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Fast anderthalb Jahre bestand der deutsche Bund ohne verfassungsmässiges Organ. Erst am 5. November 1816 wurde die Bundesversammlung feierlich eröffnet. In dieser Versammlung >> deutscher biederer Männer« erklärte der österreichische Bundespräsidialgesandte, Graf Buol - Schauenstein, »das Nationalbedürfniss für die Schöpferin und den Leitstern«, »Ausdruck und Sicherung des Nationalbandes« für die Aufgabe des deutschen Bundes, durch welchen jetzt »Deutschland wieder, als ein Ganzes, als eine politische Einheit, als eine Macht in der Reihe der Völker erscheine 2«.

Die ersten Verhandlungen und Arbeiten des Bundestages tragen unverkennbar das Gepräge patriotischer Gesinnung und redlicher Absicht, so namentlich die provisorische Kompetenzbestim

1) Das Hauptwerk ist auch hier für diese Zeit Kaltenborn, Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse, B. I. S. 328-528; L. Fr. Ilse, Geschichte der deutschen Bundesversammlung, besonders ihres Verhaltens zu den deutschen Nationalinteressen (Marburg 1861 ff., bis jetzt 3 Bände, die aber nur die Zeit von 1816-1823 umfassen). K. Nauwerk, die Thätigkeit der deutschen Bundesversammlung. 4 Hefte. Berlin 1845-1846. H. von Gagern, Mein Antheil an der Politik, Bd. III, mit dem besondern Titel »der Bundestag 1816 bis 1818«. Stuttg. 1830. P. A. Pfizer, Entwickelung des öffentlichen Rechts in Deutschland durch die Verfassung des Bundes. Stuttgart 1835. Auch von Wangenheim, das Dreikönigsbündniss vom 26. Mai 1849, Stuttgart 1851, giebt viele Beiträge aus der Zeit vor 1848. Die Urkunden über die Bundesthätigkeit, namentlich die Bundesbeschlüsse, finden sich am besten zusammengestellt bei G. von Meyer, Corpus juris confoed. German. 3. Aufl., ergänzt und fortgeführt bis auf die neueste Zeit von H. Zöpfl, 1859. Besonders in Betracht kommt hier der II. Theil. A. Miruss, diplomatisches Archiv der deutschen Bundesstaaten, 3 Theile, Leipzig 1846-1848. Von grossem Werthe sind die »Wichtigen Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation mit eigenhändigen Anmerkungen von J. L. Klüber, aus dessen Papieren mitgetheilt und erläutert von C. Welcker, 2. Aufl. Mannheim 1815.

2) G. v. Meyer, B. II. S. 20 ff.

System des deutschen Staatsrechts.

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mung des Bundestages vom 12. Juli 18173, so die Garantien, welche der freisinnigen sachsen - weimarischen Verfassung und mehreren andern Landesverfassungen bereitwillig gewährt wurden, so die kräftige Erklärung gegen das Willkührregiment in Kurhessen vom 17. März 18175, so der Bundesbeschluss vom 23. Juni 1817, wodurch die in der Bundesakte bestimmte Nachsteuer- und Abzugsfreiheit in der liberalsten Weise zur Ausführung gebracht wurde ".

Bald aber trat ein verhängnissvoller Umschwung ein. Die grosse Zeit der Freiheitskriege hatte die edelste patriotische Stimmung, aber auch viele unklare politische Ideale und unreife Pläne im deutschen Volke, besonders in der Jugend, wach gerufen. Es war eine Zeit der tiefsten geistigen Erregung, ein wahrer Völkerfrühling nach langem politischen Winterschlafe. Sache der Regierungen wäre es gewesen, diese Stimmung zu klären und zu praktischen nationalen Zielen hinzuführen. Davon geschah gerade das Gegentheil. Wo unklarer jugendlicher Idealismus aufsprudelte, witterte man Verschwörung und Revolution. Vereinzelte strafwürdige Verbrechen einiger weniger überspannter Köpfe legte man dem ganzen Volke, gewissermassen als nationale Unthaten, zur Last. Man übersah, dass derselbe patriotische Geist, welcher die Ketten der Fremdherrschaft gebrochen hatte, jetzt auch im innern politischen Leben einer umsichtigen Pflege und naturgemässen Befriedigung bedürfe. Statt durch eine wahrhaft konservative, ächt staatsmännische Politik, durch positive Schöpfungen auf nationaler Grundlage, den Geist des Volkes würdig zu beschäftigen und revolutionäre Bestrebungen, wo sie etwa vorhanden

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5) Die trefflichen Worte dieses Bundesbeschlusses lauten: »Bei den zahlreichen, aus dem kurhessischen Lande bereits eingekommenen Beschwerden über landesherrliche Verfügungen wird die Bundesversammlung, eingedenk der hohen Bestimmung, zu der sie berufen worden und der Vorschriften und der Zwecke der Bundesakte, sich nicht abhalten lassen, innerhalb der ihr vorgezeichneten Schranken, der bedrängten Unterthanen sich anzunehmen, und auch ihnen die Ueberzeugung zu verschaffen, dass Deutschland nur darum mit dem Blute der Völker vom fremden Joche befreit und Länder ihrem rechtmässigen Regenten zurückgegeben wurden, damit ein rechtlicher Zustand an die Stelle der Willkührtrete«. Kaltenborn a. a. O. S. 329.

6) G. v. Meyer, II. S. 19.

waren, auch geistig zu besiegen, griff man zu den blos negativen Mitteln der Hemmung, Verfolgung und polizeilichen Unterdrückung. Dies ist die Signatur der Karlsbader Konferenzen und der ganzen, darauf gegründeten Bundespolitik.

§. 106.

Die Karlsbader Konferenzen vom 6.-31. August 1819 und die Wiener
Schlussakte vom 15. Mai 1820.

Fürst Metternich, die eigentliche Seele dieser unproduktiven, blos polizeilich unterdrückenden Richtung, benutzte nicht das legale Organ des Bundes, sondern eine geheime, scheinbar zufällig stattfindende Zusammenkunft von Ministern deutscher Bundesstaaten, um den ersten Schlag gegen das konstitutionelle Princip und die freie Entfaltung des nationalen Geistes in Deutschland zu führen 1. Nur zehn Regierungen waren an den Verabredungen von Karlsbad betheiligt, die andern absichtlich ausgeschlossen. Hauptgegenstände der Berathung waren: 1) Aufhebung der bundesmässig zugesagten Pressfreiheit und allgemeine Einführung der Censur; 2) Massregeln wider die Universitäten, Gymnasien und Schulen; 3) Anordnung einer Centraluntersuchungscommission zu Mainz, für Untersuchung s. g. demagogischer Umtriebe und revolutionärer Verbindungen 2; 4) Vereinbarung über Sinn und Auslegung des 13. Artikels der Bundesakte, betreffend die landständischen Verfassungen 3; 5) Er

1) Die Publikation der geheimen Protokolle des Karlsbader Kongresses von 1819 nebst Beilagen verdanken wir Karl Theodor Welcker in seinen oben angeführten wichtigen Urkunden u. s. w. Wichtig sind sonst noch für die Geschichte der Karlsbader Konferenzen: Schaumann, der Kongress zu Karlsbad, ein Beitrag zur Geschichte der Entwickelung der deutschen Gesammtverfassung (in Raumer's historischem Taschenbuche, 1850, S. 193 bis 268). Gervinus, Geschichte des XIX. Jahrhunderts, B. II. S. 634. Neue interessante Aufschlüsse gewährt Aegidi's Aufsatz: »Aus dem Jahre 1819. Beitrag zur deutschen Geschichte«. 1861. 2. Aufl.

2) L. Fr. Ilse, Geschichte der politischen Untersuchungen, welche durch die Centraluntersuchungskommission zu Mainz und die Bundescentralbehörde zu Frankfurt in den Jahren 1819 bis 1827 und 1833 bis 1842 geführt sind. Frankf. a. M. 1860.

3) Der Opposition Würtemberg's gelang es, die authentische Interpretation des Art. 13. der Bundesakte zu vereiteln, welche, von Gentz kunstreich vorbereitet, die Axt an die Wurzel der Repräsentativverfassungen hatte legen sollen. Aegidi a. a. O. S. 23.

richtung einer provisorischen Executionsordnung für Vollziehung der Karlsbader Beschlüsse durch die Bundesversammlung.

Die zu Karlsbad gefassten Beschlüsse, hervorgegangen aus einer unregelmässigen Vertretung einzelner deutscher Staaten ausserhalb des Bundestages, wurden der Bundesversammlung in sehr formloser Weise überwiesen und ohne alle bundesgesetzlich nothwendige Vorberathung, in einer Sitzung vom 20. September 1819, nur scheinbar einmüthig, dem Wortlaute nach zwar nur als provisorische Massregeln, der Thatsache nach aber als bleibende Gesetze angenommen und publicirt 5.

Im Anschlusse an die Karlsbader Zusammenkunft fanden vom 25. November 1819 bis zum 24. Mai 1820 zu Wien Konferenzen von Ministern aller deutschen Staaten statt. Hier wurde das zweite Grundgesetz des deutschen Bundes, die s. g. Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820 ausgearbeitet.

Obgleich die Bundesakte Art. 10, »die Abfassung von Grundgesetzen» für das erste Geschäft der Bundesversammlung erklärt, so entzogen ihr doch jetzt die Regierungen selbst diese, ihre wichtigste verfassungsmässige Befugniss und übertrugen die Weiterentwickelung des Bundesrechts einer Ministerkonferenz, welche zu Wien, unter dem unmittelbaren Einflusse des österreichischen Kabinets, ein gefügigeres Werkzeug zu werden ver

4) Dies ist nachgewiesen von Aegidi, welcher auch die Registratur über die in der XXXV. Sitzung am 20. September 1819 abgegebenen Abstimmungen urkundlich mittheilt.

5) Diese »provisorischen Massregeln zur nöthigen Aufrechthaltung der innern Sicherheit und öffentlichen Ordnung im Bunde«< nebst Präsidialvortrag vom 20. September 1820 finden sich bei G. von Meyer, B. II. S. 89–101. Wie wahre Staatsmänner auch schon damals die Karlsbader Konferenzen ansahen, zeigt ein Brief Stein's vom 29. September 1819: »Etwas Befriedigendes erwarte ich nicht von der Zusammenkunft und den Berathungen oberflächlicher und mittelmässiger Menschen. Das Wichtigste, was zur Ruhehaltung in Deutschland geschehen kann, ist, dem Reiche der Willkühr ein Ende zu machen und das einer gesetzlichen Verfassung zu gründen und zu beginnen.« Der preussische Staatsminister Wilhelm von Humboldt wollte sogar den Grafen Bernstorff, als Theilhaber der Karlsbader Konferenzen, in Anklagestand versetzt wissen und nannte die Karlsbader Festsetzungen: »>unnational, schändlich, ein denkendes Volk aufregend«. R. Haym, Wilhelm von Humboldt. Berlin 1836. S. 423 ff.

6) Die Veröffentlichung der Protokolle der Wiener Schlussakte verdanken wir L. K. Aegidi, die Schlussakte der Wiener Ministerialkonferenzen. Erste Abtheilung. Berlin 1860. Möchte auch bald Geschichte und Kommentar nachfolgen.

sprach, als der Bundestag, der damals von freisinnigen und patriotischen Elementen noch nicht genug »epurirt« war".

Am 8. Juni 1820 erhob ein Plenarbeschluss des Bundestages, dessen formelle Gültigkeit - wegen mangelnder vorgängiger Verhandlung im engern Rathe nicht einmal zweifellos ist, die Wiener Schlussakte zum zweiten Grundgesetze des Bundes, das gleiche Kraft haben sollte, wie die Bundesakte.

Die Wiener Schlussakte besteht aus 65 Artikeln und zerfällt nach ihrem Inhalte in drei Abschnitte, von welchen der erste, Art. 1-34., allgemeine Bestimmungen über die Natur und den Wirkungskreis des Bundes enthält, der zweite Abschnitt, Art. 35-52., die auswärtigen Verhältnisse des Bundes ordnet, der dritte, Art. 53-65., besondere Bestimmungen in Bezug auf innere Verhältnisse der deutschen Bundesstaaten trifft.

Durch die Wiener Schlussakte sind die Grundzüge der Bundesakte allerdings weiter ausgeführt, doch nicht im Sinne eines nationalen Ausbaues der deutschen Gesammtverfassung, sondern kleinlich im Geiste der Karlsbader Beschlüsse. Wenn auch die Metternich - Gentzische Doktrin in Betreff der landständischen Verfassung nicht vollständig den Sieg davon trug 8, so zeigte sich doch die grosse Verschiedenheit der Zeitrichtungen darin, dass 1815, besonders von Seiten Preussens, Hannovers und der kleineren

7) Vergl. die s. g. Langenauische Note vom Mai 1822. Welcker a. a. O. S. 329 »über die liberalisirende Tendenz der Bundestagsgesandten«<. Ueber die wahre Entstehung dieses merkwürdigen Aktenstückes vergl. H. von Treitschke, historische und politische Aufsätze. Leipzig 1865. S. 267.

8) Diese Theorie machte einen willkührlich ersonnenen Unterschied zwischen ständisch und repräsentativ und zog daraus die ungerechtfertigte Folgerung, dass die Bundesakte, wenn sie landständische Verfassungen anerkenne, die Repräsentativ verfassung verbiete. Vergl. besonders den Aufsatz von Gentz, der an historischer Verdrehung und Sophistik alles überbietet, bei Welcker, S. 213 ff. Diese Anhänger des » ständischen Princips « übersahen, dass die von ihnen gepriesenen mittelalterigen Landstände mit dem s. g. monarchischen Principe in viel schrofferem Widerspruche standen, als alle konstitutionellen Verfassungen der Gegenwart. Freilich glich das, was man >> als die historischen, von Gott selbst gestifteten organischen Stände« bezeichnete, jenen widerspenstigen, schwer zu behandelnden, kraftvollen Korporationen des Mittelalters sehr wenig, sondern man fand sein Ideal in den zahmen, abgelebten Postulatenlandtagen der österreichischen Provinzen mit ihrer machtlosen Scheinexistenz.

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