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hält er fast zierlich ein Buch*), Haar und Bart sind wohlgepflegt, sein Manteltuch fällt von der rechten Schulter über den linken Arm in einer Linie herab, deren wohllautende Anmuth von großer Bedeutung für den Eindruck der ganzen Gestalt ist.**) Beide Füße stehen sicher auf dem Grund. Wohl ein Philosoph, doch kein christ= licher, kein moderner, sondern ein antifer steht vor uns. Nichts von Weltabgeschiedenheit, keine Lebensscheu, kein Verschmähen des äußeren Menschen in dieser geschmeidigen, schlanken Gestalt; Können in allen ritterlichen Künsten wird man diesem Manne zutrauen, ein tadelloses Auftreten, wo immer er sei.

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Als vollendeter Denker ist Aristoteles charakterisirt. Inwiefern ist dies der Fall? Die gewöhnlichen Mittel, welche die bildende Kunst zu benußen pflegt, um einen Denker zu gestalten, hat Raffael nicht angewandt. Aristoteles erscheint nicht in tiefer Verjunkenheit vor uns, lesend oder schreibend; auch wird bei ihm feineswegs wie 3. B. beim Pythagoras vorn auf dem Fresko die Idee eines Geistesgewaltigen durch mächtige Bildung des Hauptes geweckt. Doch wenn wir in unserem Gemälde oben. auf der Treppenhöhe zwei Männer im Gespräch erblicken, so sind wir schon durch das ganze übrige Bild darauf vorbereitet, bedeutende Männer über Bedeutendes reden zu sehen. Und Aristoteles erweckt den Eindruck des Weisen durch die maßvolle Ruhe und flare Sicherheit, mit der er Plato entgegnet. Wir müssen glauben, daß diese Sicherheit durch keine Gründe erschüttert, diese Ruhe, dieses innere Gleichgewicht auf keine Weise zerstört werden kann. Das ist keine gewöhnliche Art, uns Weisheit zur Anschauung zu bringen, aber sie ist so genial wie überzeugend. Ich sagte ferner,

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gedacht, wenn der Philosoph mit ruhiger Sicherheit Maß zu halten" fordert, was bekanntlich das Grundprinzip der aristotelischen Ethik ist, so liegt darin zugleich die Forderung beschlossen, daß man sich nicht allein dem Himmlischen widmen, sondern auch mit freudiger Kraft im Zrdischen wirken solle. Also auch auf diese Weise entsteht ein Gegensatz zur Geberde des Plato, nur eingeschränkter, kein Gegensatz von geradezu kezerischer Natur, und die genannten Worte dürften der Handbewegung zum Mindesten ebenso gut entsprechen, als die seither angenommenen.

*) Auf unserer Abbildung ist die zierliche Haltung des kleinen Fingers nicht ganz klar zu sehen; in den Umrißlinien der Gestalt wurde die Taille, wenn dieser bezeichnende Ausdruck gestattet ist, nicht deutlich.

**) Man muß unterscheiden, ob einer Gestalt anzusehen ist, daß sie selbst Werth darauf legt, wie ihr Manteltuch fällt, was zweifellos für Raffael's Aristoteles gilt oder ob allein gemäß der Absicht des Künstlers, scheinbar zufällig, das Manteltuch bald einen schönen, bald einen charakteristischen Anblick gewährt. Für diese lchteren Fälle vergleiche man z. B. Michelangelo's delphische Sybille und scinen Propheten Joel.

man sei geneigt, diesem Aristoteles Können in allen ritterlichen Künsten zuzutrauen. Sollte mir Jemand vorwerfen, daß ich mit unberechtigtem Subjektivismus in dieses Linien- und Farbendasein Eigenschaften hineindichte, die nicht darin enthalten seien, so lautet die Antwort, warum traut man etwa dem Pythagoras oder einem von Michelangelo's Propheten in der sirtinischen Kapelle kein ritterliches Können zu? Aus dem einfachen Grunde, weil ihnen jener schlanke, geschmeidige Körperbau, jene Elastizität im ganzen Auftreten fehlt, welche mit objektivem Recht bei Raffael's Aristoteles auf körperliche Gewandtheit und ihr entsprechende Ausbildung schließen lassen.

Neben Aristoteles steht Plato. Plato ist durchaus anders gebildet. Die Gestalt als Ganzes interessirt bei ihm weniger. Sein ehrwürdiges Haupt und der rechte Arm, der zum Himmel weist, fesseln vor Allem das Auge. Mit der Linken faßt er kräftig, ohne Zierlichkeit den Timäus. Er schreitet und durch den einen erhobenen Fuß bekommt die ganze Gestalt, immer verglichen mit Aristoteles, etwas Emporstrebendes. Seine Füße sind ohne Sandalen, seine Gewandung hat keinen Bortenschmuck. Gleichgültig, gleichsam wie Zufall und Bequemlichkeit es ergaben, ist sein Mantel drapirt. Der Bau des Körpers, dessen schlanke Geschmeidigkeit bei Aristoteles auffällt, wird uns hier durch das Manteltuch verhehlt. Also den Philosophen, dem das einzig Wirkliche fern vom Irdischen liegt, dem es nur schmerzliche Pflicht ist, am thätigen Leben theilzunehmen, hat Raffael mit allen Mitteln der bildenden Kunst als gleichgültig gegen jedes Aeußerliche dargestellt; Aristoteles dagegen, dem die Denkthätigkeit das edelste Gut des Menschen scheint, der aber das Wirken im Leben schäßt, steht nicht nur als Weiser vor uns, sondern ist auch mit Eigenschaften ausgestattet, die dem Manne des thätigen Lebens zum Schmucke gereichen.

Man kann das Verhältniß von Raffael's Charakteristik zu der Welt und der Lebensanschauung der beiden, großen Philosophen noch viel tiefer verfolgen, namentlich bei Aristoteles. Doch ist es nicht die Absicht der vorliegenden Abhandlung, dies des Näheren zu untersuchen, etwa festzustellen, wie sich Raffael's Aristoteles zu dem Mannesideal verhält, das sich in klaren Umrissen aus der Nikomachischen Ethik entwickeln läßt.*) Vielmehr möchte ich in

*) Die Frage, in wie weit Raffael Wissen beseffen, in wie weit Beziehungen zwischen seiner Kunst und seinem Wissen obgewaltet, bedarf noch einer eingehenden Erörterung.

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dem Folgenden auf die Verwandtschaft hinweisen, welche zwischen Raffael's idealer Männergestalt hier vor uns und einem Mannesideal der Renaissancezeit besteht, jenem, das Graf Castiglione in seinem Buche vom Hofmann" entwickelt.*)

Dieses Buch ist aus Kreisen hervorgegangen, mit denen Raffael nicht nur in späterer Zeit, sondern auch während und bevor er die Schule von Athen schuf in vielfachen Beziehungen stand. Castiglione spricht ziemlich am Ende seines Werkes die Ansicht aus, Plato und Aristoteles seien vollendete Hofmänner gewesen, und ich glaube nun, daß wir auch in Raffael's Philosophen Aristoteles zugleich eine Verkörperung des Cortegianoideals vor uns sehen.**) Freilich man darf, wie schon Springer geäußert hat,***) bei dem italienischen Worte „cortegiano" nicht etwa an das deutsche „Höfling" oder das französische „courtisan" denken. Entspricht das Wort „cortegiano" an sich einem reinen und edlen Begriff, so liegt in der Absicht Castigliones, den vollkommnen" Hofmann zu bilden (formare cou parole) klar enthalten, daß es sich um ein Ideal handelt. Wenn Einige in dem „perfetto cortegiano" nur den vollkommnen „Gesellschaftsmenschen" finden, so heißt das, scheint mir, Castiglione arg mißdeuten. Gewiß webt er in das Bild auch rein gesellschaftliche Züge hinein, doch überall tritt das Bestreben hervor, ein Mannesideal von tief ernstem Charakter, weit erhoben über das gesellschaftliche Treiben, zu formen, und wie Raffael seinen Aristoteles als einen Mann von harmonischer Vollendung schildert, so auch Castiglione den „perfetto cortegiano." Indem Castiglione die Eigenschaften seines Hofmannes bestimmt, kommt natürlich gar Manches zur Sprache, was sich der Parallele

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*) Das Buch „il Cortegiano del Conte Baldessar Castiglione" wird in dieser Abhandlung zitirt nach der Ausgabe von Baudi di Vesme, Firenze, 1854. Nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil des großen Werks ist für uns von Interesse. Im zweiten Buch (vier Bücher sind es) werden etwa von der zweiten Hälfte ab Wiße erzählt. Diese Partie wie das ganze dritte Buch, welches der Hofdame gewidmet ist, fallen für uns fort. Das vierte, obwohl es einzelne Erörterungen von außerordentlicher Bedeutung für das Hofmannsideal enthält, handelt im Ganzen doch mehr vom vollkommenen Fürsten als vom vollkommenen Cortegiano. Das erste Buch also ist das wichtigste, wozu dann Theile des zweiten und vierten heranzuzichen sind.

**) Für Raffael's Plato kommt das Cortegianoideal nicht in Betracht. Der Gegensatz zu Aristoteles war durchaus das Maßgebende für seine Gestaltung. Man sieht, auch die Renaissanceperiode kennt das Doppelwesen Plato's, das in moderner Zeit Zeller so eindringlich geschildert hat. Bildet Raffael den „göttlichen Theologen", so erblickt Castiglione, wenigstens an der hier in Betracht kommenden Stelle seines Buches, in Plato genau so wie in Aristoteles den allseitigen Griechen.

***) A. Springer, Bilder aus der neueren Kunstgeschichte, 2. Aufl. I, 335.

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