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Lieber Freund!

So gefallen Sie mir. Diesmal haben Sie über Erwarten rasch geantwortet. Jahren Sie so fort im muntern Tempo Sie werden einen ebenbürtigen Partner an mir finden. Was Sie zur Charakteristik meines Werkes sagen, stimmt so ziemlich. Nur in der „sparsamen“ Anwendung von Leitmotiven haben Sie sich etwas geirrt. Ich habe auch ohne Ihre Einwilligung einen ziemlich ausgiebigen Gebrauch von den Leitmotiven gemacht, so ausgiebig, als ich es gerade für gut befand. Das Kolorit anlangend, dürfen Sie sich etwa eine Carmen in zweiter Auflage vorstellen. Uebrigens ist die Musik der Carmen mehr zigeunerisch als spanisch. Zigeunerisches aber findet sich in meiner Partitur nichts vor. Wenn Sie es ganz genau wissen wollen, wie es mit meinem Werke bestellt ist, rate ich Ihnen, sich auf die Socken zu machen und Ihre Schritte hierher nach Maßen bei Brixlegg zu lenken. Für unentgeltliches Logis, dito Kost stehe ich Ihnen. Freund Grohe wird in der zweiten Hälfte des August ebenfalls hier sein, desgleichen die Verfasserin der Dichtung mit ihrem Gemahl. Es wäre schön von Ihnen, wenn Sie meinen Rat befolgten.

Das Textbuch wird Ihnen von Frankfurt aus durch Frl. Z. zugeschickt werden. Senden Sie dasselbe nach Durchlesung an Dr. H. P. in Graz (Steiermark); nähere Adresse nicht nötig. Für Ihre in Aussicht gestellte Vermittlung behufs einer Aufführung in Berlin bin ich Ihnen. herzlich dankbar. Offen gestanden zöge ich eine Premiere in Berlin einer solchen in Wien vor. Wenn Sie das Kunststück: mein Werk an der Berliner Opernbühne anzubringen, wirklich ausführen können, dann, bitte, greifen Sie nur gleich zu. Vielleicht schicken Sie an Herrn Pierson einstweilen das Textbuch, denn über den Klavierauszug kann ich jezt nicht verfügen, da derselbe kopiert wird.

Ueber die Wirkung der Oper seien Sie nur ganz beruhigt. Die Leute werden beim ersten Anhören sofort Kopf stehen vor Vergnügen. Ich sage Ihnen nur das eine: Mascagni, Leoncavallo und der dritte, aber schwächste im Bunde, der..., diese drei Helden des Erfolges, werden zittern und erblassen, wenn der Corregidor seinen triumphierenden Einzug auf den Theatern halten wird. Aber was rede ich da! Kommen Sie und hören Sie, und dann reden Sie selber. Ja mein Freund, die Welt soll an diesem Werke was erleben.

Sobald Sie das Textbuch gelesen haben, teilen Sie mir sofort Ihren Eindruck mit. Inzwischen die herzlichsten Grüße von Ihrem freundschaftlichst ergebenen

Mazen, 18. Juli 1895.

Hugo Wolf.

Nur mit Zögern beantwortete ich diesen Brief. Denn nach Einsicht in die Dichtung des Corregidor" konnte ich in den Enthusiasmus Wolfs nicht ganz einstimmen. Ich verkannte nicht den Humor der Charakteristik und die Komik

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mancher Situationen, vermißte aber dramatische Schlagkraft und fürchtete von vielen Längen eine Schädigung der Bühnenwirkung, Besorgnisse, die sich dann bei den wenigen Aufführungen, die das Werk bisher erlebt hat, als begründet erwiesen haben. Nichtsdestoweniger bin ich sicher, daß bei einer fein studierten Darstellung mit sehr guter Besetzung aller Rollen ein bedeutender Erfolg, besonders bei einem kunstverständigen Publikum, nicht ausbleiben wird, und halte es für eine Ehrenpflicht unsrer großen Opernbühnen, die so viel Mißgriffe mit schlechtem und undeutschem Zeug getan haben, dies außerordentlich feine und geistvolle Werk Hugo Wolfs mit aller Sorgfalt aufzuführen. Was ich damals in Berlin versuchte, scheiterte nicht nur an der Direktion, sondern auch an Faktoren, auf deren Bereitschaft Wolf zählen zu dürfen glaubte. Nachlässigkeiten und Verzögerungen, wie sie in der Berührung mit den Theatern sofort sich einstellen, erbitterten diesen Künstler noch mehr, als andre. Er schrieb mir im Herbst 1895: „Und da soll man noch höflich sein und den guten Kerl markieren? Ich bin kein Hiob, daß man solche Geduldproben an mich stellt. Lieber verzichte ich auf eine Berliner Aufführung, als solche Unverschämtheiten mir gefallen zu lassen. Verseßen Sie sich nur gefälligst in meine Lage, und Sie werden begreifen, was ein Mensch mit Blut und Nerven darunter zu leiden hat."

Trozdem hat Hugo Wolf nicht abgelassen, auf die Bühne zu hoffen. Jener Stoff des „Manuel Venegas", von dem er schon 1892 mir vorschwärmte, hat ihn 1897 noch einmal angezogen und mit unheimlicher Gewalt gepackt. Durch die ungeheure Aufregung der Arbeit an diesem Drama dessen Torso soeben erschienen ist kam eine Geisteskrankheit zum Ausbruch, von der Wolf wohl noch einmal sich erholen, aber nicht mehr völlig genesen konnte.

Aber was er uns hinterlassen hat, genügt, um sein Genie zu erkennen; daß es ganz nach der Seite des Lyrischen hin lag, ist ebenso unzweifelhaft. Welch eine Geschichte des deutschen Liedes im 19. Jahrhundert von Franz Schubert bis zu Hugo Wolf! Welches Volk hat auch nur entfernt ähnliches aufzuweisen? Niemand aber ist Schubert so nahe gekommen im Reichtum der edelsten Produktion, in der Vielseitigkeit des lyrischen Gefühlsausdrucks, in dem genialen Erfassen der Grundstimmung, wie Hugo Wolf. Steht er dem großen Landsmanne nach an Fülle populärer Melodie und Einfachheit der Erfindung, so übertrifft er ihn durch feineren Geschmack bei der Wahl seiner Texte, durch schärfere Charakteristik und natürlich durch alle jene modernen Fähigkeiten der Deflamation und Harmonie, die Richard Wagner gefunden, Hugo Wolf in seiner Weise für die Liedform ausgenußt und eigentümlich bereichert hat. Die Schäße auszugraben, die uns Wolf in seinen Gesängen hinterlassen hat, wird nun für die deutschen Sänger eine hohe künstlerische Pflicht sein, und zugleich eine dankbare Aufgabe, da ihnen selbst daraus eine reiche Förderung ihrer Kunstmittel, bei einem gewählteren Publikum Anerkennung und Erfolg erwachsen wird.

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oll das Bild eines Schauspielers entworfen werden, der der Vergangenheit angehört, von dem kein lebendiger Zeitgenosse mehr berichten kann, so darf sich der Forscher nicht damit begnügen, das vorhandene geschichtliche Material zur Grundlage seiner Studie zu machen. Er muß gleich dem Orpheus in die Unterwelt hinabsteigen und einen Schatten beschwören.

Nicht mit der Sonde des Literatur-, Kunst- und Kulturhistorikers allein darf er an seine Aufgabe Herantreten; er soll die Person, um die es sich handelt, in seiner Phantasie erstehen lassen, soll sie geistig wiedergebären, soll, ein mitund nachfühlender Künstler, den besonderen Umständen und Eigenheiten nachspüren, sich ganz mit dem Gegenstand erfüllen und auf Grund der in sich aufgenommenen Eindrücke divinatorisch die Gestalt vor uns hinstellen.

Die Schauspielkunst ist an die Person gebunden, und ihre Werke verschwinden mit ihr. Somit wird die geschichtliche Darstellung einer Epoche, noch mehr aber das Problem: von einem Schauspieler, der vor hundert Jahren gewirkt hat, ein Charakterbild zu entwerfen, nur auf dem Weg einer mathematischen Gleichung sich lösen lassen; man wird aus dem Bekannten das X, das Unbekannte, suchen. Denn troz aller Ueberlieferungen, Anekdoten und Geschichten, wird uns die Person und Wirksamkeit des nicht mehr lebenden Schauspielers ein großes X, eine unbekannte Größe bleiben und nur derjenige Beurteiler, der die Technik der Kunst durchaus beherrscht, wird im stande sein, die Aufgabe zu lösen, da nur ihm die Teile bekannt sein können, nur ihm das geistige Band durch die Finger läuft. Darum sind in der deutschen Theatergeschichte Tieck, Ed. Devrient und Laube die zuverlässigsten Gewährsmänner.

Breiten wir demnach uns bekannte, analoge Dinge aus. Zunächst aus der deutschen Theatergeschichte, die uns näher liegt und weit umfasssender und gründlicher ist als die englische. So haben wir von Ethof ein ziemlich sicheres Bild, da nicht allein Lessing, sondern andre hervorragende Zeitgenossen über ihn berichten. Schröder tritt uns in F. L. W. Meyers Biographie lebendig entgegen; die Eigenart Flecks schildert uns Tieck mit greifbarer Deutlichkeit im „Phantasus“. Auch Islands Silhouette hebt sich an derselben Stelle sinnfällig ab.

Ueberblicken wir aber die Urteile, die uns über die großen deutschen Schauspieler der Vergangenheit vorliegen, so fehlt es neben Stimmen, die bewundern, auch an solchen nicht, die tadeln. Freilich kann bei dem Schauspieler mehr als bei jedem andern Künstler nur die Summe des Urteils in Betracht kommen. Sinkt in der Mannigfaltigkeit der Berichte die Schale des Lobes tief

hinunter, so wird die Anerkennung zur allgemeinen, zur gültigen werden und nicht einmal der herrschende Zeitgeschmack in Betracht zu ziehen sein, denn die Nachwelt ist sich bewußt, weder ein Urteil abgeben zu können, noch ein solches zu revidieren. So wird für sie ein „Name" bleiben, der gleich einer Denksäule stumm dasteht.

Den Forscher aber wird der bestimmte und starr gewordene Begriff, der sich mit dem Namen verbindet, nicht zufrieden stellen. Er wird die Quellen untersuchen, die ihm zu Gebote stehen, wird die Berichterstatter auf ihre Unbefangenheit prüfen, und dabei gewahr werden, daß oft warme Freundeshand die Feder geführt hat. So ist der Biograph Schröders, F. L. W. Meyer, offenbar sein wärmster Freund und Bewunderer. Gerade über Schröder ist das Urteil ziemlich einstimmig in der Wertschätzung seiner Kunst und seiner Person, nichtsdestoweniger wird der aufmerksame Leser herausfühlen, daß Meyer selbst dort Partei nimmt, wo dem Uebermaß von Sonne ein Schatten von Menschlichkeit wohl anstehen würde. Auch in dem Urteil über die Kunstgenossen Schröders, über Ethof z. B. oder die damaligen Burgschauspieler erweist sich die blinde Ergebenheit Meyers. Schärfer tritt dieses Freundschaftsverhältnis zwischen Seydelmann und seinem Biographen Rötscher zu Tage. Rötscher war Gymnasialdirektor in Bromberg und schrieb Kritiken über die kleine Provinzialbühne, als Seydelmann ihn gelegentlich eines Gastspiels kennen lernte und ihm sein Fürwort eine Berufung an die Spenersche Zeitung eintrug, wo er fortan als Berichterstatter über die Leistungen der königlichen Bühne referierte, gemäß nicht zum Schaden seines einstigen Gönners. Noch ein Umstand muß erwogen werden, ehe an die Lösung der gestellten Aufgabe geschritten wird. Weil der Schauspieler sich bewußt ist, daß er allen Lohn von der Mitwelt erhalten muß, hascht er um so eifriger nach Anerkennung und wird oft zum bewußten Förderer seines Ruhmes. Er sucht Verbindungen und sucht zu verbinden. Er seßt seine Person ein, das geschmeidige Werkzeug seiner Kunst, um sich Gönner, allvermögende Freunde zu schaffen; weiß er doch, daß die Sympathie, die seiner Person zu teil wird, sich unwillkürlich auf seine Leistungen überträgt, die doch mehr oder minder die Eigenschaft seiner Person zur Grundlage haben.

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Noch ein wichtiger Umstand kommt in Betracht. Wie war es mit dem Kunstgeschmack und dem Bildungsniveau des damaligen englischen Publikums bestellt? Wir dürfen uns davon kaum eine besonders hohe Vorstellung machen. In Deutschland fallen die großen Namen der Schauspielkunst in die Blüteperiode der dramatischen Dichtkunst. Zu Garricks Zeiten lag die nationale dramatische Literatur arg darnieder, das Elisabethinische Zeitalter mit der Sonne Shakespeare und den Planeten, die sie umkreisen, Ben Jonjon, Fr. Beaumont, I. Fletscher, war längst untergegangen, und die puritanische Epoche unter dem kunst- und theaterfeindlichen Cromwell hatte tiefe Spuren hinterlassen. Mitten in der literarischen Verwüstung blühte zwar Miltons „Paradies“ auf, jedoch wurde, wenn auch nicht in dem Maße, wie der Dreißigjährige Krieg für Deutschland,

die puritanische Zeit für das Kunstleben Englands verhängnisvoll und warf auch in die Zukunft breite Schatten.

Nichtsdestoweniger war der Zustand des englischen Theaters Ende des siebzehnten und anfangs des achtzehnten Jahrhunderts kein ungünstiger. Die Theatergeschichte verzeichnet Namen von Klang. Wilkens, Cibber und John Booth (der Urgroßvater des in unsrer Zeit berühmten, leider früh verstorbenen Edwin Booth) hielten vor Beginn der Regierung König Georgs I. in zwanzigjähriger, höchst würdiger Verwaltung und Führung eine Art von Hoftheater aufrecht. Schauspieler, Schriftsteller und Vorsteher fanden sich in jenen Tagen in der besten Uebereinstimmung, und die feine Welt Londons, Aristokratie, Staatsmänner und Gelehrte, ließen es an edelmütiger Aufmunterung nicht fehlen. Indessen dürfen wir uns von dem herrschenden Kunstgeschmack keine übertriebene Vorstellung machen. Wurde doch z. B. zu Zeiten Garricks Molières Eingebildeter Kranker“ in ein Stück verwandelt, das „Die Schwiegermütter“ hieß.1) Wie Shakespeare aufgeführt wurde, und welche Bearbeitung seinen Stücken zu teil geworden, werden wir später sehen.

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Ehe in der Untersuchung fortgefahren wird, dürfte es wichtig sein, einen Blick auf die „Quellen“ zu werfen, die uns zu Gebote stehen. Freilich würde es den Rahmen dieser Studie überschreiten, sie insgesamt auf ihren Inhalt und ihre Zuverlässigkeit zu prüfen; es kann in der Hauptsache nur das zeitgenössische Urteil in Betracht kommen. Alles Spätere ist schon Urteil aus zweiter Hand. So wird uns in erster Linie das dreibändige Werk des Herrn Davies (so bezeichnet die Ueberseßung den Autor) beschäftigen, das „Leben von D. Garrick“, das ein Jahr nach dessen Tod 1780 in London erschien und schon 1782 ins Deutsche übertragen wurde.

Ferner desselben Verfassers: Dramatic Miscellanies, 2) die 1785 gleichfalls in drei Bänden herausgegeben worden sind. Enthält das erste Werk den Lebensgang und die äußeren Schicksale des bedeutenden Mannes, so sind in dem zweiten, sehr umständlich und schwerfällig geschriebenen Werk Urteile über seine Darstellung niedergelegt, allerdings spärlicher, als der ausdrückliche Hinweis im ersten Werk und das Titelblatt, das den Namen Garricks eigens anführt, vermuten läßt.

Was nun bei den Biographen Schröders und Seydelmanns in die Erscheinung tritt, sticht bei Davies noch stärker hervor: die hingebendste Begeisterung, fast möchte ich sagen Ruhmredigkeit, die rückhaltloseste Bewunderung der Person,

1) Die Schwiegermütter", ein Stück, das Müller nach Molières Kranten in der Einbildung" überseßt und den englischen Sitten angemessen gemacht hat.

Leben von David Garrick, von Davies, Bd. II, S. 172.

2) Vollständiger Teil: Dramatic Miscellanies: consisting of critical observations on several plays of Shakespeare: with a review of his principal Characters and those of various eminent writers as represented by Mr. Garrick and other celebrated comedians. With anecdotes of dramatic poets, actors etc., by Thomas Davies, author of memoirs of the life of David Garrick, esqu.

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