Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

deutung für die Durchführung eines Grundsatzes, nicht aber für dessen Werth und Wesen, sie ist ein Mittel, nicht aber ein Zweck.

Wenn sich Haller und Brennus gleichmässig auf die Ordnung der Natur berufen, wonach das stärkere Thier das schwächere beherrscht (oder vielmehr vernichtet), so verkennen sie damit das höhere geistige Princip der Menschenwelt völlig, welches sich nicht bei der äussern Thatsache der Macht beruhigt, sondern vor allem nach ewigen Vernunftgesetzen fragt. Nach dieser Theorie wird die Staatsgewalt konsequentermassen zur thierischen Willkühr, zu dem starken Wolfe, der das schwache Lamm zerreisst.

§. 44.

III. Patrimonialtheorie.

Eine grosse Rolle hat in der deutschen Jurisprudenz die Theorie gespielt, nach welcher das Eigenthum an Grund und Boden, die sogenannte Patrimonialität, den Rechtsgrund der Staatsgewalt bilden soll; sie hängt eng zusammen mit der mittelalterigen Bedeutung des Grundbesitzes, wonach dieser mit den wichtigsten politischen Vorrechten ausgestattet war. Der Grundherr übte die Gerichtsbarkeit über seine Hintersassen, seine Vogtei beseitigte die Wirksamkeit der Staatsbeamten, die eigenthumslosen Landleute sanken dagegen zur persönlichen Unfreiheit hinab. Der Grundherr hatte im Lande, neben dem Fürsten, alleinigen Antheil an der Regierung, nur das Grundeigenthum war auf dem Landtage vertreten.

Wie die Gerichtsbarkeit des adligen Vasallen, so ruht, nach dieser Theorie, auch die Landes herrlichkeit des Fürsten auf Grund und Boden und wird als politisches Immobiliarrecht aufgefasst, sie ist auf das Land »gegrundfestigt«. Historisch wurzelt diese Theorie im tiefeingedrungenen Feudalismus, welcher alle öffentlichen Berechtigungen an Landverleihung knüpfte. Wer im Besitze eines Territoriums sich befand, war, als Herr des Grund und Bodens, auch politischer Herrscher in diesem Gebiete; er war kraft dieses Rechtstitels befugt, vom Kaiser die Beleihung mit dem Banne oder den Regierungsrechten zu verlangen. Was der Form nach noch als Beleihung erschien, war wesentlich nur die oberlehnsherrliche Anerkennung eines schon bestehenden Rechts.

System des deutschen Staatsrechts.

10

1

Uebrigens wurde diese Patrimonialtheorie zu Zeiten des Reichs nur auf die lande sherrliche, nie auf die kaiserliche Gewalt angewendet, indem für letztere officiell die Theorie der göttlichen Einsetzung galt (S. 140).

Richtig an dieser Theorie ist nur so viel, dass kein Staat ohne Landgebiet bestehen kann und dass der Staatsherrscher auch Herr über dieses Territorium sein muss. Aber sie hält sich, wie die Theorie der Uebermacht, lediglich an ein äusseres Faktum und giebt keinen Rechtfertigungsgrund für die Existenz des Staates und der Staatsgewalt. Sie ist ferner durchaus einseitig, indem sie nur eine bestimmte einzelne Richtung der Staatsgewalt ins Auge fasst und darauf die ganze Existenz des Staates gründet, und somit die dingliche Grundlage des Staates (das Land) über die. persönliche (das Volk) stellt. Ihr Hauptfehler liegt aber darin, dass sie den privatrechtlichen Eigenthumsbegriff mit dem staatsrechtlichen Begriffe der Gebietshoheit verwechselt. Die Herrschaft, welche die Staatsgewalt über ihr Gebiet übt, ist rein staatlicher Natur und dient nicht, wie das Eigenthum, zur privatrechtlichen Vermögensbefriedigung des Inhabers der Staatsgewalt. Selbst zu Reichszeiten war nur ausnahmsweise, in einzelnen ganz kleinen Territorien, der Regent auch Grundherr des ganzen Landes. In keinem grössern Territorium war der Fürst auch Eigenthümer seines ganzen Landes; somit war diese Theorie, auch schon zu Reichszeiten, eine Unwahrheit. Die Landeshoheit war eine wirkliche, wenn auch untergeordnete Staatsgewalt und durfte nicht nach Eigenthumsrecht, sondern nur nach wahrhaft staatsrechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden, was auch

1) Noch im Jahre 1780 wurde diese Theorie von Christian Gottlob Biener, de natura et indole dominii in territoriis germanicis ejusdem effectibus libri II. Halae 1780. Cap. I. §. X., in der schroffsten Weise vertreten :

>>Ganz Deutschland, von der Reichshoheit abgesehen, wird nach Grundeigenthums- und Leibeigenschaftsrechte (jure patrimoniali et herili) regiert. Die deutsche Landeshoheit kann nicht beurtheilt werden nach dem Majestätsrechte über freie Völker. Sie adhärirt nach der Reichsformel dem Territorium und ist zugleich mit dem Territorium im Privateigenthume, so dass man sie mit Recht eine patrimoniale und herile nennen kann. Alle diese Territorien, von welchen die Hoheit nicht getrennt gedacht wird, sind mit allen Rechten und Regalien, ja mit den Unterthanen und Vasallen, selbst in das Patrimonium und die Proprietät übergegangen.« Ja dieser Jurist hat die unglaubliche Naivität, sich damit zu beruhigen: »quod quamvis a natura abhorreat, tamen egregie (!) moribus Germanorum convenit«<.

heller blickende Juristen bereits zu Reichszeiten vollkommen einsahen 2.

Diese Theorie konnte nur entstehen in Zeiten tiefster staatlicher Verkommenheit und ist wohl im Ganzen als aufgegeben zu betrachten; sie bedurfte aber wegen ihrer grossen historischen Wichtigkeit für Deutschland und wegen mancher noch fortlebender Konsequenzen einer Erwähnung.

3

§. 45.

IV. Die Vertragstheorie.

Sowohl durch die Zahl ihrer Anhänger, wie durch ihren praktischen Einfluss, nimmt diese Theorie einen hervorragenden Platz ein, und zwar nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Geschichte der wirklichen Staatsentwickelung im modernen Europa.

Den Griechen, welche tief von staatlichem Geiste beseelt waren, galt der Staat als uranfänglich, der Mensch als »> ein Staatsgeschöpf«. Das politische Individuum ist, nach der Ansicht des Aristoteles, nur ein Glied im Staatskörper, der Staat ist früher, als die einzelnen Bürger, wie das Ganze früher, als der Theil.

Dem Mittelalter galt die Staatsordnung als eine göttliche Stiftung, damit war jede weitere Reflexion abgeschnitten. >>>Was Gott thut, das ist wohlgethan.<<

Erst die tiefgehende geistige Anregung der Reformation brachte ein freieres Nachdenken über den Staat und staatliche Dinge mit sich. Man begnügte sich nicht mehr mit der frommen Gefühlsanschauung des Mittelalters, sondern suchte nach einer wissenschaftlichen, menschlichen Erklärungsweise für die menschliche Einrichtung des Staates.

Der erste grosse selbstständige Denker über Recht und Staat, Hugo Grotius, wurde auch der Schöpfer der Vertragstheorie1. Seitdem hat diese Lehre in der Literatur aller neuern

2) Pütter, Beiträge, B. I. S. 317, No. XIX. Von der Bestimmung, welche die Landeshoheit mit jeder andern höchsten Gewalt gemein hat, dass sie nur zur gemeinen Wohlfahrt stattfindet.

3) Das sogenannte dominium eminens, der Name Landesherr.

1) Grotius de jure belli ac pacis Proleg. §. 15. »Deinde vero, cum juris naturae sit, stare pactis ... ab hoc ipso fonte jura civilia fluxerunt. Nam qui se coetui alicui aggregaverant aut homini hominibusque subjecerant, hi aut expresse promiserant aut ex negotii natura tacite promisisse debebant intel

Kulturvölker ihre Entwickelung und Fortsetzung, in mannigfacher Abweichung und Eigenthümlichkeit, gefunden. So bekannten sich zu ihr unter den Engländern Hobbes, Locke und Algernon Sidney, unter den Holländern Spinoza, unter den Deutschen ganz besonders Samuel von Pufendorf, in Frankreich J. J. Rousseau, welcher durch seine zündende Schrift » du contrat social diese Theorie zu einer unberechenbaren Macht im Leben erhob. Während sie bei Hobbes der absoluten Monarchie gedient hatte, wurde sie durch Rousseau zum leitenden Programm der französischen Revolution. Ihre allgemeine Verbreitung fand in Deutschland die Vertragstheorie durch Kant, welchem während eines Menschenalters fast alle Juristen, wie Feuerbach, Hugo, Gros, Rotteck, Scheideman – tel, Klüber, Jordan u. s. w. auf diesem Pfade folgten, wäh– rend sich Philosophen von Fach, wie Fries, Schleiermacher, Hegel, schon früh gegen dieselbe mit Entschiedenheit erklärten.

Wegen ihrer grossen wissenschaftlichen und praktischen Bedeutung bedarf diese Theorie einer nähern Beleuchtung.

Alle Vertragstheoretiker gehen von dem oben (§. 34.) geschilderten Naturzustande aus; sie gebrauchen diesen nämlich, um aus ihm die Menschen auf künstliche Weise durch Vertragsform in den Staat übergehen zu lassen.

Darin gehen aber die Meinungen auseinander, ob Ein solcher Urvertrag zur Begründung des Staates genüge, oder ob mehrere derartige Urverträge angenommen werden müssen.

Als Vertreter der ersten Ansicht können besonders die beiden grossen Antipoden Hobbes und Rousseau betrachtet werden.

Hobbes lässt den Staat durch einen Unterwerfungsvertrag entstehen, d. h. durch einen Vertrag, durch welchen sich eine Anzahl Menschen einem und demselben Herrn (sei es einem einzelnen Individuum oder einer gewissen Genossenschaft oder dem Willen der Mehrheit) ergeben 2. Dieser Vertrag wird aber

ligi, secuturos se id, quod aut coetus pars major aut hi, quibus delata potestas est, constituissent.»

2) Bei Hobbes entstehen alle Rechte durch Vertrag: ubi non processit pactum, ibi jus nullum est translatum, sed omnia omnium sunt. Durch Vertrag entsteht auch der Staat: »Communem potentiam constituendi unica via haec est, ut potentiam et vim suam omnem in hominem unum unusquisque transferat, unde voluntates omnium ad unicam reducuntur.«

Der König erhält allerdings seine Gewalt vom Volke, aber sobald der

nicht zwischen dem Herrscher und den Unterthanen geschlossen, ein vertragsmässiges Verhältniss zwischen Monarchen und Volk wird verworfen; vielmehr schliesst jeder Einzelne den Vertrag mit allen andern Einzelnen und zwar des Inhalts: »ich übertrage Macht und Recht, mich zu regieren, auf einen dritten, unter der Bedingung, dass alle Macht und Recht, sie zu regieren, auf denselben übertragen 3.

3

Rousseau stellt den Staatsvertrag als einen Vereinigungsvertrag für die Gleichheit des Rechts dar, d. h. als einen Vertrag, durch welchen ein jeder sein gesammtes Eigenthum, seine angeborenen und erworbenen Rechte an die übrigen Mitglieder des Vereins aufgiebt, mithin zugleich das Eigenthum an den Gütern und Rechten der übrigen Vereinsmitglieder erwirbt, das Eigenthum aller aber oder das Gemeingut dem Willen der Mehrheit unter der Bedingung unterworfen wird, dass das, was dieser Wille gebiete, als der Wille jedes einzelnen Mitgliedes des Vereines betrachtet werden könne *.

Nach Hobbes bedarf es zum Dasein eines Staates nur eines Herrschers, nach Rousseau einer Herrschaft, die gerecht ist. Nach der Ansicht von Hobbes ist jede Verfassung mit den Grundsätzen des Rechts vereinbar, nach Rousseau ist die Volksherrschaft die allein rechtmässige Staatsverfassung, nur die Gewalt ist im Staate rechtmässig, welche vom Volke oder im Auftrage des Volkes ausgeübt wird 5.

Andere Schriftsteller begnügen sich nicht mit Einem solchen Vertrage, sondern zerlegen denselben in mehrere Verträge; einige

König bestellt ist, hört das Volk auf, Person zu sein: »Potestas et jus imperandi in eo consistit, quod unusquisque civium omnem suam vim et potentiam in illum unum hominem transtulit«. So kommt Hobbes mit seiner Vertragstheorie auf den schrankenlosesten Absolutismus: »Monarchia absolutissima civitatis optimus omnium status«.

3) »Est autem in personam unam vera omnium unio, quod fit per pactum uniuscujusque cum unoquoque, tamquam si unicuique unusquisque diceret: Ego huic homini vel huic coetui auctoritatem et jus meum regendi me ipsum concedo, ea condicione, ut tu quoque tuam auctoritatem et jus tuum tui regendi in eundem transferas.<<

4) Die Grundformel des Vereinigungsvertrages bei Rousseau lautet: »Chacun de nous met en commun sa personne et toute sa puissance sous la suprême direction de la volonté générale et nous recevons encore chaque membre comme partie indivisible du tout.«

5) K. S. Zacharia, I. S. 72.

« ZurückWeiter »