Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Als ich 1872 Emanuel Geibel in Lübeck besuchte, da litt er bereits an einer andauernden Krankheit, die ihn aber nicht im mindesten an eine Matraßengruft fesselte. Zwei bis drei Stunden gegen Abend trat regelmäßig eine Pause in seinem Martyrium ein; die Krankheit gönnte ihm gleichsam einen Urlaub, den er meistens zu Spaziergängen benußte; die Nacht aber und die übrige Zeit des Tages wurde er von Schmerzen heimgesucht, die sein Leben verdüsterten. So schilderte er mir wenigstens damals seinen Zustand.

"

Ich hatte zu den Münchner Dichtern wenig Beziehungen. Als Dingelstedt noch Intendant in München war, da korrespondierte ich mehrfach mit ihm. Er hatte mein Lustspiel Pitt und For“, über das er sich sehr günstig aussprach, zur Aufführung gebracht; doch Dingelstedt war schon lange nicht mehr an der Isar; er hatte inzwischen an der Ilm und an der Donau theatralische Lorbeeren geerntet. An Emanuel Geibel hatte ich mich nur einmal gegen Ende der siebziger Jahre gewendet, als ich in meinen Neuen Gedichten den Versuch gemacht, antike Odenstrophen zu reimen; ich bat ihn, mir seine Ansichten hierüber mitzuteilen; wie ich darüber dachte, hatte ich in meinem Briefe auseinandergeseßt. Ich erhielt eine längere und sehr eingehende Antwort von ihm; er konnte sich indes nur mit dem Reim in der sapphischen Strophe einverstanden erklären; bei der alfäischen hob er hervor, daß die leßte Silbe der ersten zwei Zeilen eine kurze sei, die als solche den Reim nicht vertrage. Wenn er hierin auch recht hatte, so konnte ich wohl dagegen einwenden, daß es ja im Deutschen nicht auf eine so genaue Nachbildung des antiken Schemas ankomme, daß hier sehr gut die Kürze in eine Länge verwandelt werden kann, indem es sich ja nur darum handelte, die deutsche Lyrik mit schöngegliederten Strophen zu bereichern, in denen jede Zeile eine regelmäßige rhythmische Bewegung enthalte und dabei in den Vollklang des Reims auslaufe. Einen Widerspruch zwischen dem Reim und einer sorgfältig durchgebildeten Metrik wollte ich nicht anerkennen und bin auch heute derselben Ansicht, da ja sonst nur die Knüttelverse berechtigt und auch das korrekte jambische und trochäische Versmaß ganz überflüssig wären.

"

Auch sonst war ich Geibel nicht unbekannt, er war gerade mit der Lektüre meines Schauspiels Herzog Bernhard von Weimar" beschäftigt. Seine Persönlichkeit deckte sich vollständig mit dem Bilde, das man sich von einem deutschen Dichter zu machen pflegte, wenigstens von einem Dichter der alten Schule, von einem Lyriker; ausdrucksvolle Züge und Augen, langes welliges Haar; ja die Schönen, deren aufkeimende erste Liebe er so oft besungen, hätten in ihm leicht einen Troubadour und Minnesänger sehen können, dem nur die Zither am blauen Bande fehlte. Doch hatten seine Züge nichts Weiches und Verschwommenes, sondern etwas Energisches, und der Sänger, der einst in feurigen Versen einen Herwegh zum Kampfe herausgefordert und die politischen Heroldsrufe gedichtet hatte, prägte sich schärfer darin aus, als der Backfischlyriker, den einige von ersten Eindrücken allzu abhängige Kritiker in ihm sehen wollten. Die Krankheit, die ihm so arg zuseßte, mochte ihm wohl etwas von der Frische seines Wesens genommen haben; aber einen Schmerzenszug hatte sie ihm nicht aufgeprägt, und

wenn ich an den Märtyrer Heinrich Heine dachte, so mußte ich mir sagen, daß dem Dichter der zarten Minne von einem bösen Geschick bei weitem nicht so mitgespielt worden war, wie dem Poeten der tecken Liebeslust. Geibel hatte ein sonores, auch durch die fortwährenden Leiden nicht gebrochenes Organ. Heines Stimme klang zwar nicht wie eine Grabesstimme aus der Matraßengruft heraus; doch sie hatte etwas Schwächliches, Krankhaftes, und die böswilligen Pointen in seinen Gesprächen machten den Eindruck kleiner Nadelstiche.

Geibel lebte seit 1868 ganz in Lübeck, während er bis dahin alljährlich einige Monate auch in München zubrachte; er bekleidete ja dort eine Ehrenprofessur an der Universität und erhielt eine Pension, die ihm aus der königlichen Kasse gezahlt wurde. König Ludwig II. hatte ihm diese Pension entzogen und zwar wegen eines Gedichts, das er zum festlichen Empfange des Königs Wilhelm in Lübeck gedichtet hatte. Da trat dieser König selbst für ihn ein und bewilligte ihm eine Jahrespension von eintausend Talern. Alle Beziehungen des Dichters zu Bayern und seiner Hauptstadt waren jezt abgebrochen, und er konnte in seiner Vaterstadt Lübeck seinen dauernden Aufenthalt nehmen. Er bewohnte in der Breitenstraße von St. Jakobi eine Etage, die überall eine freundliche Aussicht bot; hinten aus seinem Studierzimmer sah man auf die hohen Wipfel der Bäume, die den Wall beschatteten. Hier saß er oft im Lehnstuhl am offenen Fenster; in diesem Studierzimmer traf ich ihn — wie himmelweit verschieden war dies von dem engen, düsteren Hinterhofzimmer, in dem Heine seine Passionszeit verbrachte! Hier war Luft und Licht, und wenn Geibel von seiner Krankheit sprach, so wollte man kaum an die Leiden glauben, die ihn heimsuchten; es fehlte ja ganz die düstere Beleuchtung des Krankenzimmers.

Mir waren die ersten Gedichte von Geibel wenig sympathisch gewesen; seine Liebeslieder erschienen mir als ein Liederbuch für Konfirmandinnen. Da ich mich in meiner Jugend in der Gefolgschaft Georg Herweghs befand, so traf der Fehdebrief, den Geibel gegen den „Lebendigen" gerichtet hatte, auch mich, wie alle gleichgesinnten dichterischen Genossen. In den ersten Auflagen meiner Nationalliteratur hatte ich daher die Liebeslyrik Geibels nicht allzu glimpflich behandelt; in den späteren aber seiner gedankenvollen und durchaus männlichen Dichtung, die in den Bahnen Schillers wandelte, die gebührende Anerkennung zuteil werden lassen. Immerhin stand er auf einem andern geistigen Boden als ich. Er war in einem Pfarrhause geboren, und etwas wie theologisches Parfüm dufteten viele seiner Gedichte; ich war als ein Tornisterkind, Sohn eines preußischen Offiziers, der von Schlesien nach dem Rhein versezt worden und nach seiner Pensionierung in sein Heimatland gezogen war, in der Welt herumgewandert, ohne alle patriarchalischen Erinnerungen, und meine. Jugendzeit fiel in die Epoche der politischen Bewegung und der junghegelschen Freigeisterei. In unsern Gesprächen trat aber dieser Gegensaß durchaus nicht zutage; wir hatten viele gemeinsame Interessen auf dem Gebiete der Dichtkunst, des Theaters; wir hatten beide inzwischen die Heldentaten der Deutschen in dem großen Kriege von 1870 poetisch verherrlicht; die früheren Unterschiede waren ausgelöscht.

Ich hielt mich in Travemünde auf, um das Seebad und das Strandidyll zu genießen, das damals noch nicht durch eine Sturmflut verwüstet worden war; ich hatte bei der Table d'hote und den Spaziergängen am Strand und in den Anlagen viele Bekanntschaften gemacht und konnte mir sogar den pikanten Luxus gestatten, einmal ein ziemlich zahlreiches Damencafé zu arrangieren, bei dem die überwachenden Matronen nicht fehlten. Die angenehmste Ueberraschung in einer Badesaison war aber ein Besuch des kranken Dichters, der mit dem Dampfer von Lübeck herüberkam; es war gegen Abend, die Zeit, wo er von Schmerzen frei war und er hatte überdies gerade einen besonders guten Tag. So saßen wir beim schäumenden Champagner zusammen in lebhafter und heiterer Unterhaltung. Geibel war sehr gesprächig und gedachte seiner Münchner Erlebnisse; mit besonderer Liebe verweilte er bei dem Klub der Krokodile und bei Paul Heyse, dessen Talent er aufs wärmste anerkannte. Für eine der barocksten Novellen des Dichters, die damals gerade erschienen war, hatte er ein begeistertes Lob. Als ich ihn durch die schönen Anlagen des Seebades zurück zu seinem Dampfer begleitete, kam er nun auf Heinrich Heine zu sprechen, und hier begab sich das Wunderbare, daß der Sohn des Pfarrhauses, der Dichter der keuschen Minne, weit entfernt, eine ablehnende Haltung anzunehmen, dem gottlosen Pariser Poeten die wärmste Teilnahme entgegenbrachte. War doch Geibel auch mit Freiligrath trop aller abweichenden politischen Ansichten, ja troß seiner extremen revolutionären Gedichte, die ihm doch als eine Verirrung erscheinen mußten, zeitlebens in freundschaftlichen Beziehungen geblieben. Die zusammen verlebten schönen Sommertage von St. Goar waren unvergessen, ebenso daß sie einst der schwäbische Dichter, zur Zeit als seine begeisterte Lyrik sich schon zu epigrammatischen Pointen zusammengekrümmt, als ein Zweigespann mit seiner satirischen Geißel gezüchtigt hatte, als die beiden „Kamele", die der König bezahlte, „dreihundert Taler die Seele“, denn so hoch belaufen sich die Pensionen, die Geibel sowohl als auch Freiligrath damals von dem Könige von Preußen erhielten. Im September 1846 hatte Geibel an Freiligrath geschrieben: „Wer von uns den rechten Weg geht, das mag Gott entscheiden, aber ebenso gewiß, wie ich weiß, daß Du Deinen Schritt aus ehrlicher Ueberzeugung getan hast, ebenso gewiß mußt Du wissen, daß es meine ehrliche Gesinnung ist, wenn ich ihn nicht mitmache. Möge Dir der frische Hauch vom Züricher See schöne Lieder in die Seele wehen, an denen ich mich freuen werde, auch wenn ich sie nicht unterschreiben kann. Du sagst ja selbst: Hau', wie dich's drängt, dir deinen Weg zu Gott! Und so wirst Du denn auch meinen in seiner Weise gelten lassen.“ An diesen Brief und an diese Beziehungen zu Freiligrath mochte ich mich wohl erinnern, als Geibel mir seine Bewunderung für Heinrich Heine, mit dem er freilich nie persönlich zusammengekommen und befreundet gewesen war, aussprach. Doch unser Gespräch verwandelte sich auf einmal in eine Anthologie aus Heines Gedichten; Geibel fing an, eins oder das andre aus dem Gedächtnis herzudeklamieren; ich folgte seinem Beispiel, und so ging es eine Viertelstunde lang fort, ohne Souffleur, ohne Gedächtnisfehler. Hätten die hohen Wipfel in den

Anlagen, die uns zu Häupten rauschten, etwas von Literatur verstanden, sie würden mit Spannung zugehört und es dem deutschen Dichterwald weiter vertündet haben, daß Emanuel Geibel seinen Heinrich Heine auswendig kennt. Denn ob die Poeten auf der rechten oder linken Seite des Parnasses sizen, sie sind doch alle Brüder in Apoll, und einer versteht den andern, in welcher Sprache er auch sprechen mag.

D

Der Friede von Villafranca.

Bon

Germain Bapst (Paris).

Villafranca

Jie Nachricht von der Unterzeichnung der Friedenspräliminarien zu überraschte die ganze Welt. Man konnte sich nicht vorstellen, daß der Erbe Napoleons I., von dem man dachte, daß er in den Krieg gezogen sei, um Europa niederzuwerfen, plößlich mitten in seinen Erfolgen Halt machte. Besonders die Staatsmänner waren fassungslos, und bei mehreren von ihnen mischte sich Aerger in das Erstaunen: sie hatten darauf gerechnet, daß der Krieg noch lange dauern und daß sie irgend einen Vorteil aus ihm ziehen würden und nun war er mit einem Male zu Ende. Was sie besonders ärgerte, war, daß die Kriegführenden, indem sie unmittelbar miteinander verhandelten, ohne die guten Dienste ausgekommen waren, die die neutralen Mächte gern geleistet hätten und die sie jenen sogar in einem gegebenen Augenblick aufnötigen zu wollen sich rühmten.

[ocr errors]

So wurde denn auch das Abkommen, kaum daß es geschlossen war, für hinfällig und unausführbar erklärt: es war nur das Ergebnis eines Mißverständnisses gewesen, und bald bezeugten mehrere Großmächte ihre Unzufriedenheit, indem sie sich gegenseitig des Betruges beschuldigten.

[ocr errors]

Wer wird betrogen?" das war die Frage, die in allen Staatskanzleien wiederholt wurde und die die Presse zahlreichen Artikeln als Titel gab.

Obwohl fast ein halbes Jahrhundert seit diesen Ereignissen verflossen ist, so ist die Frage doch noch nicht gelöst, und noch immer schwebt das Geheimnis über den Gründen, die die Kaiser von Desterreich und von Frankreich veranlaßt haben, so plözlich Halt zu machen. Noch mehr, es scheint sogar, als ob die zur Lösung dieses historischen Problems befähigten Persönlichkeiten sehr darauf gehalten haben, das vollkommenste Schweigen zu bewahren.

Nicht nur die englischen Blaubücher sind über die Verhandlungen von Villafranca stumm geblieben, sondern auch die Biographen Lord Palmerstons und Lord John Russells, Ashley und Walpole, die die politische Tätigkeit ihrer Helden auf Grund eines so reichen urkundlichen Materials und mit einer solchen Ueber

fülle von Details schildern, haben das, was die uns interessierenden Verhandlungen aus der Nähe oder aus der Ferne berührt, vollständig mit Stillschweigen übergangen. In Italien sind Gott weiß wie viele Memoiren, Briefe und Sammlungen über das Risorgimento erschienen; man lese sie nach man wird be. merken, daß nicht ein einziges diplomatisches Schriftstück aus der Periode des Krieges in Italien (Mai, Juni und Juli) darin Plaß gefunden hat.

Die Geschichtschreiber, die die Frage am vollständigsten behandelt haben, und zwar in Werken, die man nicht erst zu rühmen braucht, sind H. v. Sybel und H. Friedjung.

Chne die Ursache dieses augenscheinlich interessierten Stillschweigens zu erörtern, wollen wir hier durch neue Dokumente, unter Beizichung der bereits erschienenen, und vermittelst der Zeugnisse der noch lebenden Persönlichkeiten, die an jenen Ereignissen beteiligt waren, etwas Licht in diese Finsternis zu bringen versuchen.

Wir werden zu erklären bestrebt sein, wie es möglich war, daß Mächte einander des Betrugs beschuldigten; warum der siegreiche Kaiser Napoleon III. plöglich innehielt, um Frieden zu schließen, und warum er sich überdies dem Anschluß der Staaten Mittelitaliens an Piemont offiziell widerseßte.

Die italienische Frage hatte die Wirkung gehabt, daß sie die meisten europäischen Regierungen spaltete, derart, daß jede von ihnen wie Frankreich zwei italienische Politiken hatte, die natürlich einander entgegengeseßt waren; die Folge davon war, daß die Akten einer politischen Partei, die geheim geblieben waren, von der andern Partei, die sie nicht kannte, abgeleugnet werden konnten. Das ist die allgemeine Ursache der Vorwürfe, die im Juli 1859 zwischen verschiedenen europäischen Staaten ausgetauscht wurden.

Daß alle europäischen Staaten damals gespalten gewesen sind, ist eine erwiesene, jezt unbestreitbare Tatsache.

In England waren die Königin und der Prinz-Gemahl österreichisch, das Tory-Ministerium wollte sich einen neutralen Anschein geben, suchte aber dabei unter der Hand Desterreich zu unterstüßen. Das Ministerium Palmerston, das am 11. Juni darauf folgte, war geteilt: sein Chef und Lord John Russell waren Anhänger der italienischen Unabhängigkeit, aber mit der Einschränkung, daß England irgend einen Vorteil daraus ziehen müsse; die andern Minister wollten nicht aus der Neutralität heraustreten. Ueber einen Punkt waren alle Minister, die Königin, der Prinz-Gemahl, das Volk und die Presse einig: das war, zu verhindern, daß Italien ein Staat unter französischem Einfluß würde, weil ihnen sonst das Mittelmeer aus der Hand gleiten mußte. Wir sehen denn auch Minister und Zeitungen unablässig alles mögliche ins Werk sezen, um dieser Gefahr zu begegnen und die Italiener mit den Franzosen zu veruneinigen, und zwar mit um so größerer Dreiftigkeit, als sie befürchteten, daß zwischen Frankreich und Rußland mit Bezug auf die Orientfragen ein Bündnis geschlossen worden sei. In den deutschen Staaten mit Ausnahme Preußens stand man einmütig auf seiten Desterreichs.

« ZurückWeiter »