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also keine erschöpfende Auskunft über den Umfang ihrer farbigen Empfindungen.

Aehnlich ist es auch bei den Untersuchungen an Kindern. Die Namen, die sie den ihnen vorgelegten Mustern geben, sind nicht absolut bezeichnend für den Zustand ihrer Empfindung, häufig schon deswegen nicht, weil die Prüfungen mit farbigen Papieren, Wollmustern 2c. an so jungen Kindern angestellt wurden, daß noch gar keine Gewähr dafür besteht, sie seien bereits geistig so weit entwickelt, daß sie die Farbennnamen auf ihre verschiedenen qualitativen Gesichtsempfindungen richtig zu beziehen gelernt haben.

Solche Prüfungen an Kindern können uns wohl darüber belehren, zu welcher Zeit das Kind in seiner geistigen Entwicklung so weit vorgerückt ist, qualitativ verschiedene optische Eindrücke in der Erinnerung zu sondern und die Farbennamen, die es durch das Gehör kennen gelernt hat, richtig auf seine qualitativen Gesichtseindrücke zu beziehen. Sie können uns auch darüber Aufschluß geben, wann das Kind Wortgedächtnis genug besigt und genügend sprechen gelernt hat, um die Farbennamen nicht mehr zu verwechseln. Keineswegs berechtigen solche Versuche aber zu dem Schlusse, daß die Farbenempfindung zu einer bestimmten Zeit des kindlichen Lebens entstehe.

Es läßt sich vielmehr mit aller Bestimmtheit zeigen, daß die Kinder, sobald sie die Formen der Gegenstände kennen, auch deren Farben unterscheiden.

Zur Prüfung des findlichen Farbensinnes habe ich ein Experiment ausgeführt, das ebenso einfach als sicher ist, und das ich jedem nachzumachen empfehle, der sich über diese Seite des Seelenlebens der Kinder belehren will.

Ich habe nämlich diejenigen Gegenstände, die die mit Kuhmilch aufgezogenen Kinder zuerst kennen lernen, nämlich die Saugflasche, farbig angestrichen.

Von zwei äußerlich ganz gleichen Flaschen war die eine rot, die andre grün gefärbt.

Die rote Flasche ist regelmäßig mit Milch gefüllt, die grüne leer. Beide Flaschen werden dem Kinde immer gleichzeitig nebeneinander präsentiert, und zwar so, daß bald die rote Flasche in der rechten und die grüne in der linken Hand der Wärterin bezw. der Mutter sich befindet, bald in umgekehrter Anordnung dem Kinde genähert wird.

Derselbe Versuch wurde mit blauen und gelben Flaschen angestellt.

Schon nach kurzer Zeit, und zwar um so früher, je älter die Kinder sind, finden sie richtig heraus, in welcher Flasche die Milch ist. Sie lassen dann die grüne ganz unbeachtet und greifen regelmäßig nach der roten.

Ganz ebenso greift ein andres Kind bei demselben Experiment, wenn die grüne Flasche die Milch enthält und die rote leer ist, regelmäßig nach der ersteren und läßt die rote unbeachtet. Dasselbe Resultat liefert der Versuch mit gelben und blauen Flaschen.

So läßt sich zeigen, daß die Kinder lange vor der Zeit, da sie zu sprechen anfangen, nämlich schon, sobald sie zielbewußt zu greifen beginnen, bereits alle Farben richtig unterscheiden.

Der Zeitpunkt, wann das festgestellt werden kann, ist bei verschiedenen Kindern nach ihrer Entwicklung natürlich verschieden, bei manchen aber schon im sechsten Lebensmonat, bei vielen erst geraume Zeit später.

Das beschriebene einfache Experiment liefert also den unwiderleglichen Beweis, daß die Kinder schon in einer äußerst frühen Entwicklungsperiode alle Farben unterscheiden.

Die Abhängigkeit der Kunftbegriffe von der finnlichen Erfahrung.

Die Bestrebungen, die Kunst im Leben des Kindes zu fördern, sind jüngeren Datums. Zuerst begann man in Amerika die ersten Aeußerungen und zeichnerischen Darstellungen der Kinder auf ihren künstlerischen Wert zu untersuchen und diesen kindlichen Darstellungen bestimmte Direktiven zu geben. Erst in den lezten Jahren hat auch in Europa, und zwar vornehmlich in England und Deutschland, ein allgemeineres Interesse sich diesem Gegenstande zugewendet; man versucht, die Kunst im Leben des Kindes anzuregen und in bestimmte Bahnen zu lenken.

Ein Produkt dieser Bestrebungen sind zunächst die Wanderausstellungen von künstlerischen Leistungen der Kinder und von Vorbildern für solche geworden. Wer diese ausgestellten Vorbilder gesehen hat, also die Bilderbücher zur Erziehung der Kunst im Leben des Kindes, wird wohl den Eindruck empfangen haben, daß hier, mit ganz geringen Ausnahmen, dem kindlichen Kunstsinne Vorlagen geboten wurden, die nach dem Geschmacke und nach den ästhetischen Gesichtspunkten Erwachsener entworfen waren.

In der Tat gehen fast alle pädagogischen Bestrebungen, die auf Kunsterziehung abzielen, von dem Grundsaße aus, dem Kinde die reinsten und besten Kunsterzeugnisse in die Hand zu geben, um den Geist im Sinne einer wahren Kunst zu erziehen.

Dabei müssen wir aber die Frage aufwerfen, was ist die wahre Kunst im Seelenleben des Kindes, d. h. was verlangt der sich entwickelnde Geist des Kindes an künstlerischen Genüssen, und inwiefern deckt sich das kindliche Vorstellungsvermögen in Bezug auf künstlerische Anregungen mit den reifen Kunstvorstellungen und Darstellungen Erwachsener?

Wir werden finden, daß hier ein so großer Unterschied zum Vorschein tommt, daß es zunächst unmöglich scheint, den uns Erwachsenen geläufigen Kunstbegriff ohne weiteres auf das Seelenleben des Kindes anzuwenden.

Die künstlerischen Prinzipien, nach denen die Kunstwerke entstehen, sind bei verschiedenen Rassen und Völkern, ja bei verschiedenen Personen verschieden, sie richten sich individuell nach der finnlichen Erfahrung des einzelnen; aber diese kann unmöglich auf dem langen Wege des Sehenlernens unbeeinflußt bleiben von den analogen Erfahrungen der Nebenmenschen.

Der erste findliche Kunstbegriff gerät so, gleich bei seiner Entstehung, in Abhängigkeit von den bereits in besondere Formeu gedrängten Kunstvorstellungen Erwachsener und damit unter die Herrschaft traditionell festgelegter Prinzipien.

Deutsche Revue. XXVIII. August-Heft.

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Weil aber die letteren ursprünglich aus sinnlicher Erfahrung hervorgegangen sind, ist es natürlich, daß sie regionär verschieden ausfallen, je nachdem die Natur in verschiedener Form und namentlich in verschiedener Farbe dem menschlichen Gesichtssinne entgegentritt. Im Orient, in den Tropen sehen wir andre Farben, eine andre Vegetation, einen andern Himmel. Unter ihm wohnen andre Menschen, mit andern, uns fremden Schönheitsbegriffen, denen Kunstbestrebungen dienen, für die wir erst in der Neuzeit ein richtigeres Verständnis gewonnen haben.

Das Negerkind wird auch sinnlich künstlerisch von den Erscheinungen in der Natur beeinflußt; aber anders als das Kind des Europäers. Die Kinder des Nordens wachsen unter ganz andern sinnlichen Eindrücken auf wie jene in mittleren Breiten. Der Farbenreichtum des Südens bereitet von vornherein eine Geschmacksrichtung vor, die eigner Art ist.

Alle Verschiedenheiten in der Erscheinung und dem Aussehen der Natur bringen regionär verschiedene Geschmacksrichtungen in der Kunst hervor, und so wie Stimmung und Temperament der Menschen in verschiedenen Himmelsstrichen sehr verschieden sind, so auch die Grundbedingungen der Kunst, weil sie ursprünglich auf rein sinnlichen Eindrücken und Erfahrungen fußen.

Sie pflegen regionär um so verschiedener und eigenartiger sich zu ge= stalten, je abgeschlossener von den Nachbarn ein Volt oder eine Nation fich entwickelt und von dem künstlerischen Erziehungsgange der andern unbeeinflußt bleibt.

Man beachte zum Beispiel die Abweichungen der Malereien der orientalischen Völker von unsrer europäischen Geschmacksrichtung, und gar die extremen farbigen Gemälde der ostasiatischen Völker, der Japaner und Chinesen. Bei den genannten Völkern hat sich die Kunst nach andern Prinzipien der Darstellung und vor allem nach andern Kunsttraditionen entwickelt, wie bei uns. Generationen von Künstlern haben, der eine von dem andern lernend, gewissermaßen traditionell den Geschmack in der Darstellung der Form und der Farbe festgelegt und dadurch einen Begriff der Schönheit umgrenzt, der für die großen Massen des Volkes maßgebend geworden ist und alle Kunstbestrebungen völlig beherrscht.

Ganz so ist es auch bei uns. Auch unsre Künstler arbeiten im Geiste der Tradition vergangener Zeitepochen, und troß der Abspaltung jüngerer Kräfte und trog aller sezessionistischen Bestrebungen ist die Kunst bei uns in Bezug auf den Begriff der Schönheit in Form und Farbe europäisch konservativ geblieben. Das kommt daher, daß kein Künstler im engeren Sinne geboren, sondern durch die Produkte seiner Vorgänger und Genossen erzogen wird. Er muß als Kind genau dieselben Schritte ins Leben tun, um die Welt außer ihm sinnlich kennen zu lernen wie jeder andre Sterbliche auch er muß die Darstellung der Natur, die ihn umgibt, mühsam erlernen.

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Damit soll nicht gesagt sein, daß dieses Erlernen des künstlerischen Sehens und der Nachbildung bei jedem Menschenkinde gleich schwer, oder besser gesagt, gleich leicht vor sich geht. Im Gegenteile, hier ist Befähigung, hier sind

Anlagen des Geistes, wie sie in ganzen Familien und Generationen vererbt vorkommen, für die Ausbildung sogenannter Talente maßgebend.

In einzelnen Fällen kann ein solches Talent ganz einseitig zur Entwicklung gelangen, während die übrige geistige Anlage nur kümmerlich ist und der Intellekt des Kindes sonst rudimentär bleibt.

Im Jahre 1872 war der Verfasser vorübergehend Assistenzarzt an der Irrenanstalt Nietleben bei Halle. In der Idiotenabteilung hatten wir unter unsern Pfleglingen einen taubstummen Menschen, der, fast völlig blödsinnig, zu teiner Arbeit zu benußen war, bei dem jeder Unterricht versagt hatte. Aber er zeichnete jeden bildlichen Gegenstand ab, den man ihm vorlegte, und zwar, ohne daß er ein Verständnis für die Bedeutung seiner Zeichnung hatte. Man legte ihm z. B. das Bild eines Pferdes vor und zwar verkehrt, mit den Füßen nach oben, legte ein Papier vor ihn hin, gab ihm einen Bleistift in die Hand und zeichnete ihm einen kleinen Teil der Zeichnung, z. B. den Huf des einen Hinterfußes, in einem beliebigen Maßstabe der Vergrößerung oder der Verkleinerung vor. Dann zeigte ein blödsinniges Lachen des Idioten, daß er seine Aufgabe verstanden hatte. Er fing an zu zeichnen und zeichnete das Pferd fertig, und zwar genau in dem Größenverhältnisse, in dem man ihm den Huf vorgezeichnet hatte.

Dieses Beispiel zeigt uns deutlich, wie ein einseitiges Zeichentalent sich entwideln kann.

Daß das Gegenteil ungleich häufiger ist, weiß jedermann, und es ist gerade in unsrer Zeit, wo künstlerischer Sinn in alle Kreise eingedrungen, eine alltägliche Erfahrung, daß troß aller geistigen Begabung und trog sorgfältigen Unterrichts viele Menschen in der Kunst des Zeichnens und Malens nichts leisten und Stümper bleiben.

Nichtsdestoweniger werden auch solche, für Zeichnen und Malen nicht begabte Kinder durch eine gewisse künstlerische Erziehung in Schule und Haus unendlich viel für ihr späteres Leben gewinnen können, indem ihnen im Schauen des künstlerischen Schaffens ihrer Zeit eine große Reihe idealer Genüsse, wenn auch rein ästhetischer Natur, erschlossen wird.

Die Kunsterziehung in der Schule wird aber vor allem den Vorteil haben, daß hervorragende Talente schon im Kindesalter erkannt werden, denn früh zeigt's sich, was ein Meister werden will.

Darum sind die neuen Bestrebungen, die die Kunst im Leben des Kindes fördern wollen, freudig zu begrüßen, und ihre Berücksichtigung im Lehrprogramm der Schule wird nicht nur der Kunst förderlich sein, sondern auch das geistige Niveau der Nation nur zu heben vermögen.

Sollen sie aber diesen Zweck erfüllen, müssen sie vor allem mit den innlichen Erfahrungen des Kindes in Konner bleiben und nicht über diese hinausgehen wollen. Jede Kunsterziehung muß vor allem dem kindlichen Auffassungsvermögen angepaßt und daher für die verschiedenen Altersstufen verschieden gewählt werden.

Das Kind, das die Schule besucht, ist in seinem Intellekt schon so weit entwickelt, daß ihm einfache, nach künstlerischen Motiven gut entwickelte Gegenstände geboten werden können; und in dieser Beziehung ist das Material für Wandtafeln, Textillustrationen der Schulbücher schon leichter zu finden, obwohl auch hier eine Auswahl, mehr als es bisher geschieht, in kunstästhetischer Beziehung am Plaze wäre.

Am wichtigsten ist aber jedenfalls die ästhetische Beeinflussung der ersten kindlichen Lebensjahre durch Vorbilder, die dem jungen Geiste die erste Anregung zu künstlerischer Auffassung und Betätigung bieten, und hier gerade, wo wir es am nötigsten brauchen, fehlt es an geeigneten Mitteln vollständig. Man kann dreist die Behauptung aussprechen, daß uns hier zwar viel geboten wird, aber doch so gut wie alles fehlt.

Es wurde schon hervorgehoben, daß die meisten Bilder und Bilderbücher vom Standpunkte des gereiften Alters gewählt sind und nach dem Prinzip hergestellt sind, daß für das Kind „das Beste und Schönste gerade gut genug ist“, um seinen Schönheitssinn zu wecken.

Man legt damit einen Maßstab an die kindliche Seele, der den reifen, fertigen Kunstgesehen der Erwachsenen entnommen ist und dem Kinde gewissermaßen aufgezwungen wird.

Wir wollen in den nachfolgenden Gedanken umgekehrt verfahren und die Gesezmäßigkeiten aufsuchen, die die im Kinde schlummernden Anlagen selbst zu entwickeln vermögen. (Schluß folgt.)

Der erste Bühnenerfolg Edmond Rostands.

Bon

Georges Claretie (Paris).

eber die Aufnahme Edmond Rostands in die Académie Française ist noch so manches zu sagen. Es war, wie die Habitués dieser Versammlungen unter der Kuppel des Institut de France sagen, „eine schöne Sißung“. Sie ist jezt historisch. Ein auserlesenes Publikum, eine bewunderungswürdige Rede, volltönend, poetisch, aus dem Herzen kommend und zu Herzen gehend diese Feier war ein literarisches Ereignis und ein neuer Triumph für den jüngsten der Akademiker. Man riß sich um die Pläge für diese denkwürdige Sihung; Boissier, der ständige Sekretär, war außer stande, allen aus Paris, aus Frankreich, aus dem Ausland kommenden Bitten zu entsprechen; vom Morgen an wurden die Türen zum Institut belagert, man stritt sich um das kleinste Eckchen,

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