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Zenon, das von streng empirischem Geiste erfüllt ist und ein neues ungeahntes Band um Atertum und Neuzeit schlingt. Allerdings hatte schon Aristoteles erkannt, daß jede Deduktion auf ihr vorausgehenden Induktionen fußt, daß man neue Wahrheiten nur aus schon vorhandenen, durch Erfahrung gewonnenen, ableiten kann. Er ist aber über diese allgemeine Einsicht nicht hinausgekommen ; einen Kanon der induktiven Logik hat uns erst die neuere Zeit, zuerst durch Bacon und dann durch Mill, geschenkt. Jezt gewahrte man mit Staunen, daß schon der jüngere Epikureismus in gleicher Richtung tätig war, und gelegentliche Andeutungen Galens und des skeptischen Hauptschriftstellers Sextus empfingen neues Licht; es ward uns ein Einblick eröffnet in vorher unbekannte Beziehungen zwischen den jüngeren Epikureern, den Skeptikern und einigen ärztlichen Schulen des Altertums. Versäumt habe ich es, die in Aussicht genommenen ausführlichen Kommentare zu jenen Schriften zu liefern, da ich, von der Fülle des Stoffes bedrängt, die allmählich nötig werdende Spatenarbeit andern überlassen habe.

A

Die Sprache der Sinne.

Bon

Dr. B. Weinstein.

18 ich vor einiger Zeit im Herder blätterte, stieß ich in einer Abhandlung, deren Titel mir entfallen ist, auf den Ausspruch: "Die Dichtung sei die Sprache der Sinne." Diese Behauptung ist an sich sehr merkwürdig und sieht zunächst wie ein geistvoller Einfall aus. Wer aber Herder kennt und den tiefen Ernst seiner Arbeiten, weiß, daß er bloße Einfälle, sie mögen noch so geistvoll sein, nicht bekannt gegeben hat, wenn sie nicht vorher sorgsam durchdacht waren. Wie eigenartig berührt den Leser eine andre Behauptung dieses Mannes, daß die Plastik eine Kunst des Tastgefühls sei, gegenüber den bekannten Warnungstäfelchen vor plastischen Werken: „Man bittet die Gegenstände nicht zu berühren.“ Und doch ist diese Behauptung durch Herder selbst mit großer Sicherheit erwiesen, und man kann die Schrift Winckelmanns über dem Torso im Belvedere kaum lesen, ohne an diese Behauptung ständig erinnert zu werden, da Winckelmann sie unbewußt anwendet und in ihrem Sinne das bewunderte Kunstwerk schildert.

Allein was besagt eigentlich jener Ausspruch von der Dichtung als Sprache der Sinne? Da wir alles durch die Sinne auffassen, so ist alles Sprache der Sinne. Gibt es also überhaupt etwas andres als Dichtung, so daß Wirklichkeit Dichtung ist und Dichtung Wirklichkeit? Oder ist der Nachdruck auf das Wort

„Sprache“ zu legen, so daß damit eine Qualität der Sinne bezeichnet werden soll, die wohl zur Dichtung führt, aber nicht zum Wirklichen? Die unzähligen Auseinandersetzungen über „Dichtung" sind mir selbstverständlich nicht unbekannt, und ich habe nicht vor, auch meinerseits die Dichtung zu umgrenzen. Nur daran möchte ich erinnern, daß auch Aesthetik ursprünglich nichts andres bedeutet, als ein der Sinnenwelt angehöriges Gebiet, wie es denn auch Kant, ich möchte sagen, rein sinnlich anwendet. — Der Naturforscher befindet sich der Dichtung gegenüber in besonders schwieriger Lage. Er weiß, daß selbst das Niedrigste und Widrigste der Natur aus nichts andrem besteht, als woraus das Schönste und Erhabenste aufgebaut ist, und ferner, daß auch das Verachtetste Wunder der Schöpfung birgt, die sich enthüllen, wenn man sie nur sucht. Aus diesem Grunde wäre für ihn die ganze Sinnenwelt Dichtung, sofern alles, geeignet wahrgenommen, auf ihn die Wirkungen hervorbringt, die wir Staunen, Bewundern, Nachempfinden u. s. f. nennen. Ein Splitterchen Granit ist gewiß recht unscheinbar; aber kein Dichter vermöchte das wunderbare Farbenspiel zu erfinnen, das uns dieses Splitterchen unter dem sogenannten Polarisationsmikroskop bietet. Man sagt darum wohl auch den Naturforschern am meisten dichterische Sprache in ihren Veröffentlichungen nach und tadelt sie vielfach deshalb, weil die Fülle der Worte, die die Dichtung ja verlangt, oft nicht im richtigen Verhältnis zum Inhalt des Gesagten steht oder gar diesen Inhalt überwallt. Das hängt von der Begabung des einzelnen ab. Bilder müssen wir heranziehen, wenn wir dem Leser durch das Wort etwas zur Vorstellung bringen wollen. Manche glauben, diese Bilder sollten nichts weiter tun, als die gewollte Vorstellung herbeiführen, andre möchten aber noch bewirken, daß der Leser die Bilder gerne, mit angenehmer Empfindung, in seiner Phantasie verarbeitet, und so auch die gewollte Vorstellung lieb gewinnt und ihr dauernder nachhängt, als das Lesen währt. Der eine sagt scharf, was er meint und sucht es durch ein klares Bild zu erreichen; der andre deutet an, und da jede Vorstellung aus einer großen Zahl von Einzelvorstellungen zusammengesezt ist, bringt er viele Bilder herbei, deren jedes etwas mit der Vorstellung gemein hat, und die insgesamt zu der Vorstellung führen. Das Angenehme für den Leser im Verfahren des zweiten beruht darin, daß er nicht gezwungen ist, ein Bild in allen Einzelheiten zu untersuchen, sondern von Bild zu Bild flattern und Bilder kombinieren darf. Daß im letzteren Fall der Leser eher zu falschen Vorstellungen kommen kann als im ersteren, ist richtig; aber vieles hängt vom Leser ab.

Untersuchen wir nun, was eigentlich beide tun, so werden wir auf eine Eigenheit der Sprache der Sinne" geführt. Zunächst ist hervorzuheben, daß bei allen Sinneswahrnehmungen zwei Vorgänge zu unterscheiden sind: die äußere Wirkung auf die Sinne und die innere Verarbeitung dieser Wirkung. Das erstere geht uns hier eigentlich nichts an, es ist die Sprache der Außenwelt zu den Sinnen; diese hat Herder nicht gemeint. Wir dichten nämlich nichts, als was wir in uns fühlen," sagt er in der Abhandlung: Ueber Bild,

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Dichtung und Fabel. Was wir in uns fühlen, ist eben der zweite Vorgang, die seelische Wahrnehmung; diese bedeutet die Sprache der Sinne. Wenn wir diese Wahrnehmung für andre ausdrücken, so haben wir auch im gewöhnlichen Sinne des Wortes „gedichtet“, aber die Dichtung ist schon in der Wahrnehmung vollendet, gleich viel ob wir einen Eindruck unmittelbar dichterisch wahrnehmen oder in der Erinnerung aus Wahrgenommenem nachträglich zusammenseßen. Die Wiedergabe ist an sich von zweiter Bedeutung. Daß in ihr die eigentliche Kunst des Dichtens für andre besteht, tut nichts zur Sache; wer dichterisch wahrnimmt, ist bereits Dichter und kann ein größerer Dichter sein als einer, der klingende Worte zusammenzustellen und zu reimen weiß. Indessen soll auch die Wiedergabe später noch Berücksichtigung finden.

Es ist nun sehr bemerkenswert, wie einfach die Außenwelt zu den Sinnen spricht, ihre Worte bestehen in den landläufigsten Vorgängen wie Druck, Be= wegung, chemische Wirkung u. s. f. Im einzelnen läßt sich das in einem kurzen Aufsaß nicht erweisen, aber die Naturforscher haben mit unzähligen Gründen belegt, daß mechanische und chemische Eindrücke, ja wahrscheinlich nur mechanische, die Sprache zu den Sinnen abgeben, selbst in anscheinend so wunderbaren Wahrnehmungen wie Licht, Farbe, Wärme, Ton. Diese Sprache nun, die der Seele durch die Sinne zukommt, überseht sie in ihre Sprache, in die Sprache der Sinne, und hier kommt der unendliche Reichtum zum Vorschein gegenüber der auffallenden Armut, mit der die Außenwelt an sie sprechend herantritt. Womit spricht eine beschneite Flur zu uns anders als mit dem Wort „Weiß“, allenfalls noch unter Hinzufügung des Wortes Bedeckung"; beide Worte ein Eindruck auf das Gesicht, das zweite auch auf das Gefühl. Und wie mannigfaltig überseßt das die Seele! erhaben, einförmig, Todeskleid, mitleidvolle Schußhülle u. f. f., einzelne Bilder und aus Gegensägen bestehende Bilderpaare. Oder es spricht jemand zu uns. Der Vorgang ist immer derselbe, nämlich Geräusche und Töne gelangen in unser Ohr, das sind nichts weiter als Bewegungen. Und die Uebersegung! Gleichgültigkeit, Erregtheit, Güte, Bosheit, Liebe, Haß der Lefer mag sich diese unendliche Reihe selbst weiterführen.

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Woher kommt es nun, daß wir erstens so ganz anders überseßen, als zu uns gesprochen wird, und zweitens für dasselbe Wort, das zu uns gesprochen wird, eine solche Fülle von verschiedenen Uebersegungen haben, unter denen wir jedesmal wählen. Auf das erste wissen wir nicht zu antworten: Bewegung kann uns als einfache Ortsveränderung erscheinen, besteht sie in einem sehr raschen Zittern eines Körpers, so kann sie uns Wärme bedeuten, gibt sie im Ohr wechselnde Verdichtungen und Verdünnungen der Luft, so hören wir, bildet sie Wellenzüge im Auge, etwa nach Art der Wellenzüge, die wir im Wasser hervorbringen, so sehen wir. Es handelt sich immer nur um Bewegung, freilich um Bewegung immer andrer Art. Aber warum erscheint eine Bewegung überhaupt als Ton oder Geräusch, warum als Licht, Farbe? Warum übersehen wir Bewegungen ganz gleicher Art, die nur quantitativ voneinander abweichen, mit so außerordentlich verschiedenen Worten, wie blau, grün, gelb, rot u. s. f.? Und

umgekehrt, weshalb bringt ein Druck auf das Auge, der doch der Art nach ganz und gar abweicht von jener oben angegebenen Bewegung, gleichwohl die nämliche Wahrnehmung hervor, wie diese Bewegung, Licht? Wie gesagt, das alles wissen wir nicht. Es handelt sich um den Uebergang von der Außenwelt zur Innenwelt. Schafft sich die Seele selbst und allein diesen Uebergang, so ist es recht betrübend für uns, daß sie es sich selbst nicht sagt. Das führt zu einer Menge von Möglichkeiten; und gerade hier ist nichts so geschäftig, wie des Menschen dichtende Phantasie, die, weil sie als Phantasie so vielerlei zu schaffen vermag, sich niemals in Wahrheit Genüge tut und selbst hinter jedem Bild, das sie hervorbringt und manchmal mit dem stolzen Wort „philosophisches System" bezeichnet, noch andre Bilder in Bereitschaft hat, so daß des Fragens, welches Bild das richtige, kein Ende ist. Ich möchte aber nicht mit allzuvielen Fragezeichen arbeiten, der Leser könnte am Ende fragen, was denn eigentlich der Herr Verfasser weiß.

Einfacher scheint die Ermittelung der Umstände, die den Reichtum der inneren Sprache bedingen. Es ist kein Zweifel, daß wir bei der seelischen Uebersehung eines äußeren Eindrucks in diesem Reichtum wählen und das Passendste heraussuchen. Das Erkennen des Passendsten wird aber, wie ich glaube, durch zwei Umstände bedingt. Erstens durch die Stimmung, in der wir uns gerade befinden. Ohne daß dieses Wort Stimmung definiert wird, weiß doch jeder, daß es sich um einen inneren Zustand handelt, der vielfach vom Zustand unsers Körpers, überhaupt von äußeren gegenwärtigen oder vergangenen Eindrücken bedingt wird. Erzählungen und Darstellungen, die uns zu einer Zeit ganz kalt lassen, Erlebnisse, die uns gar nicht bewegen, vermögen zu andrer Zeit unser ganzes Fühlen und Denken in Aufruhr zu verseßen. Das weiß jeder aus eigner Erfahrung; wir sagen gewöhnlich, ein Eindruck wirkt um so intenfiver, je erregter wir schon sind, aber daß Eindrücke sich gegenseitig abstumpfen, die Empfänglichkeit ermüden, ist gleichfalls bekannt. Es ist wie bei Unterhaltung nach vielen Seiten; wir antworten zuerst um so lebhafter, je mehr auf uns eingeredet wird, dann aber tritt Abspannung ein, und wir werden einsilbig. Stimmung wird vielfach mit Nervosität zusammengestellt. Nervöse Herren und Damen übersehen alles viel tragischer, als die berühmten fetten Leute; vor lauter Uebersetzungslust, die sich selbst auf die geringfügigsten Ansprachen aus der Außenwelt erstreckt, gehören sie auch zu denen, die nicht gut schlafen, und indem sie aus der Rüstkammer ihrer inneren Sprache immer superlative Ausdrücke wählen, träumen sie lebhaft bald von furchtbaren Schrecken, bald von paradiesischen Gefühlen. Im Wachen sind sie aus gleichem Grunde bis zur Krankhaftigkeit reizbar. Aber sie genießen auch alles Schöne unendlich mehr als die, die „keine Nerven kennen". Verfasser dieses spricht aus Erfahrung; er ist oft darüber erstaunt, im Theater Leute mit der gleichgültigsten Miene von der Welt eine Scene betrachten zu sehen, die ihn im Innersten erregt und veranlaßt, durch mehrfaches Pußen seines Pincenez die Theaterräume als von unheimlicher Feuchtigkeit erfüllt anzuklagen. Wirklich scheint eine gewisse Summe von Nervo

sität zum tieferen Genuß der Kunst zu gehören, denn der Genuß der Kunst ist im wesentlichen Dichtung und um so reicher, je reichere Ausdrücke wir im Innern für den äußeren Eindruck herbeischaffen. Das geht oft bis zur Eraltiertheit, Ueberspanntheit, während die kunstungläubigen Thomasse alles für Einbildung erklären. E. T. A. Hoffmann sieht in der Donna Anna die schuldige Geliebte Don Juans, in der Verlangen und Sehnen nach ihm glüht und brennt; ein andrer nichts als eine rachsüchtige Jungfer. Der zweite Umstand beruht darauf, daß wir keinen Eindruck nur nach diesem Eindruck allein beurteilen. Alle Ein= drücke sind eindeutig und gegenwärtig. Aber wir haben in uns eine Unzahl von Eindrücken aufgespeichert; die verwandten, früher einmal empfangenen Eindrücke flingen aus der Erinnerung mit. Ja, wir stellen uns sogar sofort auch verwandte Eindrücke für die Zukunft vor. Wir schöpfen hinzu aus dem, was wir schon besigen, und aus dem, was wir fürchten und hoffen. Und so sammelt sich von rechts und links eine Schar von Eindrücken um den einen empfangenen Eindruck, und wir übersehen ein Wort durch ganze Säße, ein Bild durch eine ganze Folge von Bildern. Ein Osterblümlein wird zum Frühling, eine Schneeflocke zum Winter, ein Lächeln zum glückseligsten Besitz der Geliebten. Beinahe kommt man in Versuchung, das heutzutage so gern angewendete alberne „u. s. w., u. s. w.“ zu benußen. Aber das gehört eben nicht zur Sprache der Sinne, sondern zur Ausdrucksfülle der Denkträgheit und Gedankenleere. Verschwindet so anscheinend der äußere Eindruck im Gewoge der inneren Bilder, so ist er gleichwohl für die Wahl und Ordnung dieser Bilder entscheidend, denn nach seiner Art richtet sich die Sprache der Sinne. Für die groben Artunterschiede versteht sich das von selbst. Unfre Seele besißt aber das Vermögen, selbst geringfügigste Unterschiede herauszuerkennen, und wunderbar ist es, wie gewaltig sie oft auf solche geringfügigste Unterschiede reagiert. Wir sind meist um eine Antwort verlegen, wenn wir diese Unterschiede kennzeichnen sollen; die äußere Sprache ist zu arm, wo die innere mit Posaunen tönt.

Das leztere berührt schon die Wiedergabe der inneren Sprache. Diese ist aber eine Dreifache. Menschliche Eigenliebe und menschlicher Eigennutz strahlt die innere Sprache nach außen aus und dichtet sie dem erhaltenen Eindruck selbst an. Wie mancher sieht im unwürdigsten Gegenstand seine höchste Liebe, läßt sich in tieffster Seele kränken und selbst zum Unwürdigsten herabziehen, ohne zu erkennen, daß seine inneren Bilder, nach außen projiziert, sich nicht zu dem Gegenstande zusammenseßen, von dem sie wachgerufen sind. Man sagt oft, die betreffenden wollen es nicht erkennen, und wenn man sehr duldsam ist, sagt man, es seien schwache Menschen. Tatsächlich jedoch werden sie auch durch sich selbst gehindert, es zu erkennen, sie sind gezwungen, den empfangenen Eindruck nach außen gemäß ihren inneren Bildern von ihm wiederzugeben. Wir kommen so auf die zweite Art der Wiedergabe. Sie ist gegenwärtig, im Zeitalter des Tischrückens, der Geisterbeschwörungen, der „Medibumjel", wie das humorvolle, leider hinübergegangene, aus dem Blumenmediumprozeß bekannte Friedchen die Vermittlerinnen zwischen Körper- und Geisterwelt nannte, sehr beliebt, so beliebt,

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