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wie Ali Riza Pascha, und seine bereits erfolgte, wiederum auf Wunsch von Rußland geschehene Verbannung nach Tripoli (Afrika) ist doch zu weitgehend, zu verlegend. Wir können nicht umhin, uns darüber zu wundern, wie die russische Macht, die ja in Makedonien im Ernst wirkliche Reform und Ordnung sehen will, es zuläßt, sogar dringend wünscht, einen solchen hohen Beamten gerade dort zu entbehren, wo seine Amtswaltung heute am wirksamsten wäre, um den ausgebrochenen Aufstand zu dämpfen. Die Russen mußten wissen, daß Riza Pascha sehr dazu geeignet war. Er war nicht ein bloßer Haudegen und nicht nur ein energischer General, sondern einer unsrer besten Generalstabsoffiziere und auch ein sehr gebildeter, vornehmer und gerechter Mann. Er hatte seinerzeit seine Ausbildung im preußischen Garde-Elisabeth-Regiment genossen, auch am thessalischen Kriege als Oberst im Generalstabe in hervorragendster Weise teilgenommen; er sprach gut deutsch und französisch. Uns Patrioten blutet das Herz, wenn wir diesen ausgezeichneten Mann aus Rumelien verschwunden denken.

Heute sehen wir dank heimlichen Ermunterungen die verbrecherische Bewegung von neuem auflodern. Die Banden werden immer kecker und blutdürstiger. Sie überfallen friedliche Dörfer, morden Weiber und Kinder, brennen Gut und Ernte nieder; sie zerstören Telegraphen und Eisenbahn. Und die etwa 200 osmanischen Bataillone, die heute im Bereiche des III. Korps stehen, sind nicht imstande, der Räuber Herr zu werden. Auch die mohammedanische, bezw. griechische Landbevölkerung steht teilnamlos da. Ja, das erscheint fast unglaublich, und beweist, äußerlich betrachtet, vielleicht die Schwäche der Osmanen. Diese Schwäche ist jedoch glücklicherweise nicht vorhanden. Bandengesellen kommen und brandschaßen die bisher friedliche bulgarische Bevölkerung, die sich ihnen dann anschließen muß. Sie weiß, daß, falls sie auch durch osmanische Truppen festgenommen werden sollten, die osmanische Regierung sie dann wieder freisprechen und daß, wenn sie dagegen den Banden Gehorsam verweigern, dies ihnen das Leben kosten würde. Bewaffnete Rebellen beziehen irgendwo ein Lager, morden, vernichten, äschern alles Umliegende ein. Sie empfangen herbeieilende und zur Ruhe mahnende Truppen durch Feuer und Dynamitbomben, während diese dagegen in den meisten Fällen nicht zu scharf vorgehen dürfen; sie müssen die Mörder, die sich lächerlicherweise „Freiheitskämpfer“ nennen, möglichst durch Milde zur Rückkehr zu bewegen suchen. Hunderte und Tausende organisierter und uniformierter Rebellen nehmen, von den braven Truppen energisch gedrängt, in irgend einem heilig erklärten Kloster Zuflucht; sie werden dort so fest eingeschlossen, daß keine Maus lebendig wieder herauskäme. Aber da dürfen die Truppen nicht schießen; denn der Ort ist ja heilig! Nach einer Weile verlangt die Zivilisation, daß die Eingeschlossenen, unter denen sich unter solchen Bedingungen selbstredend auch viele Komiteemitglieder, vielleicht auch die Sarafows, die Damians einfinden, freiwillig abziehen oder überhaupt freigelassen werden, damit sie nicht den Hungertod sterben. Was nüßt es, sie dann teilweise zu verhaften? Sie werden ja baldigst wieder in Freiheit gesezt. Dagegen überfällt eine sehr starke Bande irgend ein abseits stehendes schwaches Truppendetachement, belagert es förmlich und merkwürdigerweise (!) mit großem Verständnis der Sache. Kommt dann keine rechtzeitige Hilfe, oder vermögen die Eingeschlossenen nicht selber durchzubrechen, so erliegen sie dort mit fatalistischer Ergebung ihrem Schicksalsgebote. Die Zivilisation gedenkt hier nicht einzugreifen. Es ist ganz gleichgiltig, ob sie sterben oder nicht; sie sind ja Mohammedaner, und ihr Leben kostet nichts.

Uns drängen sich Tränen in die Augen, wenn wir troßdem in den meisten russischen und in manchen französischen Zeitungen über die angeblichen Greueltaten osmanischer Truppen und über den Fanatismus mohammedanischer Bevölkerung sprechen hören. Das ist nicht die „Wahrheit“; das ist nur das, was uns das beherzigende Wort,,La force prime le droit" andeutet. Kischenew ward vor kurzem in ein Blutbad verwandelt, und niemand konnte dagegen ernstlich Protest erheben. Jeßt will jedermann die Hauptschuld an den makedonischen Wirren auf seite des Osmanentums sehen.

Mit Unrecht nennt man die Mohammedaner Fanatiker. Banden bringen unvergleich

liche Missetaten zustande und fordern gerade die mohammedanische Bevölkerung mit allen möglichen Mitteln zu Repressalien heraus. Diese aber schweigt und läßt sich, eingedenk der schwierigen Lage ihrer Regierung, nicht irre führen, obgleich sie fast ununterbrochen Weib und Kind, Hab und Gut verliert. Die „wilden“ Ischkiptaren gedulden sich mit spartanischer Ruhe, obwohl sie in der Umgegend von Prilepe, Monastir, Resne, Dehri, Kruschewo u. s. w. noch zahlreicher ansässig sind wie die Bulgaren. Man darf niemals glauben, daß sowohl die Türken als die Ischkiptaren etwa in Minderzahl und auch nicht so tapfer wie die Bulgaren seien, so daß sie deshalb nicht fähig wären, der lezteren Herr zu werden. Auch nur die dortige albanische Bevölkerung ohne reguläre Truppen wäre binnen kurzem mit den Banden fertig geworden, wenn daraus keine bitteren Folgen für das osmanische Reich entstünden. Es ist eben nicht die Schwäche, sondern die Achtung und der Gehorsam der Mohammedaner gegenüber ihrer Regierung, die die bulgarischen Emporkömmlinge so übermütig macht.

Makedonien, das alte Amatien, 1) darf niemals den Bulgaren gehören. Die Albaner bilden die Urbevölkerung des Landes. Auch die Griechen, Kuzowlachen und Serben sind älter als die Bulgaren. Betraten dagegen die Türken erst nach den Bulgaren den heute umstrittenen Boden, so gereicht es dem damals mit aller Wucht siegreich vordringenden osmanischen Reiche nur zur Ehre, daß es das Bulgarentum überhaupt Jahrhunderte hindurch bestehen ließ. Wir sind der Meinung, daß, wenn sich Bulgarien mit Makedonien so zusammenschmelzen sollte, wie es beispielsweise seinerzeit mit Ostrumelien geschah, so wäre dieser Augenblick das Signal zu dem schrecklichsten Völkerringen in Makedonien und sehr leicht auch zu einem europäischen Weltkriege. Bulgarische Ausdrücke, wie „wir wollen unser teures Vaterland vom türkischen Joche befreien“, sind also sehr falsch angewendet und klingen beinahe kindisch. Es kann sein, daß die Bulgaren heute an Fortschritten höher stehen als die Türken und Albaner. Das ist aber kein Grund, ihnen ohne weiteres ein Land zu schenken, das durch das Blut der Csmanen erobert worden ist. Wie wir es durch unser Blut eroberten, würden wir es nötigenfalls auch durch unser Blut verteidigen. Es ist unser Schatz, unser Heiligtum!

Und deshalb lesen wir auch nur mit Abscheu folgende Zeilen, die anläßlich des Falles Rostkowskys in den Petersburgstija Wjedomosti" standen: „Es ist an der Zeit, diese schändlichen Gewalttäter aus Europa zu vertreiben, die einst in einen fremden Erdteil einbrachen wie ein Rudel räuberischer Wölfe und fünf Jahrhunderte hindurch frecherweise Rassen unterdrückten, die in bezug auf Zivilisation und in physischer Hinsicht höher stehen als sie. Wenn ein internationales Detachement Kreta besehen konnte, was kann dann hindern, daß eine bulgarische Armee, durch ein internationales Korps der beteiligten Mächte unterstüßt, Makedonien bejezte? Die Türkei muß darauf eingehen, sonst riskiert sie einen Krieg, den legten auf europäischem Territorium...“ Ein anderes Mal schreibt dasselbe Blatt: „Allzulange sehnt sich die heilige Sophia nach dem russischen Kreuz, das das Heiligtum sowohl gegen mohammedanische Abscheulichkeit als gegen unwürdige Machenschaften feiler Griechen schüße...“ Auf derartige Auslassungen haben wir keine Antwort.

Was würden übrigens die Russen selbst dazu sagen, wenn die Georgier im Kaukasus oder die Turkomanen in Chiva so mit Mord und Brand gegen die Slawen vorgingen, wie es heute die Slawen Makedoniens tun? Sicherlich wäre die Strafe eine unerbittliche, und zwar nicht nur durch militärische Kräfte, sondern in erhöhterem Maße von seiten der russischen Bevölkerung. Wenn diese Bevölkerung in Kischenew ohne Anlaß und nur aus Haß gegen die armen Juden brutal vorgeht, was würde sie erst aus solcher Veranlassung nicht fertig bringen! Wenn wir den Fall auch in den andern Ländern bei etwaigen Empörungen

1) Siehe,,L'Albanie et les Albanais" par Wassa Effendi. Das Studium dieses sehr interessanten und wahrheitsgetreuen Büchleins, das vor etwa 25 Jahren geschrieben ward, empfehlen wir gerade augenblicklich, wo die Bulgaren allerlei Ansprüche auf Makedonien und manche falsche ethnographischen Angaben behaupten.

dächten, so können wir nicht glauben, daß sich die betreffende Landbevölkerung, zumal die Herrschende, so milde und so geduldig verhalten hätte, wie es bei den Mohammedanern heute der Fall ist. Und doch werden diese fast von allen Seiten gehaßt und von manchen russischen Zeitungen heftig angegriffen. Der „Swjet“ geht dabei am taktlosesten vor, indem er neulich folgende Zeilen veröffentlichte: „Entweder ist die Türkei Mitglied des europäischen Konzerts, und solche Ereignisse müssen dann unmöglich sein, oder die Türkei hat aufgehört als Macht zu existieren und ist ein bloßer Spielball eigner vertierter Truppen, dann gebührt ihr kein Plaz auf der Karte Europas ...“

Als Antwort auf solche wissentlich ungerechte und hochmütige Aeußerungen führen wir an, was Fürst Meschtschersky im „Graschdanin“ schreibt: „Wenn es in Makedonien keine russischen Konsuln gegeben hätte, wären die traurigen Episoden augenscheinlich nicht erfolgt. Auch bin ich überzeugt, daß der Aufstand, wenn dort keine russischen Konsuln vorhanden wären, nicht von neuem mit solcher Kraft ausgebrochen wäre. Ferner kann nicht vergessen werden, daß in diesem Augenblick Makedonien und Bulgarien von Leuten wimmeln, die offen und geheim danach streben, Rußland zu aktiver Einmischung zu veranlassen..."

Wir können den Gedanken unwillkürlich nicht los werden, daß die historische Reformfrage nicht etwa wieder ein Vorwand zur Verwirklichung großslawischer Ideen sei, die ja nur durch die Erschütterung des osmanischen Reiches möglich ist. Es ist allerdings in Makedonien wirtschaftlich noch viel zu reformieren. Aber wir sehen, daß je mehr die osmanische Regierung den Willen kundgibt, Reformen einzuführen, desto größer die ungerechten Ansprüche der makedonischen Slawen werden. Es hat eben den Anschein, als ob es nicht auf die Besserung der dortigen Verhältnisse, sondern im Gegenteil auf deren Verschlimmerung ankomme, damit das vor Jahrhunderten mit Schwert und Blut eroberte makedonische Land leichthin in slawischen Besitz übergehe.

Dazu wird es hoffentlich nicht kommen. Wird man aber versuchen, es uns mit Gewalt zu entreißen, dann werden wir, Türken und Jschkiptaren, Zeibecken und Pomaken, Tscherkessen und Lasen, Kurden und Araber, vereint wie ein einziger Körper gegen unsre Feinde ziehen, um der Welt zu beweisen, daß wir noch Lebenskraft zum Kampfe besißen, und daß wir, wenn der große Gott, der Lenker aller Völkergeschicke, es will, erst dann sterben werden, nachdem wir unsre Waffenehre bis zum äußersten bewahrt haben. Wir wissen, daß wir nur Gott zu unsrer Hilfe haben, sonst niemand in der Welt, fürchten aber unsre Feinde dennoch nicht. Sind wir doch Fatalisten, und die weltbekannten Eigenschaften unsrer tapferen Soldaten, die durch ein zurückgebliebenes, aber noch jungfräuliches und nicht demoralisiertes Volk geliefert werden, sind glücklicherweise immer dieselben. Auch die Ischkiptaren Christen und Mohammedaner zwei Millionen in der Zahl, bleiben alte getreue Angehörige des osmanischen Reiches und bilden sozusagen eine große, eiserne Festung im Westen Kumeliens, trop slawischer Versuche, sie dem Reiche zu entfremden.

Sind wirklich die Würfel gefallen und muß der Kampf losgehen, dann werden auch andre tüchtige Kräfte wie der geopferte Ali Riza Pascha auftauchen. Und jeder osmanische General wird nicht so langsam und weichherzig wie die Hairis und Demer Rüschdis sein.

Wäre es aber nicht traurig, in einem Augenblide so viel Menschenblut zu vergießen, in dem man sich ernstlich mit Friedenskonferenzen und mit Abrüstungsfragen zu beschäftigen scheint ?

Auch wir suchen möglichst den Frieden. Wenn aber unsre Existenz bedroht wird, dann find wir bereit, auf dem Felde der Ehre zu sterben mit Gott für Herrscher und Vaterland.

Max

Berichte aus allen Wissenschaften.

Sprachwissenschaft und Ethnographie.

Mar Müller und Heinrich Barth.

ax Müller, der am 28. Oktober 1900 in Oxford verstorbene berühmte Sanskritist, Philolog und Ethnolog, hatte auch mit dem Bahnbrecher der deutschen Afrikaforschung, Heinrich Barth, Verbindungen angeknüpft, als dieser im Jahre 1855 von seiner großen Entdeckungsreise zurückkehrte und in London seinen Aufenthalt nahm.

In Barths Hinterlassenschaft befindet sich der auf diesen Verkehr bezügliche Briefwechsel, doch nur der von der Hand Max Müllers; wir entnehmen ihm die drei folgenden Briefe, die uns von Barths Schwager, General von Schubert in Dresden, zur Verfügung gestellt worden sind.

Barth war auch Philolog, und so erscheint es sehr natürlich, daß sich die beiden durch Vermittlung Bunsens auf englischen Boden verpflanzten Landsleute als Berufs- und Altersgenossen zueinander hingezogen fühlten. Den nächsten Anlaß zur Anknüpfung von Verbindungen gab Barths Ernennung zum Ehrendoktor der Universität Oxford, welche Würde auch kurz vorher Müller zuteil geworden war. Es entwickelten sich aus dem Verkehr beider Männer gegenseitige Besuche in London und Oxford, und als Barth 1857 die ersten drei Teile seines großen Reisewerks erscheinen ließ, versäumte er nicht, dem Freunde ein Exemplar zuzusenden. Die linguistische Ausbeute scheint für Müller nicht sehr ergiebig gewesen zu sein, wie aus seinem Briefe vom 15. Mai 1857 hervorgeht. Barth befolgte aber Müllers Rat, zumal dieser Vorschlag ohnehin mit dem Grundplane Barths zur Herausgabe seiner Reiseergebnisse übereinstimmte, und ließ 1862 den ersten Teil seiner „Sammlung und Bearbeitung zentralafrikanischer Vokabularien“ als selbständiges Werk erscheinen. Leider verhinderte Barths früher Tod, am 25. November 1865, die Vollendung dieses Werkes. Auch ist unbekannt geblieben, wie sich Max Müller zu den Anfängen desselben gestellt hat. Liegt eine schriftliche Aeußerung des Oxforder Gelehrten hierüber nicht vor, so ist es vielleicht nicht ohne Interesse, das Urteil eines andern berühmten Sachkenners über das Barthsche Werk zu vernehmen, nämlich Ernest Renans, des bekannten Philologen und Religionsphilosophen (gestorben 1892), und zwar um so mehr, als in dessen Brief, der hier veröffentlicht wird, sich Anklänge mit Müllers Ansichten im Briefe Nr. 2 vom 21. September 1856 vorfinden und sich decken.

1. Brief Max Müllers an Heinrich Barth.

Verehrtester Herr Doktor!

55. St. John Street, Oxford. 30. Mai (1856).

Der Vize-Chancellor hat mich gebeten, Ihnen die einliegende Karte zukommen zu lassen. Es ist mir eine große Freude gewesen, daß die Universität sich die Ehre verschafft hat, Sie unter ihre Ehrenmitglieder zu wählen, und ich freue mich insbesondere darüber, da mir Ihr Besuch in Oxford die langgewünschte Gelegenheit verschaffen wird, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Ich hatte gehofft, daß ich das Vergnügen haben würde, Sie während der Kommemoration als Gast in meinem Hause zu haben, höre aber, daß ein Freund von Herrn Spottiswoode, 1) Professor Masklyne, Sie bereits zu sich eingeladen hat. Hoffentlich bleiben Sie bis Donnerstag und geben mir dann die Ehre, den Tag über mein

1) Will. Spottiswoode, gestorben 1883 als Präsident der Londoner Geographischen Gesellschaft.

Gast zu sein, da ich mehrere von meinen Freunden zu einer Wasserfahrt nach Nuncham eingeladen habe.

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Sehr gern käme ich einmal auf ein paar Tage nach London, um Sie und Pauli 1) zu besuchen, und namentlich um mit Ihnen einige Punkte der afrikanischen Ethnologie zu besprechen. Es ist schwer, über diese Sachen zu schreiben, und sind mir auch die Fakta, namentlich in bezug auf Kanorio) zu wenig bekannt. Spuren turanischer Sprachformation sind mir früher in südafrikanischen Sprachen aufgefallen, und Boyce in seiner Kaffir-Grammer Einleitung S. IX. bringt einige Tatsachen bei. Das Hottentottische, ganz verschieden von den bis zum Aequator reichenden Kaffirsprachen, erinnert an Turanisches. Meine Ueberzeugung ist, daß es nur zwei große Spracharten gibt Werdende und Gewordene. Das Turanische ist mir das Werdende, in der Form Begreifliche, rein Mechanische — mit weiten Möglichkeiten, nationalen Verschiedenheiten, aber doch durchaus noch jenseits der Linie, wo eine Sprache aufhört, durch und durch Ausdruck des Gedankens zu sein, wo namentlich die Formen aufhören, selbständig und selbstverständlich zu sein. Diesseits dieser Linie gibt es nur zwei gewordene Sprachtypen, ursprünglich natürlich auch mechanisch oder turanisch geworden, aber traditionell, konventionell, und zwar geschichtlich, Arisch und Semitisch. Die Vorstufen und Durchgänge des Semitischen liegen in Afrika wohl in der Berber- — auch in der Gallasprache das erste Sprachstratum ist aber dort, wie in Amerika, das in unendliche Mannigfaltigkeit sich entwickelnde, konglomerierende, Turanische. Dabei wären Uebereinstimmungen in den gewordenen Wurzeln (Pronomina, Zahlen u. s. w.) wohl denkbar, und natürlich für den klassifizierenden Philologen sehr wünschenswert, und ich sehe Ihren Mitteilungen darüber in Ihrem neuen Werke mit vielem Interesse entgegen. Es tut mir leid zu hören, daß das englische Klima Ihnen noch nicht vollen Ersag für die afrikanische Hize geboten hat mir hat es auch in diesem kalten Herbst etwas mitgespielt. Mit herzlichen Grüßen an Pauli

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treu der Ihrige

M. Müller.

3. Brief Max Müllers an Heinrich Barth.

Verehrter Herr Doktor

55. St. Johns Street, Oxford, 15. Mai 1857.

Die drei ersten Bände Ihres großen Reisewerks trafen bei mir ein, als ich von Oxford einige Tage abwesend war, so daß es mir gestern und heute nur eben möglich gewesen ist, einen Blick auf Ihre Arbeit zu werfen, um zu suchen, wo sich etwas für den Ethnologen und Philologen Interessantes findet. Vergebens habe ich mich nach der Sprache umgesehen, von der Sie mir früher einmal schrieben, daß sie Anklänge an das Sanskrit zeige, und es wäre in der Tat sehr zu wünschen, wenn man die ethnologischen und philosophischen Resultate Ihrer Reiseforschungen auf irgend eine Weise für sich selbst zusammengestellt haben und lesen könnte. Doch sind es freilich nur wenige, die gerade nach solchen Dingen

1) Sekretär des preußischen Gesandten Bunsen. Durch des lezteren Vermittlung waren Müller wie Barth nach England gekommen.

2) Sprachidiom von Kanem.

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