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so ist sie zwischen selbstständigen Staaten die normale und sogar einzig mögliche, da es hier an einer gesetzgebenden Gewalt fehlt.

Auch die Grundverträge und weitern Beschlüsse des deutschen Bundes haben keinen gesetzlichen, sondern einen vertragsmässigen Charakter. Es giebt streng genommen keine Bundesgesetze.

3. Die Hausstatuten der regierenden Familien in Deutschland. Seit dem vierzehnten Jahrhunderte haben sich die Familien des Herrenstandes, des spätern hohen deutschen Adels, ein eigenthümliches Familien- und Erbrecht geschaffen, welches man gegenwärtig als Privatfürstenrecht zu bezeichnen pflegt. In den deutschen monarchischen Staaten ist aber die Hausverfassung der regierenden Familien auch von grossem Einflusse auf das Staatsrecht; so sind z. B. Bestimmungen über die Thronfolge nach dem Rechte der Erstgeburt, über die Ebenbürtigkeit der Ehen, über den Mündigkeitstermin von hoher staatsrechtlicher Bedeutung.

Die Hausverfassung des deutschen Fürstenstandes ist wesentlich ein Produkt der Autonomie, welche durchaus als eine eigenthümliche Rechtsquelle betrachtet werden muss 5.

Der hochadligen Familie, als einer durch alle Generationen hindurch sich gleichbleibenden Corporation, gebührt die Autonomie, welche sich ebenso auch in manchen andern corporativen Verbänden, z. B. in Gemeinden und Zünften, geltend macht. Der Fürst erscheint hier nicht etwa als staatlicher Gesetzgeber,

5) Dies ist die fast übereinstimmende Ansicht aller Juristen. Siehe besonders Puchta, Gewohnheitsrecht, B. II. S. 106 ff.; scharf charakterisirt das Wesen der Autonomie als einer eigenthümlichen Rechtsquelle H. Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, §. 49. S. 129. Vereinzelt mit seiner Ansicht steht C. F. Gerber, welcher die Autonomie als eigenthümliche Rechtsquelle ganz läugnet und in ihr nur eine Rechtsanwendung, keine Rechtsschaffung, nur eine Begründung von Rechtsverhältnissen, nicht von Rechtssätzen sieht. Archiv für civilist. Praxis, B. XXXVII. S. 35. Gerber ist widerlegt worden von K. Maurer, kritische Umschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtsw., Bd. II. S. 229 ff., von H. Zöpfl in seinem Staatsrechte, 4. Aufl., §. 313, von Hermann, de autonomia jur. Germ. fonte, Jenae 1859. Die ältere Schrift von Johann Christian Majer, Autonomie, vornehmlich des Fürsten- und übrigen unmittelbaren Adelstandes im römisch- deutschen Reich 1782, ist wegen ihrer Weitschweifigkeit und Unklarheit völlig unbrauchbar; dagegen sind die Aufsätze von Wilda im Rechtslexikon, B. I. S. 539-560, und besonders von K. Maurer in Bluntschli's Staatswörterbuche, I. 605-613, unter dem Artikel Autonomie sehr werthvoll..

sondern als leitendes Oberhaupt der Familie, indem er nur in Uebereinstimmung mit den vollberechtigten Mitgliedern der Familie, den Agnaten, das Recht zu setzen befugt ist.

Die Autonomie ist insofern der Gesetzgebung nah verwandt, als auch durch sie eine absichtliche, reflektirte Rechtssetzung in einem bestimmten Zeitmomente und in schriftlicher Form erfolgt; sie unterscheidet sich aber dadurch von der eigentlichen Gesetzgebung, dass diese immer von der Autorität der höchsten gesetzgebenden Gewalt im Staate ausgeht, während die Autonomie das Erzeugniss einer einzelnen, im Staate enthaltenen Corporation und ihres Rechtslebens ist, mag dieser corporative Verband eine Gemeinde, eine Zunft oder eine hochadlige Familie sein. Die Gesetzgebung ist staatlicher, die Autonomie ist corporativer Natur. Eine völlige Verkennung ist es, wenn man in den autonomischen Statuten des hohen Adels nur Rechtsgeschäfte, nicht aber eine wirkliche Rechtsquelle erblickt ; durch sie entstehen wirkliche Rechtssätze, welche auch dritte Personen, von denen sie nicht ausgegangen und auch nicht genehmigt sind, in unbestimmte Zukunft hin binden.

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Diese Erzeugnisse der Familienautonomie kommen unter verschiedenen Namen und in verschiedener äusserer Form vor als: Familienverträge, Erbverbrüderungen, Theilungsrecesse in fürstlichen Successionsfällen, fürstliche Testamente; sie werden aber sämmtlich mit dem gemeinsamen Namen der Hausgesetze bezeichnet ".

6) K. Maurer sagt a. a. O.: »Die Autonomie des hohen Adels darf weder auf die Familiengewalt des Hausvaters, noch auf die individuellen Rechte und den individuellen Willen der einzelnen Agnaten gestützt werden, sondern lediglich auf die Bedeutung des Gesammtgeschlechtes, als einer organischen Verbindung.«<

7) Thöl a. a. O. S. 129 bezeichnet daher die Autonomie »als eine neben der Gesetzgebung des Staates bestehende untergeordnete Gesetzgebung.<<

8) Dagegen ist nicht zu läugnen, dass viele in die Hausgesetze aufgenommene Bestimmungen nichts weiter als Rechtsgeschäfte sind. Besonders wussten die ältern Statuten die Erzeugung von Rechtsnormen und die blosse Anwendung von solchen nicht auseinanderzuhalten und so enthalten sie oft, nebeneinander und ungeschieden, Produkte der Autonomie und der blossen. Privatdisposition.

9) Hermann Schulze, die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, Jena 1862, Bd. I. Vorr. S. VI. Die ältern Hausgesetze aus

Als wichtige Quellen des deutschen Staatsrechts erscheinen übrigens nur die Hausgesetze der souveränen oder regierenden Familien, deren Hausverfassung eng zusammenhängt mit den Fundamentaleinrichtungen des Staates; nur eine untergeordnete Bedeutung haben dagegen für das Staatsrecht die Hausgesetze der s. g. Mediatisirten, die seit 1806 ihre Landeshoheit verloren haben und nur als hochprivilegirte Unterthanen gelten können.

II. Ungeschriebene Quellen des deutschen Staatsrechts:

1. Das Gewohnheitsrecht, welches im Staatsrechte dieselbe Bedeutung hat und nach denselben Grundsätzen beurtheilt wird, wie im Privatrechte 10.

Das Staatsrecht des Mittelalters beruhte sogar wesentlich auf Gewohnheitsrecht. Die Rechtsbücher des deutschen Mittelalters, welche auch viel staatsrechtliche Sätze enthalten, sind Aufzeichnungen solchen Gewohnheitsrechts. Auch im spätern Reichsstaatsrechte spielte das Gewohnheitsrecht noch eine grosse Rolle. Das Reichs herkommen, die observantia imperii, galt zu allen Zeiten als eine der wichtigsten Quellen 11.

Während die Hauptgrundlage der ältern Verfassungen das ungeschriebene Recht war, beruhen die heutigen grösstentheils auf

der Zeit des deutschen Reiches finden sich zerstreut in dem grossen Reichsarchive von Lünig, in den verschiedenen Staatskanzleien und Archiven, meist nur im Auszuge in Moser's altem und neuem Staatsrechte. Eine umfassende Sammlung der Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser hat begonnen Hermann Schulze in dem oben genannten Werke. Es sind bereits erschienen die Hausgesetze von Anhalt, Baden, Bayern, Braunschweig (Hannover und Braunschweig - Wolfenbüttel). Für jedes dieser Häuser findet sich daselbst eine ausführliche staatsrechtlich geschichtliche Einleitung.

10) Georg Friedrich Puchta, das Gewohnheitsrecht, Th. I. 1828; Th. II. 1837, über das Gewohnheitsrecht auf dem Gebiete des Staatsrechts, siehe besonders Th. II. S. 225-239.

11) H. C. de Senckenberg, diss. de jure observantiae et consuetudinis in causis publicis privatisve. Giessae 1743. C. F. G. de Spangenberg, comment. de observantia imperii. Halae 1795. Andreas Joseph Schnaubert's Beiträge zum deutschen Staats- und Kirchenrecht. Giessen 1782. Th. I. No. VI. S. 70 bis 82: Einige Bemerkungen vom Reichsherkommen. J. J. Moser (von Deutschland und dessen Staatsverfassung, S. 495. Kap. 24. §. 5.) sagt: »dass das Reichsherkommen in allen Theilen der Staatsrechtslehre unentbehrlich sei.« Eben so wurde das Herkommen als Quelle des Staatsrechts in den Territorien anerkannt. J. P. O. A. VIII. §. 4.: »De caetero vero omnes laudabiles consuetudines. . . imposterum religiose serventur. «<

System des deutschen Staatsrechts.

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geschriebenen Festsetzungen, auf Codification des gesammten Verfassungsrechts. Deshalb tritt die Thätigkeit des Gewohnheitsrechts zwar in der Neuzeit mehr in den Hintergrund, ist aber keineswegs ganz erloschen. Auch heutzutage ist das Gewohnheitsrecht noch als Quelle des deutschen Staatsrechts aufzuführen und steht als solche der Gesetzgebung ebenbürtig zur Seite 12. Es kann folglich nicht blos ergänzend und erklärend (consuetudo introductiva und interpretativa), sondern auch abändernd (consuetudo abrogativa) wirken. Besonders in letzterer Beziehung übt es als desuetudo fortwährend einen bedeutsamen Einfluss auf dem Gebiete des Staatsrechts aus. Eine Menge älterer Gesetze und Verordnungen, besonders Standesvorrechte, Polizei- und Luxusgesetze, ältere Rang- und Hofordnungen u. s. w., welche mit der gesammten Anschauung unserer Zeit im Widerspruche standen, sind auf diesem Wege beseitigt worden 13.

Die Annahme einer stillschweigenden Zustimmung der gesetzgebenden Gewalt, zur Entstehung des Gewohnheitsrechts (nicht blos der Regierung, sondern, wie manche verlangen, auch der Kammern) wäre entweder eine unnütze Fiktion, oder würde das Wesen des Gewohnheitsrechts ganz aufheben.

2. Die Observanz, d. h. eine, auf stillschweigender Willensäusserung der Mitglieder einer Corporation beruhende Rechtsnorm. Dieselbe ist eine Ergänzung der Autonomie. Während aber die Autonomie, in der Form einer wörtlichen ausdrücklichen Beliebung, als Statut erscheint, beruht die Observanz auf der stillschweigenden Uebereinkunft derer, die das Recht auch ausdrücklich hätten feststellen können 14. Hier kommt als Rechts

12) Das Gewohnheitsrecht auf dem Gebiete der Verwaltung, von Wilhelm Lüders, Kiel 1863. Daselbst sagt er S. 48 richtig: »Im öffentlichen Rechte sind eine grosse Anzahl der wichtigsten staatsrechtlichen Grundsätze, die unser deutsches Staatsleben beherrschen, auf die Gewohnheit zurückzuführen. «<

13) Ludwig von Rönne, das Staatsrecht der preussischen Monarchie. Bd. I. §. 19. S. 70. Mohl, Würtemb. Staatsrecht. Bd. I. S. 75. Wahlcapitulation von 1790. II. §. 3. erkennt die derogatorische Kraft des Herkommens ausdrücklich an. Daselbst heisst es nämlich: »was bei vorigen Reichstagen verabschiedet und geschlossen und durch die nachfolgenden Reichs constitutionen oder das rechtmässige Reichsherkommen nicht wieder aufgehoben worden.«<

14) Thöl, Einleitung, §. 50. S. 129. Von manchen Juristen, wie auch von Thöl, wird auch die Observanz als ein Ausfluss der Autonomie bezeichnet, wogegen sich begrifflich allerdings nichts einwenden lässt, zweckmässiger ist es

quelle nur die Observanz solcher Corporationen in Betracht, welche eine staatsrechtliche Bedeutung haben, so z. B. eine im Schoosse der Ständeversammlung entstandene Observanz.

III. Recht der Wissenschaft 15:

Die Rechtswissenschaft erscheint auf dem Gebiete des gesammten Rechtslebens, also auch auf dem des Staatsrechts, als ein wichtiges Element der Rechtsbildung. Ihre Aufgabe ist es, das Recht zu einem vollständigen Bewusstsein zu erheben; dazu hat sie die Gewohnheiten aufzufinden und die Gesetze auszulegen, dieselben in Zusammenhang zu bringen und auf ihre tiefer liegenden Principien zurückzuführen. Ihr Bestreben ist auf das System des gesammten Rechts gerichtet systematisches Wissen ist das Wesen der Wissenschaft überhaupt. Aus den gewonnenen höhern Principien, aus dem klar erkannten Geiste des Systems und seiner harmonischen Entfaltung werden neue Rechtssätze abstrahirt. In dieser Beziehung wirkt die Rechtswissenschaft wahrhaft produktiv, sie ist ein Element der Rechtsbildung, nicht minder ergiebig, als Gewohnheit und Gesetz, aber keineswegs so ursprünglich und selbstständig wie diese, sondern immer an ein bereits Gegebenes sich anlehnend, so dass die Richtigkeit ihrer Resultate immer an diesem erst gemessen werden muss; Stahl bezeichnet sie deshalb nicht als eigentliche Rechtsquelle, wohl aber als Element der Rechtsbildung 16.

Ihre Rechtssätze beruhen auf innern Gründen, auf der Autorität ihrer wissenschaftlichen Wahrheit. Ihre Wahrheit ist die Bedingung ihrer Gültigkeit. So bedeutsam daher auch die übereinstimmende Ansicht der angesehensten Rechtsgelehrten sein mag -herrschende Ansicht, communis doctorum opinio 17

so muss sie

dagegen, das Wort »Autonomie« nur auf die ausdrücklichen Festsetzungen des corporativen Willens zu beschränken. K. Maurer im Staatswörterbuche, Bd. I. S. 606.

15) Siehe bes. Puchta, Pandekten, §. 16. Savigny, System, I. §. 14. 19. 20. Stahl, Rechtsphilosophie, Bd. II. B. II. Kap. III. S. 251. Thöl, Einleitg., S. 55. Treffend ist auch die Stellung der Wissenschaft als Element der Rechtsbildung erörtert von Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, B. I. S. 217.

16) Stahl, a. a. O. S. 252.

17) Die communis opinio der Schriftsteller hat die Bedeutung einer Vermuthung der Wahrheit, welche aber natürlich durch genaueres Erforschen der

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