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den Bearbeitern des deutschen Staatsrechts einen hervorragenden Platz ein. Seine zahlreichen Abhandlungen aus dem Gebiete des Staatsrechts zeichnen sich sämmtlich durch fesselnde Darstellung und Schärfe des Urtheils aus. Seine Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, soweit sie das positive deutsche Staatsrecht betrifft, steht der Pütter'schen Literaturgeschichte völlig gleich an Vollständigkeit und Gelehrsamkeit, übertrifft sie aber durch geistvolle Auffassung und Feststellung höherer allgemeiner Gesichtspunkte.

Aber Mohl's Verdienste um das deutsche Staatsrecht sind noch

in anderer Beziehung hier hervorzuheben.

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Schon zur Zeit des deutschen Reiches war das Partikularstaatsrecht der einzelnen deutschen Staaten vielfach kultivirt worden. Auch seit Gründung des deutschen Bundes hatten manche Schriftsteller das specielle Staatsrecht ihres Landes dargestellt, so lieferten bereits Schmelzing 30, Dresch 31 und Cucumus. Lehrbücher des bayerischen Staatsrechts; so schrieb Christian Wilhelm Schweitzer ein sachsen - weimarisches 33, Christian Ernst Weisse ein königl. sächsisches Staatsrecht 34. Aber alle diese Arbeiten liess Mohl's würtembergisches Staatsrecht weit hinter sich 35. Dieses Buch wirkte geradezu epochemachend auf dem Gebiete des deutschen Partikularstaatsrechts. Noch nie war das Staatsrecht eines deutschen Einzelstaates so eingehend gründlich und doch so geistvoll dargestellt worden. Eine solche Musterarbeit musste zur Nachahmung anregen, besonders in den Ländern, wo das constitutionelle Leben tiefere Wurzeln zu schlagen begann. Aus der nicht geringen Zahl neuerer partikularstaatsrechtlicher Werke heben wir hier nur zwei als besonders gelungen hervor, nämwegen eines Schreibens an seine Wähler mit der würtemb. Regierung in Conflikt und wurde nach Ulm als Regierungsrath versetzt, verliess den würtembergischen Staatsdienst und folgte 1847 einem Rufe nach Heidelberg als Professor der Rechte, 1818 Abgeordneter zur deutschen Nationalversammlung, dann Reichsjustizminister, 1849-61 wieder Professor zu Heidelberg, seit 1861 grossherzoglich badischer Bundestagsgesandter zu Frankfurt.

30) Staatsrecht des Königreichs Bayern, B. I. und II. Leipzig 1820. 31) Grundzüge des bayerischen Staatsrechts. Ulm 1923.

32) Lehrbuch des Staatsrechts der constitutionellen Monarchie Bayerns. Würzburg 1825.

33) Oeffentliches Recht des Grossherzogthums Sachsen-Weimar. Weimar 1825. I. Theil (weiter nichts erschienen).

34) Lehrbuch des königlich sächsischen Staatsrechts. Leipzig. Erster Band 1824, zweiter Band 1827.

35) Das Staatsrecht des Königreichs Würtemberg, 2 Bände. Tübingen 1829 und 1831. 2. Aufl. 1840.

lich Joseph Pözl's kurzes, präcises Lehrbuch des bayerischen Verfassungsrechts (2. Aufl. 1854) und Ludwig von Rönne's preussisches Staatsrecht 36. Rönne's Werk zeichnet sich durch staunenswerthen Reichthum des Materials, einzig dastehende Kenntniss der Kammerverhandlungen, juristische Behandlungsweise und freimüthiges Urtheil vortheilhaft aus. Es liegt hier eine Arbeit vor, welche ein tiefes Bedürfniss des constitutionellen Staatslebens in Preussen befriedigt und dem preussischen Juristen, Beamten und Staatsbürger die gründlichste Belehrung bietet 37.

So ist in einem Menschenalter wieder eine durchgebildete Wissenschaft des deutschen Staatsrechts entstanden; sie ist nicht so bändereich wie die Publicistik des deutschen Reiches, sie leidet nicht an jener ungesunden Hypertrophie der damaligen Literatur, welche nur ein Krankheitssymptom der zurückgehaltenen praktischen Theilnahme des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten war. Die neuere Staatsrechtswissenschaft, wie sie sich in den Werken unserer besten Schriftsteller darstellt, ist der Reichspublicistik völlig ebenbürtig, ja übertrifft dieselbe unzweifelhaft an Formvollendung, rechtshistorischer und philosophischer Begründung, allgemeiner staatswissenschaftlicher Ausbildung und vor allem an höherem staatsmännischem Geiste.

Auch für zukünftige Leistungen wird es nicht an rüstigen Arbeitskräften fehlen. Fleiss und Ausdauer sind ein altes Erbtheil deutscher Gelehrten. Dazu ist in neuerer Zeit auch feinerer Geschmack, weiterer Horizont und höherer Geist getreten. Würde es daher nur auf diese wissenschaftlichen Eigenschaften des deutschen Gelehrtenstandes ankommen, so wäre der Wissenschaft des deutschen Staatsrechts gewiss das günstigste Prognostikon zu stellen. Allein die höhere Kultur einer so eminent praktischen Wissenschaft setzt noch andere, viel wichtigere Bedingungen voraus, deren Erfüllung nicht in der Macht der Gelehrtenwelt steht.

Zu jeder Zeit wird allerdings eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Staatsrechte nothwendig und es hat selbst in den

36) Das Staatsrecht der preussischen Monarchie. I. Bd. Leipzig 1857, II. Bd. 1863; von dem I. Bd. ist bereits die 2. Aufl. erschienen 1864.

37) Rönne's Werk ist das erste, welches Preussen als constitutionellen Staat behandelt. Von frühern Werken ist besonders nennenswerth: C. J. Bergius, Preussen in staatsrechtlicher Beziehung. Münster 1838, 2. Aufl. 1843. Eine übersichtliche Darstellung giebt H. B. Jacobson, der preussische Staat. Leipz. 1854 (Separatabdruck aus Weiske's Rechtslexicon).

trübsten Zeiten Deutschlands nie an Männern gefehlt, die sich der Aufgabe unterzogen, den eben bestehenden staatsrechtlichen Zustand auch wissenschaftlich zu behandeln. Dazu treibt schon der akademische Lehrzweck und noch mehr das praktische Bedürfniss des Staats- und Geschäftsmannes. Aber eine allgemeine Theilnahme an staatsrechtlichen Studien, eine wirkliche höhere, nationale Kultur derselben setzt auch allseitig befriedigende, fest begründete, Dauer versprechende staatliche Zustände voraus. Ruhige, organische, verfassungsmässige Fortentwickelung ist die Lebensluft unserer Wissenschaft, der Staatsstreich von oben und die Revolution von unten setzen immer von neuem ihren ganzen Bestand in Gefahr. Wir leben in einem Uebergangszustande der staatlichen Dinge. Auf eine lange politische Lethargie folgen unruhige vulkanische Evolutionen, deren Tragweite niemand beurtheilen kann. Erst wenn aus diesen unruhigen Bestrebungen, aus diesem chaotischen Drängen und Treiben sich staatliche Zustände fest begründet haben, welche die berechtigten nationalen Bedürfnisse unserer Nation befriedigen, wird auch die Staatsrechtswissenschaft ihre schönsten Blüthen treiben und eine Zierde in dem Ehrenkranze der deutschen Nation werden.

Sechstes Kapitel.

Aufgabe, Methode und System des deutschen Staatsrechts.

§. 22.

I. Aufgabe unserer Wissenschaft.

A. Vorbereitender Theil.

I. Obgleich die Hauptaufgabe unserer Wissenschaft in der Darstellung des positiven deutschen Staatsrechts der Gegenwart besteht, so führt uns ein wissenschaftliches Bedürfniss doch auf die höhern, allgemeinern Principien hin, auf welchen der Staat und seine Einrichtungen beruhen. Richtige Grundansichten vom Wesen des Staates und der Staatsgewalt können wir nicht allein aus dem positiven Rechte eines einzelnen Volkes schöpfen. Wir bedürfen zu deren Feststellung einer philosophischen Begründung, welche den Zusammenhang aller Staatsordnung mit den höchsten Aufgaben und Zwecken des menschlichen Lebens nachweist. Das allgemeine oder philosophische Staatsrecht dient uns

freilich nicht als Rechtsquelle und darf nicht an die Stelle des positiven Rechts gesetzt werden, aber es giebt uns allein die Möglichkeit, die Grundbegriffe richtig zu fixiren, die leitenden Ideen für die Bestimmungen des positiven Rechts aufzufinden, den positiven Stoff durch höhere Principien zu vergeistigen.

Das allgemeine Staatsrecht, als philosophisch-universalgeschichtliche Wissenschaft, bedarf einer eigenen selbstständigen ausführlichen Behandlung und hat auch als besondere akademische Disciplin seine hohe Bedeutung. Seine wichtigsten Resultate müssen aber auch, als unentbehrliche Vorkenntnisse mit der Wissenschaft des positiven Staatsrechts in unmittelbare Verbindung gebracht werden. Methodisch ist nur zu empfehlen, dass diese propädeutische Bedeutung auch in der äussern Anordnung scharf hervortrete. Es soll vor allem keine unklare Vermengung positiver Rechtslehre und allgemein philosophischer Erörterung stattfinden.

Die wichtigsten Begriffe und Grundsätze des allgemeinen Staatsrechts sollen daher in möglichst präciser Form für sich dargestellt und als vorbereitende Lehre dem Systeme des positiven Staatsrechts vorausgeschickt werden.

II. Zu dieser philosophisch - staatsrechtlichen Lehre tritt als ein zweites propädeutisches Element die historische Grundlegung.

Allerdings geht der Hauptzweck unserer Darstellung auf das deutsche Staatsrecht der Gegenwart. Ausgeschlossen sind daher alle blossen Rechtsantiquitäten. Alles veraltete, nicht mehr geltende Staatsrecht als solches gehört nicht in ein System des heutigen deutschen Staatsrechts.

Allein unverkennbar haben unsere heutigen staatlichen Zustände ihre tiefen geschichtlichen Wurzeln. Ein wissenschaftliches Verständniss des Gewordenen ist nur möglich, wenn wir in den Entwickelungsprocess seines Werdens eindringen. Uns interessiren hier nicht die vergangenen Staatszustände als solche, sondern nur insoweit sie lebendige Wurzeln des Staatsrechts der Gegenwart sind.

Freilich fällt hier die Hauptaufgabe der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte zu, welche die ganze Entwickelung in Recht

1) Siehe besonders Bluntschli's Allgemeines Staatsrecht. 3. Auflage. München 1863.

und Staat, von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, vor unsern Blicken entrollt. Selbst die entferntesten Urzustände werden berücksichtigt und als nothwendige Entwickelungsphasen unsers Rechtslebens nachgewiesen. Die Nachweisung dieses grossen continuirlichen Gesammtentwickelungsganges überlässt die Staatsrechtslehre zweckmässig der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, und beschränkt sich selbst, in ihrer historischen Entwickelung, auf die zunächst vorausgehenden staatlichen Zustände, aus welchen die Staatseinrichtungen der Gegenwart unmittelbar herausgewachsen sind. Hier ragt die Vergangenheit noch so sichtbar in die Gegenwart herüber, hier ist der Zusammenhang mit den heutigen staatlichen Zuständen ein so inniger, dass nur in engster Verbindung mit diesen Zuständen die staatliche Gegenwart Deutschlands begriffen werden kann.

So ergiebt sich denn für die Behandlung des deutschen Staatsrechts die Nothwendigkeit eines vorbereitenden Theiles, welcher in zwei Hauptabschnitte oder Bücher zerfällt, nämlich:

1) in eine philosophische Begründung, welche die wichtigsten allgemeinen Grundsätze vom Wesen und von der Aufgabe des Staates und der Staatsgewalt entwickelt,

2) in eine historische Begründung, welche die gegenwärtig bestehenden Staatseinrichtungen mit den unmittelbar vorausgegangenen staatlichen Zuständen in wissenschaftliche Verbindung setzt.

B. Systematischer Theil.

Nachdem in dem vorbereitenden Theile die nothwendige philosophische und historische Grundlegung stattgefunden hat, beginnt die eigentliche Hauptaufgabe unserer Wissenschaft: die systematische Darstellung des heutzutage in Deutschland geltenden positiven Staatsrechts.

Das staatliche Leben des deutschen Volkes bewegt sich aber in doppelter Sphäre, in zahlreichen Einzelstaaten und in der einheitlichen Gesammtverfassung des deutschen Bundes. Darnach zerfällt auch die positive Staatslehre Deutschlands in zwei Haupttheile :

1) in das Staatsrecht der Einzelstaaten (Landesstaatsrecht), 2) in das Recht des deutschen Bundes.

Diese beiden Theile unsers öffentlichen Rechts erheischen,

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