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machen, wie sich die Dinge dem Auge verschieden präsentieren bei Front- und Seitenansicht, bei verschiedener Entfernung, Beleuchtung u. s. w.

Bei diesem durch zweckmäßigen Unterricht geleiteten „Sehenlernen“ wird ganz von selbst sich ergeben, daß das „künstlerische“ Sehen auch der Ausdruc der unbefangensten sinnlichen Tätigkeit ist, daß der unbefangene sinnliche Eindruck überall in der Kunst für den Genuß und auch für die Darstellung des Schönen maßgebend ist und bleiben muß.

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Der künstlerische Unterricht, der dem zunehmenden Alter und den individuellen Anlagen des Kindes entsprechend sich weiter entwickelt, wird dann das Auge erziehen nicht so, daß dessen Tätigkeit sich erweitert, sondern daß die psychologische Verarbeitung der optischen Eindrücke sich einheitlicher gestaltet, wie es für bildliche Darstellung am nußbarsten sich erweist.

Dabei werden die für Größe, Gestalt und Farbe der Gegenstände, für ihre relativen Lichtwerte zu einander maßgebenden optischen Eigenschaften präziser aus den vielseitigen Erscheinungsformen herausgewählt.

Es wird psychologisch also der Umfang des optischen Wertes der Dinge in der Natur vereinfacht und entsprechend den Darstellungsmitteln in die präzisesten Formen der Nachbildung übertragen.

Bei solcher natürlicher Kunsterziehung wird die Kunst von selbst vor Auswüchsen verschont bleiben, die auf Grund spekulativer, künstlerisch unreifer und darum unnatürlicher Motive entstehen.

Die sinnliche Anschauung wird also beim Kinde die Unterlage für jeden Kunstunterricht bilden müssen, und zwar nicht allein zum Zwecke des Genusses und der Beurteilung künstlerischer Leistung, sondern auch vor allem beim praktischen Unterricht im Zeichnen und Malen.

Die Gesezmäßigkeit des Sehens der realen Welt wird also vom Kinde eine geseßmäßige Art der Darstellung der Dinge beim Malen verlangen.

Und wenn beim Zeichnen und Malen die im weiten Raume befindlichen Körper auf der ebenen Fläche der Zeichnung oder des Malgrundes bildlich angebracht werden, und den Eindruck, „die Illusion" des Körperlichen und Ausgedehnten machen sollen, so müssen ähnliche Gesezmäßigkeiten für die Darstellung maßgebend sein, wie sie beim Sehenlernen des Kindes zum Begreifen der Außenwelt in frühester Jugend maßgebend gewesen sind.

Die Meister der Tonkunft in ihrem Verhältnis zur Kinderwelf.

Bon

Carl Reinecke.

D

as Kindergemüt ist weich und eindrucksfähig und kann daher ebensowohl für das Edle wie für das Triviale erzogen werden. Das wußten gar manche Meister, die für die Besten ihrer Zeit und somit für alle Zeit gelebt haben: sie ließen die Kindlein zu sich kommen und wehreten ihnen nicht. Das Kind vermag nicht einen Moses von Michelangelo, eine Missa solemnis von Beethoven, einen Faust von Goethe, eine Disputa von Raffael zu würdigen, aber es soll und muß dazu erzogen werden. Wird es aber zum Verständnis großartiger Kunstwerke erzogen, wenn man ihm die Fabrikware solcher vorseßt, die da glauben, daß das Platte und Triviale, was etwa dem Geschmacke der großen Masse behagt, auch für das Kind gerade gut genug sei? Dem Kinde soll der schaffende Künstler, ob Dichter, ob Musiker, ob Maler, einfache, aber gesunde und poesieerfüllte Gaben spenden, die durch edlen Inhalt und schöne Form den Geschmack des Kindes auf die rechte Bahn weisen. Daß neben dem Sinnigen auch das Heitere und Drollige dem Kinde gegenüber seine volle Berechtigung hat, wird wohl niemand bestreiten; selbst die possierlichen Verse und die derb-komischen Bilder, die der gute Frankfurter Doktor Hofmann zur Erheiterung für seine kleinen Patienten dichtete und malte, und aus denen dann allgemach das Buch vom weltbekannten, aber mannigfach angefeindeten Struwwelpeter entstand, dürfen, um ihres gesunden Humors willen, gewiß nicht ohne weiteres verworfen werden; nichtsdestoweniger wäre es sehr zu bedauern, wenn nicht auch Dichter wie Robert Reinick, Hofmann von Fallersleben, Friedrich Rückert, Adolf Schults u. a. Lieder und Märchen für die Kleinen gedichtet, wenn nicht Maler wie Ludwig Richter, Moritz von Schwind, Thumann, Oskar Pletsch u. a. ihren Griffel in den Dienst der Kinderwelt gestellt hätten! Inwieweit auch die großen Meister der Tonkunst die Kindlein zu sich kommen ließen, oder auch sich fern von ihnen hielten, das nachzuweisen ist der Zweck dieser Blätter.

Wenn der gewaltige Leipziger Thomaskantor ein „Klavierbüchlein vor Wilhelm Friedemann Bach", seinen damals neunjährigen Sohn, „verfertigte“, wenn wir in den Notenbüchern von Anna Magdalena Bach, seiner zweiten Frau (die eine gute Sängerin und schwache Spielerin war), acht zweistimmige Menuetten leichtester Gattung, Polonaisen, Märsche u. a. ähnlicher Art finden, so greifen wir gewiß nicht fehl in der Vorausseßung, daß Bach all diese Sachen speziell für seine eignen Kinder und Schüler schrieb. Ebensowenig wird man irren, wenn man in seinen Präludien, zwei- und dreistimmigen Inventionen, in den sechs französischen Suiten und in der amüsanten leichten Passacaglia in D-Moll

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eine planmäßige Fortseßung jener ersten Uebungsstücke erblickt, erdacht mit dem feinsten Verständnis für das, was die Jugend bedarf, um zu immer tieferem Kunstverständnis erzogen zu werden. Sein großer Zeitgenosse Georg Friedrich Händel war nicht ein seßhafter Mann wie Bach; er, der Sohn des Hallischen Chirurgus vulgo Barbiers, besuchte schon als Knabe Berlin, machte seine Studien zunächst in Hamburg (der zu jener Zeit bedeutendsten Musikstadt Deutschlands), dann in Italien (Florenz, Rom, Venedig und Neapel), und lebte erst von 1710 an einigermaßen ständig in London, von wo aus er dennoch häufige Reisen nach Dublin, Hannover, Dresden, Aachen u. s. w. unternahm. Erst in seinem 68. Jahr heiratete er, und da er lange Jahre hindurch ausschließlich für die Bühne schrieb, dann aber in den lezten zehn Jahren seines ruhmreichen Lebens sich fast nur mit der Komposition von Oratorien befaßte, so ist es be= greiflich, daß er keine Beziehungen zur Jugend gewann, die ihm daher nur mittelbar etwas verdankt, wenn sie etwa in der Schule seine fast zum Volksliede gewordene Melodie aus Judas Matkabäus „See the conquering hero comes" mit untergelegten geistlichen Worten singt. Auch Gluck, der Försterssohn aus Weidenwang und nachmalige große Reformator der Oper, war sehr beweglich; wir begegnen ihm in Prag, Wien, Mailand, London, Paris, Kopenhagen, bis er endlich seine leßten Lebensjahre wieder in Wien ruhig verbrachte, woselbst er, soviel bekannt, unbeweibt starb. Auch er war infolge seiner Laufbahn als Opernkomponist und als einsamer Mann der Jugend nie näher getreten, sein Genius hat direkt nichts für sie getan, und sie würde Gluck kaum kennen, wenn nicht der Chor: „Welch ein Reiz, welche Majestät“ aus Iphigenie in Aulis in manchen Schulliederbüchern Aufnahme gefunden hätte. Anders Mozart, der allerdings auch Vielgereiste, der sich aber früh einen eignen Herd gründete, der oft seine Leier für das Verständnis des Kindergemütes gestimmt hat und dessen Name wohl kaum in irgend einem Kinderliederbuch fehlt, und wäre er auch nur durch das zum Volksliede gewordene frisch-fröhliche „Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün" vertreten. Und wie gar viel hat er für die beginnenden Klavierspieler geschrieben! Damit sind aber nicht etwa seine zweihändigen Sonaten gemeint, die zumeist über die Fassungskraft des Kindes hinausgehen und sehr mit Unrecht als Unterrichtsstoff für solche benutzt werden, sondern vielmehr seine allerliebsten vierhändigen Sonaten mit ihren teils sonnig-heiteren, teils herzinnigen Säßen, viele seiner Variationen und niedlichen Kleinigkeiten, die er jelber noch ein Kind - mit wunderbar feinem Formgefühl schrieb. Haydn, als Mann der Vorgänger und als Greis der Nachfolger Mozarts, den dieser als Vorbild und väterlichen Freund verehrte, während jener in seinen späteren Jahren dem jüngeren Meister nacheiferte, Haydn, der ehrwürdige Schöpfer der heutigen Symphonie, schrieb auch eine Kindersymphonie, in der statt Flöten und Oboen Nachtigall, Wachtel und Kuckuck ihr Wesen treiben, in der anstatt der Pauke die Trommel und die Schnarre das nötige Fortissimo besorgen helfen. Er schrieb auch die vierhändigen Variationen Il maestro e lo Scolare", in dem er den allerliebsten Einfall durchführt, den Lehrer stets dasjenige vorausspielen zu lassen,

was alsdann auch der Schüler einige Oktaven höher zu spielen hat. Außerdem aber hat er viele Klaviersonaten und Trios geschaffen, die fraglos den Zweck verfolgen, fürs Kind zu sorgen. Wir sehen, daß sowohl der Schöpfer des „Don Juan" und des Requiem wie auch der herrliche Meister, der die Welt mit seiner Schöpfung“ beschenkte, die Kindlein zu sich kommen ließen. Aber auch der einsame Beethoven hat der Worte des Heilands gedacht. Er, den man jezt in Wort und Bild mit Vorliebe als den Weltentrückten, den Grüblerischen darstellt, der doch aber viel mehr des Anmutigen und Lieblichen, des Heiteren, Glänzenden und Erhabenen geschaffen hat, als des unergründlich Tiefsinnigen, er hat ein entzückendes kleines Trio in einem Sage: „An meine kleine Freundin M. B.“ (Maximiliane Brentano) geschrieben, ferner das liebliche Klavierstück „An Elise", die beiden Charakterstückchen „Lustig - Traurig", eine vierhändige Sonate und mehrere Variationenhefte und Sonaten für zwei Hände und andres, das zweifellos für die Jugend geschrieben ward; die Kinderliedchen „Marmotte“ und „Das Blümchen Wunderhold" nicht zu vergessen. Auch Weber spendete der Jugend manche liebliche Gabe, gleichwie Mendelssohn unter dem Namen „Kinderstücke“ leicht spielbare Lieder ohne Worte schrieb; beide aber haben sich wohl mehr durch ihre, zwar nicht für die Jugend gedachten, aber zu Voltzliedern gewordenen, gemütvollen Weisen in die Kinderherzen hineingesungen, als durch das, was sie ausdrücklich für diese erdachten. Von allen großen Meistern der neueren Zeit aber hat keiner mit solcher Vorliebe und so vieles für die Kinder ersonnen wie Robert Schumann. Seine hochpoetischen „Kinderszenen“, von denen er selber sagt, daß sie „Rückspiegelungen eines Aelteren für Aeltere" sind, gehören freilich nicht hierher, wohl aber das weltbekannte „Album für die Jugend". Von diesen Stücken schreibt er: „Freilich liebt man die jüngsten. Kinder immer am meisten; aber diese sind mir besonders ans Herz gewachsen und eigentlich recht aus dem Familienleben heraus. Die ersten der Stücke im Album schrieb ich nämlich für unser ältestes Kind zu ihrem Geburtstage, und so kam eines nach dem andern hinzu. Es war mir, als finge ich noch einmal von vorn an zu komponieren. Und auch vom alten Humor werden Sie hie und da spüren." Waren die Kinderszenen Rückspiegelungen, so enthält das Weihnachtsalbum mehr „Vorspiegelungen, Ahnungen zukünftiger Zustände für Jüngere“. Kann man sich auch nicht verhehlen, daß Schumann hie und da zu große Ansprüche an das Kindergemüt macht, sowohl was die Fähigkeit anlangt zukünftige Zustände zu ahnen", als auch hinsichtlich des Verständnisses für kompliziertere Harmonik und Polyphonie, so muß man doch bewundern, wie prächtig er mit dem Fröhlichen Landmann“ und vielen, vielen andern Nummern den Kinderton getroffen hat. Ebenso hat der Meister in seinem „Liederalbum für die Jugend" neben den herzigsten, wirklichen Kinderliedern auch solche Lieder geschaffen, die zu hohe Ansprüche an den Stimmumfang sowohl wie auch an die Gesangskunst eines Kindes stellen; in dem vierhändigen Album findet sich neben dem possierlichen „Bärentanz“ und andern lieblichen Nummern auch manches, was Kindern nicht frommt. Aber freilich heißt's auf dem Titelblatte auch: „Für kleine und

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große Kinder." War auch Schumann mit dem „Kinderball" weniger glücklich, und muß man sogar eingestehen, daß die „drei Klaviersonaten für die Jugend" gänzlich verfehlt sind, so hat doch die Kinderwelt Ursache, dem Meister für viele köstliche Gaben von Herzen dankbar zu sein. — Wenn Chopin, der verwöhnte Liebling von Fürstinnen, Gräfinnen und geistvollen Dichterinnen, der den größten Teil seines Lebens in Paris zubrachte, der als Mann wohl kaum noch ein Familienleben kennen lernte und mit dem Kinderherzen keine Fühlung gewann, wenn Chopin die Blüten seiner reichen Phantasie wohl mit vollen Händen über die schöne Welt von Paris und - Warschau ausstreut, für das Lockenköpfchen des Kindes aber kein Blümchen übrig hat, so können wir das zwar bedauern, aber wir verstehen es. Ebenso begreiflich ist dies bei Liszt, der, gleichwie Chopin, freiwillig das Zölibat auf sich nahm, bis zu seinem 38. Jahre ganz Europa im Triumphe als gefeierter, man möchte sagen: vergötterter Virtuose durchzog und alsdann wohl mehr an Höfen als in Familien verkehrte; auch unter dessen zahlreichen Kompositionen sucht man vergebens nach einem Blättchen, das er der Jugend gewidmet hätte.

Je näher wir der Jehtzeit rücken, je mehr gewahren wir, daß allmählich die großen Meister der Tonkunst das Interesse für die Hausmusik verlieren, geschweige denn ein Herz für die Kinderwelt haben. Weder Berlioz noch Richard Wagner haben für Haus und Familie irgend etwas geschaffen, und nur noch Brahms ist als derjenige zu nennen, der immerhin für die Kinder Robert und Klara Schumanns eine Liebesgabe bereit hatte in Gestalt einer Sammlung deutscher Volkslieder, die er mit leichter Klavierbegleitung versehen hatte. Und später sang er den Kinder noch sein herziges „Guten Abend, gut' Nacht“. Ob von den neuesten Meistern, deren Ruhm jezt die Welt erfüllt, noch etwas für die Jugend zu erwarten ist, das ruht im Schoße der Zukunft. Gewiß erfüllt derjenige eine schönere und größere Aufgabe, der große historische Bilder, der Tragödien oder Symphonien und Oratorien schafft, als derjenige, der Kindermärchen illustriert, der Reime oder Melodien für das kleine Volk erfindet, aber eins schließt, wie wir sahen, das andre nicht aus, und undankbar ist's wahrlich nicht, sich auch einmal in den Dienst der Kinderwelt zu stellen! Das hat Schreiber dieses auch, wie man drastisch zu sagen pflegt, an eigner Haut erfahren. Allein_troßder geneigte Leser möge verzeihen, wenn ich ein kurzes Wort pro domo bin ich zuweilen meinen „Kinderliedern“ und andern Werken für die Jugend gram gewesen, weil ich mir nicht verhehlen konnte, daß sie in gewisser Beziehung meinen größeren Werken im Wege standen. Und gewiß ist es verzeihlich, wenn ein Komponist seine bedeutenderen Werke nicht gerne um jener willen vernachlässigt sehen will. Doch, wie dem auch sei - einen Vorzug befißt das Schaffen für die Kinderwelt dennoch für sich allein: während die Erfahrung lehrt, daß sich die Anschauung, der Kunstgeschmack, ja selbst das Empfinden der Menschheit im Laufe der Jahre wunderbar wandelt, so daß manches, was unsre Väter etwa zu Tränen gerührt hat, uns heute kalt läßt, vielleicht gar albern erscheint, gewahren wir, daß das unverdorbene Kind von

dem rede

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