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Diese griechische Dreitheilung wurde von Hugo Grotius verlassen, welcher sie gegen eine vermeintlich richtigere Zweitheilung vertauschte und eine aufs allgemeine gerichtete (gesetzgebende), und eine aufs besondere gehende (gesetzausübende) Gewalt unterschied 8.

Dieser besonders von englischen Schriftstellern angenommenen Zweitheilung in gesetzgebende und vollziehende Gewalt liegt allerdings der unläugbare Unterschied von der Bedeutung der Regel und der wirklichen Ausführung zu Grunde; sie hat aber nur einen rein formalen Charakter und sieht nicht auf den innern Gehalt der verschiedenen Staatsthätigkeiten.

Auf ähnliche Weise, wie Grotius, theilte Locke die Staatsgewalt ein, nur dass er noch eine besondere auswärtige Gewalt, federative power, annahm, die er aber selbst wieder für einen Theil der exekutiven ansah. In Locke's Fussstapfen trat Montesquieu. Auch Rousseau behielt die Obereintheilung in gesetzgebende und ausübende Gewalt bei und identificirte die eine mit dem Willen, die andere mit der Kraft 10. Kant kehrte wieder zu der griechischen Dreitheilung der Staatsgewalt zurück, gab ihr aber eine schiefe Anwendung, indem er dieselbe mit einem logischen Syllogismus parallelisirte 11. Dadurch

ων

πολιτειῶν πασῶν, περὶ ὧν δεῖ θεωρεῖν τὸν σπουδαῖον νομοθέτην ἑκάστῃ τὸ συμφέρον. Ἔστι δὲ τῶν τριῶν τούτων ἓν μέν τι τὸ βουλευόμενον περὶ τῶν κοινῶν, δεύτερον δὲ τὸ περὶ τὰς ἀρχάς (τοῦτο δ ̓ ἐστὶν, ἃς δεῖ καὶ τίνων εἶναι κυρίας, καὶ ποίαν τινὰ δεῖ γίγνεσθαι τὴν αἵρεσιν αὐτῶν), τρίτον δὲ τί τὸ δικάζον· κύριον δ ̓ ἐστὶ τὸ βουλευόμενον περὶ πολέμου καὶ εἰρήνης καὶ συμμαχίας καὶ διαλύσεως, καὶ περὶ νόμων καὶ περὶ θανάτου καὶ φυγῆς καὶ δημεύσεως καὶ τῶν εὐθυνῶν.« Nach speciell griechischer Auffassung erscheint die gesetzgebende Funktion als berathschlagende Thätigkeit der Volksversammlung, die Entscheidung über Kapitalverbrechen wird noch zu dieser ersten gerechnet, so dass dem Gerichte eigentlich nur die Entscheidung von Privatstreitigkeiten übrig bleibt. Die vollziehende Gewalt wird der berathschlagenden völlig untergeordnet.

8) De jure belli ac pacis, lib. I. cap. III. §. VI. n. 2. : » At si quis recte partiri velit, facile, quae huc spectant, reperiet omnia, ita ut nihil aut desit aut redundet. Nam qui civitatem regit, eam partim per se, partim per alios regit. Per se autem versatur aut circa universalia aut circa singularia etc.

9) Esprit des lois, liv. IX. cap. VI.

10) Du contrat social, liv. VIII. chap. 1.: »On y distingue la force et la volonté; celle-ci sous le nom de puissance législative, l'autre sous le nom de puissance exécutive.«

11) Kant, Rechtslehre, §. 45. Dagegen besonders Bluntschli, B. I. S. 451. Stahl, B. II. S. 290.

wurde dieser Eintheilung die blos äussere Form der Thätigkeit Regel, Subsumtion, Vollziehung zu Grunde gelegt und das innere Wesen der einzelnen Funktionen, wie das der Gesetzgebung, welches nicht im Regelngeben, sondern im Feststellen von Rechtssätzen, sowie das des Gerichts, welches nicht im Subsumiren, sondern in der Handhabung der Rechtsordnung besteht, völlig übersehen; besonders schlecht kam aber dabei die Regierung weg, welcher man alle selbstständigen Motive absprach und sie zu einer blossen Vollstreckerin der Gesetze und Urtheile, zu einem Gensdarm oder Büttel der andern Gewalten herabsetzte. Der Eintheilungsgrund der Staatsfunktionen darf nicht in der Logik, sondern nur in der Natur des Staates, in dem eigenthümlichen Gehalte der Verrichtungen der Staatsgewalt gesucht werden. Nur so kann eine wissenschaftlich korrekte und praktisch fruchtbringende Eintheilung der verschiedenen Funktionen der Staatsgewalt gewonnen werden.

§. 55.

Die sogenannte Theilung der Gewalten.

Seit Locke und Montesquieu hat man auf die s. g. Trennung oder Theilung der Gewalten besondern Werth gelegt. Nach dieser sehr verbreiteten Theorie sollten die verschiedenen, in der Staatsgewalt liegenden Gewalten auch an verschiedene Subjekte vertheilt werden; besonders sollte die gesetzgebende und vollziehende Gewalt nie in einer Hand vereinigt sein.

Nach Locke's Ansicht ist in einem wohlgeordneten Staate die gesetzgebende Gewalt einer volksvertretenden Versammlung übertragen, die vollziehende einer einzelnen Person, welche jedoch der gesetzgebenden untergeordnet bleiben soll.

Montesquieu abstrahirt aus der englischen Verfassung das Princip der Theilung der Gewalten, besonders der gesetzgebenden und vollziehenden 1 und sieht darin den Fundamental

1) Esprit des lois, livr. XI. chap. 6. : »Lorsque dans la même personne ou dans le même corps de magistrature la puissance législative est réunie à la puissance exécutrice, il n'y a point de liberté, parce qu'on peut craindre que le même monarque ou le même sénat ne fasse des lois tyranniques pour les exécuter tyranniquement«<... »Tout serait perdu, si le même homme ou le même corps des principaux ou des nobles ou du peuple exerçoit ces trois pouvoirs, celui de faire des lois, celui d'exécuter les résolutions publiques et celui de juger les crimes ou les différends des particuliers. «<

satz aller wahren Freiheit, der weder in der absoluten Monarchie, noch in der Demokratie zur Anerkennung kommen könne. Seit Montesquieu ist diese Lehre zu einer einflussreichen Doktrin geworden und ihr Grundprincip ist in viele neuere Staatsverfassungen übergegangen; ja sie ist später noch viel mechanischer gefasst worden, als dies bei Montesquieu der Fall war, indem »der Chef der Exekutive« von jeder Theilnahme an der Gesetzgebung ausgeschlossen wurde.

Nach dieser Lehre erscheint der Inhaber der s. g. Exekutive überhaupt nicht mehr als ein wahrer Monarch oder Souverän, sondern als ein Vollstrecker fremder Beschlüsse. Auch wurde dádurch nicht viel gebessert, dass manche noch eine vierte Gewalt, pouvoir modérateur, royal, hinzufügten2. Es war dies auch nur eine einzelne Gewalt neben andern Gewalten, keine Anerkennung der nothwendigen Einheit der gesammten Staatsgewalt. Gerade mit diesem Principe steht die ganze Lehre von der Theilung der Gewalten im schroffsten Widerspruche. Jede Theilung oder Trennung der Gewalten wäre eine Auflösung der Staatseinheit, eine Vernichtung des einheitlichen Staatswillens 3. Die Erfahrung zeigt, dass eine Trennung der Gewalten auf die Dauer nicht durchführbar ist und dass, wo sie versucht worden ist, ein Conflikt der Gewalten eintrat, welcher gewöhnlich mit dem Siege der Exekutive endigte, die ja, trotz ihrer principiell untergeordneten Stellung, doch über die thatsächliche Macht, besonders die Armee, verfügt (so geschah es in Frankreich unter Napoleon I. und dem III.).

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Trotz dieses gefährlichen Irrthums liegt in der Lehre von der Theilung der Gewalten ein Kern tiefer Staatsweisheit verborgen und Montesquieu hat sich, trotz seiner mechanischen Auffassung, dadurch ein bleibendes Verdienst erworben, dass er die Völker des Kontinents zum erstenmal in diesem Sinne auf die englische Staatsverfassung aufmerksam gemacht hat.

Zwar nicht in der Trennung oder Theilung der Gewalten,

2) Dieser Gedanke Benjamin Constant's ist auch in die portugiesische Verfassung übergegangen.

3) Waitz, Politik, S. 137.

4) Dies erkannte schon Tacitus mit seinem scharfen staatsmännischen Blicke ganz richtig: »Nam cunctas nationes et urbes populus aut primores aut singuli regunt. Dilecta ex his et constituta reipublicae forma laudari facilius quam evenire, vel si evenit, haud diuturna esse potest.« Ann. IV.

cap. 33.

wohl aber in ihrer Unterscheidung und organischen Gliederung liegt das Fundament aller politischen und bürgerlichen Freiheit. Dabei bleibt die Souveränetät, als der oberste Staatswille, in ihrer Einheit unangetastet. Es darf in jedem Staate nur Ein Subjekt der Souveränetät geben (mag dies eine physische oder moralische Person sein), aber bei der Ausübung der einzelnen Funktionen der Staatsgewalt muss sich, im wohlgeordneten Staate, der Souverän bestimmter verfassungsmässiger Organe bedienen. Am schlimmsten steht es mit der Freiheit der Bürger, wo der Souverän alles in Person, ohne jede Theilnahme verfassungsmässiger Organe, thun kann und darf, wo er, wenn es ihm beliebt, in Person Gesetze giebt, richtet und regiert. Es ist eine Despotie, mag der Despot ein einzelner Mensch oder eine souveräne Volksversammlung sein. In der absoluten Monarchie europäischer Gesittung ist wenigstens darin eine gewisse Organisation der Funktionen der Staatsgewalt zu erkennen, dass der Monarch nicht in Person richten darf, sondern das Richteramt selbstständigen Gerichten überlassen muss. Aber die vollkommenste Organisation der verschiedenen Funktionen der Staatsgewalt findet sich in der konstitutionellen Monarchie.

In dem ausgebildeten und reichgegliederten Verfassungsbau des konstitutionellen Staates nimmt das Volk Theil durch seine Volksvertretung an der Gesetzgebung, wodurch es dazu beiträgt, das nationale Gesammtbewusstsein zur Geltung zu bringen; die Regierungsgewalt wird von dem Souverän ausgeübt, unter der verfassungsmässigen Theilnahme eines geordneten Beamtenthums, ohne welches er keinen Staatsakt gültig vollziehen kann (z. B. Nothwendigkeit der Contrasignatur), die Richter

5) Die Ausscheidung der verschiedenen Funktionen und ihre Zuweisung an verschiedene Organe, ist der grösste staatliche Fortschritt der Neuzeit. Weder das Alterthum, noch das Mittelalter hatte davon eine Ahnung. Besonders floss Regierung und Gericht in der Magistratur unterschiedslos zusammen. Deshalb ist es ein Rückschritt, wenn die Staatslehre noch heutzutage die Eigenthümlichkeit der richterlichen Gewalt verkennt und dieselbe nur als einen Zweig der s. g. Exekutive betrachtet.

6) So übte die Volksversammlung zu Athen in der Zeit der schrankenlosen Demokratie eine derartige Despotie, indem sie durch ihre Beschlüsse, nyíouata, wie ein absoluter Despot, Gesetze erliess, aber auch, wenn es ihr beliebte, wider die Gesetze etwas beschloss, alle Regierungshandlungen selbst ausübte, Krieg begann und Frieden schloss, über die Staatseinnahmen verfügte, ja sogar in ausserordentlichen Fällen Criminalstrafen verhängte.

gewalt durch einen selbstständigen Richterstand, welcher zwar vom Souverän angestellt wird und von ihm seine Gewalt ableitet, im Rechtsprechen aber völlig unabhängig ist. Allein diese verfassungsmässige Theilnahme verschiedener Organe ist keine Theilung der einheitlichen Staatsgewalt, welche im Souverän concentrirt bleibt. Dieser ist der Inhaber der vollen Staatsgewalt, aber in der Ausübung beschränkt durch Verfassung und Gesetz und nothwendig gebunden an mehr oder minder selbstständige Organe. Dies ist eine lebensfähige, kräftige Organisation, welche von der mechanischen Theilung der Gewalten unter verschiedene Subjekte wohl zu unterscheiden ist.

Sechstes Kapitel.

Die Verschiedenheit der Staaten nach ihrer

Verfassungsform 1.
§. 56.

Eintheilungsgrund.

Die Geschichte der Menschheit breitet vor unsern Augen eine reiche Mannigfaltigkeit staatlicher Entwickelung aus. Es ist ein wissenschaftliches Bedürfniss, die verschiedenen Erscheinungen, in welchen die Staatsidee zur Verwirklichung gekommen ist, auf

1) H. A. Zacharia, Staatsrecht, B. I. §. 21. S. 69. H. Zöpfl, Staatsrecht, B. I. §. 59. S. 102. Stahl, Rechtsphilosophie, B. II. Abschn. III. Kap. I. S. 211. Fr. Schleiermacher, über die Begriffe der verschiedenen Staatsformen. Abhandlung der Akademie der Wissenschaften in Berlin, 1814-1815, Philosoph. Classe, S. 17-49. Roscher, Umrisse zur Naturlehre der drei Staatsformen in der Zeitschrift für Geschichte von Adolf Schmidt, B. IV. S. 79-89. S. 322-365. S. 436-474. Franz Vorländer, die Staatsformen in ihrem Verhältnisse zur Entwickelung der Gesellschaft. Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, XIV. Jahrg. S. 292-347. G. Waitz, Politik, I. Ausf. über » die Unterscheidung der Staatsformen «<. S. 107-128. R. von Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Bd. I. S. 261. Derselbe in der Encyklopädie, S. 97 ff. 298 ff. Trendelenburg, Naturrecht, S. 431. Eine ausführliche und lichtvolle Charakteristik der einzelnen Staatsformen in ihren verschiedenen geschichtlichen Phasen giebt Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, Buch IV.

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