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Drittens, und dies ist das wichtigste, hatte das deutsche Reich nicht, wie der Bundesstaat, eine unmittelbare Beziehung zur ganzen Nation. Es wendete sich, in der letzten Phase seines Daseins, immer nur an die Landesherren, als Zwischenobrigkeiten, nicht an die einzelnen Bürger selbst. Es empfing seine Mittel nur von den Einzelregierungen, es exequirte seine Gesetze und Beschlüsse nie selbst, sondern nur durch die Territorialgewalten. Es glich also in dieser Beziehung wieder mehr dem Staatenbunde, als dem Bundesstaate. Die Unterscheidung zwischen Reichs unmittelbaren und Mittelbaren, ein Grundzug des deutschen Reichsstaatsrechts, widerspricht dem Wesen des Bundesstaates diametral, welcher gerade ein Band der ganzen Nation sein will. Eine Nationalrepräsentation wäre daher in der letzten Entwicklungsstufe des Reiches mit dem Geiste seiner Verfassung ebenso im Widerspruche gewesen, wie sie gerade von dem Wesen des Bundesstaates nothwendig gefordert wird.

Hieraus folgt, dass das deutsche Reich weder ein Bundesstaat, noch ein Staatenbund, dass es vielmehr ein durchaus einzig dastehendes staatliches Gebilde ist, welches schon nach Pufendorf » monstro tantum simile« (S. 66) unter keine allgemeine Kategorie der Staatenverbindungen gebracht werden kann. Es ist dies deshalb unmöglich, weil es eine degenerirte Staatsbildung ist, die von ihrem ursprünglichen Principe allmählich immer mehr abgewichen ist. Das deutsche Reich ist ein aus den Fugen gegangener Feudalstaat. Man kann auch hier einen Gesammtstaat, das Reich und Gliederstaaten, die Territorien, von einander unterscheiden. Es besteht eine, das Ganze umspannende Reichsgewalt und eine wenigstens staatenähnliche Territorialgewalt. Das deutsche Reich ist daher, in seiner letzten Entwickelungsphase, allerdings kein Einheitsstaat mehr, sondern ein unregelmässiges Staatensystem mit monarchischer Spitze, welches man wohl, zum Unterschiede von andern Staatenverbindungen, Staaten staat, Staatenreich nennen kann. Doch soll damit keine generelle Form der Staatenverbindung bezeichnet, sondern nur ein Ausdruck für eine einzelne historische Staatsbildung gegeben sein, deren abnorme Natur eben keine Unterordnung unter einen allgemeinen Begriff, sondern nur eine bestimmte individuelle Charakterisirung zulässt.

Geschichtliche Entwickelung des staatlichen Rechtszustandes

in Deutschland.

(Zweites Buch.)

Erstes Kapitel.

Grundriss des deutschen Reichsstaatsrechts 1.

Erster Abschnitt.

Vom deutschen Reiche im Allgemeinen.

§. 66.

Entstehung des deutschen Reichs.

In der ältesten Zeit unserer Geschichte fehlte es den deutschen Völkerschaften an jeder staatlichen Gesammtverfassung. Erst in der Erschütterung der Völkerwanderung schmolzen die zahlreichen kleinen Völkerschaften zu grössern Stämmen zusammen. Den Franken war die Aufgabe zugefallen, diese Stämme zu einer Reichseinheit zu verbinden. Chlodwig begann, Karl der Grosse vollendete diese Arbeit. Das grosse Frankenreich hatte aber keinen national-deutschen Charakter; es umfasste sowohl celtisch-romanische, wie deutsche Elemente. Durch den Vertrag von Verdun 843 und durch die darauf folgende definitive Lossagung nach der Absetzung Karl's des Dicken 888 trennte sich endlich das vorherrschend germanische Ostfrankenreich von dem

1) Für das neu ere Reichsstaatsrecht, wie es bis zu den letzten grossen Umgestaltungen am Anfange dieses Jahrhunderts bestand, sind die wichtigsten allgemeinen Werke: J. J. Moser, deutsches Staatsrecht, 50 Theile nebst 2 Theilen Zusätzen und Register, 1737-54. Dessen: Neues Staatsrecht, 21 Bände und 1 Bd. Register, 1766-1775 (S. 80). Desselben Grundriss der heutigen Staatsverfassung des deutschen Reichs, Tübingen 1754. Joh. Jac. Mascovii principia juris publici, Lipsiae (zuerst 1729, 6. Aufl. 1769, herausgegeb. von H. G. Franck). Joh. Henrici de Selchow elementa juris publici Germanici, Göttingen (neue Aufl. 1782). Vor allem aber sind zu empfehlen: Johannis Stephani Pütteri institutiones juris publici Germanici, Göttingen (zuerst 1770, zuletzt 1802), und Carl Friedrich Häberlin, Handbuch des deutschen Staatsrechts nach Pütter's System in 3 Bänden, Berlin, zuerst 1793, dann 2. Aufl. 1797 (Bd. I. und II. sind 1802 und 1803 noch einmal neu aufgelegt). Die specielle Literatur wird bei den einzelnen Lehren angegeben werden.

mehr romanischen Westen 2. Das Ostfrankenreich ist die Grundlage des deutschen Reiches geworden, welches noch lange einen vorwiegend fränkischen Charakter an sich trug 3.

Karl der Gr. hatte Krone und Namen des römischen Kaiserthums erneut *; aber die römische Kaiserkrone war noch nicht grundsätzlich mit der ostfränkischen oder deutschen Königswürde verbunden. Eine solche Realunion erfolgte unter Otto dem Gr. Seitdem durfte nur ein König der Deutschen zum rö– mischen Kaiser gekrönt werden. Das deutsche Reich hiess von nun an das heilige römische Reich deutscher Nation 6.

Mit der römischen Kaiserkrone erhielt der deutsche König nicht sowohl einen Zuwachs an wirklichen Herrschaftsrechten oder an Land und Leuten, sondern er überkam damit nur gewisse kosmopolitische Ansprüche, dominium mundi, als vermeintlicher Nachfolger der alten Cäsaren und einzelne Ehrenrechte, wozu vor allem die Advokatie über den römischen Stuhl und die christliche Kirche, sowie der Vorrang vor allen andern Monarchen der Christenheit, gerechnet werden muss.

§. 67.

Staatsform des deutschen Reichs 1.

Für die Zeit der Karolinger und des frühern Mittelalters ist

2) Georg Waitz, deutsche Verfassungsgeschichte, B. IV. S. 593 ff. W. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit. I. B. II. Buch: >>Gründung des deutschen Reichs«.

3) Sachsensp. B. III. Art. 54. §. 4. : »Die koning sal hebben vrenkesch recht, svenne he gekoren, von svelker bord he ok si«.

4) G. Waitz a. a. O. B. III. bes. der Abschnitt: »Königthum und Kaiserthum in Verbindung «<.

5) Pact. Ottonis M. et Leonis VIII., übergegangen ins Decret. Gratiani D. LXIII. cap. 23. Schulte, Lehrb. der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte. §. 70. Zöpfl, deutsche Rechtsgesch. §. 46. Trotz der Zweifel über die Aechtheit dieser Urkunde steht soviel fest, dass seit Otto dem Gr. die Verbindung der römischen Kaiser- und der deutschen Königskrone immer anerkannt blieb. Giesebrecht, B. I. S. 446, »über die Herstellung des abendländischen Kaiserthums «<.

6) Karl Ludwig Aegidi im Staatswörterb. B. VIII. S. 702. Art.: Römisches Reich deutscher Nation.

7) J. St. Pütter, Specimen juris publici et gentium medii aevi. Goett. 1784. C. W. v. Lancizolle, die Bedeutung der römisch- deutschen Kaiserwürde nach den Rechtsanschauungen des Mittelalters. Berlin 1856.

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