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doch aufgegeben werden, sobald ihre Unrichtigkeit und Unwahrheit durchschaut ist. Es ist daher verwerflich, wenn die commu nis doctorum opinio oder die auctoritas prudentum als Rechtsquelle angeführt wird 18.

Das wissenschaftliche Recht wird im allgemeinen durch eine doppelte Operation gewonnen:

a. durch Erschliessung des Rechtssatzes aus den Principien, unter welche der Fall seiner Natur nach gehört, juristische Consequenz,

b. durch Nachweisung, dass dieselbe Folgerung auch sonst schon unter gleichen Umständen in dem bestehenden Rechte vorkommt, Analogie 19.

Die Analogie darf daher nicht als eine eigenthümliche und besondere Rechtsquelle aufgeführt werden, wie dies z. B. von H. A. Zachariä (B. I. S. 10) geschieht, sie ist nichts, als eine der Rechtswissenschaft anheim fallende logische Operation 20.

Neben dieser schöpferischen Seite der Rechtswissenschaft, kraft deren sie die Lücken der Gesetzgebung und des Gewohnheitsrechts ergänzt und ausfüllt, ist die regelmässige Thätigkeit derselben eine receptive, lediglich gerichtet auf die Erkenntniss des durch die übrigen Rechtsquellen gegebenen Rechts. Hierauf bezieht sich Kritik und Interpretation. Die Regeln, welche

Wahrheit berichtigt werden darf. Gerber, System, §. 31. Thöl, a. a.'O. S. 138: >>Die Meinung angesehener Juristen und der Gerichte hat eine bedeutende Autorität, aber immer nur durch die Vermuthung, dass sie richtige Gründe für sich habe, sie muss der bessern Einsicht weichen.<<

18) Hier ist besonders die eigenthümliche Theorie R. Maurenbrecher's zu erwähnen, welcher die opinio jurisconsultorum als Rechtsquelle hinstellt: Grundsätze des deutschen Staatsrechts, §. 7. Lehrbuch des deutschen Privatrechts, B. I. §. 27–42. (2. Auflage.) S. 52–109. Prolusio academica de auctoritate prudentum. Bonn 1839. Siehe besonders dagegen Savigny, System, I. S. 100. Stahl, a. a. O. S. 257 und C. G. von Wächter, Gemeines Recht Deutschlands (1844, S. 206 ff.). Puchta (Pandekten §. 16.) sagt: »Eine Ansicht, die von den angesehensten Juristen als wahr erkannt ist und sich in den Gerichten geltend macht, hat eine Vermuthung der Wahrheit für sich, die ein gewissenhafter Richter, bis er vom Gegentheile überzeugt ist, gelten lassen wird, die aber von dem Augenblicke an, wo er ihrer Unrichtigkeit gewiss ist, ihre Autorität für ihn verlieren muss.<<

19) Puchta a. a. O. S. 26.

20) Dan. Nettelbladt, de decisione casuum secundum analogiam, Hal. 1751, Carl Heinr. Geisler, de analogia juris publici, Vitenb. 1784, Schnaubert's Programm, de analogia juris publici imperii in fontibus jur. publ. S. R. J. territoriorum non numeranda, Helmst. 1785.

die juristische Kritik und Interpretation leiten sollen, bilden in ihrer Zusammenstellung die juristische Hermeneutik 2. Die-selbe bietet in Bezug auf das Staatsrecht nichts Abweichen– des dar.

Ein Interpretationsmittel staatsrechtlicher Normen ist häufig in der Entstehungsgeschichte derselben gegeben; wichtig sind besonders die diplomatischen oder ständischen Verhandlungen, welche der Abfassung einer Verfassungsurkunde, eines Landesvertrages, eines Gesetzes, eines Friedensschlusses Vorausgegangen sind 22.

§. 10.

Anwendbarkeit staatsrechtlicher Quellen aus den vergangenen

Staatszuständen Deutschlands.

Mit dem Beginne des neunzehnten Jahrhunderts ist Deutschland allerdings in eine ganz neue Phase seiner staatlichen Entwickelung getreten. Die Gesammtverfassung Deutschlands hat durch die völkerrechtliche Grundlage des deutschen Bundes eine Neugestaltung erfahren; die Verfassung der Einzelstaaten, das ehemalige Territorialstaatsrecht, ist durch die Souveränetät und das constitutionelle Princip wesentlich umgestaltet. Dennoch hat in Deutschland nie ein Abbruch aller staatlichen Verhältnisse stattgefunden, wodurch vollständig tabula rasa gemacht worden wäre. Der staatsrechtliche Zustand der Gegenwart steht mit den ältern staatlichen Epochen vielfach in Beziehung und in quellenmässigem Zusammenhange.

I. Das Reichsstaatsrecht.

Das deutsche Reichsstaatsrecht, als Inbegriff der

21) Die beste Theorie der Auslegungskunst hat gegeben Savigny, System, B. I. §. 32-51.

22) Doch sind die Grundsätze über die Benutzung der landständischen Verhandlungen zur Auslegung von Gesetzen mannigfach bestritten. Wächter, Abhandlungen aus dem Strafrechte, 1835, S. 242 ff. Derselbe im Archiv des Criminalrechts, 1839, S. 345. Mittermaier, die Strafgesetzgebung in ihrer Fortbildung, 1841, S. 217 ff. R. von Mohl, Archiv des Criminalrechts, 1842, S. 215-258 und 343-355. Derselbe in seinem Werke: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, B. I. S. 96–143: »über die Benutzung der ständischen Verhandlungen zur Auslegung der Gesetze.« Schletter, Dissertatio de subsidiis interpretationis legum ex iis, quae in comitiis acta sunt, petendis, 1839. Schaffrath, Theorie der Auslegung constitutioneller Gesetze, 1842. Eine Kritik dieser Schrift im Archiv des Criminalrechts a. a. O. 1842 S. 303.

jenigen staatsrechtlichen Normen, welche bis 1806 die Verfassung und Regierung des gesammten Reichskörpers und der einzelnen Territorien regelten, ist keineswegs mit dem Untergange des Reiches völlig unpraktisch geworden; denn mit der Auflösung einer Staatsgewalt hört nicht alles durch sie oder unter ihrem Einflusse Gebildete ipso jure auf. Vielmehr streitet die Vermuthung dafür, dass diese Normen noch fortgelten, soweit sie nicht ausdrücklich aufgehoben sind und die gleichen staatlichen Verhältnisse noch fortdauern. Nur diejenigen Normen des Reichsstaatsrechts sind selbstverständlich hinweggefallen, welche mit der ehemaligen Reichsverfassung in unzertrennlichem Zusammenhange standen, also z. B. alle die Bestimmungen, welche sich auf die Reichsgerichte, den Reichstag, die Grafenbänke bezogen. Nur auf diese Gesetze und Institute ist der freilich sehr allgemein lautende Art. II. der Rheinbundsakte zu beziehen 1.

Vor allem müssen diejenigen staatsrechtlichen Normen fortgelten, welche schon zur Zeit des Reiches nur die innere Verfassung der einzelnen Territorien betrafen und nur von der landesherrlichen Gewalt ausgegangen waren oder auf Verträgen zwischen den Landesherren und ihren Unterthanen, resp. den Landständen beruhten. Durch das Aufhören der Reichsgewalt sind nur einzelne Beschränkungen der Landeshoheit nach oben weggefallen, nach unten, zu den Unterthanen, wurde das Verhältniss des Regenten nicht verändert. Die innere, auf besondern Rechtsgründen beruhende Landesverfassung war an die Fortdauer der Reichsverfassung nicht gebunden 2.

1) Art. II. »Toute loi de l'empire germanique, qui a pu jusqu'à présent concerner et obliger leurs Majestés etc. leurs sujets et leurs états ou partie d'iceux, sera à l'avenir, relativement à leurs dites Majestés etc. à leurs états et sujets respectifs, nulle et de nul effect.« Wäre selbst anfangs von Seiten der Stifter des Rheinbundes, besonders Frankreichs, eine wirkliche Vernichtung aller Reichsgesetze damit gemeint gewesen, indem Napoleon wohl beabsichtigte, an die Stelle des alten deutschen Privatrechts u. s. w. im ganzen Gebiete des Rheinbundes den Code Napoléon und die übrige französische Legislation zu setzen, so ist von der Praxis dieser Art. II. doch immer nur in dem oben angegebenen beschränkten Sinne verstanden worden. Kraft dieser Usualinterpretation wurden in allen Rheinbundsstaaten viele Reichsgesetze als fortwährend gültig beibehalten, insbesondere solche, welche sich auf das Privatrecht und den Process bezogen.

2) Anders dachten darüber freilich manche Rheinbundsfürsten, welche, gestützt auf eine unrichtige Auffassung ihrer neu erlangten Souveränetät, die revolutionär-despotische Lehre aufstellten, dass mit der Auflösung des Reichs

Ebenso ist auch die Fortdauer derjenigen Reichsgesetze zu behaupten, welche zugleich die Form von Staatsverträgen hatten, bei denen die einzelnen Landesherren ursprünglich als Mitpaciscenten sich verpflichteten, z. B. der westphälische Friede vom J. 1648.

II. Das öffentliche Recht des Rheinbundes.

Dieselben Grundsätze gelten in Bezug auf die Anwendbarkeit des öffentlichen Rechts des Rheinbundes. Soweit dessen Normen mit der Bundesverfassung zusammenhängen und das Bundesverhältniss als solches betreffen, sind sie mit der Auflösung des Bundes hinweggefallen, dagegen hat der übrige Inhalt der Rheinbundsakte, wie jeder andere Staatsvertrag, noch mannigfach prak— tische Bedeutung 3. Uebrigens hat das öffentliche Recht des Rheinbundes, über die Rheinbundsakte vom 12. Juli 1806 hinaus, keine grosse Entwickelung mehr gehabt.

§. 11.

Die fremden recipirten Rechtsquellen '.

Bekanntlich sind in Deutschland mehrere ausländische Rechtsquellen zur Geltung gekommen, nämlich das römischjustinianeische, das kanonische Recht und die langobardischen Lehnrechtsbücher. Diese Rechtsquellen sind in Deutschland niemals als Gesetzbücher publicirt, sondern durch das Gewohnheitsrecht recipirt. Ueber den Umfang der Geltung

auch alle frühere Rechtsverhältnisse, insbesondere auch alle wohlerworbene Rechte der Unterthanen und Landstände ohne weiteres vernichtet und ihrer willkührlichen Verfügung anheim gegeben seien. Die richtigen Grundsätze werden vertheidigt in einem Votum der Hannöverschen Bevollmächtigten auf dem Wiener Congresse. Klüber, Akten des Wiener Congresses, B. I. Heft I. S. 69. Stein's Leben von Pertz, B. IV. S. 140.

3) Von grosser Wichtigkeit ist noch z. B. der s. g. Verzichtsartikel XXXIV., wodurch die deutschen Fürsten auf alle ihnen zustehende gegenwärtige Hoheitsrechte in den Gebieten ihrer Mitverbündeten verzichteten. Die noch gültigen und praktischen Bestimmungen der Rheinbundsakte werden aufgeführt von Weiss, System des Staatsrechts, S. 35.

1) Schnaubert, vom Gebrauche der in Teutschland geltenden fremden Rechte bei Erörterung der ins teutsche Staatsrecht gehörenden Materien. In dessen Beiträgen zum deutschen Staats- und Kirchenrecht, Th. II. No. II. S. 95-146. Zöpfl, B. I. §. 73. Klüber, §. 72 ff. J. R. Pütter, instit. §. 22. Dessen Beiträge zum deutschen Staats- und Fürstenrecht, II. S. 30 und dessen Erörterungen, I. S. 299. Weiss, System, §. 14.

dieser ausländischen Rechtsquellen entscheidet daher lediglich die Reception.

I. Das römische Recht 2.

Anfangs versuchte man, die Grundsätze des römischen Rechts auch in staatsrechtlicher Beziehung auf Deutschland anzuwenden. Die Kaiser, als vermeintliche Nachfolger der Cäsaren, beriefen sich auf Sätze des römischen Rechts, um ihre absolutistischen Bestrebungen zu unterstützen, und die Juristen, in ihrem blinden romanistischen Eifer, betrachteten das ganze römische Staatsrecht als praktisch für Deutschland 3. Dennoch hielt sich diese Herbeiziehung des römischen Rechts mehr in den Grenzen einer theoretischen Prätension; einer wirklichen praktischen Anwendung standen die ganz verschiedenen staatlichen Verhältnisse Deutschlands in ihrer spröden Festigkeit entgegen. Es fehlte mit einem Worte dem römischen Staatsrechte an einem geeigneten Objekte der Anwendung, da seine Grundsätze eben die Existenz des römischen Staates voraussetzten. So kam man denn auch allmählich in der Theorie zu der richtigen Ansicht, dass eine praktische Anwendung des römischen Staatsrechts in Deutschland eine Unmöglichkeit sei, dass sich die subsidiäre Gültigkeit des römischen Rechts lediglich auf das Gebiet des Privatrechts, des Criminalrechts und Processes beschränke, dass aber die Staatsverfassung des deutschen Reiches und der deutschen Territorien nicht nach Codex und Pandekten, sondern lediglich nach heimischen Grundsätzen beurtheilt werden müsse. Nur ausnahmsweise sind einzelne, in das Staatsrecht einschlagende Lehren des römischen Rechts wirklich in Deutschland recipirt worden; so z. B. die Lehre von der Fiscalgerechtigkeit. Auch kann das römische Recht wichtig werden, wenn staatsrechtliche Verhältnisse zugleich eine privatrechtliche Seite haben oder in Nebenpunkten in das Privatrecht eingreifen, besonders bei Streitigkeiten der deutschen

2) J. J. Moser, altes deutsches Staatsrecht, B. II. S. 197–218.

3) O. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. I. S. 608 ff. 4) Pütter, instit. jur. publ. §. 22: »Jus Romanum in privatis quidem rebus auctoritate legum tum imperii tum territorialium in vim juris subsidiarii firmatum; in publico autem jure post agnitum errorem nunc merito derelictum. «<

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