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und nackt, aber voll so vieler Erinnerungen! Um diesen grünen Wollteppich waren so viele Größen, so viele berühmte Männer defiliert, alles, was die Stärke der Comédie Française ausgemacht hatte, war da vorübergekommen; die größten Schauspieler hatten sich hier niedergelassen, Talma war hier mit sich zu Rate gegangen, die bedeutendsten Schriftsteller hatten hier ihre Werke gelesen. Am Ende dieses Tisches hatte Balzac an einem Sommertag, in Schweiß gebadet, in Hemdärmeln den letzten Aft von ,,Mercadet" gelesen nein, nicht gelesen, sondern improvisiert vorgetragen, gemimt, gespielt, indem er ein Heft in der Hand hielt, in dem nicht eine Zeile dieses Aktes stand! Und nach ihm so viele andre, so viele berühmte Männer! Wie viele Meisterwerke hatten diese einfachen Mauern angehört! Das kleine Trinkglas das merkwürdigerweise bei dem Brande gerettet wurde - Augier, Dumas hatten darin während des Vorlesens der,,Effrontés" und ,,Francillons" ihre Lippen geneßt!

Als die Tür sich nach der Beratung des Komitees auftat, das soeben Rostands Stück angehört hatte, kam eine schlechte Kunde heraus. Das Stück war abgewiesen worden. Die ,,Pierrots" hatten ihren Richtern nicht gefallen. De Férandy hatte das Stück vorgelesen und zwar sehr gut vorgelesen. Das Stück schien entzückt zu haben. Aber Got, der Doyen, hatte gegen die Pierrots geeifert. Solche Pierrots gab es viele auf der Bühne, es gab deren zu viele. Jeder junge Autor, der ein Stück in einem Akte und in Versen schreiben wollte, schrieb einen „Pierrot“. Die Pierrots nähmen überhand, alle Tage würde einer dahergebracht. Man hatte schon den „,Pierrot" von Banville und den von Théophile Gautier in Angriff genommen. Alle andern waren nur Nachahmungen. Es bestehe, sagte Got, durchaus keine Notwendigkeit, noch einen mehr aufzuführen. Im übrigen verkannte Got weder das Talent noch die Phantasie des Werkes, und seine Schlußfolgerung war klar und bündig: Rostand ist jung, er möge ein andres Stück schreiben, und wir werden es geben!" Umsonst verteidigte mein Vater das Stück, dessen Laufpate er gewissermaßen im Verein mit Férandy war, Gots Ausführungen gaben bei der Abstimmung den Ausschlag, und das Stück wurde zurückgewiesen.

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Als Rostand die schlimme Nachricht erfuhr, war er außer sich, dieser Mißerfolg war unerwartet. Er ließ sich indessen nicht entmutigen; er verstand die Gründe des Komitees; er machte sich von neuem an die Arbeit und schrieb ein andres Stück, das er einige Monate später bei der „Comédie Française" einreichte. Es hieß „Le mur“. Aus diesem Stück wurde,,Les Romanesques“, das Werk, mit dem Rostand auf der Bühne debütierte und das ihn berühmt machte. Le mur" war ein Schwant in Versen, die Geschichte des Hasses zweier Nachbarn, die eine Mauer trennt, und die später, nachdem sie sich versöhnt haben, nur noch den einen Wunsch hegen, diese Mauer wieder aufgeführt zu sehen, die ihnen wie ein alter Freund von ehemals fehlt. Durch das Niederreißen der Mauer, die der Gegenstand des Zwistes ist, solange sie die beiden Gärten trennt, entsteht eine solche Leere, daß die alten Zänkereien wieder anfangen.

Die Idee ist hübsch, und Pierre Loti hat eine treffliche Novelle daraus gemacht, betitelt: „Le mur d'en face", die Geschichte zweier alten Jungfern, die untröstlich darüber sind, daß eine Mauer ihr kleines, trauriges Zimmer verdüstert, die sie aber, nachdem sie sie haben niederreißen lassen, aufs schmerzlichste vermissen. „Le mur“ von Loti erinnert mich an ,,Le mur" von Rostand. Es sind zwei Gedichte. Das Bild Pierre Lotis ist eine ergreifende, von tiefer Melancholie durchdrungene Novelle. Le mur" von Rostand ist weniger traurig. „Pierrot qui rit", der zum „Strafforel“ geworden ist, hat seine Mauer aufgeführt; es ist eine Idylle, ein Liebesgedicht, das sich im Schatten seiner alten, mit Glycinien und Clematis gekrönten Mauer abspielt. Zwei junge Leute lieben sich, die von zwei Familien abstammen, die sie für Feinde halten wie die Montague und die Capulet. Die ganze romantische und Romanliteratur hat sie genährt. Sie glauben sich im geheimen zu lieben in dem Laubwerk der Mauer, vom Gesang der Nachtigall eingewiegt, von den Strahlen des Mondes beleuchtet, der Aufsicht der Eltern entzogen, von Häschern verfolgt, Räuber niederhauend, beim Klang der Mandolinen Degen und Dolch führend. Die Mauer, die sie trennt, vereinigt sie; aber und hierin liegt der ganze Reiz und die ganze Ironie der Komödie Rostands — mit der niedergerissenen Mauer fallen alle ihre Illusionen, eine nach der andern. Der Haß der Eltern, die Strahlen des Mondes, die Häscher in den großen Mänteln von der Farbe des Gemäuers, die Serenaden, Entführungen, Degen, alles dies existiert nicht mehr, alles dies war eingebildet; die große Leere, die das Fehlen der Mauer verursacht, zeigt den beiden Liebenden die Wirklichkeit des Lebens - das einfache Leben, das leichte, das banale Leben. Aus ist's mit der Poesie, mit der Romantik aus ist's mit der Liebe. Sie ist mit dem legten Karren Steine von der alten Mauer verschwunden. Und damit die Liebe wieder erwache, muß die Mauer wieder aufgeführt werden mit ihrem Efeu, ihren Glycinien und ihrer Poesie.

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Das Lustspiel ist köstlich; es ist modernisierter Musset. Dieses Stück, das Rostand von einem Tage zum andern berühmt machte, wurde jedoch von der Comédie Française nicht sofort angenommen. Als Edmond Rostand sich zum zweitenmal vor dem Lesekomitee des Théâtre Français zeigte, wurde sein Stück nur „à corrections" angenommen. „A corrections“, das heißt: „Nehmen Sie Ihr Stück wieder mit; es gefällt uns. Es ist Gutes darin, aber so, wie es ist, läßt es sich nicht spielen. Sie müssen es noch umarbeiten.“ Und Rostand, immer geduldig, nahm sein Stück wieder mit. Er machte sich zum zweiten Male ans Werk, arbeitete um, forrigierte, modifizierte, und einige Monate später waren aus seinem ursprünglichen Stück „Le mur" die „Romanesques" geworden, die am Montag den 21. Mai 1894 gegeben wurden. Rostand hatte gearbeitet und brachte der Comédie Française sein Stück wieder, das er in das Kabinett Picards, des Pförtners der Comédie, legte, mit folgenden Worten, die er in der Eile auf einer Tischecke an meinen Vater schrieb (ich schreibe sie hier ungefähr aus dem Gedächtnis nieder): „Ich habe 950 Verse statt 1200, das bedeutet einen Akt weniger. Ich habe den Plan des zweiten Aktes geändert, eine Scene

gestrichen. Ich habe meine Form gefeilt... So wie das Stück ist, wird es feine Stunde dauern."

Das Stück wurde angenommen. Es wurde jedoch nicht sogleich aufgeführt, und Rostand geriet in Verzweiflung. Er hatte es, wie jeder Autor, mit Recht sehr eilig, sein Stück so bald als möglich gespielt zu sehen. Und doch wollte er es noch immer nicht glauben, daß sein Traum sich verwirklichen solle: „So bald wie möglich aufgeführt zu werden," schrieb er, und Ende August wiederholt zu werden! Träume ich?"

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Die Comédie gab damals „,Antigone" und war im Begriffe, Edouard Paillerons,,Cabotins" aufzuführen. Rostand wünschte zwischen den beiden gespielt zu werden: „Die Comédie,“ schrieb er, „hat einen schönen Erfolg in der Hand. Sollte man nicht einen weniger sicheren wagen mit dem Stücke eines „Jungen, einem leichten Gericht?... Es ist zwei Jahre her, daß ich mein Stück eingereicht habe, drei, daß ich es mit dem ,Pierrot' versuchte . . .'

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Es war in der Tat drei Jahre her, daß Rostand das Stück,,Pierrot qui pleure et Pierrot qui rit" eingereicht hatte, das vom Komitee zurückgewiesen worden war.

Der Erfolg der,,Romanesques" entschädigte den Dichter für die Wartezeit. Und doch verlangten die Künstler, obwohl sie das Stück angenommen hatten, noch bei den Proben Aenderungen; der Verfasser fügte zum Beispiel die Couplets Sylvettes an das Publikum hinzu, die das Auditorium vollständig bezauberten.

„Der Erfolg war außerordentlich lebhaft," schrieb Francisque Sarcey. „Der erste Akt, der für sich allein ein ganzes Stück ist, fand glänzenden Beifall. Es ist eine entzückende Erinnerung an das reizende Lustspiel Afred de Mussets ,Wovon die jungen Mädchen träumen. Der Autor redet eine freie und muntere Sprache, die an Scarron, Regnard und Banville anklingt. Die Reime darin flingen wie frische, lustige Fanfaren, es ist ein Entzücken.“

Die Premiere der ,,Romanesques" war in der Tat entzückend. Ein Dichter war uns geboren, ein französischer Dichter mit einer echt gallischen Verve, mit einer munteren Sprache, die an die Don César de Bazans in „Ruy Blas" erinnert, jenes Don César, aus dem Rostand später Cyrano machte. Mit dem ersten Schlag hatte Edmond Rostand das Publikum erobert, und mit dem ersten Schlag hatte der Dichter auch seine Form gefunden. Es gab eine köstliche Ueberraschung am Abend der Premiere von ,,Les Romanesques", es war, als ob inmitten aller Nebel, aller Trübseligkeiten und Neurasthenien mit einem Male der helle Genius Frankreichs erwachte. Fröhlichkeit, Liebe, Poesie und Degenstöße, Heroismus - wäre es selbst zum Lachen - das ist's, was in unserm Frankreich gefällt, das nur deswegen trübsinnig und verstimmt ist, weil man ihm nicht oft genug die Lebensfreude, das Sonnenlicht und den Duft der Blumen vorführt. Rostand hat es verstanden, im richtigen Augenblick den rechten Ton zu finden. Dieser lyrische Dichter ist heroisch gewesen. Als ich ihn kürzlich die Lobrede auf de Bornier halten und die ,,Fille de Roland" rühmen, von Durandal und Joyeuse, den beiden Schwertern Rolands und Karls des Großen sprechen

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und die Gemütsbewegungen schildern hörte, die das Theater im Herzen der Menge hervorrief, kam mir der Gedanke, daß der glänzende Erfolg Rostands darin seinen Ursprung hat, daß auch er ein heroischer Dichter, ein nationaler Dichter ist. In seiner schönen Antrittsrede in der Akademie spricht Rostand beredt von Henri de Bornier, dem fleinen,,Pêcheur de lune", der eines Tages, im Grase versteckt, Durandal, das große und schwere Schwert Rolands findet. Dieses Schwert hebt Bornier auf, schwingt es, läßt es über seinem Kopf wirbeln und schenkt uns „La fille de Roland".

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Auch Rostand führt in seinen Versen den Degen. Es ist nicht das schwere Schwert der mittelalterlichen Ritter, mit dem freuzförmigen Griff, sondern es ist ein ebenso französischer Degen, es ist der elegante, schmale, geschmeidige Degen unjrer Musketiere jener Degen mit der bebänderten Glocke, mit den kunstvollen, vergoldeten Querstäben, den man am helllichten Tage aus der Scheide zog, um sich ritterlich auf der Place Royale zu duellieren. Es ist der Degen d'Artagnans, den er in rascher Drehung blißen läßt. Er hat nicht die fast religiöse Würde jener großen Schwerter der Paladine, die in ihrem Knauf Stücke ivon dem wahren Kreuz des Heilands enthielten, die Helme spalteten und Panzerhemden zerfeßten er hat die feinere, gefällige Grazie jener Degen, die den Mantel so elegant in die Höhe heben und mit ihrer Scheide an die Lederstiefel schlagen, jener Degen, die Schmuckstücke und Kunstwerke sind, wie der, den Don Salluste dem Ruy Blas gibt:

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,,La poignée est de Gil, le fameux ciseleur,

Celui qui le mieux creuse, au gré des belles filles,
Dans un pommeau d'épée, une boîte à pastilles."

Er ist auch eine Waffe, und zwar eine durchaus französische; sie fliegt für Ehrensachen aus der Scheide; der Degen Cyranos trifft mit seiner flachen Seite die Zudringlichen, die Anmaßenden, die Dummköpfe und die Feiglinge, mit seiner Spige verteidigt er das Vaterland bei der Belagerung von Arras. Er ist lustig, er ist lebendig, er hat eine Seele.

,,Ayez une âme, ayez de l'âme, on en réclame!

De mornes jeunes gens aux grimaces de vieux
Se sont, après un temps de veulerie infâme
Aperçus que n'avoir pas d'âme

C'est horriblement ennuyeux!"

fagte Rostand zu den Schülern des Collége Stanislas.

„Habt eine Seele und hegt einen Traum der Phantasie, einerlei welchen!" - das ist die Moral der Stücke Edmond Rostands. Einen Traum wie Sylvette und Percinet in den ,,Romanesques", wenn auch dieser Traum einstürzen mußte; einen Traum wie Joffroy Rudel, der sich aufmacht, die „ferne Prinzessin“ zu erringen, und der daran stirbt; einen Traum wie Cyrano, mochte er sich auch nie verwirklichen.

Rostand soll uns eine ,,Jeanne d'Arc" geben, und er ist außerdem noch mit zwei andern Stücken beschäftigt, ,,Le Théâtre", das er durch Coquelin auf

führen lassen will, und „La maison des amants", das er für die Comédie Française bestimmt hat.

,,Le Théâtre" — ein schöner Titel! Er hat mit großer Beredsamkeit über das Theater gesprochen in seiner Rede in der Akademie, an der schönen Stelle, die von den Brettern" handelt.

„Ich kenne die Bretter nicht," sagt Rostand. Was wirklich von einem Drama zurückbleibt, wenn das Licht ausgelöscht ist, das ist nicht der Ton der Stimme des Schauspielers, nicht die Kostüme der Figuranten es ist die Stimme des Dichters, der die Rampe passiert hat, der Atem der Begeisterung, der von den Brettern in den Saal gedrungen ist, der Traum des Verfassers, der am nächsten Tage der der Menge sein wird. Das Theater ist das Phantasiegebilde, der Heldenmut, und für Rostand ist der Heldenmut das Leben.

So habe ich denn erzählt, wie der Dichter des ,,Cyrano“ in der Comédie Française debütierte. Es war der erste Flug des jungen Adlers.

Ueber Licht erzeugende Organismen.

Bon

Prof. Karl B. Hofmann (Graz).

Wie Welt

ie die Farbenpracht, durch die sich die organische Welt auszeichnet, auf das empfängliche Gemüt des Menschen wirkt, so auch das Licht

nur

in noch erhöhtem Maße, wenn es von lebenden Wesen ausstrahlt, und zwar je nach seinem Bildungsgrade bald ästhetisch anregend, bald mit gespenstischem Bangen ihn erfüllend. Die erste Art von Lichterscheinung die Farben, umgeben

uns während unsers ganzen Lebens; wir sind an ihren Eindruck gewöhnt. Nur wo sie in besonderer Herrlichkeit sich uns darstellen, wecken sie unsre Aufmerksamkeit, oder wenn sie in toten Felsengebieten, in der pflanzenlosen Sandfläche oder bei manchen Tierformen zu gebrochenen grauen oder braunen Tönen herabgestimmt sind.

Unfre Binnenländer erfreuen sich nur eines sehr bescheidenen Anteils an diesem lebendigen Feuerwerk. Es beschränkt sich fast auf die in ihrem unstäten Fluge aufblizenden Johanniskäferchen und ihre stärker leuchtenden, trägen Weibchen die „Glühwürmer“. Nur wenigen dürfte sich wohl die Gelegenheit geboten haben, den milden Schein zu beobachten, den moderndes Holz bisweilen verbreitet.

Unvergleichlich bevorzugt sind hierin die Tropen. Wie dort, wo die Sonnenstrahlen ihre ganze lebenspendende Fülle und Macht entfalten, das Leben über

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