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griff des Staates ist es, daß er stets von ein und derselben Stelle ausgeht, und damit gelangen wir zum dritten Punkt.

c) Jeder Staat hat eine leitende Gewalt, deren Träger man bei unbeschränkter oder lebenslänglicher Funktionsdauer als Souverän zu bezeichnen pflegt. Sie kann als Person, als Körperschaft, ja sogar als eine Gruppe von Personen oder Körperschaften auftreten. Eine solche Gruppe ist aber ebenfalls als Korporation zu verstehen, die nur verwickelter organisirt und in der Willensäußerung mehr gehemmt ist. Zwei oder mehr Fürsten z. B. bilden eine regierende Körperschaft mit liberum veto. Jene ausschließlich beschränkenden Potenzen, deren Zustimmung nur zu bestimmten Handlungen des Leitenden erforderlich ist, haben keinen Theil an der wirklichen Leitung, sie vermögen ja nicht zu handeln, zu befehlen. Der Staatswille muß immer als Wille der leitenden Gewalt in die Erscheinung treten, wobei nicht ausgeschlossen, daß diese Gewalt in vielen Fällen durch die Fundamentalrechtsordnung zur Willensbekundung verpflichtet ist. Der Wille der leitenden Gewalt ist aber meist nur unter bestimmten Voraussetzungen Staatswille.

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d) Jeder Staat ist seiner Idee nach ewig. Seine staatsrechtliche Beseitigung man könnte vielleicht die Legislative für befugt dazu halten ist darum undenkbar, weil das Staatsrecht die Existenz des betreffenden Staates zur Voraussetzung hat, ist es doch nur sein Recht, um das es sich handelt. Wenn ein Staat verschwindet oder zerfällt, so ist dies Vorkommniß rechtlich so zu verstehen, daß seine Organe, die Träger seines Willens aus irgendwelchen mehr oder minder zwingenden Gründen ihre Thätigkeit einstellen und dadurch andern, partikularen oder fremden Gewalten Gelegenheit zu Neuschöpfungen oder Annexionen geben. Das alte Recht wird wirkungsunfähig, ein neues tritt usurpatorisch an seine Stelle. Tritt später unter günstigen Umständen das alte Recht durch seine Organe von neuem in Wirksamkeit, so bedeutet das eine Wiederherstellung. *)

*) Daß mich ein scharfer Denker wie Mar Seydel in diesem Punkte nicht ver standen hat und mir die ganz verkehrte Anschauung, ein Staat könne nur durch einen Rechtsakt seiner Organe zerstört werden, unterschiebt, bedaure ich aufrichtig. Meine Ansicht ist, daß die Zerstörung eines Staates in dem Falle als völkerrechtlich legalisirt gilt, wenn seine eignen Organe zugestimmt haben, 3. B. Schottlands bei der Begründung Großbritanniens, daß es aber eine staatsrechtliche Legalisirung überhaupt nicht giebt. Auch die Bedeutung, die ich der Kaiserproklamation zuschreibe, hat Seydel übertrieben. Ich habe wiederholt hervorgehoben, daß sie bedeutungslos sein würde, wenn die Bundestheorie im Uebrigen widerspruchslos dastände.

Dies die hauptsächlichsten Kriterien des Staates. Welche Kennzeichen muß nun eine politische Erscheinung aufweisen, um ein Bund von Staaten genannt zu werden?

a) Ein Staatenbund ist, wie sein Name aussagt, eine Verbindung von Staaten. Er kann also aus nichts Anderem zusammengesezt sein, als aus Gebilden, die alle Kriterien von Staaten aufweisen. *)

b) Jede Willensbekundung, die auf den Rechtszustand der verbündeten Staaten und ihrer Bewohner einwirken soll (Verordnung, Urtheil, Gesez), muß sich auf eine Willensbekundung der einzelnen Staaten zurückführen lassen, denn ihre Leiter sind als Souveräne die Quelle alles Rechts.

c) Die Befugnisse der Zentralgewalt müssen mit der Souveränetät vereinbar sein. Dazu gehört vornehmlich Folgendes:

1. Die Staaten dürfen nicht in ihrer Existenz von dieser Gewalt abhängig sein. Ein Wille, der befähigt wäre, in dem Staatenbe= stand des Bundes Veränderungen zu vollziehen, würde als souveräner Staatswille zu betrachten sein, neben ihm würden souveräne Gewalten feinen Plaß haben.

2. Die oberste Leitung, die Bekundung des Staatswillens muß denjenigen Personen oder Körperschaften verbleiben, denen sie nach den Fundamentalrechtsordnungen adhärirt. Prätendirt die Bundesgewalt das Recht, sie nach andrer Maßgabe zu übertragen oder ihre gesehwidrige Uebertragung durchzusehen, ob vertragsmäßig dazu befugt oder nicht, so prätendirt sie selbst die Souveränetät, den Charakter als Staatsgewalt. Dem Beauftragten kann unmöglich die Befugniß zugesprochen werden, an die Stelle des Auftraggebers eine andere Potenz zu sehen, sein Recht auf eine andere Basis zu stellen.

c) Jedem Staate steht es zwar als einer unabhängigen Macht zu, alle den Bundesorganen überlassenen staatlichen Aufgaben jeder Zeit in die eigene Hand zurückzunehmen, doch hat er sich völkerrechtlich verpflichtet, dieses Recht in begrenzter oder unbegrenzter („ewiger Bund") Zeit nicht auszuüben, also im Bunde zu verbleiben. Sind dagegen alle Staaten zur Aufhebung ihrer Beziehungen entschlossen, so hört jede Verpflichtung auf. Der Gesammtheit der Staaten muß das Recht zustehen, ihren Bund aufzulösen.

*) M. Seydel, Kominent. z. Verf.-Urk. S. 31.

Nachdem wir so die Maße festgestellt haben, an denen politische Erscheinungen zum Zwecke ihrer Rubrizirung gemessen werden müssen, wenden wir uns der eigentlichen Aufgabe zu und untersuchen, welcher von beiden Begriffen, Staat oder Bund, auf das alte, welcher auf das neue Reich anwendbar ist.

Daß das alte Reich ein Staat und kein Bund von Staaten war, ist bis jezt von keinem Sachverständigen ernstlich angezweifelt worden. Es besaß eine festgewurzelte Rechtsordnung, die zwar viele streitige Punkte enthielt, aber doch in der Hauptsache feststand. Selbst die partikularistischste Lösung war immer noch mit der staatlichen Natur des Ganzen vereinbar. Es besaß einen Willen, dessen Bekundung allerdings durch Uneinigkeit der Organe aufs Aeußerste gehemmt war, dessen Durchführung oft auf unüberwindlichen Widerstand stieß, dem aber doch theoretisch bindende Kraft für Alle und Unbeschränktheit des Bethätigungsgebietes niemals bestritten wurde. Welche rechtliche Kompetenz ihm innewohnte, hat die im jüngsten Reichsschluß von 1803 vollzogene große Umwandlung noch einmal auf's Deutlichste gezeigt. Eine leitende Gewalt war unzweifelhaft vorhanden, denn alle wirksamen Aktionen des Reichs gingen vom Kaiser aus oder geschahen in seinem Auftrag, wenn auch sein Wille, abgesehen von bestimmten Materien, nur unter schwer erfüllbaren Bedingungen Staatswille war. Er konnte als Souverän bezeichnet werden. Auch die Möglichkeit einer rechtlichen Auflösung ist niemals angenommen worden. Selbst Franz II. hat keinen solchen Rechtsakt vollzogen, sondern nur mit Niederlegung der Krone seine Meinung fundgegeben, daß ein Fortbestand unmöglich sei.*) Die Reichsorgane hatten damals aus äußeren und inneren Gründen ihre Wirkungsfähigkeit eingebüßt und stellten nun, nachdem der oberste Leiter auf sein Amt verzichtet hatte, ihre Funktionen völlig ein.

Daß die Kriterien des Staatenbundes beim alten Reich nicht anzutreffen waren, bedarf kaum eines Nachweises. Schon die zahlreichen Rechtsakte, durch die der Territorialbestand geändert und verschoben wurde, lassen die Oberhoheit der Zentralgewalt, die Abhängigkeit der einzelnen, selbst der größten Verwaltungskörper unwiderleglich erkennen. Eine Betrachtung des jüngsten Reichsabschieds von 1654 und des jüngsten Reichsschlusses von 1803 genügt für diesen Zweck vollkommen. Die staatliche Natur

*) Vgl. mein Buch I. Kap. 2.

jenes Organismus darf demnach als erwiesen gelten; nur über seine Einfügung in eine besondere Kategorie von Staaten haben sich die Gelehrten den Kopf zerbrochen.

Verwickelter gestaltet sich die Frage, wie es mit dem neuen Reiche steht, ob dies als Staat oder als Bund aufzufassen sei. Zu ihrer Beantwortung werden wir von der Entstehungsweise des Reiches, deren Betrachtung unter normalen Umständen den besten Aufschluß geben müßte, gänzlich absehen und nur allgemein anerkannte Rechtsverhältnisse zur Argumentation heranziehen. Dies Verfahren weicht von dem in meinem Buche eingeschlagenen insofern ab, als ich dort zuerst die Entstehungsweise festlegte und aus ihr den Sinn der Verfassung ableitete, dann aber nachwies, daß dieser Sinn mit dem Wortlaut des Grundgesetzes vereinbar sei, ja daß er sich durch weitere Thatsachen soweit bekräftigt finde, um keiner anderen Auffassung Raum zu bieten. Das fand vielfachen Widerspruch, da man jene Genesis ein für alle Mal abzulehnen entschlossen war, sie kaum einer Prüfung würdigte und mit ihr die ganze Theorie beseitigt glaubte. Jezt drehe ich zum Zweck besserer Verständlichkeit die Sache um und versuche zu zeigen, daß mein Schlußresultat, die staatliche Natur des Reiches, sogar bei Nichtbeachtung seiner Identität mit dem alten Reich bestehen bleibt, daß also die bisherigen Theorieen an und für sich unhaltbar sind. Auf diesem Grunde wird es dann eher möglich sein, den Horror zu besiegen, den die Verknüpfung unseres Gemeinwesens mit dem ehemaligen deutschen Staat weithin einflößt.

Das Deutsche Reich scheint insofern ein Staat zu sein, als es eine allgemein anerkannte, schriftlich firirte Fundamentalrechtsordnung besißt, die in der Verfassungsurkunde enthalten, aber nicht mit ihr identisch ist. Die Art der Willensäußerung, die Beziehungen seiner Organe sind in unzweideutiger Weise festgelegt.

Der auf Grund dieser Rechtsordnung sich bekundende Wille kann, wenn er sich nicht als abhängig von höherem Willen erweisen läßt, als Staatswille aufgefaßt werden, denn er scheint nach dem Wortlaut der Verfassung unumschränkt, zur Erfüllung aller staatlichen Aufgaben befähigt. Allerdings ist seiner Wirksamkeit von der Verfassung ein in gewisser Weise begrenztes Gebiet zugewiesen, indem die Staaten grundsäglich autonom und nur bestimmte Materien dem Reich überlassen sind, allein der Reichswille ist unter bestimmten Bedingungen im Stande, die gezogenen Grenzen selbstthätig zu erweitern. Er vermag die Verfassung und

die in ihr enthaltene Fundamentalrechtsordnung nach Belieben zu verändern und fortzubilden, besigt also alle jene Kompetenzen, die dem Staatswillen zustehen müssen. Eine solche Auslegung des maßgebenden Grundgesezes ist wohl zu bemerken — möglich, seinem Wortlaut entsprechend, aber nicht unbedingt nothwendig. Wenn das Reich im Uebrigen die Kriterien eines Staatenbundes aufwiese, so wäre auch hier eine andre Erklärung nicht ausgeschlossen. eine Erklärung, wonach der Wille der Zentralgewalt an der Bundesnatur des Ganzen seine Grenzen fände. Verfassungsänderungen wären dann, da sie ja die Verfassung eines Bundes beträfen, nur so weit zulässig, als sie dessen Natur nicht widersprächen, den Staaten aber stände es zu, im Einzelfalle zu entscheiden. Der Reichswille wäre demnach beschränkt und deshalb nicht mehr Staatswille. Das zweite Kriterium ist also vorhanden, sobald das Reich kein Bund ist, im entgegengesezten Falle ist es nicht vorhanden.

Zum Dritten geht der Wille der Zentralgewalt stets von ein und derselben Stelle aus. Der Wille des Reiches erscheint stets als Wille des Kaisers, wiewohl der Wille des Kaisers in den wichtigsten Angelegenheiten der Zustimmung einer oder zweier Potenzen, des Bundesraths und Reichstags, bedarf, um als Reichswille zu gelten. Falls sich also dieser als Staatswille erweisen. ließe, d. h. falls sich die Bundestheorie unhaltbar zeigte, so besäße das Reich auch das dritte Kriterium des Staates, der Kaiser wäre der oberste Leiter. Die Entscheidung über das vierte Kriterium, die Unauflösbarkeit des Reiches, verschieben wir, da sich dies besser bei Prüfung der Bundesnatur erledigen läßt.

Abgesehen von dem lezten Punkt ist also unser Reich ein Staat, falls seine Auffassung als Staatenverbindung ausgeschlossen bleibt. Die Art seiner Gliederung indessen, die Vorgänge bei feiner Aufrichtung, viele Ausdrücke der Verfassungsurkunde, klare Aussprüche offizieller Persönlichkeiten legen die Föderationstheorie so nahe, daß es eines strikten Gegenbeweises bedarf, um sie zu beseitigen. Gelingt er, so ist die staatliche Natur des Reiches nicht zu bezweifeln.

Erste Frage: Ist das Reich ein Aggregat von Staaten, also von Gebilden, die alle Kriterien von Staaten aufweisen? Wenn man die Unbeschränktheit ihres Willens dahingestellt sein läßt, so fann man den 22 Monarchieen und den 3 freien Städten staatlichen Charakter wohl zubilligen. Sie haben Jahrzehnte hindurch als

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