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Höchst bedenklich ist nur wieder die Klausel, »dass Streitigkeiten oder Beschwerden, welche bereits vor Errichtung des Bundesgerichtes durch einen Bundesbeschluss endgültig erledigt waren, nicht von neuem vor dem Bundesgerichte angebracht werden können, « weil dadurch gerade die bereits geschehenen schlimmsten Rechtsbrüche und Willkührlichkeiten vor jeder rechtlichen Anfechtung geschützt sein würden.

Vom 17. August bis zum 1. September tagte der Fürstenkongress zu Frankfurt a. M. Oesterreich wollte sofort eine allgemeine Annahme seiner Vorschläge erzielen, allein der Fürstentag ging hierauf nicht ein, vielmehr wurden, von verschiedenen Seiten, die wichtigsten Bedenken erhoben. Die vorgeschlagenen Abänderungen betrafen die Zusammensetzung des Direktoriums, das Stimmenverhältniss beim Beschlusse eines Bundeskrieges und einige andere Punkte 17.

Aber auch für diesen so revidirten Entwurf wurde keineswegs eine unbedingt bindende Erklärung abgegeben; selbst von Seiten der Zustimmenden erfolgte der Beitritt immer nur unter der Voraussetzung allgemeiner Annahme des Entwurfes. Die öffentliche Meinung über die Bedeutung und wahre Tendenz des Reformprojektes klärte zuerst auf die wohlmotivirte Schlusserklärung des Grossherzogs von Baden vom 4. Septembər 1863 18.

Den entscheidenden Ausschlag gab aber die Erklärung des Königs von Preussen vom 22. September 1863, worin er, im Schreiben an alle einzelnen Theilnehmer, die Ablehnung des ganzen Reformprojektes aufs bestimmteste aussprach, weil er in dem Entwurfe nicht den Ausdruck der wirklichen Verhältnisse und Bedürfnisse zu erkennen vermöge. Als unumgängliche Vorbedingung für seinen Beitritt stellte der König von Preussen fol

am 14. August 1862 mit einem eigenen Entwurfe zur Gründung eines Bundesgerichts aufzutreten. Dieser österreichische Entwurf ist in allen wesentlichen Punkten in die Reformakte übergegangen. Siehe Preussen und das Österreichische Reformprojekt. Berlin 1863. S. 54.

17) Die Abänderungsvorschläge der Reformakte finden sich in der Augsburger Allg. Zeitung, Beilage Nr. 250 vom 7. September 1863.

18) Diese denkwürdige Schlusserklärung des Grossherzogs steht in der Augsburger Allgem. Zeitung, Beilage Nr. 253 vom 10. September 1863. Sehr treffend ist auch die mehrfach erwähnte Berichterstattung Ludwig Häusser's an die in Frankfurt a. M. versammelten Abgeordneten. Die Reform des deutschen Bundestages. Frankfurt a. M. 1863.

gende 3 Postulate: 1) ein Veto Oesterreichs und Preussens gegen alle Kriegserklärungen, insofern nicht das Bundesgebiet angegriffen ist; 2) die volle Gleichberechtigung Preussens mit Oesterreich, auch im Präsidium; 3) eine wahre, aus direkter Betheiligung der ganzen Nation hervorgehende Nationalvertretung. »>Nur eine solche Vertretung werde Preussen die Sicherheit gewähren, dass es nichts zu opfern hat, was nicht dem ganzen Deutschland zu Gute komme, während die unvollkommene und den wirklichen Machtverhältnissen nicht entsprechende Bildung der, an Stelle einer Nationalvertretung, vorgeschlagenen Versammlung von Bundesabgeordneten durch ihren Ursprung auf die Vertretung von Partikularinteressen, nicht von deutschen Interessen, hingewiesen sei und jede Bürgschaft vermissen lasse, dass in der beabsichtigten neuen Organisation des Bundes die wahren Bedürfnisse der Nation und nicht partikularistische Bestrebungen zur Geltung kommen werden. Die Ablehnung selbst wurde motivirt durch eine eingehende Denkschrift des gesammten Staatsministeriums vom 15. September 1863 19. So scheiterte auch dieser jüngste Reformversuch des deutschen Bundes und verlief sich spurlos in dem Sande der Nürnberger Ministerkonferenzen. Der Ausgang dieses Unternehmens bestätigt von neuem, dass in dem Dualismus der beiden Grossmächte 20 und der anerkannten vollen Souveränetät der Einzelstaaten jeder durchgreifenden Umgestaltung des deutschen Bundes Schwierigkeiten entgegenstehen, welche die Gegenwart zu überwinden nicht im Stande ist. Erst grössere Staatsmänner und grössere Zeiten, als die unklar ringende Gegenwart, werden, dereinst gestützt auf eine geläuterte öffentliche Meinung, das unvergängliche Recht des deutschen Volkes auf eine wahre nationale Gesammtverfassung zur vollen, ungeschmälerten Geltung bringen.

19) Diese Denkschrift steht in der Augsb. Allgem. Zeitung vom 26. Septbr. 1863, Nr. 269. Den Standpunkt des preussischen Ministeriums vertritt auch die erwähnte Schrift: Preussen und das österreichische Bundesreformprojekt. Berlin 1863. (In der Decker'schen Hofbuchdruckerei.)

20) Sehr treffend sagt die erwähnte badische Denkschrift: »Ein formeller Majoritätsbeschluss kann die Thatsache nicht wegräumen, dass eine etwa dissentirende Grossmacht dem innern Lebensgesetze ihres Staates folgen wird und muss. Er brächte nur über den Bund die Kalamität eines formell gültigen, aber thatsächlich unausführbaren Beschlusses und damit die Gefahr einer vollständigen Zerreissung des Bundes. Die wichtigsten Entschliessungen desselben in seinen Beziehungen nach aussen und entscheidende Umgestaltungen im Innern sind durch die Natur der Verhältnisse an das Einverständniss Oesterreichs und Preussens geknüpft.<<

Sechstes Kapitel.

Verfassungsentwickelung der einzelnen Bundesstaaten von 1815 bis auf die Gegenwart 1.

§. 116.

I. Die deutschen Staaten von 1815-1830.

Durch den Reichsdeputations hauptschluss und die Rheinbundsakte war die Unzahl der deutschen Territorien wesentlich zusammengeschmolzen (§. 99. S. 289). Deutschlands Länderbestand war einfacher und übersichtlicher geworden. Von einer organischen Gliederung der Staaten nach stammlicher und historischer Zusammengehörigkeit war indessen keine Rede. Napoleonische Willkühr und fürstliche Vergrösserungssucht waren die einzig bestimmenden Momente für die Neugestaltung der Rheinbundsstaaten gewesen. Auch auf dem Wiener Kongresse waren es lediglich dynastische Rücksichten, besonders die Gunst oder Ungunst der Grossmächte, wodurch die neue Vertheilung Deutschlands bewirkt wurde.

Auf den Bestimmungen der Wiener Kongressakte und deren weitern speciellen Ausführungen ruht im wesentlichen bis auf den heutigen Tag der Länderbestand der Staaten, welche den deutschen Bund ausmachen. In dieser Vereinigung grosser, mittlerer und kleiner Staaten entrollt sich vor uns ein Bild verschiedenartigster Verfassungsentwickelung. In Ermangelung bundesrechtlicher, allgemein verbindlicher Bestimmungen, blieb die Verfassungsentwickelung der deutschen Staaten lediglich dem willkührlichen Ermessen der

1) Es ist nicht die Aufgabe dieser kurzen Skizze, die Geschichte aller deutschen Landesverfassungen zu geben. Eine Zusammenstellung aller gegenwärtig geltenden Verfassungen wird am Anfang der folgenden Abtheilung (III. B. Verfassungsrecht) geliefert werden. Hier kam es uns nur darauf an, den ganzen staatlichen Entwickelungsgang in seinen Hauptmomenten, seinen leitenden Ideen und seinen eigentlich typischen Gestaltungen darzulegen.

2) Acte final du Congrès de Vienne II. Allemagne Art. XV-LII. Die Schlussregulirung dieser Verhältnisse im Einzelnen erfolgte durch den Frankfurter Territorial recess vom 20. Juli 1819 in 50 Artikeln, bei G. v. Meyer, B. I. S. 343-353.

Fürsten und dem oft unklaren Willen der einzelnen Völker überlassen.

In dieser bunten Mannigfaltigkeit staatlicher Entwickelung, welche sich in Deutschland nach dem Sturze der Fremdherrschaft darstellt, kann man, besonders in dieser ersten Periode 1815-30, zwei entgegengesetzte Staatengruppen unterscheiden. Abgesehen von den beiden Grossmächten, Oesterreich und Preussen, welche trotz ihrer Bundeszugehörigkeit das Gesetz ihres Daseins, die Bedingungen ihres staatlichen Lebens wesentlich in sich selbst tragen, scheidet sich die Gruppe der norddeutschen Staaten scharf ab vom Süden Deutschlands. Im Nord en herrscht in dieser ganzen Periode Unbeweglichkeit, Festhalten am Alten, Hinneigung zu einer aristokratisch-absolutistischen Staatsordnung, im Süden dagegen Bewegung, Fortschritt und durchgreifende Neuerung. Diese Gegensätze bestehen nicht nur in den Maximen der dynastischen Politik, sondern auch in der Stimmung und Denkungsweise der Bevölkerung 3.

In Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Kassel waren die fürstlichen Häuser von der Fremdherrschaft vertrieben gewesen. In diesen Ländern fand daher eine Restauration statt, mit aller Vorliebe zum Alten, selbst wo es ungesund und überlebt war, mit allem Hasse gegen das Neue, selbst wo es unstreitig das Bessere war, ein bekannter Grundzug aller restaurirten Dynastien.

Eine solche Restauration erfolgte im grössten Maasstabe in Hannover, unmittelbar nach Sturz der französischen Herrschaft. Im Hasse gegen alles Fremde wurden die französischen

3) Auch in den kleinen deutschen Republiken, wo doch keine dynastischen Rücksichten bestimmend einwirkten, macht sich dieser Gegensatz geltend. In Hamburg, Lübeck und Bremen ging man überall, nach der Restauration, auf die mittelalterigen Verfassungen, mit ihren sich selbst ergänzenden Magistraten, ihren schwerfälligen Geschäftsformen zurück, während man im süddeutschen Frankfurt gleich 1816 einen Neubau der Verfassung im modernen Style durchführte.

4) Zur Geschichte des Königreichs Hannover in den ersten Jahren nach der Befreiung (von Rehberg) 1826. Rehberg war die bedeutendste Persönlichkeit in der hannöverschen Regierung, ja sogar vielleicht, trotz seines bekannten Konservativismus, noch der freisinnigste Staatsmann im damaligen Hannover, während Graf Münster immer mehr zum gefügigen Werkzeuge der englischen Toryregierung wurde. Vergl. Stüve, über die gegenwärtige Lage des Königreichs Hannover, 1832. Derselbe im Staatswörterbuch, B. IV. unter dem Art. Hannover, S. 689–731.

Gesetzbücher und Gerichtseinrichtungen, ja sogar die bäuerlichen Ablösungsgesetze beseitigt, dagegen alle alten Adelsvorrechte, Steuerprivilegien, Patrimonialgerichte, Zunftstatuten, das heimliche Gerichtsverfahren sammt der Folter, die Vermischung von Justiz und Verwaltung, die Censurordnung vom Jahre 1705 und acht Provinzialständeversammlungen, mit übertriebenem Eifer wiederhergestellt. Die allgemeine Ständeversammlung, welche. 1814 zusammenberufen wurde, hatte nur einen provisorischen Charakter; durch das Patent vom 7. Decbr. 1819 wurde unter Einfluss der schroffsten Adelspartei eine allgemeine Ständeversammlung ins Leben gerufen, mit einer ritterschaftlichen und einer wesentlich städtischen Kammer, welche nur zu fortwäh– rendem ständischen Hader zwischen Städtern und Eximirten, nicht aber zu einer gedeihlichen Staatsentwickelung führte.

Milder und massvoller zeigte sich die Restauration im Herzogthume Braunschweig, wo eine wohlgeordnete Staatsverwaltung vieles für das Landeswohl that, und unter der vormundschaftlichen Regierung König Georg's IV. am 25. April 1820 eine Landschaftsordnung erlassen wurde, welche den Principien der Repräsentativverfassung schon mannigfach Rechnung trug 5.

Zur Karrikatur wurde die Restaurationssucht in Kurhessen, wo nicht eine oligarchische Adelskaste, wie in Hannover, sondern ein harter, absolutistischer Fürst das Alte, selbst bis auf die kleinsten Aeusserlichkeiten, rücksichtslos wiederherstellte. Nach Beseitigung aller französischen Einrichtungen wurden selbst die bäuerlichen Frohnden und Dienste, die krause Mannigfaltigkeit der Rechte und Gesetzgebungen, die engherzigste Zunftverfassung, die lächerlichen alten Rangordnungen wieder eingeführt. Die am 27. December 1814 einberufenen Landstände, zu denen nun auch der Bauernstand hinzukam, konnten sich mit dem Kurfürsten, wegen der geforderten Ausscheidung des fürstlichen Privatgutes vom Staatsvermögen, nicht vereinbaren, lehnten den fürstlichen Verfassungsentwurf vom 16. Februar 1816 ab und wurden am 10. Mai entlassen, ohne wieder berufen zu werden. Einzelne wichtige Punkte der Staatsverfassung wurden durch das Haus- und

5) Art. »Braunschweig« von Vorwerk im Staatswörterbuch. B. II. S. 234-259.

6) Pfeiffer, Geschichte der landständischen Verfassung in Kurhessen, 1834. Wippermann, Kurhessen seit dem Freiheitskriege, 1850.

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