ein staatsrechtliches Werk in die Welt zu schicken. Es erschienen zu Hannover 1608 zum erstenmal: Tobiae Paurmeisteria Kochstädt de jurisdictione imperii Romani libri duo 12. Unter diesem Titel verbirgt sich eine beinahe vollständige Abhandlung über das deutsche Staatsrecht, welche schon weit praktischer als alle frühern Werke, wesentlich aus deutschen

Regalien seien vom Kaiser abgeleitet: »principes, comites, barones, civitates et plures alii, qui superiorem recognoscunt, jure supremae potestatis, dignitatis et praeeminentiae non utuntur, tamen ex concessione per privilegium aut investitura facta vel praescriptione consuetudineve regalia habent.« Gerade wegen dieser Theilung der Regalitätssphäre zwischen dem Kaiser und den Fürsten ist, wie Sextin richtig bemerkt, die Lehre von den Regalien in Deutschland besonders verwickelt.

12) Geboren zu Kochstädt bei Halberstadt 1553, Professor zu Freiburg im Breisgau, dann Syndikus des Domkapitels zu Halberstadt, zuletzt Herzogl. Braunschweigischer Geheimer Rath und Kanzler, auch Hofpfalzgraf, † 1608. Sein Werk erschien in zweiter Auflage 1616, in dritter 1670. Das erste Buch seines Werkes enthält die allgem. Grundsätze, das zweite geht auf die speciellen Verhältnisse des deutschen Reiches ein. Er bemüht sich bereits, die staatsrechtliche Natur des deutschen Reiches wissenschaftlich zu bestimmen, er widerlegt die alte Ansicht, dass die Gewalt des Kaisers eine absolute, eine παμβασιλεία vel κατὰ βούλησιν sei, es sei vielmehr eine βασιλεία κατὰ νόμον, eine »certis limitibus circumscripta potestas, non perpetua et ad heredes transitoria, sed usufructuaria ad vitam, inter Caesarem et imperii ordines certis modis communicata«. . . . Hi igitur principes et ordines corpus imperiale, cujus caput est Caesar, constituunt, et dum simul conveniunt, in uno compendio repraesentativo totum imperium collectum esse censetur.« Entschieden widerlegt Paurmeister aber auch die andere extreme Ansicht des Franzosen Bodinus, welcher die monarchische Gewalt des Kaisers ganz läugnet und das Reich für eine blosse aristokratische Fürstenrepublik erklärt. Klar und verständig ist auch seine Darstellung des Reichstags und seiner Geschäfte.

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