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tes ist, so hat der Staat auch ein besonderes Recht an dem Lande, welches sein Staatsgebiet bildet. Dieses Territorialrecht, auch Gebietshoheit genannt, wird fälschlich als »>Eigenthum, dominium«, bezeichnet; es ist vielmehr »imperium« und rein staatsrechtlicher Natur, kein Recht, welches nach Art des Eigenthums zur Vermögensbefriedigung dient (» omnia rex imperio possidet, singuli dominio «).

Die Gebietshoheit hat ihre positive Seite, indem jedem Staate vollkommene staatliche Herrschaft über sein ganzes Gebiet zusteht. Innerhalb desselben gelten nur seine Gesetze, nur seine Gerichte entscheiden, nur seine Regierungsmassregeln haben Anspruch auf Gehorsam. Dem Staate sind nicht blos die Menschen, sondern ihm ist auch das Land, als solches, unterworfen.

Der negative Inhalt der Gebietshoheit besteht in dem Rechte des Staates, jede andere Macht von einer staatlichen Wirksamkeit innerhalb seines Gebietes auszuschliessen. Ausnahme bilden die sogenannten völkerrechtlichen Servituten.

Sobald man das Territorialrecht des Souveräns nicht als patrimoniales Eigenthum, sondern als eine staatliche Herrschaft über das Land auffasst, erscheint auch die Bezeichnung des Regenten nach dem Lande (Roi de France) durchaus nicht verwerflich, doch ist die nach dem Volke »Roi des Français« ebenso gerechtfertigt, ja sogar noch edler und erhabener, weil das Volk über dem Lande steht 1.

Fünftes Kapitel.
Die Staatsgewalt.

§. 49.

Die Staatsgewalt im allgemeinen

In dem Begriffe des Staates liegt, als wesentliches Merkmal, das Vorhandensein einer höchsten herrschenden Gewalt, welche

1) Dies gegen Stahl, welcher in der Bezeichnung »König der Franzosen«< sogar »ein Bild der Barbarei« sieht. Auch die deutschen Könige nannten sich »reges Germanorum«, eben so zogen die römischen Kaiser es vor, sich nach dem Volke zu nennen.

Staatsgewalt genannt wird (S. 119). Der Staat, als einheitlicher Organismus, bedarf eines Gesammtwillens, welcher befugt ist, über die Gesammtkraft zur Erreichung der Staatszwecke zu verfügen. Nur der einzelne Mensch, als solcher, hat schon von Natur einen Willen. Jede andere Persönlichkeit bedarf einer besondern Organisation, um ihren Willen auszudrücken und darzustellen, der Staat so gut, wie jedes andere Gemeinwesen. Ein solcher herrschender Staatswille kann nur hergestellt werden, wenn derselbe in einem Subjekte personificirt wird, denn die Staatsgewalt ist eine Gewalt, welche im Namen des Staates von Menschen geübt wird. Die Staatsgewalt bedarf zu ihrer Wirksamkeit im Leben eines bestimmten Trägers oder Inhabers, welchem die Ordnung und Leitung des Staatswesens zusteht. Das so zur Herrschaft im Staate berechtigte Subjekt heisst der Herrscher oder Souverän, es mag eine physische oder moralische Person sein. Die so in einem Subjekte persönlich gewordene Staatsgewalt heisst die Obrigkeit.

Die rechtliche Grundlage der Staatsgewalt ist dieselbe, auf welcher der Staat selbst beruht. Ist demnach in dem dritten Kapitel der Rechtsgrund des Staates überhaupt genügend dargethan worden, so ergiebt sich daraus auch die Berechtigung der Staatsgewalt, denn ohne Staatsgewalt ist eben kein Staat denkbar.

Die Staatsgewalt hat einen durchaus öffentlich-rechtlichen Charakter, d. h. der Herrscher ist nicht um seinetselbstwillen zu Privatzwecken mit dieser Gewalt bekleidet. »Im Staate ist der

Souverän nicht weiter berechtigt, als er verpflichtet ist« 1.

Der herrschenden Gewalt der Obrigkeit steht die Gehorsamspflicht der Unterthanen gegenüber. Aber das Verhältniss des Volkes zum Herrscher ist kein persönliches Subjektionsverhältniss, wie Leibeigenschaft, Hörigkeit oder Gutsunterthänigkeit, kein kontraktlich-privatrechtliches Band, keine vasallitische Lehenstreue, sondern staatsrechtliche Unterordnung unter das Oberhaupt eines gesetzlich geordneten Gemeinwesens.

Nur diese Auffassung sichert den Unterthanen die Würde freier, gesetzlich gehorchender Staatsbürger, dem Herrscher die erhabene Stellung eines verfassungsmässigen Staatsoberhauptes.

1) Stahl, Rechtsphilosophie, II. S. 141. Pütter, Beiträge zum deutschen Staatsrecht, B. 1. S. 319. Ancillon, über Souveränetät, S. 13. System des deutschen Staatsrechts.

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§. 50.

Eigenschaften der Staatsgewalt.

Die wesentlichen Eigenschaften der Staatsgewalt entspringen aus der Natur des Staates selbst und sind folgende:

1. Die Staatsgewalt ist eine höchste irdische Gewalt, suprema potestas, Souveränetät. Wäre in einem Gemeinwesen die leitende Gewalt einer andern Macht staatlich untergeordnet, so könnte ein solches auf den vollen Begriff des Staates keinen Anspruch machen.

2. Als höchste Gewalt ist sie unverantwortlich, weil jede Verantwortlichkeit eine höhere Macht voraussetzt, gegen welche die Rechtfertigung zu erfolgen und welche ein Urtheil auszusprechen hat.

3. Sie ist unwiderstehlich innerhalb ihres Gebietes und ihrer Sphäre. Indem sie, durch Zusammenlegung aller Einzelkräfte, über die Gesammtkraft des Staates verfügt, ist keine andere Kraft ihr zu widerstehen im Stande. Würde es einer andern Macht gelingen, der Staatsgewalt einen unüberwindlichen Widerstand mit Erfolg entgegenzustellen, so wäre damit die Staatsgewalt vernichtet oder wenigstens so lange ausser Wirksamkeit gesetzt, bis sie wieder zu einer unwiderstehlichen Gesammtkraft geworden ist.

4. Sie ist einheitlich und untheilbar. In einem Staate kann es nur Einen Herrscher geben, mag dies nun eine physische oder moralische Person sein 1. Mehrere gleichberechtigte Herrscher oder Staatsgewalten nebeneinander würden dem Begriffe des einheitlichen Organismus widersprechen und, statt Sicherheit und Ordnung, Verwirrung und Auflösung mit sich führen.

5. Sie ist dauernd, d. h. unabhängig von dem Tode oder Wegfalle ihres persönlichen Inhabers. Wie der Staat nicht stirbt, civitas non moritur, ebensowenig die Staatsgewalt, mag auch ihr Träger dem menschlichen Schicksale, wie jeder andere Sterbliche, erliegen. Le roi ne meurt pas, d. h. der Staats könig oder das Königthum stirbt nicht.

So kann man die Staatsgewalt dauernd nennen, im Gegen—

1) Das haben schon die Alten richtig gewürdigt, so Tacitus, in den Annales I. 6. » Ea est conditio imperandi, ut non aliter ratio constet, quam si uni. reddatur. Ilias II. v. 204 : »οὐκ ἀγαθὸν πολυκοιρανίη· εἷς κοίρανος ἔστω!«

satze zu dem schnellen Wechsel ihrer individuellen Träger, aber als ewig darf auch sie nicht bezeichnet werden. Wohl ist der Staat seiner Idee nach ewig, als eine für alle Zeiten nothwendige Form menschlichen Daseins, aber der einzelne Staat in concreto ist nicht ewig, noch weniger die in einem einzelnen Staate bestehende Staatsgewalt. Die Erde ist bedeckt mit den Trümmern untergegangener Staaten und umgestürzter Throne. Die Staaten sterben wie die Menschen, nur dass sie ihre Lebensdauer nicht nach Jahrzehnten, sondern nach Jahrhunderten berechnen.

Unrichtig und selbst blasphemisch ist es, wenn man der irdisch-menschlichen Staatsgewalt die Eigenschaften der Unfehlbarkeit, der Allgegenwart, der Heiligkeit beilegt, die nur der Gottheit allein zukommen.

§. 51.

Grenzen der Staatsgewalt '.

Der Staat ist die höchste, oberste Macht auf Erden; die Menschen und alle ihre andern Gemeinschaften und Institute sind der Staatsgewalt, wenigstens in ihren äussern Beziehungen, untergeben. Man bezeichnet dies Verhältniss wohl als »die Omnipotenz des Staates oder des Parlaments «. Wenn z. B. in einem souveränen constitutionellen Staate, unter Zustimmung aller Faktoren der Staatsgewalt, ein Gesetz verfassungsmässig zu Stande gekommen ist, so ist formell ein solches Gesetz unbestritten gültig und rechtmässig, mag sein Inhalt sein, welcher er will; denn es ist keine höhere Autorität vorhanden, welche ein solches Gesetz als rechtswidrig verwerfen könnte. Es ist somit in gewisser Beziehung richtig, wenn man sagt, König und Kammern (das Parlament im Sinne des englischen Staatsrechts) können im Staate alles thun, was überhaupt menschlich-möglich ist. Aber diese Unumschränktheit ist nur eine formelle, keine materielle.

Ueber dem menschlichen Bereiche des Staates steht, als eine höhere Macht, die sittliche und natürliche Ordnung der Dinge2, welche der Staat nicht umkehren oder verwirren darf,

1) Wilhelm von Humboldt, »Ideen zu einem Versuche, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«<, in seinen gesammelten Werken (1852), B. VII. S. 1—197. H. Zöpfl, B. I. §. 52. Stahl, II. §. 41. S. 154 ff.

2) Stahl, a. a. O. S. 155.

ohne ein schweres Unrecht zu begehen; so darf er die Freiheit der Wissenschaft, des Glaubens, die Heiligkeit der Familie, die ewigen Grundlagen des Sittengesetzes nicht angreifen. Thut der Staat es dennoch, so giebt es, über der souveränen Staatsgewalt, freilich keine richtende Autorität, welche ein solches materielles Unrecht auch formell dafür erklären und es bestrafen könnte, aber, dem Betheiligten gegenüber, erscheint ein solcher Akt der Staatsgewalt, trotz seiner formellen Correctheit, als unverbindlich. Er kann und muss in einem solchen Falle, freilich auf seine Gefahr hin, der ihre Sphäre überschreitenden Staatsgewalt den Gehorsam verweigern (passiver Widerstand) und gegen das Unrecht protestiren: >>Man soll Gott mehr gehorchen, als den Menschen «<.

Es ist allerdings ein Verdienst der modernen Staatsentwickelung, den Staat als oberste souveräne Macht auf Erden zur Anerkennung gebracht zu haben; aber es ist eine gefährliche Uebertreibung, wenn man die Staatsgewalt nicht nur als die souveräne, sondern auch als die absolute Macht ansieht, die schlechthin, auch materiell, kein Unrecht thun kann, die der einzige Regulator aller menschlichen Dinge auf Erden ist. Wo der Staat solche sittliche und natürliche Schranken nicht anerkennt, wo er jede Ueberschreitung des rechtlichen Umkreises der Staatsgewalt für erlaubt hält, ist Staatsabsolutismus vorhanden, welcher wohl zu unterscheiden ist vom Fürstenabsolutismus, denn auch ein Parlament, ja eine demokratische Volksversammlung, kann dieser gefährlichen Richtung ebenso verfallen, wie ein Alleinherrscher 3. Keine Zeit hat wohl dem Staatsabsolutismus mehr gehuldigt, als die französische Revolutionsperiode und der Convent mit seinem revolutionären Radicalismus. Es ist bezeichnend genug, dass zwei so diametral entgegengesetzte Geister, wie Hobbes, der Vorkämpfer despotischer Willkühr, und Rousseau, der publicistische Prophet der französischen Revolution, gerade in dieser Richtung völlig übereinstimmen. Hobbes'

3) Bluntschli, II. S. 1.: »In dieser Auffassung stimmte Ludwig XIV. mit dem Convente völlig überein. Beide sagten von sich: »wir sind der Staat und der Staat ist allmächtig «. Thiers hist. de la Révolution franç. II. p. 200 sagt von der Ansicht der Jacobiner, »die Nation kann nie auf ihre Befugniss verzichten: Alles zu thun und Alles zu wollen zu jeder Zeit; diese Befugniss gründet sich auf ihre Allmacht (sa toute-puissance) und diese ist unveräusserlich.<<

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