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lich am marasmus senilis zu Grunde gehen, wie das weiland »heilige römische Reich deutscher Nation « *.

In jeder Form und Auffassung bleibt diese Theorie eine Einseitigkeit, weil die Herstellung eines geordneten Rechtszustandes zwar die erste und unabweisliche, keineswegs aber die einzige Bedingung eines vernünftigen socialen Gesammtlebens ist. Indem noch in vielen andern Dingen, als in den Rechtsverletzungen, Hindernisse der vernünftigen menschlichen Entwickelung liegen, welche nur durch vereinte Kräfte besiegt werden können, wie in Angriffen von aussen, in feindlichen Naturgewalten, in Unerfahrenheit und Rohheit der Bevölkerung, so muss der Staat, da er auf einer Forderung der Vernunft beruht, auch alles Uebrige, was einer vernünftigen Entwickelung entgegensteht, beseitigen und alle Bedingungen einer vernunftgemässen und humanen Coëxistenz fördern und pflegen. Nie hat ein lebenskräftiger Staat in der Wirklichkeit sich auf die einseitige Verfolgung der Rechtssicherheit beschränkt. Ja, je mehr ein Volk in der Civilisation fortschreitet, um so entschiedener fordert es von der Staatsgewalt eine immer allseitigere und umsichtigere Förderung aller Interessen des Gemeinlebens.

§. 38.

II. Die Wohlfahrtstheorie.

Diese Theorie setzt den Staatszweck in die allgemeine Wohlfahrt: »Salus publica suprema lex esto 1!« Diese anschei

4) In seinem letzten Stadium war das deutsche Reich fast nur auf einen gewissen, freilich sehr unvollständigen Rechtsschutz beschränkt, alle andern Aufgaben in Bezug auf geistiges und materielles Wohl des deutschen Volkes überliess es den Territorialgewalten, daher der geringe Zusammenhang desselben mit dem Volksleben, daher sein vom deutschen Volke fast unbemerkter und unbetrauerter Untergang.

1) Die Formeln der Bezeichnung sind auch hier sehr verschieden: »utilitatis communis caussa« (Grotius), »zur Glückseligkeit der Menschen«< (Achenwall, Sturm, Hofbauer), »zum allgemeinen Wohl« (Schlözer), »zur Vervollkommnung des Nationalwohlstandes«, »zur Annehmlichkeit des Lebens<«<, >>zur Förderung des Ackerbaues«, »zur Förderung der Bevölkerung« u. s. w. Maurenbrecher a. a. O. §. 25. Bei Einzelnen werden Ausdrücke gebraucht, die es zweifelhaft machen, ob man nicht einen Schriftsteller mehr der dritten Theorie zurechnen soll, z. B. »zur Förderung der Humanität«. Uebrigens sind die Theorien der Wohlfahrt und des Sittengesetzes keineswegs scharf getrennt; so setzt schon Aristoteles den Staatszweck in die Glückseligkeit (Tov ev v Evɛxa), bezüglich die Tugend der Einzelnen.

nend höchst menschenfreundliche und wohlwollende Ansicht hält indessen eine strengere Prüfung nicht aus. Vor allem ist sie völlig unbestimmt und unklar. Das öffentliche Wohl ist ein vager Begriff, eine leere Formel, denn erst wenn man sagt, worin es bestehe und was es erfordere, werden uns die Staatszwecke selbst genannt. Es ist nichts anders, als das Gedeihen des gesellschaftlichen Zweckes, also keine Bestimmung des Zweckes selbst. Versteht man aber unter öffentlichem Wohle die Glückseligkeit oder das Wohl sämmtlicher Staatsgenossen, so ist die Bestimmung eben so unhaltbar. Wohlfahrt oder Glückseligkeit eines Einzelnen ist der Zustand vollkommener Befriedigung aller seiner Bedürfnisse, Neigungen und Wünsche. Wird nun diese Wohlfahrt der einzelnen Staatsgenossen zum Staatszwecke gesetzt, so heisst dies, dass der Staat dazu da sein soll, die gesammten Wünsche seiner Glieder zu erfüllen. Da aber die Glückseligkeit auf der individuellen Subjektivität eines jeden beruht, nach ihr sich ins Unendliche modificirt, und es dafür schlechterdings keinen allgemeinen äussern Erkenntnissgrund giebt, so ist eine feste durchgängige Bestimmung dessen, was die Wohlfahrt der einzelnen Bürger ausmache, durchaus unmöglich. Am allerwenigsten lässt sich annehmen, dass eine Menge freier menschlicher Wesen dazu zusammenstimmen könne, sich zwingen zu lassen, auf die Art wie ein anderer, etwa der Regent, gerade die Glückseligkeit sich vorstellt, glücklich zu sein. Ein Staat, welcher seine Bürger selbst durch Zwang glücklich machen will, opfert das individuelle Wohl derselben einem Phantom, welches Gemeinwohl heisst, im besten Falle aber nur das Wohl der Majorität, oft nur das einer mächtigen Minderheit oder eines einzelnen Machthabers ist 2.

2) Kant sagt sehr richtig: »Man sieht offenbar, was das Princip der Glückseligkeit im Staatsrechte für Böses anrichtet, auch bei der besten Meinung, die der Lehrer dabei beabsichtigt. Der Souverän will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen und wird Despot, das Volk will sich den allgemeinen Anspruch auf eigene Glückseligkeit nicht nehmen lassen und wird Rebell. Ebenso urtheilt K. S. Zachariä (Erziehung des Menschengeschlechtes durch den Staat, S. 159): »Das System, nach welchem Glückseligkeit oder die Erreichung aller menschlichen Zwecke zum unmittelbaren Endzwecke des Staates erhoben wird, ist, so sehr es auch allen Wünschen der Menschen zu entsprechen scheint, dennoch der eigentliche Feind aller Glückseligkeit (welche aufhört, sobald sich ein anderer das Richteramt darüber anmasst) und die Quelle, woraus der Despotismus von jeher Beschönigungsgründe schöpfte.<<

Wenn diese Theorie also dem Staate eine unmögliche Aufgabe stellt, weil er weder im Stande ist, das Wohl seiner sämmtlichen Theilhaber zu erkennen, noch es zu verwirklichen, so ist sie auch deshalb verwerflich, weil die Glückseligkeit, die blos den Zweck des sinnlichen Theiles der menschlichen Natur ausmacht, weder der höchste Zweck des Menschen, noch des Staates sein kann.

Die schlimmste Seite dieser Theorie liegt aber in ihrer praktischen Gefährlichkeit, indem sie nicht den geringsten Schutz gewährt gegen Vernichtung der individuellen Freiheit und jeder Zwingherrschaft Thür und Thor öffnet, unter dem Vorwande, und selbst vielleicht bei der Absicht, das allgemeine Glück herzustellen. Diese Theorie war daher recht eigentlich im vorigen Jahrhunderte die officielle Theorie des aufgeklärten Despotismus, welcher den Unterthanen Kaffeetrinken verbot und Kartoffelbau befahl, wie der französischen Revolution, deren >>Wohlfahrts ausschuss « schliesslich das Gemeinwohl darin sah, möglichst viel Köpfe herunterzuschlagen 3.

§. 39.

III. Die Theorie des Sittengesetzes.

Die Theorie des Sittengesetzes geht von dem Gedanken aus, dass die höchste Aufgabe des Menschen Vervollkommnung seiner Persönlichkeit, besonders in sittlicher und religiöser Beziehung ist (»Ihr sollt vollkommen werden, gleichwie Euer Vater im Himmel vollkommen ist«). Da nun der Staat die höchste und allgemeinste Vereinigung der Menschen sei, so könne er vernünftiger Weise keinen andern Zweck haben, als den der Menschheit selbst, d. h. die Verwirklichung des Sittengesetzes.

Diese Auffassungsweise vom Staatszwecke hat scheinbar etwas Erhabenes, aber sie verkennt das Wesen des Staates; sie absorbirt das ganze menschliche Leben und Streben im Staate und lässt we

3) In den Constitutionsurkunden aus dieser Zeit wird diese Theorie geradezu officiell sanktionirt; so wird in der französischen Constitution vom 24. Juni 1793 die allgemeine Wohlfahrt für den Zweck des Staates erklärt. Mit Recht fragt Schmalz (natürliches Staatsrecht, 1794, S. 38): »Ist das etwa zum Wohle des Staates, dass der Generalpächter auspfändet, oder dass der Jakobiner guillotinirt, konfiscirt, plündert, den Gottesdienst verbietet ?«< Man erinnere sich auch an den furchtbaren Wahlspruch Marat's: »ut redeat miseris, abeat fortuna superbis!«

der der Kirche, noch der freien individuellen Entwickelung neben dem Staate den gebührenden Spielraum.

Die grösste Gefahr dieser Theorie liegt aber in ihrer Unsicher– heit und Unbestimmtheit. Je nach der Verschiedenheit des philosophischen oder religiösen Standpunktes wird das sogenannte Sittengesetz verschieden aufgefasst und der Einzelne wird dann unter diese allgemeine Auffassung gezwungen.

Da die sittliche Vervollkommnung nur Zweck und innere Aufgabe des Individuums, nur Sache der Gesinnung sein kann, so stellt diese Theorie dem Staate eine unmögliche Aufgabe. (»Das innerste individuelle Leben des Menschen aufzufordern, ist ewig nur Sache Gottes, nicht menschlicher Herrschaft«. Stahl.)

Der Staat ist allerdings ein sittliches Gemeinwesen, indem er in letzter Instanz den höchsten sittlichen Ideen dienen soll. Kein Staat kann bestehen, welcher nicht von sittlichen Ideen getragen wird. Aber er realisirt diese sitt– lichen Ideen nur in negativem, beschränktem Umfange. Die volle positive Realisirung der sittlichen Ideen ist Sache der Freiheit des Einzelnen und eines sittlichen Gemeingeistes.

Die Ansicht, welche die volle Verwirklichung des Sittengesetzes zur positiven Aufgabe des Staates macht, betrachtet denselben als eine sittliche Erziehungs- und Bevormundungsanstalt, wo der Mensch nicht nur mit seinen äussern Handlungen, sondern auch mit seinem innern Leben unter die Staatscontrolle gestellt wird, eine Vernichtung der individuellen Freiheit, welche in die Einseitigkeit der antiken Theokratien zurückfällt und der germanischen und christlichen Auffassungsweise des Staates schnurstracks widerspricht.

Der Staat kann keinen Zweck haben, welcher mit der sittlichen Freiheit des Menschen im Widerspruche steht. Der Bürger soll dem Staate jedes Opfer bringen, nur nicht seine höhere Bestimmung, welche von seiner individuellen Freiheit untrennbar ist *.

Anmerkung.

Diese Theorie lag allen Theokratien des Orients zu Grunde, welche den Menschen in seinem ganzen innern Wesen bestimmen,

4) Dahlmann, Politik, §. 10: »Der seiner höhern Bestimmung getreue Mensch bringt dem Staate jedes Opfer der Person und des Eigenthums, nur nicht das Opfer seiner höhern Bestimmung selbst.«

ihn religiös und moralisch beherrschen wollten. Eine Trennung von Recht, Staat, Sittlichkeit und Religion war hier noch nicht vollzogen, wie dies bis auf den heutigen Tag bei den Staaten des Islam noch nicht geschehen ist und jede freiheitliche und verfassungsmässige Entwickelung bei diesen Völkern bis jetzt unmöglich gemacht hat. Was die Staaten des Orients in theokratisch-hierarchischer Weise anstrebten, steckten sich die antiken Republiken, besonders Griechenlands, in weltlich-politischer Richtung zum Ziele. Je mehr man in den Geist des altgriechischen Staatswesens eindringt, um so mehr wird man finden, dass das Streben der Staatsgesetzgeber dort in einem vorzüglichen Grade darauf gerichtet war, aus dem Staate eine wirkliche Erziehungsanstalt zu machen, freilich in anderer Weise im heitern, kunstfrohen Athen, als im lykurgischen Sparta. Der Politik des Plato und Aristoteles liegt dieselbe Anschauung zu Grunde. Nach dieser Theorie ging der Mensch im Bürger unter, der Staat war das sittliche Universum. Gerade das Christenthum, indem es die persönliche Würde des Menschen emporhob und den Menschen höher stellte als den Bürger, hat vor allem dazu beigetragen, den Ansichten der Neuern über die Zwecke des Staates eine, von denen der Alten durchaus abweichende Richtung zu geben. Diese erhabene Ansicht vom Menschen, welche den Alten fremd war, macht die innere sittliche Welt zu einem Heiligthume, welches nur durch freie Selbstentschliessung und den Willen Gottes, nicht durch eine äussere Gewalt bestimmt werden soll. Mit diesen christlichen Ideen stimmte die ursprüngliche Nationalauffassung der germanischen Völker überein, welche von jeher die Freiheit des Individuums, der einzelnen Kreise und Korporationen, dem Staate gegenüber, aufs bestimmteste betont hatte. Will man einmal von einer christlich-germanischen Staatslehre reden, so ist gewiss ihr erstes Postulat, dass die Grenzen der Staatswirksamkeit scharf bezeichnet und eingehalten werden, dass der Staat die Freiheit der sittlichen und religiösen Entwickelung anerkenne und weder der Sphäre des Individuums, noch der Kirche, zu nahe trete, mit einem Worte, dass das Moment der Aeusserlichkeit in der Staatsthätigkeit festgehalten werde. Unter den Neuern ist Hegel am meisten wieder zur antiken Auffassung zurückgekehrt, indem er die Verwirklichung der sittlichen Idee zum Staatszwecke macht und vom Staate sagt: »er ist der sittliche Geist, als der offenbare, sich selbst deutliche substantielle Wille«<. Obgleich bei Hegel Moral und Sittlichkeit bekanntlich nicht identisch ist und die Sittlichkeit einen objektivern Charakter hat, so wird doch auch von ihm dem Staate eine zu weit gehende unmögliche Aufgabe gesteckt, nämlich das Sittengesetz in seinem ganzen Umfange durch seine immerhin blos äusserlichen Mittel herzustellen. Trotz der grossartigen Eigenthümlichkeit der Hegel'schen Entwickelung bleibt auch hier der Krebsschaden dieser Theorie, die unnatürliche Allmacht des Staates und die Zerdrückung der freien, individuellen

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