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Staaten, darauf gedrungen wurde, ein Minimum von Rechten der Landstände und der Unterthanen von Bundeswegen festzusetzen, das ihnen überall gewährt werden müsste (S. 299), während man jetzt ein Maximum aufzustellen bemüht war, worüber kein einzelner Staat hinausgehen durfte.

Die grösste Principlosigkeit nicht blos der Wiener Schlussakte, vielmehr der ganzen Bundespolitik vom Jahre 1819 an zeigt sich darin, dass man einerseits die völkerrechtliche Natur des Bundes und die damit zusammenhängende volle Souveränetät der Fürsten überall da aufs stärkste betonte, wo es sich darum handelte, wohlberechtigte Forderungen grösserer nationaler Einheit zurückzuweisen, dass man aber andererseits zugleich dem Bunde eine weit über das Wesen des Staatenbundes hinausgehende, polizeiliche Centralgewalt beilegte, wo es galt, die freiheitliche Entwickelung in den Einzelstaaten zu unterdrücken 9.

§. 107.

Der deutsche Bund vom Jahre 1819 bis zum Jahre 1848.

Seit dem Jahre 1819 bewegt sich die Thätigkeit des Bundes fast ununterbrochen in den Bahnen der Karlsbader Konferenzen weiter.

Am 11. December 1823 fasste die Bundesversammlung den entweder nichtssagenden oder geradezu widersinnigen Beschluss: ,,dass sie neuen (!) Bundeslehren und falschen Theorien von Schriftstellern keine auf Bundesbeschlüsse einwirkende Autorität und nicht einmal der Berufung auf solche in ihren Verhandlungen Raum geben" wolle '.

Am 1. Juli 1824 wurde, auf Antrag Oesterreichs, beschlossen, künftig zweierlei Protokolle jeder Sitzung aufzunehmen, und zwar öffentliche und geheime oder Separatprotokolle, so dass regelmässig nur die Resultate der Verhandlungen an die Oeffentlichkeit gelangen sollten 2. Die für die Oeffentlichkeit bestimmten Protokolle

9) Kaltenborn a. a. O. S. 394. So wurde in Karlsbad der Satz aufgestellt, dass die Bundesversammlung »die oberste Gesetzgebung (d. h. Gesetzgebungsgewalt in Deutschland konstituire«, ja der publicistische Aberwitz ging so weit, » von einer Felonie deutscher Fürsten gegen den Bund«< zu reden. Aegidi, zum Jahre 1819. S. 19.

1) Meyer, B. II. S. 151. H. von Treitschke a. a. O. S. 244.
2) Meyer, B. II. S. 156.

schrumpften immer mehr zusammen; seit dem Jahre 1828 hörten sie ganz auf, so dass sich von nun an die Bundesthätigkeit den Augen der Nation und der belebenden Kontrolle der öffentlichen Meinung völlig entzog.

>> So wurde der heimliche Bundestag den Deutschen ein Gegenstand erst der Scheu, dann kalter Anwiderung 3. «<

Die im Gefolge der Julirevolution ausgebrochenen Bewegungen veranlassten abermals umfassende Repressivmassregeln *. Am 28. Juli 1832 wurden neue, ausserordentliche Massregeln ,,zur Erhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im deutschen Bunde" beschlossen, welche besonders gegen die Landstände und ihre vermeintlichen Uebergriffe, gegen den Missbrauch der freien Meinungsäusserung in den Kammern, gegen die Presse, die Volksversammlungen, die Universitäten, gegen alle politischen Vereine und Verbindungen gerichtet waren

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Durch Bundesbeschluss vom 5. Juli 1832 wurde die badische Regierung genöthigt, das am 1. März 1832 publicirte, verfassungsmässig zu Stande gekommene Pressgesetz aufzuheben, und zwar sollte dies binnen vierzehn Tagen geschehen.

Aber die schlimmsten Auswüchse dieser volksfeindlichen Politik hüllten sich in das Dunkel des Geheimnisses. Abermals citirte Fürst Metternich die Bevollmächtigten sämmtlicher deutscher Bundesstaaten nach Wien zu einem neuen Ministerkongresse, dessen Resultat jetzt in dem Schlussprotokolle vom 12. Juli 1834 vorliegt. Diese geheimen Wiener Beschlüsse von 1834

3) Königl. bayersche Note. vom 12. März 1848.

4) Königl. preussische Denkschrift vom 20. November 1847: >>Was den aus der Julirevolution hervorgegangenen Bewegungen in den deutschen Staaten gegenüber geschah, war immer nur ein Beharren in dem Systeme blosser Negation, ein fruchtloser und bedauernswerther Versuch, durch Bundesbeschlüsse, Polizei, Censur, Untersuchungskommissionen sich einer Gefahr zu erwehren, die nur durch positive lebenskräftige Thaten beschworen werden konnte.<<

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5) Diese sämmtlichen Beschlüsse finden sich bei Meyer, B. II. S. 240 ff. Durch diese Beschlüsse setzte man eine Nation gewissermassen »in permanenten Belagerungszustand«, welcher man zu gleicher Zeit das Zeugniss nicht versagen konnte, dass sie » durch edeln Charakter und tiefen Sinn, wie durch Achtung für gesetzliche Ordnung und Anhänglichkeit an ihre Fürsten der vollen Bewunderung Europa's würdig geblieben ist.«<

6) Meyer, B. II. S. 250.

7) Veröffentlicht von Welcker in den wichtigen Urkunden nebst einer staatsrechtlichen und politischen Würdigung dieser Beschlüsse. S. 348-420.

in 60 Artikeln überbieten selbst die Karlsbader durch die Willkühr, womit sie den ganzen Rechtszustand der deutschen Nation dem Belieben der Kabinete preis geben. In geheimen Ministerialverabredungen wurden hier die tiefgreifendsten Sätze angenommen, durch welche das Steuerbewilligungsrecht der Landstände, ihre Theilnahme an der Gesetzgebung und der Feststellung des Budgets im hohen Grade gefährdet war. Ausserdem wurden gegen die Presse, besonders gegen das Zeitungswesen, gegen die Universitäten, gegen die Oeffentlichkeit der Gerichts- und Kammerverhandlungen wohlgezielte Schläge geführt. Nicht alle Festsetzungen dieser Wiener Ministerkonferenzen wurden zu Bundesbeschlüssen erhoben, aber sämmtliche Regierungen »machten sich anheischig, sich durch diese Artikel, als das Resultat einer Vereinbarung zwischen den Bundesgliedern, ebenso für gebunden zu erachten, als wenn dieselben zu förmlichen Bundesbeschlüssen erhoben worden wären 8. »

Fast noch mehr, als durch diese eifrige Polizeithätigkeit, entfremdete sich der deutsche Bund die öffentliche Meinung durch seine Unthätigkeit, wo es galt, die Interessen der Nation nach aussen und innen mit kräftiger Hand zu vertreten. Für Handel, Verkehr, Schifffahrt und andere gemeinnützige Anstalten geschah, trotz Art. 19. der Bundesakte, von Bundeswegen nichts 9. Die Elbe, Weser- und Rheinschifffahrtsakte (vom 23. Juni 1821, vom 10. September 1823, vom 31 März 1831) kam durch Separatverträge zu Stande; die grosse nationale That des deutschen Zollvereins ging nicht vom Bunde aus 10.

In Luxemburg verstand er nicht einmal, die Integrität seines Gebietes zu vertheidigen und musste sich schliesslich mit der rein nominellen Entschädigung durch Limburg begnügen 11.

8) Art. 60. bei Welcker a. a. O. S. 369.

9) So ist es wohl nicht zu hart, wenn die königl. preussische Denkschrift vom 20. November 1847 sagt: »Aus allem diesem ist der beklagenswerthe Zustand des Bundes entstanden, welcher offen vor Jedermanns Augen liegt. Auf die Frage: Was hat der Bund seit den 32 Jahren seines Bestehens, während eines fast beispiellosen Friedens, gethan für Deutschlands Kräftigung und Förderung, ist keine Antwort möglich.

10) Ueber den Zollverein vergl. Kaltenborn, B. I. S. 508, wo auch die Literatur angegeben ist.

Den letzten Rest von Vertrauen verscherzte der Bund durch sein Benehmen in der Verfassungsangelegenheit von Hannover, wo König Ernst August, völlig einseitig und mit Umgehung aller Rechtsformen, durch einfache Ordonnanz vom 1. November 1837, die ganze, in anerkannter Wirksamkeit bestehende, von seinem Vorgänger Wilhelm IV. gegebene Verfassung über den Haufen warf 12. Selbst gegen diesen offenbaren Rechtsbruch, welchen die deutsche Rechtswissenschaft und das gesammte Bewusstsein des deutschen Volkes, selbst in seinen konservativsten und monarchischsten Kreisen einstimmig verurtheilte, versagte der Bund dem hannöverschen Volke seine Hülfe, »da bei o b waltender Sachlage eine bundesgesetzlich begründete Veranlassung zur Einwirkung in diese innere Angelegenheit nicht bestehe 13. »

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Der Aufschwung des deutschen Nationalgefühls im Jahre 1840 bei dem drohenden Bruche mit Frankreich, die allmähliche Entwickelung einer volksthümlichen Verfassung und Politik in Preussen, endlich selbst die persönlichen Bemühungen König Friedrich Wilhelm's IV. für eine organische und nationale Neubelebung des Bundes 14 hatten bis zum Jahre 1848 keinen sichtbaren Erfolg. Das Rühmlichste und Beste, was in dieser Zeit geschah, war die Verbesserung der Bundeskriegsverfassung und der, besonders auf Preussens Betrieb, erfolgte Bau

11) Ueber die luxemburgische Angelegenheit siehe G. v. Meyer, B. II. S. 363 ff. H. A. Zachariă, deutsches Staatsrecht, B. II. S. 630.

12) Kaltenborn, I. S. 464. Ueber die tiefe Wunde, welche die Inkompetenzerklärung vom 5. September 1839 dem Ansehen des Bundes beibrachte, sagt die k. preuss. Denkschrift vom 20. November 1847: » Die Stellung des Bundes zu der hannöverschen Frage ist das letzte Glied in diesem unheilvollen Systeme, der Schaden, den die Inkompetenzerklärung in einer solchen, den ganzen Rechtszustand Deutschlands berührenden Sache verursacht hat, ist völlig unberechenbar.<<

13) Die beste Quelle für diese hannöversche Verfassungsfrage ist: Hannöversches Portfolio, Sammlung von Aktenstücken zur Geschichte des hannöverschen Verfassungskampfes, 3 Bde. Stuttg. 1839. Die Protokolle der Sitzungen der Bundesversammlung von 1838 u. 1839 in der hannöverschen Sache giebt von Wangenheim, Dreikönigsbündniss, S. 257-443. Ueber die Rechtsfrage vergleiche besonders die ausführlichen Gutachten der Juristenfakultäten zu Heidelberg, Jena und Tübingen, herausgegeben von Dahlmann, und die hannöverschen Verfassungsfragen von Reyscher, Zeitschrift für deutsches Recht. B. II. 1. Heft. S. 176.

14) Ueber diese Bestrebungen ist zu vergleichen J. von Radowitz, Deutschland und Friedrich Wilhelm IV. 3. Aufl. 1848.

zweier wichtiger süddeutscher Festungen Rastatt und Ulm zum Schutze der deutschen Grenzen 15. Auch der Beschluss vom 17. September 1846 in Betreff der Holstein'schen Erbfolge ist, als Antwort auf den »offenen Brief», zwar vorsichtig und zurückhaltend, wahrt aber doch den deutschen Rechtsstandpunkt in staatsrechtlich korrekter Weise 16.

Alle Bestrebungen zur Verbesserung der Verfassung des Bundes und zur Erfrischung seiner Thätigkeit scheiterten vollständig, so der Antrag Preussens auf Aufhebung der Karlsbader Bestimmungen in Betreff der Presse vom 22. Juli 1846, so der zu gleicher Zeit von Würtemberg gestellte Antrag auf Veröffentlichung der Bundestagsprotokolle, so die umfassenden Reformpläne, welche in der königlich preussischen Denkschrift 17 vom 20. November 1847 niedergelegt sind.

Fünftes Kapitel.

Bundesreformbestrebungen, besonders in den Jahren

1848-511.

§. 108.

Vorbereitende Ereignisse.

Die französische Februarrevolution vom 24. Februar 1848 rief in Deutschland eine nie gekannte Aufregung hervor. Die Ueberraschung und Rathlosigkeit des alten Systems war unverkennbar.

15) Kaltenborn a. a. O. S. 482 ff. Sämmtliche hierher gehörige Beschlüsse bei Meyer, B. II. S. 400 ff.

16) Meyer, B. II. S. 442.

17) Diese so oft erwähnte Denkschrift steht bei Radowitz, S. 38-56. 1) Allgemeine Quellensammlungen für diesen Zeitabschnitt: Karl Weil, Quellen und Aktenstücke zur deutschen Verfassungsgeschichte. Berlin 1850. Paul Roth und Heinr. Merk, Quellensammlung des deutschen öffentlichen Rechts seit 1848. 2 Bde. Erlangen 1850-52. Die ausführlichste und zusammenhängendste Darstellung dieser Ereignisse findet sich bei Kaltenborn, Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse, Bd. II. Siehe auch Zacharia, deutsches Staatsrecht, Bd. I. §. 43 ff. Zöpfl, Bd. I. §. 181 ff. Die Schriften über einzelne Ereignisse dieser Zeit werden am betreffenden Orte angeführt werden.

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