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EINLEITUNG.

Erstes Kapitel.

Der Begriff des Staatsrechts und seine Stellung im Systeme der Rechtswissenschaft.

§. 1.

Oeffentliches und privates Recht.

Das gesammte Recht eines Staates zerfällt in zwei Hauptgebiete, das öffentliche Recht und das Privatrecht.

Der Staat, als Einigung zu einem Gesammtzustande, als höhere Ordnung über den einzelnen Individuen, bildet diesen gegenüber eine Gesammtpersönlichkeit. Damit ist in der Rechtsordnung des Staates der Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Rechte gegeben.

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Oeffentlich nennen wir, was sich in einer Gesammtheit auf diese als Ganzes, im Gegensatze ihrer Glieder, privat, was sich auf die einzelnen Glieder und ihr Verhältniss zueinander bezieht. Im Staate hat daher das öffentliche Recht den Staat als Ganzes, als Organismus, zum Gegenstande, das Privatrecht die einzelnen Bürger und ihre wechselseitigen Beziehungen. In den Verhältnissen des Privatrechts erscheint der einzelne Mensch als ein Ganzes für sich, als Ausgangspunkt und Endzweck jeder Anordnung. Alles dreht sich hier um seine Interessen, jedes Rechtsverhältniss bezieht sich auf sein Dasein und seine besondern Zustände. Im Gebiete des öffentlichen Rechts dagegen gilt der Einzelne nur als dienendes Glied, als untergeordneter Theil einer höhern Gemeinschaft.

Schon die Römer haben diesen Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Rechte, mit besonderer Beziehung auf den römischen Staat, scharf und richtig bestimmt:

System des deutschen Staatsrechts.

1

» Hujus studii duae sunt positiones, publicum et privatum. Publicum jus est, quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem pertinet 1.«

Mit dieser Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Rechte ist ein anderer Sprachgebrauch der Römer nicht zu vermengen, wonach jus publicum diejenigen Rechtssätze umfasst, welche durch Privatverabredungen nicht abgeändert werden können:

»Jus publicum pricatorum pactis mutari non potest.«

In diesem Sinne giebt es auch im Privatrechte viele Bestimmungen, die publici juris sind, unabänderliche Privatrechtssätze 3. Daher ist dieser Sprachgebrauch zur Eintheilung des Rechtssystems unbrauchbar und besser ganz zu vermeiden. Da wir für diese Verschiedenheit der Rechtsnormen in unserer modernen Rechtssprache die viel passendere Bezeichnung: »absolutes und vermittelndes Recht« (»Prohibitiv- und Dispositivnormen«) haben, so gebrauchen wir »öffentliches Recht« nur im ersten, oben entwickelten Sinne.

§. 2.

Oeffentliches Recht im weitern und Staatsrecht im engern Sinne.

Bei jedem Staate kommt vor allem seine Organisation in Betracht, d. h. der Inbegriff derjenigen Rechtsnormen, welche die Verfassung und Regierung des Staates feststellen und das rechtliche Verhältniss der höchsten Staatsgewalt zu den Staatsunterthanen regeln. Dies ist der Inhalt seines Staatsrechts. Das Staatsrecht ist der höchste und wichtigste Theil des öffentlichen Rechts, weshalb man häufig öffentliches Recht und Staatsrecht geradezu identificirt; aber durch die Aufgabe des Staates in rechtlicher Beziehung bilden sich noch einige specielle Lehren, die wir

1) §. 4. I. de just. et jure (I. 1.). L. 1. §. 2. D. de just. et jure (I. 1.). 2) L. 38. D. de pactis (II. 14.).

3) So ist es auch gemeint, wenn die Römer sagen: weipublicae interest, dotes salvas esse« oder »testamenti factio non privati, sed publici juris est.« Deshalb sind keineswegs dos und Testament Institute des öffentlichen Rechts. J. Stahl, Philosophie des Rechts. Bd. II. §. 48 (S. 304 der III. Aufl.). H. Thöl in seiner Einleitung in das d. P.-R. sagt daher S. 120, mit Bezug auf diesen Sprachgebrauch: »Die Römer unterscheiden öffentliches und privates Privatrecht.<< 4) Savigny, System B. I. §. 16. S. 57.

wohl zum öffentlichen Rechte im weitern Sinne, nicht aber zum Staatsrechte zu rechnen pflegen.

Es ist zwar nicht die einzige, wohl aber die erste unabweisliche Aufgabe des Staates, die Rechtsordnung in seinem Bereiche zur Herrschaft zu bringen.

Nach der Unvollkommenheit der menschlichen Zustände ist aber eine absolute, ungestörte Herrschaft des Rechts ein unerreichbares Ideal; auch in dem am besten geordneten Staate, unter der besten Gesetzgebung werden Auflehnungen gegen die Rechtsordnung vorkommen, welche als Rechtsverletzungen erscheinen. Irrthum und böser Wille des Einzelnen treten in Widerspruch mit der allgemeinen Rechtsordnung des Staates. Dieser Widerspruch ist das Unrecht, welches vernichtet werden muss. Nur im Staate wird ein geordneter Kampf gegen das Unrecht möglich; denn hier erst kann dem Einzelnen die Rechtsregel als etwas Aeusseres und Objectives gegenübergestellt werden. In dem Richteramte wird ein unparteiisches Organ aufgestellt, welches die Bestimmung hat, das Unrecht aufzuheben und das Recht zu verwirklichen.

Die richterliche Thätigkeit hat eine zwiefache Richtung.

Erstlich hat der Staat die Aufgabe, dem verletzten Einzelnen zu seinem Rechte zu verhelfen, ihm Schutz zu gewähren gegen Rechtsverletzung. Die Regeln, welche diese Thätigkeit betreffen, nennen wir Civilprocess.

Zweitens hat der Staat schon um seiner selbst willen, abgesehen von dem individuellen Interesse, die Aufgabe, das verletzte Recht zu vertreten und wiederherzustellen. Hier äussert sich die Thätigkeit des Gerichtes als Zwang gegen den verbrecherischen Willen, als Strafe, wodurch der Staat dafür sorgt, dass das Unrecht auch von den entsprechenden Folgen getroffen wird. Die Regeln, unter welchen diese Thätigkeit steht, nennen wir Criminalrecht, wovon der Criminalprocess nur einen Theil bildet.

Civilprocess, Criminalrecht und Criminalprocess sind Theile des öffentlichen Rechts. Die allgemeinsten Grundsätze dieser Lehren gehören allerdings in das Staatsrecht; z. B. die Lehre von der Unabhängigkeit der Gerichte, dem Verbote der Cabinetsjustiz. Die weitere specielle Ausführung wird besondern Disciplinen überlassen.

Während die Römer »jus publicum « sowohl für das öffentliche

Recht im weitern Sinne (d. h. mit Einschluss des Criminalrechts und Processes) wie für das Staatsrecht im engern Sinne gebrauchen, ist es zweckmässig, im deutschen Sprachgebrauche, das Wort »öffentliches Recht« blos für den allgemeinern Begriff, das Wort » Staatsrecht« lediglich für den engern Begriff zu verwenden 1.

§. 3.

Das Verhältniss des Staatsrechts zum Völkerrechte.

Das Staatsrecht betrachtet den Staat in seiner Existenz an und für sich. Der Staat erscheint bei dieser Betrachtungsweise als ein selbstständiger, in sich abgeschlossener Organismus, welcher den Schwerpunkt seiner Verhältnisse in sich selbst trägt.

Aber die Menschheit erfüllt ihre staatliche Aufgabe nicht in der Form des Universalstaates, sie gliedert sich vielmehr nach Völkern und Staaten. Der Staat ist Aufgabe und Erzeugniss der geistigen Volksgemeinschaft. Die naturgemässe Gliederung der Menschheit nach Völkern begründet somit auch die Mehrheit von Staaten.

Staaten und Völker stehen völlig selbstständig, ohne jede rechtliche Unterordnung, nebeneinander; sie selbst, wie ihre einzelnen Glieder, treten indessen mit einander in Verkehr. Damit sind internationale Beziehungen mannigfacher Art gegeben. Für diese giebt es ursprünglich keine andere Norm, als Sitte und politische Convenienz. Erst allmählich und langsam entsteht unter verschiedenen Völkern eine Gemeinschaft des Rechtsbewusstseins, wie sie in Einem Volke das positive Recht erzeugt. Die Grundlage einer solchen internationalen Rechtsentwickelung ist gegeben durch Stammesverwandtschaft, gleiche Civilisationsstufe und gemeinsame religiöse Anschauung der Völker. internationale Leben ist uralt, das internationale Recht ist wesentlich ein Erzeugniss der Neuzeit. Es heisst europäisches Völkerrecht, weil es namentlich unter den Staaten christlicheuropäischer Gesittung (auch ausserhalb Europa's) besteht.

Das

Das Völkerrecht ist seinem Umfange nach die grossartigste Verwirklichung der Rechtsidee im Leben der Völker, indem es ganze Staaten und Völker zu einer rechtlichen Gemeinschaft verbindet; aber es ist zu gleicher Zeit auch eine unvollendete

1) Savigny, System B. I. §. 9. S. 27.

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