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nehmen zwei Staatsgrundverträge an, einen Vereinigungs- und einen Unterwerfungsvertrag (pactum unionis und subjectionis), andere stellen noch einen dritten Vertrag (pactum constitutionis) in die Mitte. Pufendorf, ein Hauptverfechter der Vertragstheorie unter den Deutschen, denkt sich die Sache so, dass die Menschen zuerst durch einen Vereinigungsvertrag aus dem Naturzustande heraustreten, dadurch entsteht aber noch kein Staat, sondern erst ein Anfang des Staates (»aliquod rudimentum civitatis«), dann fassen die so vereinigten Menschen einen Beschluss (decretum) über die Regierungsform, dann schliessen sie einen zweiten Vertrag mit dem einzusetzenden Staatsherrscher 6. So entsteht bei Pufendorf der Staat durch zwei Urverträge und einen Urbeschluss'.

Wenn wir auch die Anfänge der Staaten urkundlich nicht kennen, sagt Pufendorf, so haben diese Urverträge doch ihre Realität, sollten sie selbst blos stillschweigend abgeschlossen sein ; auch nimmt er an, dass derartige Urverträge alle künftigen Generationen von Rechtswegen mit verbinden 9.

Die Vertragstheorie wird in so vielen und mannigfaltigen Wendungen wiederholt, dass es unmöglich ist, dieselben im einzelnen noch weiter zu verfolgen. Könnte die Zahl der Anhänger, das Gewicht von Autoritäten, welche eine Theorie für sich hat, über ihren Werth entscheiden, so müsste allerdings die Vertragstheorie vor allen andern den Vorzug verdienen. Dennoch ist dieselbe in ihrem Grundprincipe unhaltbar und deshalb von der neuern wissenschaftlichen Staatslehre fast allgemein aufgegeben 10.

Die

6) Pufendorf polemisirt besonders gegen Hobbes, welcher jedes vertragsmässige Verhältniss zwischen Herrscher und Volk läugnet, mit folgenden Worten: »quando in regem confertur imperium est mutua juris translatio s. reciproca promissio, cives spondent obsequium, rex procurationem reipublicae ad quae ante istum actum neuter tenebatur.<<

7) » Est notandum hunc modum generandi civitatem, intervenientibus duobus pactis et uno decreto, esse maxime naturalem et omnibus formis rerumpublicarum communem; alia tria pacta malunt, decretum ipsum quoque pacti nomine complectentes.«<

8) »Cum autem conjunctio illa et subjectio, citra ante dictas pactiones, facta intelligi nequeat, necesse est, in coalitione civitatum easdem, saltem tacite, intervenire.«<

9) »Eo ipso quoque omnes, qui in civitate nascuntur, imperio isti se subjecisse intelliguntur.«

10) Unsere Polemik ist hier nur gegen die ausschliessende allge

Gründe, welche gegen die Vertragstheorie sprechen, sind folgende:

1. Dieser Theorie steht das Zeugniss der Geschichte entgegen. Die Realität eines s. g. Naturzustandes lässt sich für keine Zeit und kein Volk nachweisen (S. 123). Eben so ist die Annahme der s. g. Urverträge eine blos willkührliche Fiktion, da niemand um seine Einwilligung gefragt wird, noch gefragt werden kann. Unerklärt bleibt dabei, wie bei Abschluss des Vertrages die Majorität die wohl immer vorhandene Minorität und die kommenden Geschlechter binden konnte 11?

11

2. Diese Theorie zieht den Staat in das Gebiet der menschlichen Willkühr herab; er wird wie eine beliebig zusammentretende Gesellschaft, nicht wie eine rechtliche Nothwendigkeit angesehen. Am stärksten hat Schlözer diese Willkührlichkeit betont, indem er geradezu sagt: »Der Staat ist eine Erfindung, Menschen machten sie zu ihrem Wohle, wie sie Brandkassen u. s. w. erfanden«. In ähnlicher Weise bezeichnet auch Hobbes den Staat als ein Kunstprodukt, »opificium artis«. Thatsächlich tritt der Einzelne nicht willkührlich oder nach eigener Wahl in den Staatsverband, sondern er wird hineingeboren. Das Individuum empfängt mit seiner Erzeugung, Geburt und Erziehung auch das bestimmte Gepräge seines Volkes und seines Vaterlandes, bevor es im Stande ist, einen eigenen selbstständigen Willen zu haben und zu äussern. Man setzt den Staat herab, wenn man ihn einer willkührlich zusammengetretenen Gesellschaft gleichstellt, deren

meine Gültigkeit der Vertragstheorie, die Annahme eines atomistischen Naturzustandes und s. g. Urverträge gerichtet. Dagegen ist nicht in Abrede zu stellen, dass einzelne Staaten historisch wirklich durch Vertrag entstanden sind. Besonders deutlich liegt eine solche vertragsmässige Entstehung bei der ersten Staatsgründung in Island vor, auch viele nordamerikanische Staaten, selbst der Bundesstaat, sind so entstanden. Höchst charakteristisch ist z. B. die vertragsmässige Begründung des ersten nordamerikanischen Puritanerstaates Neu-Plymouth am 11. November 1620, wo die ersten Väter - Pilgrime, 42 Familienväter an der Zahl, noch ehe sie ans Land stiegen, in der Cajüte der >>Maiblume<< den ersten Staatsgrundvertrag abschlossen; doch gingen alle diese historisch bekannten, vertragsmässigen Begründungen nicht aus dem s. g. Naturzustande, sondern aus frühern staatlichen, »civilisirten« Ver

hältnissen hervor.

11) Rousseau fingirte deshalb wieder eine ursprüngliche Einstimmigkeit, durch welche das Gesetz der spätern Stimmenmehrheit angeordnet worden sei. So stützt sich eine Fiktion auf eine eben so unhaltbare andere!

Recht lediglich in dem Willen ihrer Kontrahenten und ihrem Konstituirungsakte liegt 12.

§. 46.

V. Theorie der Vernunftnothwendigkeit.

Der Staat und die von ihm ausgeübte Herrschaft bedarf einer solchen Rechtfertigung durch das Faktum eines Vertrages nicht, sondern der Staat trägt seinen Rechtfertigungsgrund lediglich in sich selbst, d. h. in der ihm zu Grunde liegenden vernünftigen Idee.

Da ohne Staat eine vernünftige Coëxistenz der Menschen nicht möglich, da er das einzige Mittel ist, das Rechtsgesetz ins Leben einzuführen, so wird die Unterwerfung unter die Staatsgewalt zu einem Vernunftgebote. Die Rechtlichkeit jeder andern Gesellschaft gründet sich auf den freiwilligen Beitritt eines jeden zum Grundvertrage, hingegen die Rechtlichkeit des Staates gründet sich auf die Nothwendigkeit des Rechtsgesetzes. Die Frage: »auf welchem Rechtsgrunde beruht der Staat?« ist im Grunde ebenso tautologisch, wie die: »auf welchem Rechtsgrunde beruht das Recht?« Der Staat selbst ist die Realisirung der Rechtsordnung.

Man kann den Grundgedanken dieser Theorie kurz dahin zu– sammenfassen: der Staat ist an sich nothwendig und vernünftig, dies ist sein Grund und seine Rechtfertigung. Weil nach dieser Theorie das Bewusstsein dieser Nothwendigkeit

12) Am kräftigsten hat (schon 1803) Fries die Vertragstheorie in seiner philosophischen Rechtslehre (S. 76) widerlegt: »Man hat den Staat seinem Ursprunge nach mit irgend einer andern willkührlich zusammengetretenen Gesellschaft verglichen und dadurch die Idee eines Staatsgrundvertrages erhalten. Diese Vergleichung vernichtet sich aber in sich selbst. Der Zweck des Staates ist, ein öffentliches Gesetz zu konstituiren, als ein entscheidendes Urtheil über Recht und Unrecht, versehen mit hinlänglicher Gewalt, um jeden Einzelnen zur Befolgung zu zwingen. Die Rechtlichkeit jeder andern Gesellschaft gründet sich auf den freiwilligen Beitritt eines jeden zum Grundvertrage, hingegen die Rechtlichkeit des Staates gründet sich auf die Nothwendigkeit des Rechtsgesetzes vor allem Vertrage. Daraus folgt: dass ein Vertrag als Basis der bürgerlichen Verfassung unmöglich und widersprechend ist.« Auch Hegel, §. 258., bekämpft die Vertragstheorie, besonders vom Gesichtspunkte ihrer Willkührlichkeit aus: »So wird die Vereinigung der Einzelnen im Staate zu einem Vertrage, der somit ihre Willkühr, Meinung und beliebige ausdrückliche Einwilligung zur Grundlage hat, und es folgen die weitern, blos verständigen, das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät zerstörenden Konsequenzen.<<

hinreicht zur Rechtfertigung des Staates und der Staatsgewalt, nennen wir sie die Theorie der Vernunftnothwendigkeit, weil sie von der Idee und dem Zwecke des Staates ausgeht, heisst sie die ideale, weil sie besonders auf die vernünftige Natur des Menschen Rücksicht nimmt, die rationale Theorie.

Während allen andern Theorien einzelne historische Momente zu Grunde liegen, die bei der Gründung einzelner Staaten mitgewirkt haben mögen, wie Vertrag, Grundeigenthum, Uebermacht eines Einzelnen, stützt sich diese Theorie auf die volle vernünftige Totalität des menschlichen Daseins.

Diese Theorie in ihrer Einfachheit und Klarheit kann als die gegenwärtig herrschende angesehen werden; in verschiedenen Modificationen wird sie von den bedeutendsten Philosophen, Staatsgelehrten und Juristen ausgeführt 1, während die Vertragstheorie mehr und mehr an Anhängern verliert.

Uebrigens steht diese rationale Theorie, welche die Rechtfertigung des Staates in seiner Vernunftnothwendigkeit sucht, keineswegs in unauflöslichem Widerspruche mit der Theorie, welche in dem Staate eine göttliche Stiftung sieht, sie ist vielmehr nur eine menschlich-wissenschaftliche Erklärungsweise für das, was jene in religiöser Gefühlsstimmung ausdrückt; denn die menschliche Vernunft ist von Gott abgeleitet, ist eine Offenbarung des göttlichen Willens.

Auch mit der Auffassung der Alten, besonders des Aristoteles und Cicero, lässt sich die rationale Theorie in Einklang bringen. Auch diese sehen den Staat als eine nothwendige

1) Kant betont allerdings die Nothwendigkeit des Staates, auch ihm ist der Eintritt in den Staat ein Vernunftgebot, nichts willkührliches; dennoch kann er sich von der Rousseau'schen Vertragstheorie nicht losmachen, wenn er §. 47. sagt: »Der Akt, wodurch sich das Volk zu einem Staate konstituirt, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmässigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Kontrakt, nach welchem alle im Volke (omnes et singuli) ihre äussere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinsamen Wesens sofort wieder aufzunehmen u. s. w. « Als besonders kräftiger Vertheidiger der rationalen Theorie ohne jede Vermittelung eines Vertrages ist J. J. Fries anzusehen, Rechtsphilosophie, S. 50. Auch Hegel, §. 258., rechtfertigt den Staat lediglich »durch den allgemeinen Willen, als das an und für sich (d. h. seinem Begriffe nach Vernünftige«. Von den Staatsrechtslehrern vertreten diese rationale Theorie besonders K. S. Zachariä, 40 Bücher, B. I. S. 61. R. Maurenbrecher, §. 36. S. 45. H. Zöpfl, B. I. §. 41, 44 und 45. H. A. Zachariă, B. I. §. 17.

Erscheinung, als eine ursprünglich gegebene, menschliche Ordnung der Dinge an, doch gehen sie dabei mehr von einer instinktiven Naturnothwendigkeit oder einem gewissen einseitigen physischen Triebe, z. B. dem Socialitätstriebe, der Hülfsbedürftigkeit, nicht von der Totalität des geistigen Wesens der Menschheit, nicht von dem zwingenden Gebote der Vernunft aus. Diese mehr naturgeschichtliche Theorie der Alten, welche den Menschen als » Staatsgeschöpf von Natur «<, den Staat zunächst als Naturprodukt betrachtet und ihn wohl mit dem Staate der Bienen und Ameisen vergleicht 2, steht darin über allen spätern Theorien, welche den Staat auf ein vereinzeltes historisches Faktum oder einen Vertrag gründen, dass sie den Staat als einen nothwendigen, ächt menschlichen Zustand ansieht; sie findet aber ihre höhere wissenschaftliche Läuterung, ihren wahrhaft staatsphilosophischen Ausdruck erst in der rationalen Theorie der Vernunftnothwendigkeit 3.

Die Begründung der Staatsordnung ist nicht nur ein Naturbedürfniss, sondern eine ethische Pflicht, weil die Menschen ausserhalb des Staates ihre Bestimmung nicht erfüllen und das Gesetz der Gerechtigkeit nicht zur Herrschaft bringen können. Damit ist vollständig dargethan, dass es überhaupt Staaten geben muss und dass jeder Einzelne sich einer staatlichen Ordnung unterwerfen soll.

2) Aristoteles, lib. I. cap. I. §. 9.: »'Ez Toútær ovv qavegòv öti tæv φύσει ἡ πόλις ἐστί, καὶ ὅτι ἄνθρωπος φύσει πολιτικὸν ζῷον, καὶ ὁ ἄπολις διὰ φύσιν καὶ οὐ διὰ τύχην ἤτοι φαυλός ἐστιν ἢ κρείττων ἤ ἄνθρωπος. — §. 10. Διότι δὲ πολιτικὸν ὁ ἄνθρωπος ζῷον πάσης μελίττης καὶ παντὸς ἀγελαίου ζῷου μᾶλλον, δῆλον. — §. 12. Ὅτι μὲν οὖν ἡ πόλις καὶ φύσει καὶ πρότερον ἤ ἕκαστος, δῆλον· . . . ὁ δὲ μὴ δυνάμενος κοινωνεῖν ἢ μηθὲν δεόμενος δι' αὐτάρκειαν, οὐθὲν μέρος πόλεως, ὥστε ἢ θηρίον ἢ θεός. Φύσει μὲν οὖν ἡ ὁρμὴ ἐν πᾶσιν ἐπὶ τὴν τοιαύτην κοινωνίαν.«

In ähnlicher naturhistorischer Weise fasst Cicero de republica I. 25, den staatsbildenden Trieb der Menschen auf: »prima caussa coëundi non est tam imbecillitas quam naturalis quaedam hominum quasi congregatio, non est enim singulare aut solivagum genus hoc.«<

3) In eigenthümlicher Weise combinirt Dahlmann die naturgeschichtlich-aristotelische Auffassung mit der rationalphilosophischen: »Dem Staate geht kein Naturzustand voran, der von blinden Trieben und vernunftlosen Menschen handelt, der Naturzustand des Menschen ist, Vernunft zu besitzen der Staat ist eine ursprüngliche Ordnung, ein nothwendiger Zustand, ein Vermögen der Menschheit und eines von den die Gattung zur Vollendung führenden Vermögen.»>

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