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blieben, weil sich niemand dazu hergeben wollte, den Herrn zu befragen. Vom Friedensfest ist vorläufig keine Rede. Alles dreht sich jezt um den Gesundheitszustand des Königs, der sehr besorglich war und vielleicht noch ist, wie Sie daraus abnehmen, daß alle Vorträge, auch der Lindheimsche (!), dem Kronprinzen gemacht werden. Unter solchen Umständen ist wohl an eine Badereise des Herrn nicht zu denken. Wiebel (der bisherige Leibarzt des Königs) foll auch krank sein. Der frisch angekommene Messias (Schönlein), der hier in der That von unsrer typischen, klatschenden, lobhudelnden Berliner Welt fast wie ein Heiland verehrt wird, vertritt seine Stelle im Palais. Wird diese Schweizergans das Kapitol retten?

Ihr wohlaffektionierter

v. Roon.“

Im Jahre 1842, also nicht lange nach der Thronbesteigung König Friedrich Wilhelms IV., hat die Umgestaltung der Uniformierung die militärischen Kreise vielfach beschäftigt. Mit Bezug darauf schreibt Roon an seinen Freund, damals Direktor der Militärknabenanstalt zu Annaburg: „Halten Dero Lumpen noch bis zum 1. Januar kommenden Jahres, so ist es möglich, daß Sie im leßten Quartal als Vogelscheuche (gegen alle Pädagogik) umhergehen, und dann dennoch neue im alten Stil machen lassen müssen. Die große Frage ad hoc soll jezt an den Ufern des Rheins, wo mehrere Bataillone Wehrmänner in Kuttka und Helm mitfechten, entschieden werden. Schonen Sie den Ueberrock; das Spizkleid behalten die Herren Offiziere ohne Zweifel zum Courmachen. Ich rathe, lassen Sie sich wenigstens neue Hosen machen, da Sie einmal zur gens braccata ge= hören; Sie müßten denn den Mantel als Toga ausprägen.“

In dem sonst lebhaften und meist launigen Briefwechsel zwischen den beiden Freunden scheint von dieser Zeit an eine längere Unterbrechung eingetreten zu sein; wenigstens liegen von der Mitte der vierziger bis zum Ende der sechziger Jahre keine Schreiben Roons an Felgermann vor, die ein allgemeines Interesse in Anspruch nehmen könnten. Freund Felgermann begann, nachdem er aus der Stellung als Direktor der Militärknabenanstalt zu Annaburg ausgeschieden war, ein unstetes, ruheloses Wanderleben. Ohne festen Wohnsiz bereiste er mit seiner von ihm auf Händen getragenen, durch Roon für ihn geworbenen Gattin Mathilde, geborene Krauseneck, der Reihe nach fast alle Länder Europas, was ihm von seiten Roons den Beinamen des Ahasverus eintrug. Schließlich erwies sich doch dieses unstete Dasein als nachteilig für den Gesundheitszustand der Gattin, und Roon sah sich infolgedessen veranlaßt, ihm ernstlich ins Gewissen zu reden und es ihm mit treuem Freundesrat zur Pflicht zu machen, sich irgendwo ein bleibendes Heim zu gründen. Das Schreiben, in dem er dies tut, ist so bezeichnend für die ernste Lebensauffassung Roons, daß wir es hier in seinem Wortlaut folgen lassen.

„Wenn Sie nicht," so schreibt er dem Freunde unter dem 3. Dezember 1869 „Ihr Kleinod vorzeitig verlieren wollen, so ist es nöthig, daß Sie Ihr Ahasverus

Leben aufgeben und sich endlich wieder häuslich niederlassen, sei es wo es sei. Daß sich Berlin dazu am meisten eignet in Betracht der Familien- und Freundschaftsbeziehungen, die auch Sie nicht verleugnen werden: das ist meine vielleicht nicht ganz uneigennüßige, aber jedenfalls unmaßgebliche Ansicht. Was Sie in Ihrem früheren Schreiben auch Warmes von Wien gesagt haben, so waren das doch wohl nur enthusiastische Urtheile aus dem ersten Eindruck. Aber selbst wenn Sie daran fest hielten, wohlan! so etablieren Sie sich dann in Wien, aber geben Sie Ihrem Thildchen eine Häuslichkeit, geeignet, zwei liebenswürdigen und geliebten alternden Personen körperliche Pflege und Gedeihen und diejenige seelische Behaglichkeit, Ruhe und Besinnlichkeit zu gewähren, deren jeder jederzeit bedarf, vornehmlich aber am Abend dieses Lebens, gegen das Ende dieser Pilgerschaft, wo man geneigt ist, statt spanische Bilder und Bauwerke aufzusuchen und zu kritisieren, lieber die Bibel ins Spanische zu überseßen. Ich glaube nicht, wie groß auch mein Respekt vor Ihren kunsthistorischen Studien sein mag, daß diese unbedingt zu der Puerta estrecha und auf den camino angosto führen, auf dem nur wenige zum Leben eingehen. Alle Studien, wie sie auch heißen, sind doch nur ein geistiger Sport, durch den man diesem armen Leben einen Inhalt zu geben trachtet, und dasselbe gilt von allen Thaten und Kämpfen auch den edelsten dieser Zeitlichkeit. Das Ende aber allen irdischen Wissens und Könnens ist dem strebenden Menschen ebenso nahe, als dem genußseligen Faulpelz, und zwar immer! Um so näher, wenn die Schranken der Natur greifbar und der kleine Hügel sichtbar wird, über den wir nicht fortkommen, wie viele Chimborassos wir auch überklommen haben mögen. Wie herzlich sehnt man sich daher aus dem zerstreuenden Getriebe dieser Welt, von der auf lauter kleine Ziele gerichteten Arbeit, aus diesem tausendfachen Wechsel der Eindrücke und des Strebens hinweg zu einem windstillen Pläßchen, auf dem man unzerstreut und unzerpflückt ruhen und sinnen mag über die noch ungelöste große Lebensaufgabe eines seligen Heimgangs mittels des Weges „que lleva á la vida!“

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„Dies von mir so tief empfundene Bedürfnis fühlen auch Sie, mein geliebter A., wie auch der Schluß Ihres Briefchens lehrt.1) Warum also wollen Sie sich das Suchen und Finden erschweren durch alle die äußerlichen Zerstreuungen, die mit dem ungeregelten Umtreiben in der Wüste dieses Lebens verbunden find? Gehen Sie immerhin zur Pflege Ihres Kleinods auf einige Monate an eine südliche Küste, aber dann geben Sie sich und ihr eine Heimat, wo Ihr wieder wurzeln und Euch wohl besinnen könnt. Wie würden wir uns freuen, wenn dann unter demselben Schatten unsre Wurzeln sich berührten und gegen= seitig befestigten!"

1) Diese Worte beziehen sich auf eine Bemerkung Felgermanns in dessen von Roon mit dem hier mitgeteilten Schreiben beantworteten Briefe, in dem der erstere von dem nahen Ende eines von ihm in Wien besuchten Verwandten berichtet und hinzufügt: „La puerta es estrecha y angosto el camino que lleva á la vida, y pocos son los que lo hallan. Hierüber seit einiger Zeit ernstlich sinnend, vielleicht schon zu spät.

Der Jhre."

Die lezten an Felgermann gerichteten Briefe Roons gehören schon der Zeit an, in der er selbst vom Schauplaß des öffentlichen Wirkens abgetreten war und nach seiner Verabschiedung durch einen längeren Aufenthalt in Italien seine durch die Anstrengungen des Dienstes tief erschütterte Gesundheit zu festigen suchte. In einem aus Sorrent vom 29. Dezember 1873 datierten Briefe schreibt er dem Freunde:

„Dank Ihnen, geliebter Ahasvere, für den Beweis menschlichen Herzens und Empfindens, den mir Ihr letter Brief vom 24. d. M. durch seine Ausführlichkeit und Eingänglichkeit geliefert hat; der ewige Wanderer fühlt Mitleiden mit dem Gelegenheitsreisenden! Vielleicht wird es ersterem daher auch nicht ganz gleichgültig sein, wenn letterer mittheilt, daß er angefangen hat, dem italienischen Himmel Heilkraft zuzutrauen. Der Zustand meiner Damen, namentlich Ihres Tauffindes 1) und meiner Frau, hat mich genöthigt, die Ueberfahrt nach Palermo zu verschieben und hier eine angenehme Zuflucht zu suchen und zu finden. Beiden Damen und ihrer Nervenverfassung war nach den Anstrengungen und Aufregungen der weiten Reise ein Stillleben von einigen Wochen unentbehrlich. Ich hoffe daher, etwa zum 10. kommenden Monats hinüberfahren zu können, und wünsche mir dazu eine ruhige See, da meine Damen sämtlich eine für den ehemaligen Marineminister ganz unpassende Neigung haben, dem Neptun das Innerste ihres Leibes mit Hingebung zu opfern. - In P., wo ich Wohnung zu finden hoffen darf, entweder in der Trinacria, oder in der Olivazza, oder im Giardino Inglese, will ich bis Ende März oder Anfang April bleiben. und mich dann langsam über die Etappen Neapel, Rom und Florenz, sodann Pisa, Genua, Mailand nach den norditalienischen Seen zurückziehen, an denen ich den Mai zu verleben gedenke, um am 4. Juni etwa auf meinem Gütchen Neuhof bei Coburg mich wieder heimisch zu machen, da ich von der langjährigen Rolle des Ruderknechts der Staatsgaleere durch meine Jahre und mein Siechtum entbunden bin und zwar Dant dem geliebten Könige auf die befriedigendste Weise. Pisa, wohin Sie sich mit Ihrem Thildchen in ca. sechs Wochen zurückziehen wollen, werden wir etwa in der zweiten Hälfte des April passieren, falls Sie beide dann noch dort anzutreffen sind. Wäre dies etwa nicht der Fall, worüber ich seinerzeit Nachricht erbitte, so würde der Rückmarsch vielleicht nicht über Pisa genommen werden. Ihre schäzbaren und eingehenden Mittheilungen über Palermo denke ich dankbar zu nüßen. Denselben möchte ich hinzufügen, daß es allerdings eine gute wissenschaftliche Beleuchtung der Eigenschaften Ps. als klimatischen Kurort aus dem Jahre 1860 von einem ungarischen Naturforscher und Arzt (?) v. Vivenot gibt, die mir Dr. Böger mitgegeben. In Betreff des dortigen deutschen Arztes war des letteren Kenntnis allerdings lückenhaft; das ist der Grund, weshalb man mir einen eignen Arzt mitgegeben hat. Die liebe Familie, ärztliche Freunde und die Zuvorkommenheit der mir

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1) Die zweite Tochter Roons, Hedwig, seit dem Jahre 1868 mit dem Rittmeister E. von Bißmann vermählt.

bisher untergeordneten Behörden haben mir diese Vermehrung meines Reisegefolges aufgenöthigt. Die persönlichen Eigenschaften des Oktroyierten haben mich damit ausgeföhnt."

Aus Palermo, wohin Roon mit seinem zahlreichen Clan, wie er seine Reisebegleitung nennt, im Anfang des Jahres 1874 übersiedelt war, liegt dann noch folgendes Schreiben Roons vor:

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Wenn die Regenwolken schauern und der Westwind durch die südlich großen und nachlässig undichten Fenster kalt in die unheizbaren Räume dieses fast wüsten Landhauses bläst: dann wissen wir zuversichtlich, daß wir nicht dieser Erfahrungen halber über Land und Meer wohl an 200 Meilen gereist sind, aber wir sind hier und müssen aushalten, bis es wieder besser wird. Denn daß es hier himmlisch schön sein kann, an diesem blauen Meere und unter diesem blauen Himmel: das haben wir an manchem schönen Tage dieser lezten drei Wochen dankbar erfahren. Pech, daß wir gerade solche Ausnahmezeiten hier durchleben müssen, die uns den Hinterpommern an seinem traulichen Kachelofen beneiden lassen. Die Ueberfahrt war ganz unbeschwerlich, die Aufnahme in der Trinacria zuvorkommend, aber die uns gebotene Wohnung wenig befriedigend, so daß wir nicht darin bleiben konnten. Wir sind daher nach manchen vergeblichen Versuchen, anderweitig Anker zu werfen, an der freilich etwas öden, aber doch recht anmuthigen Küste von Olivazza gestrandet, und haben uns im wüsten Hause mit Robinsons Geschick und Genügsamkeit leidlich eingerichtet, einen guten Koch und Kutscher gemiethet, und denken es bis Mitte April auszuhalten. Die öffentliche Sicherheit mag ungefähr dieselbe Garantie bieten, wie in dem soi-disant wohlregierten Berlin. Aber abends gehen wir gar nicht und fahren wir nur aus mit einem bewaffneten Diener auf dem Bock. Die Gärten hier sind doch sehr schön, und täglich lernen wir neue kennen, da es der heimischen Eitelkeit schmeichelt, wenn ein Fremder meines Schlages den Besuch wünscht. Luftgenuß ist meine einzige regelmäßige Beschäftigung; kaum habe ich daher Zeit genug, um die Briefe zu schreiben, die mir Vergnügen machen und meine Geschäfte erfordern... Meine Blicke nach der alten Slavenstadt“ sind jedenfalls nicht sehnsüchtiger, eher behaglicher Natur. Doch habe ich dem Schöpfer auch dafür zu danken, daß ich mit meinem ganzen Sinn und Denken immer vornehmlich der lebendigen Gegenwart voll und ganz zugewandt bin; daher bin ich höchstens auf Augenblicke graulich, und hoffe stets, das Leben, das die Krankheit erzeugt, wird auch die Genesung herbeiführen. Sie sprechen auch von Coburg. Ja, ich fand dort einen lieblichen Landsiz und kaufte ihn im Hinblick auf Annchens 1) Witwenjahre. Nun scheint mir dieser Zweck zwar einigermaßen verfehlt, da ich entdecke, daß eine Einsiedelei für die liebe Seele nichts Lockendes hat. Aber wir werden mit Vergnügen immer einige Monate in Neuhof zubringen, unser eigentliches Domizil aber auf meiner Oberlausißer Besißung Crobniß — eine halbe Meile von Reichenbach

1) Roons Gattin.

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aufschlagen, zwei Stunden von Dresden und fünf

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Stunden von Berlin. Dort wollen wir auch schlafen gehen im schönen Friedensthal", wo ich eine Gruft für uns bauen lasse.

Aber warum behellige ich Sie mit allen diesen „Privatangelegenheiten“? Vielleicht, weil Ihr besseres Selbst ein wärmeres Interesse dafür haben dürfte, denn die Frauen sind weitherziger, als wir männlichen Selbstlinge, nicht wahr? Oder würden Sie sich unterstehen, auch diesen Saß für eine Schmeichelei zu erklären, über welche E. H. Frau Ahasvera erhaben sei? Ergeben Sie sich und bleiben Sie huldreichst geneigt quand-même

Ihrem alten Freunde

v. Roon."

D

Die Aera Manteuffel.
Federzeichnungen aus Elsaß-Lothringen.

Bon

Alberta v. Puttkamer,

unter Mitwirkung von Staatssekretär a. D. Max v. Puttkamer.

as Wesen des Menschen, wie es im Individuum Ausdruck findet und sich in der Kunst, der Gesellschaft, Wissenschaft oder Geschichte betätigt, wird niemals einen ganz objektiven Beurteiler durch den einzelnen Menschen finden. Man wird ein unbefangenes Urteil nur bilden und läutern können aus der mittleren Summe vieler verschiedener Einzelurteile.

Jedes Urteil ist auch die Ausübung eines Richteramtes; und man sollte sich dieser ernsten Bedeutung immer bewußt sein und der großen Verantwortlichkeit eingedenk bleiben, die solches Amt einschließt.

Der größte Feind des Urteils ist das Vorurteil: das prüfungslos übernommene Urteil eines vorigen.

Die sogenannte Tradition, die mündliche Ueberlieferung, die eine große Macht in der Geschichte darstellt, ist ein solcher Strom von Urteilen und Vorurteilen; doch ist das prüfungslose Hinnehmen von etwas Vergangenem eine Art Zwang, denn die Geschehnisse, die in der Tradition bewahrt werden, sind dem Urteil zeitlich und meist auch räumlich so weit entrückt, daß man sie eben auf „Treu und Glauben“ der vorher Urteilenden annehmen muß.

Für die Geschichte der Gegenwart dürfen nun Tradition und Vorurteil keine Macht haben, denn das Gegenwärtige gestattet uns eigne Beobachtung und eignes Urteil. Ja, es wird sogar eine heilige Pflicht der Zeitgenossen einer geschichtlich hervortretenden Persönlichkeit, diese durch Wort und Schrift davor

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