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noch erträgt und sie auch den anderen nehmen will. „Die einzig richtige Art, Autorität zu gewinnen, besteht darin, überlegene Einsicht und Güte ihre herzbezwingende Macht zur Geltung bringen zu lassen. Über die As kese sagt Pfister: „Die Askese ist eine gekünstelte Machenschaft, die das Ich aus dem sozialen Verband und dem natürlichen Pflichtenkreis herausreißt und die sittliche Kraft auf das Ich hinwendet, anstatt sie in der Erfüllung der dringenden, durch die Verhältnisse auferlegten Pflichten zu suchen."

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Dagegen begrüßt er die vertrauliche Aussprache zwischen Erzieher und Kind. Ungemein viele Erkrankungen würden vermieden, wenn die Mitteilung an liebe, nahe Menschen die Verdrängung verhinderte."

Das gilt besonders für die Erziehung zur Sexualität. Die Gesamterziehung müsse gesund sein, ein einzelnes Rezept tue es nicht. „Roh ist es, sagt er, wenn eine Schule, die für die sexuelle Erziehung nichts tat, Kinder wegen geschlechtlicher Verstöße einfach fortjagt und ihrem Schicksal überläßt. Der Sexualtrieb zeige deutlich, daß er auch bei der Gewinnung der höchsten Güter mitzuwirken habe. Wer wollte die ungeheure Rolle des Geschlechtslebens in der Geschichte der Dichtkunst, Malerei, Sitte, Religion leugnen. Aber eben die Sexualität kann und soll vergeistigt werden für die Ausbildung der sublimsten Geistesfunktionen. Diese Einsichten verdanken wir in erster Linie Freud. Der Schluß bildet eine Würdigung der Psychoanalyse in der Erziehung. Nach Pfister bedarf der Analytiker der Ehrfurcht vor der Unerschöpflichkeit der Psyche, der Folgerichtigkeit des Gelehrten und der Feinfühligkeit des Dichters.

Das Pfistersche Buch bedeutet einen Markstein in der pädagogischen Bewegung der Gegenwart und eine neue Hoffnung auf die Möglichkeiten der Erziehung, die lange Zeit vor der Vererbung zurücktreten mußten. Aus der Not der Zeit ist es entstanden für viele eine Hilfe zur rechten Zeit. Autoreferat.

Sitzung am 27. Jänner 1923.

Frau S. Spielrein, Genf: „Der Gedankengang bei einem zweieinhalbjährigen Kinde".

Der Vortrag sollte eigentlich heißen: Einige Übereinstimmungen im Denkmechanismus beim kleinen Kinde, beim Aphasischen und im Traum.“ In allen diesen Fällen handelt es sich um Formen des Denkens, die dem unterschwelligen Denken des normalen Erwachsenen entsprechen: wir wissen es ja nach Freud, daß wir im unterschwelligen Denken des Erwachsenen die kindlichen Denkmechanismen wiederfinden. Soweit uns die Sprache den Denkmechanismus verrät, ist das bewußte" Denken des Aphasischen dem kindlichen Denken in mancher Hinsicht ähnlich; die Übereinstimmung zeigt sich sowohl auf dem Gebiete der Wortsprache, als auch auf dem Gebiete der Zeichnungen, z. B. also der Bildersprache. Wort und Bildsprache verraten die gleichen Mechanismen, wie sie sonst dem kindlichen Denken eigen sind. Jackson hat als erster auf den regressiven Charakter der aphasischen Störungen hingewiesen: der Aphasiker regrediert nach ihm auf die genetisch frühere Denkart und infolgedessen auch Sprechart. Meine Beobachtungen scheinen Jackson, Monakow und anderen recht zu geben. Bei all dem kann ich die scheinbar antagonistischen Theorien nicht verwerfen, die den Verlust von sprachlich-motorischen Bildern für die Erscheinungen der motorischen Aphasie verantwortlich machen. Hier muß ich eine Erklärung vorausnehmen, die ich

in meiner bald folgenden Arbeit über Symbolbildung zu beweisen suche: unser bewußtes Denken ist wesentlich ein wortsprachliches; unser unterschwelliges Denken ist wesentlich ein kinästhetisch-visuelles. Das bewußte Denken wird ständig von einem parallel verlaufenden unterschwelligen organischen Bilddenken begleitet, wie wir es z. B. in hypnagogischen Zuständen zu sehen bekommen, aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten. Ohne dieses begleitende Organdenken wäre unser abstraktes bewußtes Denken bald leer und erschöpft. Die sprachlich-motorischen Bilder (Weber, Claparich und andere) sind unterschwellig-kinästhetische (nicht visuelle) Bilder, die unserer Wortsprache in ihrem peripheren Teile entsprechen; jeder Wortvorstellung entspricht ein sprachlich-motorisches Bild. Bei der motorischen Aphasie handelt es sich nicht um den Verlust von sprachlich-motorischen Bildern, sondern um den Verlust, richtiger um die Lockerung der Verbindung zwischen Wortvorstellung und deren sprachlich-motorischen Bild. Durch Lockerung dieser Verbindung wird die Wortsprache und damit auch das Wortdenken seiner Schärfe und Kraft beraubt; es verfällt, das heißt wird allmählich ,,entdifferenziert"; es regrediert“ und wird in vielen Hinsichten dem früheren kinästhetisch-visuellen Denken ähnlich. Das noch nicht genügend differenzierte kindliche Denken folgt noch zu Beginn des Wortsprachvermögens eine Zeitlang Gesetzen des vorwortsprachlichen kinästhetisch-visuellen Denkens. Hier begegnen sich das kleine Kind, der Träumende und der Aphasiker. Die Störung auf dem Gebiete des Wortdenkens bedeutet eine Störung auf dem Gebiete fast des gesamten bewußten Denkens. Das unterschwellige Denken ist intellektueller Leistungen, bisweilen auch Mehrleistungen fähig es folgt aber anderen Gesetzen, die uns erst seit Freuds Entdeckungen bekannt geworden sind. Autoreferat.

Sitzung am 17. Februar 1923.

A. Furrer: „Ein Fall von moralischem Defekt in psychoanalytischer

Beleuchtung".

Ausgehend von einem analysierten Fall (vierzehnjähriger Knabe), der eine Mischform von moralischer Minderwertigkeit, Neurose und Debilität darstellt, versucht der Vortragende, etwas Licht zu werfen auf das Wesen und die Genese des „moralischen Defektes" im allgemeinen.

Die Fähigkeiten zur Triebbeherrschung (und Verdrängung) und Sublimierung, das Vorhandensein von Schuldgefühl und Gewissen sind offenbar die Bedingungen der Moralität. Da wir von einem Gewissen nur insofern reden, als es eine triebabwehrende Macht darstellt, und wir uns ein Gewissen ohne Schuldgefühl nicht denken können, reduziert sich die Summe der Bedingungen auf Sublimierung und Gewissen. Was Sublimierung ist, weiß der Vortragende trotz eingehenden Studiums der einschlägigen Literatur (Freud, Pfister, Bernfeld u. a.) nicht zu sagen; aber er findet, daß Sublimierung niemals eintritt, ohne daß jene früheste Zielablenkung, bezw. „Zielhemmung“, vorausgegangen wäre, aus der die zärtliche (nicht mehr sinnliche) Liebe hervorgeht (vgl.: Freud, Massenpsychologie und Ichanalyse, S. 131). Diese primäre Zielhemmung wäre also die Grundbedingung der Sublimierung. Die Sublimierungsfähigkeit ist abhängig von der ererbten Veranlagung zur Zielhemmung, von Maß und Art der Liebeszufuhr, äußerem Zwang, ferner von der Höhe und Art der Intelligenz.

Besprechung der Genese des Gewissens und Ichideals auf Grund der Untersuchungen Freuds in Zur Einführung des Narzißmus“ und „Massenpsychologie und Ichanalyse". Entscheidend: Es ist Libido (narzißtische und Objekt-Libido), welche die triebabwehrende und imperative Kraft des Ichideals ausmacht. Je stärker libidobesetzt dieses ist, desto wirksamer muß es sein. Ichideal-Errichtung durch Identifizierung und Introjektion. Zurückziehung der Libido von den Objekten führt zur Verarmung des Ichideals, völlige Ablösung der Libido auch von den unbewußten Objekten zum Zusammenbruch desselben. Ursprung des Schuldgefühls: Das durch „biologische Konflikte" entstehende Spannungsgefühl (Rank, „Perversion und Neurose") darf wohl nicht als Schuldgefühl angesprochen werden (Schuld: ethischer Begriff !), liefert aber diesem sicher Affektzuschuß (Angst). Die Entstehung des „unbewußten Schuldgefühls" (Freud) erklärt sich der Vortragende so: Die Ichideale unserer Vorfahren haben, wie alles andere, was erlebt, vorgestellt wurde, Dauerspuren hinterlassen. Diese engraphierten Ichideale werden schon in der Keimzelle eine gewisse Libido besetzung haben oder später bei der individuellen Idealbildung von der dazu aufgewendeten Libido einen Teilbetrag auf sich ziehen. Das unbewußte Schuldgefühl des Individuums wäre dann sozusagen eine nachträgliche Gewissensäußerung seiner Vorfahren, das Schuldgefühl der Ahnen. Das „Es" (Groddek, Freud) deckt vielleicht z. T. die zu einer Einheit verschmolzenen Ichideale der Vorfahren, schließt diese zum mindesten ein. Die Furcht vor Strafe und Liebesverlust hält der Vortragende noch nicht für echtes Schuldgefühl, sie bildet aber einen Vorläufer desselben und liefert ihm auf alle Fälle hohe Affektbeiträge. Schuldbewußtsein entwickelt sich beim Kind erst auf Grund zärtlicher Objektbindungen. Das Schuldgefühl ist ein Kind der Liebe. Zusammenfassend: Ohne Fähigkeit zur (zärtlichen) Objektliebe (Übertragung) gibt es keine Sublimierung, keine Ichidealbildung, damit auch kein Gewissen und kein Schuldgefühl.

Die angeborene, totale Liebesunfähigkeit, das absolute Unvermögen zu (zärtlichen) Objektbindungen, das wäre das Wesen des „moralischen Defektes".

Sitzung am 3. März 1923.

Autoreferat.

U. Grüninger: „Verwahrlosung und Neurose".

Vorgestellt wurden drei Fälle einfacher Verwahrlosung und zwei Fälle (Suizid, Brandstiftung), in denen Triebbefriedigung auf dem Wege der Verwahrlosung nicht gelang. Beim Studium der Verwahrlosung trifft man keineswegs anderes unbewußtes Material an als in der Neurose, doch befindet sich dieses in einem anderen Zustand. Die Verwahrlosung hat zur Voraussetzung den Verzicht auf das inzestuose Liebesobjekt, bedingt aber entsprechende exzessive Befriedigung auf sozialem Gebiet. Dadurch entstehen doch wieder unzweckmäßige Bedürfnisse (Spielsucht, Genußsucht usw.). Die Mittelbeschaffung, das gemeine Delikt, stellt noch nicht die Triebbefriedigung dar (im Gegensatz zu dem seltenen zwangsneurotischen [symbolischen] Delikt, auf welches auch die Befriedigung fällt). Diese Hinaustragung der Konflikte aus dem sexuellen Gebiet in das soziale geschieht nicht in spurloser Ablösung. Denn nicht nur gelingt das erste Vergehen (bei Knaben) zunächst an der Mutter, sondern viele Verwahrloste bleiben zum Beispiel beim Diebstahl oder Betrug; ein zuverlässiges Indiz für den Gefühlswert, des Vergehens und die Art der Fixierung. Eine

solche Umgehung der Verdrängung bedingt den Übergang von der Objektlust zur Funktionslust. Die Hemmungslosigkeit ist eingetreten, weil mit dem Verzicht auf das verdrängte Liebesobjekt auch dessen Kritik, das Gewissen, verloren ging. Autoreferat.

Adressenänderungen:

1. Dr. med. Fernando Allende, Mainaustraße 30, Zürich;

2. Dr. med. Hans Behn-Eschenburg, Seestraße, Küsnacht (Zürich);

3. Dr. med. Ernst Blum, Nervenarzt, Optingenstraße 8, Bern;

4. Dr. med. Charles Odier, Nervenarzt, 24 Boulevard des Philosophes, Genève;

5. Dr. med. Raymond de Saussure, 2 Tertasse, Genève;

6. Frau Dr. med. Sabine Spielrein-Scheftel, chez Mme Claissac 22 Rue des cources, Genève;

7. Dr. med. E. Oberholzer, Zürich, Utoquai 39
8. Frau Dr. M. Oberholzer, Gincburg, Utoquai 39

Wiener Psychoanalytische Vereinigung.

1. Neuaufnahme:

Dr. Wilhelm Hoffer, Wien, VIII., Fuhrmanngasse 4.

2. Sitzungen:

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3. Jänner 1923. Kleine Referate und Mitteilungen. 1. Dr. Fokschaner: Déja racconté in Verbindung mit einer entgegengesetzten Erinnerungstäuschung. 2. Dr. Reich: Referat über Schilder, „Das Unbewußte". (Erscheint in der „Zeitschrift".)

17. Jänner 1923. Kleine Referate und Mitteilungen. 1. Dr. Bernfeld: Analyse einer pädagogischen Handlung. 2. Dr. Rank: Referat über einen Traum. 3. Dr. Nunberg: Ein induzierter Traum. 4. Dr. Reich: Behandlungsverlauf eines psychogenen Tics.

31. Jänner 1923. Vortrag Dozent Dr. Deutsch: Illustrationen zur Psychoanalyse. (Erscheint in der „Zeitschrift“.)

Aus der Diskussion:

Dr. Reich meint, daß der Begriff der Konversion strenger gefaßt werden müsse. Wenn suggestiv Angst hervorgerufen wird und das vasomotorische System in Erregung gerät, wie in den Fällen des Vortragenden, so ist das noch kein Konversionssymptom; ebenso wenig wie das Herzklopfen bei der Realangst. Unter Konversion könne man nur die Umsetzung eines seelischen Affektbetrages in somatische Innervation verstehen; der konvertierte Affektbetrag darf dann seelisch nicht mehr repräsentiert sein. Dies schließe natürlich nicht aus, daß Affektbeträge anderer Herkunft neben dem Konversionssymptom bestehen bleiben. Ferner sei die Frage wichtig, inwiefern und in welchem Ausmaß der Konversion dienende Organe (z. B. Darm bei chronischer, Jahrzehnte dauernder Obstipation, Gefäßsystem des Gesichtes bei Erythrophobie) sekundär organisch verändert werden und diese psychisch induzierte Veränderung einer Restitution durch Psychoanalyse zugänglich ist. (Autoreferat.)

14. Februar 1923. Vortrag Dr. Frieda Teller: Übertragungen in der Analyse.

28. Februar 1923. Vortrag Dr. Reik: Tabnith, König von Sidon. 4. März 1923. Kleine Mitteilungen und Referate. 1. Dr. Federn: Geschichte einer Melancholie. (Erscheint in „Zeitschrift“, IX/2.) 2. Dr. Federn:

Über eine Varietät eines Hemmungstraumes. 3. Anna Freud: Über ein hysterisches Symptom bei einem kleinen Kinde. 4. Dr. Nunberg: Über einen Traum als Neurose auslösendes Moment. 5. Dr. Hitschmann: Vorgeschichte eines in der letzten Woche vorgefallenen Selbstmordes. 6. Dr. Hitschmann: Referat über Stekel, Impulshandlungen.

14. März 1923. Vortrag Dr. Reich: Über einige Beziehungen zwischen Narzißmus und Schuldgefühl. Die narzißtische Libido, „die libidinöse Ergänzung zum Egoismus des Selbsterhaltungstriebes" (Fre u d), tendiert zur Ichbejahung, Lebensbejahung. In diesem Sinne steht ihr das Schuldgefühl konträr gegenüber; dieses tendiert zur Ichverneinung, im extremen Falle, wie bei der Melancholie, zur Ichvernichtung. Von der Spannung zwischen primitiven libidinösen Tendenzen und den Anforderungen des narzißtisch besetzten Ichideals hängt die Intensität des Schuldgefühls ab. Es ist der Ausdruck einer Beziehung des Ich zu Objekten, die auch (zumeist sadistisch) libidinos besetzt sind. (Ambivalenz und Schuldgefühl, die zwei wesentlichsten, konstantesten Charakteristika der Zwangsneurose.) Dem Schuldgefühl muß auch der Charakter des Triebhaften zugesprochen werden. In der Melancholie führt die Zurückziehung der Objektlibido, im Gegensatz zur Paranoia, nicht zur Erhöhung des Ich, sondern zur Erniedrigung, zum „Ichverlust" (Kleinheitswahn). Der Ichverlust ist aus der Identifizierung mit dem zu tötenden Objekt allein nicht zu erklären. Die Identifizierung ist eine sekundäre Richtungsänderung der narzistischen Libido, der die Einziehung der Objektlibido vorausging. Die Besetzung des vom Schuldgefühl überfluteten Ich mit der abgezogenen Libido ist unmöglich, das heißt, er kann sich nicht lieben. Der Kranke muß sich mit dem Objekt identifizieren (meist durch orale Introjektion), zu dem er die Beziehung der Schuld hat.

Von zwei Seiten her kann die narziẞtische Position Schädigungen erfahren: von der libidinösen Objektbeziehung und vom Ich her. Für die Frage der Spezifität einer Erkrankung ist es wichtig, in welchem Stadium ihrer Entwicklung die narziẞtische Libido eine Schädigung erfuhr und welcher Art diese war.

Es ist entscheidend (wahrscheinlich auch für die Wahl einer späteren Erkrankung), ob das Schuldgefühl auf einen in der Entwicklung begriffenen oder voll entwickelten Narzißmus beim Kinde stößt. Die narzißtische Entwicklung erfährt ihre Krönung erst durch glattes Erreichen der genitalen Phase und durch eine durch Liebe von Seite der Eltern und Erzieher gekennzeichnete glückliche Kindheit. Ein starker Narzißmus steht der Auswirkung des Schuldgefühls hemmend gegenüber.

Hinweis auf einige typische Ausgänge hierhergehöriger Konflikte, unter anderen auf „Verbrecher aus Schuldgefühl“ (Freud), wo ein mächtiges Schuldgefühl aus der Verdrängung symptomatisch nach Rationalisierung zu suchen scheint. (Gekürztes Autoreferat.)

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