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§. 115.

Der wiederhergestellte Bundestag bis auf die Gegenwart.

Da Oesterreich sein zu Dresden gestelltes Verlangen, mit seinem gesammten Länderbestande in den Bund zu treten, fallen liess, so machte auch Preussen die Einverleibung seiner östlichen Provinzen rückgängig1. Damit war die territoriale Ausdehnung des deutschen Bundes wieder auf das alte Mass. beschränkt.

Auch die Thätigkeit der neuen Bundesversammlung bewegte sich bald wieder auf den alten Bahnen der Repressivmassregeln. So forderte ein B.-B. vom 23. August 1851 die Regierungen auf: »die in den einzelnen Bundesstaaten seit dem Jahre 1848 getroffenen staatlichen Einrichtungen und erlassenen gesetzlichen Bestimmungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen und dann, wenn sie mit den Grundgesetzen des Bundes nicht in Einklang stehen, diese nothwendige Uebereinstimmung ohne Verzug (d. h. selbst mit Umgehung des gesetzlichen landesverfassungsmässigen Weges) wiederherzustellen« 2, eine Mahnung, die bereitwillig befolgt wurde und abermals zum Umsturze mehrerer Landesverfassungen führte, wobei die Bundeskommissäre hülfreiche Hand leisteten. In dieser Richtung erfolgten dann weitere specielle Bundesbeschlüsse in Betreff der Verfassungen von Kurhessen, Bremen, Frankfurt u. s. w. Ein anderer B.-B. vom 23. August setzte die (Frankfurter) Grundrechte des deutschen Volkes ausser Kraft 3. Ein B.-B. vom 31. December 1851 verfügte die Auflösung der deutschen Flotte, welche von der Centralgewalt und dem deutschen Volke mit grossen Opfern geschaffen worden war. Dann folgten die Bundesbestimmungen zur Verhinderung des Missbrauchs der Pressfreiheit vom 6. Juli 18545 und zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im deutschen

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1) Preussischer Antrag vom 20. September 1851, B.-B. vom 3. Okt. 1851; man stützte sich auch darauf, dass die Aufnahme nicht in bundesrechtlich korrekter Form erfolgt sei.

2) G. v. Meyer, B. II. S. 560.

3) G. v. Meyer, B. II. S. 561.

4) G. v. Meyer, B. II. S. 567, wo auch die weitern Beschlüsse in dieser Angelegenheit stehen.

5) G. v. Meyer, B. II. S. 601.

Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend, vom 13. Juli 1854 6.

Als ein Fortschritt ist dagegen die neue Geschäftsordnung vom 16. Juni 1854 zu betrachten. Auch ist zuzugestehen, dass die genannten Repressivmassregeln doch nicht völlig zu den Grundsätzen der Karlsbader Beschlüsse zurückkehrten, indem die Pressfreiheit, wenigstens im Principe, beibehalten, auch keineswegs das Verbot aller politischen Vereine ausgesprochen wurde.

Das Beste, was die B.-V. in dieser Zeit geleistet hat, ist die Niedersetzung einer Kommission zur Bearbeitung eines Entwurfes eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches3.

Dieser zu Nürnberg und Hamburg ausgearbeitete Kommissionsentwurf wurde durch B.-B. vom 13. Mai 1861 den einzelnen Staaten zur unveränderten Annahme empfohlen und in fast allen deutschen Staaten auf verfassungsmässigem Wege zum Gesetze erhoben. Durch das Handelsgesetzbuch wurde der erste zukunftsreiche Keim einer deutschen Rechtseinheit, auf dem Gebiete des Privatrechts, gelegt ".

Nach den fehlgeschlagenen Versuchen des Jahres 1848 blieb die Reform des Bundes lange Zeit von der officiellen Tagesordnung hinweg. Die Erklärung von Sachsen-Koburg-Gotha in dem Bundestage über die Nothwendigkeit einer Verbesserung der Bundesverfassung vom 31. Oktober 1861 wurde nicht einmal zu einem bestimmten Antrage erhoben 10. Der von Sachsen vorgelegte Reform plan vom 15. Oktober 1861, welcher wesentlich auf Herstellung einer ständischen Delegirtenversammlung am Bunde, eines Bundesgerichts und einer aus drei Mitgliedern bestehenden Exekutive (nämlich Oesterreich, Preussen und einem von den übrigen Regierungen zu erwählenden Souverän) gerichtet

6) G. v.
7) G. v. Meyer, B. II. S. 596.

Meyer, B. II. S. 605.

8) B.-B., den Antrag von Bayern über Handelsgesetzgebung betr., vom 18. Decbr. 1856. G. v. Meyer, II. S. 665.

9) O. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen. B. II. S. 492. §. 96. H. Thöl, zur Geschichte des Entwurfs eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs. Göttingen 1861. Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts. I. 1864. S. 94, S. 119. Siehe auch den »Kommentar zum allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuche von Friedrich von Hahn«. Braunschweig, B. I. Abth. 1. 1862. Abth. II. 1863.

10) G. v. Meyer, B. III. Lief. 2. 1862. S. 256.

war, rief zwar einen lebhaften Notenwechsel hervor, blieb aber, bei den völlig auseinandergehenden Ansichten der deutschen Regierungen, ohne allen praktischen Erfolg "1.

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Ebenso wurde der Antrag von 8 Staaten (s. g. Würzburger Staaten, weil sie Konferenzen über ihr gemeinsames Vorgehen zu Würzburg gehalten hatten) vom 14. August 1862, auf Bildung einer ständischen Delegirtenversammlung am Bunde, besonders zur Berathung allgemeiner Gesetzentwürfe über Civilprocess und Obligationenrecht, am 22. Januar 1863 von der Majorität der B.-V. abgelehnt 12.

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Im Sommer 1863 wurde Deutschland durch das österreichische Reformprojekt 13 überrascht. Anfangs August ergingen die Einladungen des Kaisers von Oesterreich an alle regierenden deutschen Fürsten und die vier freien Städte zur Abhaltung eines Fürstentages zu Frankfurt a. M., welchen Preussen indessen zu beschicken ablehnte.

Nach dem österreichischen Entwurfe wurde unter die bisherigen Zwecke des Bundes noch » Förderung der Wohlfahrt der deutschen Nation und Vertretung ihrer gemeinsamen Anliegen, Schutz des öffentlichen Rechtszustandes, Gemeinsamkeit der Gesetzgebung im Bereiche der dem Bunde verfassungsmässig zugewiesenen Angelegenheiten und Erleichterung der Einführung allgemeiner deutscher Gesetze« aufgenommen. Art. I.

Als neue Bundesorgane werden bezeichnet: das Direktorium, der Bundesrath, die Versammlung der Bundesabgeordneten, die Fürstenversammlung, Bundesgericht. Art. II.

das

An der Spitze des Ganzen steht, als oberste leitende Behörde, das Direktorium, bestehend aus den Regenten von Oester

11) Das Projekt nebst Denkschrift vom 15. Oktober 1861 und Nachtrag dazu vom 20. Novbr. 1861 steht bei Aegidi und Klauhold, Staatsarchiv, Jahrg. 1861, Nr. 164; 1862, Nr. 175, 176.

12) Die Verhandlungen über diese Vorschläge stehen bei G. v. Meyer, B. III. 3. Lief. S. 299-335.

13) »Der Entwurf der Reformakte des deutschen Bundes « findet sich in der ausserordentlichen Beilage zu Nr. 233 der Augsb. Allgem. Zeitung vom 21. August 1863. Der Entwurf umfasst 36 Artikel in fünf Abschnitten und einer Schlussbestimmung. Abschnitte sind I. Allgemeine Verfügungen, II. Direktorium und Bundesrath, III. die Versammlung der Bundesabgeordneten, IV. die Fürstenversammlung, V. das Bundesgericht.

System des deutschen Staatsrechts.

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reich, Preussen und Bayern und zwei der am 8., 9. und 10. Armeekorps betheiligten Souveränen, welche letztere durch Wahl ernannt werden sollen. Die Mitglieder des Direktoriums werden regelmässig durch Bevollmächtigte vertreten. Das Direktorium beschliesst mit Stimmenmehrheit nach Instruktionen. Ihm steht die gesammte vollziehende Gewalt und völkerrechtliche Vertretung des Bundes zu. Ihm liegt die Sorge für die äussere und innere Sicherheit Deutschlands ob. Sind Ruhestörungen zu besorgen, so ist das Direktorium berufen, auf deren Verhütung hinzuwirken 14. Art. IX. Ferner kommt dem Direktorium zu, Kriegsbereitschaft und Mobilmachung des Bundesheeres zu beschliessen, den Bundesfeldherrn zu ernennen u. S. W. Zu einer förmlichen Kriegserklärung des Bundes ist ein im Bundesrathe mit der Stimmen gefasster Beschluss erforderlich. >> Ergiebt sich die Gefahr eines Krieges zwischen einem Bundesstaate, welcher zugleich ausserhalb des Bundesgebietes Besitzungen hat, und einer auswärtigen Macht, so hat das Direktorium den Beschluss des Bundesrathes darüber, ob der Bund sich am Kriege betheiligen wolle, zu veranlassen. Die Entscheidung hierüber erfolgt mit einfacher Stimmenmehrheit 15. Der Vorsitz im Direktorium, wie im Bundesrathe, gebührt Oesterreich. Dem »präsidirenden Direktorialbevollmächtigten « wird der mündliche und schriftliche diplomatische Verkehr, im Namen des Direktoriums, für den gesammten Bund übertragen.

Die zweite Behörde, der Bundesrath, besteht aus den Bevollmächtigten der 17 Stimmen des engern Raths der B.-V. Oesterreich und Preussen führen im Bundesrathe je drei Stimmen, so dass die Zahl der Stimmen sich auf 21 erhöht.

In Bezug auf die vollziehende Gewalt ist der Bundesrath

14) Ueber die Gefährlichkeit dieses Artikels für die konstitutionelle Freiheit sagt Häusser: »In Vergleich mit Art. IX. des Entwurfs kann man aber sogar in den Bestimmungen der Wiener Schlussakte beinahe eine Garantie der konstitutionellen Freiheit erblicken; denn es hört hier jede Beschränkung der Normen auf, wie sie die Schlussakte enthält; es fehlt jede vorgeschriebene rechtliche Form, jedes genau definirte gesetzliche Mittel u. s. w.« L. Häusser, die Reform des deutschen Bundestages. Frankfurt 1863. S. 8.

5) Hierin lag entschieden die bedenklichste Bestimmung des ganzen Reformprojektes für Deutschlands Frieden und Unabhängigkeit. Häusser a. a. O. S. 7.

nur eine berathende Behörde, neben dem Direktorium; zur Abänderung der Bundesverfassung, zu organischen Einrichtungen und Gesetzvorschlägen, welche dem Bunde einen seither der Gesetzgebung der Einzelstaaten angehörigen Gegenstand überweisen, müssen 17 Stimmen des Bundesrathes zustimmen, über Religionssachen muss Stimmen einhelligkeit herrschen.

Das Direktorium beruft, eröffnet, löst auf und schliesst » die Versammlung der Bundestagsabgeordneten«. Diese besteht aus 300, von den Vertretungskörpern der Einzelstaaten gewählten Mitgliedern. Wo das Zweikammersystem besteht, wählt die erste Kammer 1. Diese Abgeordneten treten nur alle drei Jahre zusammen. Der Abgeordnetenversammlung steht das Recht beschliessender Mitwirkung bei der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt zu. Die gesetzgebende Gewalt des Bundes erstreckt sich: 1) auf Abänderung der Bundesverfassung, 2) auf die bestehenden oder neu zu errichtenden organischen Einrichtungen des Bundes, 3) auf den Bundeshaushalt, 4) auf Feststellung allgemeiner Grundzüge für die Gesetzgebung der Einzelstaaten. Bei Verfassungsveränderungen und dgl. kann die Abgeordnetenversammlung nur mit der Stimmen beschliessen, ausserdem hat sie das Recht der Vorstellung und Beschwerde in allen Bundesangelegenheiten.

Eine Fürstenversammlung, bestehend aus allen Bundesgliedern und zwei Vertretern der Standesherren, soll nach jeder Session der Abgeordnetenversammlung zusammentreten, hat aber eigentlich nur über die Aufnahme neuer Mitglieder in den Bund und über Aenderung des Stimmenverhältnisses bei verändertem Besitzstande der Bundesglieder endgültig zu beschliessen. Jedenfalls ist die Fürstenversammlung das am wenigsten durchdachte, staatsrechtlich anomalste Institut des ganzen Entwurfes. Dagegen muss das Bundesgericht, welches im Namen des deutschen Bundes, theils in richterlicher, theils in schiedsrichterlicher Eigenschaft entscheiden soll, als der praktisch brauchbarste Theil des ganzen Reformprojekts angesehen werden 16.

16) Schon auf den Dresdener Konferenzen und nach der Restauration des Bundestages, im J. 1851, wurde die Errichtung eines Bundesgerichts in Anregung gebracht; dann hat Baden 1859 einen hierauf bezüglichen Antrag am Bundestage gestellt und seine betreffenden Vorschläge in einer umfangreichen Denkschrift zur Prüfung vorgelegt, bis Oesterreich selbst sich entschloss,

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