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Besonders wichtig für die Kenntniss des deutschen Staatsrechts des Mittelalters ist der Sachsenspiegel2. Das Werk des einfachen sächsischen Schöffen Eike's von Repgowe, mit seiner patriotischen Gesinnung und praktischen Anschauung, ist für die Geschichte des deutschen Staatsrechts mehr werth, als alle Phantasien der gelehrten mittelaltrigen Publicisten. Im dritten Buche des Sachsenspiegels, Art. 52.-72., findet sich ein ziemlich zusammenhängender Aufsatz über deutsches Staatsrecht; ausserdem kommen noch mancherlei vereinzelte Bemerkungen vor. Tief unter dem Sachsenspiegel stehen, auch in staatsrechtlicher Beziehung, an Gründlichkeit und praktischer Rechtserfahrung, die spätern Rechtsbücher, wie der Deutschenspiegel 3, der Schwabenspiegel und besonders das früher viel überschätzte kleine Kaiserrecht 5.

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Die Streitigkeiten zwischen Papst und Kaiser, geistlicher und weltlicher Gewalt, gaben sehr früh Veranlassung zu publicistischen Deduktionen, worin das Wesen des Staats und der Staatsgewalt, insbesondere das Verhältniss von Staat und Kirche zueinander, erörtert wird. Die älteste Schrift dieser Art ist von Petrus Crassus aus dem Jahre 1080; sie vertheidigt König Heinrich IV. gegen die Anmassungen Gregor's VII. und ist reich an Citaten aus der Bibel, den Kirchenvätern und dem römischen Rechte 6.

Von allgemeiner staatsphilosophischer Betrachtung geht auch

1) Johann Stephan Pütter, Literatur des deutschen Staatsrechts, in drei Theilen, 1776-1783. Johann Ludwig Klüber, Neue Literatur des deutschen Staatsrechts, als Fortsetzung und Ergänzung der Pütter'schen, 1791. Aus dem Meisterwerke Robert von Mohl's, die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, in drei Bänden, 1855-1858, gehört besonders hierher No. XI. »das positive deutsche Staatsrecht seit der Gründung des deutschen Bundes.« B. II. S. 234-394.

2) Beste Ausgabe von C. G. Homeyer, dritte Auflage, 1861. Ueber die Geschichte des Rechtsbuches siehe O. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, I. §. 29. S. 288 ff.

3) Herausgegeben von Ficker, 1859. Siehe besonders O. Stobbe §. 33.

S. 327.

4) Ausgaben von Lassberg und Wackernagel. Siehe O. Stobbe §. 34. S. 333.

5) Herausgegeben von H. E. Endemann, mit einer Vorrede von Bruno Hildebrand, 1846. O. Stobbe §. 44. S. 437.

6) H. Sudendorf, Registrum oder merkwürdige Urkunden für die deutsche Geschichte, Th. I. S. 22-50.

Engelbert von Volkersdorf' in seinen staatsrechtlichen Schriften aus, ohne die eigenthümlich deutschen Verhältnisse näher zu berücksichtigen. Seine hierher gehörigen Werke sind: de regimine principum libri sive tractatus VII. und de ortu et fine Romani imperii liber ".

Der tiefeingreifende Streit zwischen Ludwig dem Bayern und dem Papste veranlasste eine Reihe von staatsrechtlichen Deduktionen, in welchen besonders die Unabhängigkeit der kaiserlichen Gewalt vom Papste und die unmittelbar göttliche Einsetzung des weltlichen Regiments von geistlichen Schriftstellern gegen die Anmassungen des römischen Stuhles vertheidigt wird 10. Es kommen hier besonders drei Schriftsteller in Betracht:

1. Wilhelm von Occam 11.

Von seinen Schriften sind zu erwähnen: Disputatio de potestate praelatis ecclesiae atque principibus terrarum commissa, sub forma Dialogi inter Clericum et Militem und Octo quaestionum decisiones · super summi pontificis potestate; tractatus de jurisdictione Imperatoris in causis matrimonialibus.

2. Marsilius de Menandrino 12.

In Gemeinschaft mit Johannes von Janduno verfasste er die Schrift: Defensor pacis de potestate imperiali et papali adversus usurpatam Romani pontificis jurisdictionem. Von ihm allein ist der Tractatus de translatione Imperii.

7) Engelbert von Volkersdorf, geb. 1250, studirte zur Zeit Rudolf's I. zu Pavia und Prag, wurde Abt des Klosters Admont in Steiermark Engelbertus Admontensis), +1331.

8) Herausgegeben von J. G. Huffnagel, Ratisb. (s. a.)

9) Moguntiae 1603. S. O. Stobbe S. 454.

10) Ueber diese Schriftsteller siehe besonders Pütter a. a. O. Th. I. §. 25. S. 67 und Eichhorn's zum Theil abweichende Beurtheilung, Staatsund Rechtsgeschichte, B. III. §. 393. Erste Anmerkung. O. Franklin, Beiträge zur Geschichte der Reception des römischen Rechts. Hannover 1863. S. 127 ff. O. Stobbe a. a. O. S. 454.

11) Von Geburt ein Engländer, Schüler des Dun Scotus, Franciscanermönch, gestorben wahrscheinlich 1347, hat sowohl in Frankreich, wo er zu Paris Doktor wurde, als auch in Deutschland, wo er, nach dem Tode Philipp's des Schönen von 1328 ab bei Ludwig dem Bayern lebte, die Rechte des Königs gegen die Anmassungen des Papstes vertheidigt. O. Stobbe S. 455. Seine Schriften stehen bei Goldast, Monarchia, Tom. I. p. 13, II. p. 313 seqq. I. p. 21 seqq.

12) Geboren zu Padua, daher auch Patavinus genannt, gleichfalls Franciscaner, lebte lange zu Wien und starb erst nach 1342. O. Stobbe S. 455. Seine Schriften stehen bei Goldast, Tom. II. p. 154-312 und p. 147-153.

3. Lupold von Bebenburg 13. Von seinen Schriften gehört besonders hierher: Tractatus de juribus regni et imperii Romanorum 14.

Während Wilhelm von Occam seine Argumente ganz besonders aus den Quellen des römischen und kanonischen Rechts hernimmt, Marsilius aber die aristotelische Politik zur Grundlage seines Raisonnements macht, geht Lupold von Bebenburg wenigstens einigermassen gründlicher auf die Thatsachen der deutschen Geschichte und die concreten Staatsverhältnisse des deutschen Reiches ein. Sein Buch ist daher für die Geschichte des deutschen Staatsrechts bedeutsamer, als die andern gleichzeitigen Deduktionen.

An der Universität zu Prag kündigte im Jahre 1380 Ubertus de Lampugnano 15 eine gelehrte Gastrolle an, indem er sich bereit erklärte, über die damals beliebtesten staatsrechtlichen Fragen öffentlich zu disputiren, nämlich :

1) ob sogleich nach der feierlichen Wahl eines Kaisers in Deutschland der Gewählte in jeder Rücksicht von seinem Reiche und von sich als Kaiser sprechen könne, oder erst nach seiner Krönung durch den Papst?

2) ob alle Fürsten, Könige und Völker der Christenheit zum römischen Reiche gehören, oder ob einige eximirt seien durch Privilegien, Verjährung oder sonstwie 16?

Achtzig Jahre später, gewissermassen der letzte in der Reihe

13) Ein geborner Deutscher, aus dem edlen Geschlechte der Küchenmeister von Rotenburg und Nortenberg, doctor decretorum et archidiaconus ecclesiae Herbipolensis curiae officialis, tandem episcopus Babenbergensis.

14) Bei Schard, de jurisdictione, auctoritate et praeeminentia imperiali atque juribus regni, 1566. Fol. p. 328 seqq., auch 1603 4o in der Ausgabe des Petrus von Andlo mit dem besondern Titel: Tractatus de juribus regni et imperii Romanorum a D. Lupoldo de Bebenburg.

15) Von Geburt ein Italiener, auch de Lampamiano genannt, war Professor an der Universität Pavia und stand in Diensten des Johann Galeazzo Visconti (domini comitis Virtutum), des spätern Herzogs von Mailand, als dessen Gesandter er 1380 nach Prag kam. Siehe über ihn besonders Hugo, Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissensch. B. I. S. 338 ff. und Th. Dolliner, ebendas. B. II. S. 238. Aus diesen Mittheilungen ergiebt sich, wie unrichtig es ist, wenn Ubertus früher, wie dies z. B. von Senckenberg geschah, für den ersten deutschen Staatsrechtslehrer erklärt wurde.

16) Ein genauer Abdruck der Quaestio, utrum omnes Christiani subsunt Romano imperio, findet sich in der erwähnten Abhandlung von Dolliner, Zeitschr. für geschichtl. Rechtswissensch. B. II. S. 246-256.

dieser mittelaltrigen Publicisten, tritt Petrus von Andlo auf 17. Sein ungefähr 1460 geschriebenes, dem Kaiser Friedrich III. gewidmetes Buch de Imperio Romano 18 ist ein, freilich sehr schwacher, Versuch, philosophisches und positives Staatsrecht mit einander zu verbinden. Allerdings geht Petrus von Andlo schon mehr auf die concreten deutschen Staatsverhältnisse ein und handelt vom Kaiser und seiner Krönung, von den Kurfürsten, den Fürsten, den Reichstagen, dem Adel in seinen verschiedenen Stufen, den Reichsstädten u. s. w., aber alles wird in einer so verworrenen und unkritischen Weise vorgetragen, dass seine Mittheilungen nur einen sehr geringen historischen Werth haben 19,

In Bezug auf seine allgemeine Auffassung theilt Petrus von Andlo den Standpunkt der übrigen mittelaltrigen Publicisten 20. Der gemeinsame Grundzug aller dieser Schriftsteller ist der unhistorische Charakter; sie stützen sich in ihren Schriften nicht auf die deutschen Reichsgesetze und Gewohnheiten, sondern auf die Bibel, die Kirchenväter, besonders die berühmte Civitas Dei von Augustin, auf Thomas von Aquino, auf die philosophische Staatslehre des Aristoteles und Cicero, auf die spätern Römer, auf

17) Geboren zu Andlau im Elsass, studirte in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Pavia, Doctor juris canonici, hielt schon vor Stiftung der Universität zu Basel im J. 1450 öffentliche Disputationen (Vischer, Geschichte der Universität Basel, 1860. S. 10 f.), seit Stiftung der Universität 1460 war er Lector in sexto Decretalium et Ordinarius, später Vicekanzler, Propst zu Lauterbach, Canonikus zu Colmar. Ueber ihn siehe besonders Hugo, Zeitschr. für geschichtliche Rechtswiss. B. I. S. 346.

18) Die erste Ausgabe ist Petri de Andlo de imperio Romano, Regis et Augusti coronatione, inauguratione, administratione; officio et potestate Electorum, aliisque Imperii partibus, juribus, ritibus et ceremoniis Libri duo ad Fridericum III. Imper. scripti et nunc primum editi. Curante Marquardo Frehero. Argent. 1603.

19) Eichhorn a. a. O. §. 393. bezeichnet sie geradezu als » unbedeutendes Geschwätz. « Auch ist Petrus von Andlo papistischer als alle seine Vorgänger. Wenn die Kurfürsten einen Unwürdigen wählen, geht, nach ihm, das Wahlrecht ipso jure auf den Papst über; es steht, nach seiner Ansicht, der Ketzerei gleich, zu leugnen, dass die kaiserliche Gewalt aus der des Papstes abzuleiten sei, da dieser von Christus die weltliche und die himmlische Gewalt erhalten habe u. s. w.

20) Die Staatslehre des Mittelalters von Dr. F. Förster (zu Greifswald) in der Allgemeinen Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur, Jahrgang 1853, Abtheilung I. S. 832-863, Abth. II. S. 922-936. Von demselben: der Staatsgedanke des Mittelalters. Ein Vortrag, 1861. J. Stahl, Geschichte der Rechtsphilosophie, II. Abtheilung: die germanischen Schriftsteller des Mittelalters.

das Corpus juris und die Glossatoren; sie schweben somit durchweg haltlos über dem Boden der Wirklichkeit und leben in allgemeinen Abstraktionen und hochfliegenden Phantasien. Besonders durchzieht alle diese Schriften der mystische Gedanke eines geistlich-weltlichen Universalreiches, unter dem Symbol der beiden Schwerter. Nach dieser Auffassung hat es vier Universalmonarchien gegeben, die der Assyrer, die der Meder und Perser, die der Griechen unter Alexander dem Grossen, die der Römer, welche durch die Geburt Christi und die von ihm dem römischen Reiche gezollte Anerkennung ihre Heiligung erhalten hat und bis an das Ende der Tage dauern wird. Christus, als der Herr der Welt, hat zwei Schwerter, welche die weltliche und geistliche Gewalt bedeuten, an Papst und Kaiser verliehen. Zu Zeiten Karl's des Grossen ist das römische imperium von den Griechen auf die Deutschen übertragen worden, die s. g. translatio imperii. Alles ist von der Fiktion durchdrungen, dass das deutsche Reich eine Fortsetzung des alten Römerreiches, dass der deutsch-römische Kaiser der unmittelbare Nachfolger der alten Cäsaren und somit dominus mundi ist, welchem de jure alle Könige und Völker der Christenheit unterthan sind, ein staatsrechtliches Dogma, woran man noch zu einer Zeit festhielt, als die bodenlose Schwäche des deutschen Reiches eine solche Auffassung fortwährend Lügen strafte 21.

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So lange derartige Phantasien die Geister beherrschten, so

21) Diese Lehre von den zwei Schwertern wird von allen mittelaltrigen Schriftstellern mit fast wörtlicher Uebereinstimmung vorgetragen. In ihrer vollen Grossartigkeit stellt sich diese Lehre besonders bei Dante dar in seiner Abhandlung de monarchia, welche sich ebenfalls bei Simon Schard abgedruckt findet und deren erstes Buch jetzt von Karl Witte kritisch herausgegeben ist (1863). Nach Dante kann das menschliche Geschlecht seine Aufgabe nur als Einheit lösen: »scilicet quod ad optimam dispositionem mundi monarchia necessaria est.« Die Idee der Weltherrschaft wird bei diesen Schriftstellern immer durch monarchia, imperium bezeichnet. Nur darin herrscht eine Abweichung, je nach dem kaiserlichen oder päpstlichen Standpunkte der Schriftsteller, dass die eine Auffassung eine unmittelbare Verleihung des weltlichen Schwertes von Gott an den Kaiser annimmt, während nach der andern Ansicht der Curialisten Gott beide Schwerter St. Peter oder dem Papste gegeben, der Papst aber das weltliche dann dem Kaiser weiter geliehen hat, woraus nothwendig eine Unterordnung des weltlichen unter das geistliche Schwert folgt. So vertritt z. B. der Sachsenspiegel die kaiserliche deutsch-nationale, der Schwabenspiegel die papistische Auffassung. In dieser verschiedenen

Auffassung der Lehre von den beiden Schwertern stellt sich die grösste Controverse des Mittelalters, der Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, zwischen Papst und Kaiser sinnbildlich dar.

System des deutschen Staatsrechts.

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