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§. 81.

Geschäftsbehandlung auf dem Reichstage 1.

Früher hing es lediglich vom Kaiser ab, wann er einen Reichstag berufen wollte; später wurde er durch die Wahlk. Art. XIII., §. 1. verpflichtet, dies wenigstens alle zehn Jahre zu thun. Seit 1663 war der Reichstag thatsächlich zu Regensburg permanent geworden. Die Reichsstände erschienen nicht mehr in Person, sondern durch Bevollmächtigte mit gesandtschaftlichem Charakter. Der Kaiser wurde vertreten durch einen Prinzipalcommisarius, welcher ein Reichsfürst sein musste. Ihm zur Seite stand der Concommissarius. Jener hatte Repräsentativcharakter, dieser war der eigentliche Geschäftsmann. Die regelmässige Veranlassung zu den Berathschlagungen gab der Kaiser durch seine, im Ausschreiben enthaltenen Propositionen. Während des Reichstages konnte der Kaiser neue Gegenstände in Anregung bringen durch Kommissions- und Hofdekrete 2. Uebrigens waren die Reichsstände nicht an die, in der kaiserlichen Proposition enthaltene Ordnung gebunden. Wahlk. XIII., §. 4. Auch stand den Reichsständen selbst die Initiative unbezweifelt zu. Alles, was dem Reiche officiell bekannt gemacht werden sollte, musste durch Kur-Mainz zur Diktatur kommen (dictatum Ratisbonnae.. per Moguntinum). Dann erst konnte die Sache in den Ansagezettel kommen und zur Instruktionseinholung empfohlen werden, worüber dann eine Verlassnehmung stattfand. Die wirkliche Berathschlagung und Abstimmung fand getrennt in den drei Kollegien statt. Die beiden obern Kollegien suchten zuerst durch Re- und Korrelation sich zu einem gemeinsamen Schlusse zu vereinigen. War ein solches » Conclusum commune duorum « zu Stande gekommen, so begann nun die Verhandlung mit dem Kollegium der Reichsstädte in gleicher Weise. Trat dieses bei, so hiess nun der Be

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1) Moser, von den deutschen Reichstagsgeschäften, 1768. Pütter, §. 136 ff. Häberlin, B. I. §. 136. S. 463.

2) Die Kommissions dekrete gingen durch den Prinzipalcommissarius an den Reichstag, die Hofdekrete waren unmittelbare schriftliche Erlasse des Kaisers an den Reichstag.

3) Darunter verstand man eine vorläufige Besprechung des Reichsdirektoriums mit den übrigen Gesandten, ob sie alle mit Instruktion versehen seien und ob und wann es nun gefällig sei, die Sache wirklich vorzunehmen.

schluss commune trium und wurde als Reichsgutachten, consultum s. suffragium imperii, an den Kaiser gebracht. Genehmigte dieser das Gutachten durch ein Ratifikationsdekret, so war es dadurch in einen Reichsschluss, conclusum imperii, verwandelt, welcher vollziehbar und publikationsfähig war. Am Ende eines Reichstags wurde das daselbst zwischen Kaiser und Ständen Vereinbarte zusammengestellt und als Reichsabschied, Recessus imperii, publicirt. Dieser Gebrauch fiel natürlich mit der eingetretenen Permanenz des Reichstags hinweg; daher datirt der jüngste Reichsabschied von 1654.

Ein Reichsschluss konnte nur dann verfassungsmässig zu Stande kommen, wenn der Kaiser und alle drei reichsständischen Kollegien übereinstimmten. Nicht Stimmenmehrheit, sondern Stimmeneinheit der Kollegien war erforderlich. Innerhalb der Kollegien entschied dagegen regelmässig die Stimmenmehrheit; nur ausnahmsweise war dieselbe ausgeschlossen in drei Fällen: a) bei Religionssachen, b) in allen Fällen, wo die Stände nicht als ein corpus betrachtet werden konnten, oder mit andern Worten, wenn von den Rechten der Einzelnen die Rede war (jura singulorum), c) wenn die Reichsstände sich der Religion nach trennten und zwei Theile gegeneinander ausmachten, jus eundi in partes. Diese s. g. itio in partes geschah dadurch, dass der eine Religionstheil (nach Stimmenmehrheit) erklärte, wie er ganz anders über irgend eine vorliegende Sache dächte, als der andere Theil und dass er eine solche Sache als Korporationsangelegenheit betrachte, wenn dieselbe auch an und für sich nicht mit der Religion zusammenhing. Sobald das jus eundi in partes ausgeübt wurde, hörten die Reichsstände, in Ansehung der betreffenden Angelegenheit, auf, Ein Corpus zu sein, sie theilten sich vielmehr der Religion nach in zwei Corpora, das Corpus Catholicorum und Evangelicorum 5.

4) J. P. O. V. §. 52: »In causis religionis omnibusque aliis negotiis, ubi status tamquam unum corpus considerari nequeunt, ut etiam Catholicis et Augustanae confessionis statibus in duas partes euntibus, sola amicabilis compositio lites dirimat, non attenta votorum pluralitate«. In Betreff der Religionssachen bestimmt noch Art. V. §. 9.: »Pluralitas autem votorum in causis religionem sive directe sive indirecte concernentibus nequaquam attendatur«.

5) Diese gesetzlich (J. P. O. V. §. 52.) anerkannte Verbindung der Reichsstände hatte sich zur Aufrechterhaltung der Religionsfreiheit und anderer Interessen gebildet; sie war besonders für die in der Minorität befindlichen System des deutschen Staatsrechts. 16

§. 82. Reichsdeputationen '.

Die Natur mancher Geschäfte machte ein schleunigeres Handeln und freieres Erörtern nothwendig, als dies durch den gesammten Reichstag geschehen konnte. Zu diesem Zwecke wurden vom Reichstage Deputationen angeordnet, welche früher ein für allemal aus sämmtlichen Kurfürsten und anfangs aus 8, dann aus 12, endlich aus 24 Reichsständen zusammengesetzt waren. Diese s. g. ordentliche Reichsdeputation kam aber seit 1662 ausser Gebrauch und an ihre Stelle traten die ausserordentlichen Reichsdeputationen, bei welchen durch einen besondern Reichsschluss jedesmal die Ernennung, Gewalt und Zahl der Deputirten bestimmt und diese selbst von den Reichsständen nach freiem Ermessen erwählt wurden. Die früher bei der ordentlichen Reichsdeputation beobachtete Eintheilung in zwei Kollegien fiel weg, doch musste auch hier die Religionsgleichheit beobachtet werden. J. P. O. Art. V., §. 51: aequetur deputatorum numerus ex utriusque religionis proceribus «. Mainz hatte von Rechtswegen die Direktion, der Kaiser nahm durch eine Kommission an den Geschäften Theil.

Der Deputationsabschied bedurfte nur dann einer kaiserlichen Ratifikation, wenn die Deputation zum Finalabschlusse eines Reichsgeschäftes, nicht aber, wenn dieselbe blos zur Einleitung eines Geschäftes oder zur Ausarbeitung von Entwürfen ernannt worden war, worüber der Reichstag selbst noch zu entscheiden hatte.

Evangelischen von Gewicht. In dem (selten zusammentretenden) Corpus Cath. führte Kurmainz, im Corpus Evang. Kursachsen, ungeachtet der katholischen Privatreligion seines Regenten, das Direktorium. Moser, von der deutschen Religionsverfassung, 1774. Gönner, Staatsr. §. 196. S. 286. H. von Bülow, über Geschichte und Verfassung des Corpus Evang. 1795. Eb. Chr. W. von Schau roth, vollst. Sammlung aller conclusorum, Schreiben u. s. w. des Corp. Evang. Regensburg 1751-52. 3 Theile. Fol. (von 1663 — 1752) . Fortges. von N. A. Herrich, 1786. Fol. (1753-1786.)

1) Pütter, inst. §. 164. Häberlin, B. I. S. 341. Gönner, §. 191. S. 275.

Vierter Abschnitt.

Von der Justizverfassung des Reiches.

§. 83.

Von der höchsten Gerichtsbarkeit im Reiche 1.

Im fränkischen Reiche 2, wie nach der Anschauung der Rechtsspiegel3, galt der König als der höchste Richter im Reiche, als die Quelle aller Gerichtsbarkeit. Da er aber selbst nicht überall gegenwärtig sein, nicht alle Verbrechen selbst strafen, nicht alle Streitigkeiten selbst entscheiden konnte, so übertrug er einen Theil seiner Gerichtsbarkeit Richtern, welche den Bann von ihm erhielten. Jeder Richter im deutschen Reiche richtete somit als Stellvertreter des Königs. Daher hatte der König, nach der Auffassung des Mittelalters, konkurrirende Gerichtsbarkeit mit jedem Richter in dem Sinne, dass er überall, wo er erschien, selbst zu Gericht sitzen konnte. Jede Rechtssache konnte somit auch in erster Instanz an den König kommen. Regelmässig aber übte der König seine Gerichtsbarkeit durch die Landesherrn, ausserdem in den unmittelbaren Reichslanden durch Pfalzgrafen und Vögte, persönlich nur in seinem Hofgerichte, in welchem er selbst dann den Vorsitz führte, wenn es sich um Kriminal- und andere wichtige Rechtssachen der Fürsten handelte.

Durch den Landfrieden K. Friedrich's II. 1235 erhielt das königliche Hofgericht eine neue Organisation, indem ein Hofrichter, justitiarius, eingesetzt wurde, welcher wenigstens ein Jahr im Amte bleiben und täglich, mit Ausnahme der Feiertage, an des Königs Hofe zu Gericht sitzen sollte ".

1) J. J. Moser, von der deutschen Justizverfassung. 2 Theile. 1774. 4. Freiherr von Senckenberg, von der kaiserl. höchsten Gerichtsbarkeit in Deutschland. Frankf. 1760. 4.

2) Waitz, II. S. 141 ff. Eichhorn, d. Reichs- und Rechtsgesch. I. §. 158., 164. Zöpfl, §. 35. S. 409. Walter, I. §. 58. S. 61. §. 87. S. 92. 3) Sachsensp. III. 26. §. 1. 52. §. 2. Sächs. Lehenr. Art. 69. §. 8. Spiegel deutscher Leute, Art. 238. Schwabensp. (Lassberg) 286 a. 119.

4) Sachsensp. III. 52. §. 2. Schwabensp. 119.

5) Sachsensp. III. 60. §. 2. Schwabensp. c. 133, 134. Spiegel deutscher Leute, 310.

6) Landfrieden von 1235, §. 15. (Pertz, Legg. II. 317.): »Statuimus igitur, ut curia nostra justiciarium habeat, virum liberae condicionis, qui in eodem persistat

Seit dem XIV. Jahrhundert wurden zahlreiche privilegia de non evocando ertheilt, d. h. es wurde den Landesherrn zugesichert, dass ihre Unterthanen weder vor auswärtigen Gerichten belangt, noch deren Processe von den Landesgerichten, solange sie dort anhängig, an kaiserliche oder andere Gerichte gezogen werden sollten. Was anfangs als Privilegium ertheilt war, wurde bald zur allgemeinen Rechtsregel. Ebenso kam seit dem Ende des XIV. Jahrhunderts die Uebertragung des Königsbannes an die Landesherrn und ihre Richter ausser Gebrauch. Somit war die Gerichtsbarkeit innerhalb der einzelnen Territorien zu einem rein landesherrlichen Rechte, zu einem Bestandtheile der Landeshoheit geworden. Trotzdem blieb der kaiserlichen Reichsjustiz immer noch ein grosses Gebiet, vor allem die Gerichtsbarkeit über alle Reichs unmittelbare, welche keine andere Gewalt, als die Reichsgewalt, keinen andern Richter, als den Kaiser, über sich erkannten. Aber auch die Ausübung der Justiz über die Mittelbaren, obgleich sie als Bestandtheil der Landeshoheit galt, blieb doch jederzeit der Gewalt des Reiches untergeordnet. Nirgends in Deutschland war, wenigstens de jure, die oberstrich– terliche Gewalt von Kaiser und Reich ganz und gar ausgeschlossen. Wo es sich um Justizverweigerung und um Klagen über unheilbare Nichtigkeiten gegen die Landesgerichte handelte, hatte die Reichsjustiz überall für Abhülfe zu sorgen.

Diesen wichtigen Aufgaben der Reichsjustiz konnte die schwankende und unstäte Organisation des kaiserlichen Hofgerichtes nicht genügen. Je ernster man auf Feststellung eines immerwährenden Landfriedens bedacht war, desto eindringlicher stellte sich auch die Forderung eines ständigen, geordneten und unabhängigen Reichsgerichtes heraus. Nach verschiedenen gescheiterten Versuchen kam endlich, als nothwendiges Korrelat des ewigen Landfriedens, unter K. Maximilian I. die Errichtung »des Kaiserlichen und Reichskammergerichtes« am 7. August 1495 zu Stande.

officio ad minus per annum, si bene et juste se gesserit etc. « Vergl. hierüber besonders O. Franklin, de justitiariis curiae imperialis. Vratisl. 1860, eine für die Geschichte der Reichsjustiz wichtige Arbeit.

7) Nur das Haus Oesterreich nahm für alle seine Erblande eine volle Exemtion von der Reichsjustiz in Anspruch, welche jedoch nicht ohne Widerspruch blieb.

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