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fogar die Zurückziehung der Militärvorlage, um das konstitutionelle Schiff wieder flott zu machen. Er wird aber das Staatsschiff mit großer Behutsamkeit lenken müssen, um nicht abermals aufzufahren. Im ungarischen Parlamente sind die Wogen noch nicht ganz geglättet. In Wien hat man sich wohl schließlich zu einer Konzession entschlossen, aber Desterreich ist wieder wie schon so oft um eine Idee zu spät gekommen. Hoffentlich wird man die erhaltene Lehre beherzigen.

Ein Fortbeharren in der bisherigen Richtung müßte Desterreich nur schaden und könnte auch Ungarn nur wenig nüßen.

Die zwei Staaten der habsburgischen Dynastie sind eben aufeinander angewiesen, müssen sich gegenseitig stüßen und ihre Interessen in harmonischen Einklang sehen.

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Ich betrachte das Verhältnis zwischen Ungarn und Desterreich wie ich dies schon im März 1881 im Klub der Land- und Forstwirte in Wien betont habe als jenes zweier verbündeter Geschäftshäuser, deren erste Aufgabe es ist, gegenseitig alles zu tun, damit das gemeinsame Ziel, das materielle Gedeihen eines jeden der Verbündeten, erreicht werde; denn würden die beiden, durch ihr eignes Interesse zu gemeinsamen Wirken berufenen Verbündeten, ihre Aufgabe verkennend, apathisch den gegenseitigen Arbeiten zusehen, oder ihnen gar feindlich entgegenwirken, so kann dies nur zum Ruin beider führen.

E

,,Nur um ein Weib."
„Nur

Tagebuchblätter.

Bon

Ernst Teja Meyer.

ine schlaflose Nacht, eine von den vielen, vielen, wo es durch die Stille und das Dunkel um uns her im Innern aufflammt zu grell loderndem Feuer. Immer und immer wieder schließt man die müden Lider, und immer und immer wieder muß man sie, aufgeschreckt emporfahrend, jäh wieder aufreißen vor den Schreckbildern des fiebernden Hirns. Und ob die von den ewig - alten Dualgedanken gefolterte Seele auch aufstöhnt und aufschreien möchte: „Ach, Frieden, gib mir Frieden, gönne mir nur einmal wieder eine Nacht stillen, ruhigen Schlafs, schenke mir des kürzesten Traumes leise unschuldige Schmeichelei, daß es anders sei, als es ist," hilft nichts, jeder Nerv wird zum Puls, in dem

das siedendheiße Blut arbeitet und pocht und hämmert, den es sprengen möchte, um dann frei in wild drängendem Strom hervorzuzischen.

...

.. Russische Steppe, weite, trostlos-öde Steppe, soweit das Roß dich gestern, heute getragen hat, dich morgen, übermorgen tragen wird, trostlos-öde Steppe. Kein Baum, tein Strauch, ein spärlich-kurzer, schmuzig-grau-grüner Graswuchs. Kein Laut, kein Leben in der Natur. Tiefes Dunkel, tiefe Stille, unterbrochent nur hin und wieder von dem Schnauben eines Kosakenpferdes, dem Ruf einer Wache, dem Klirren einer Waffe. Droben tein Stern. Ein feiner Regen rieselt herab, langsam leise, aber langsam sicher durchnässend, durchkältend, in den langen Reitermantel gewickelt auf den Boden hingeworfen, der wohl hart ist und drückt, aber doch nicht so, als die Steinlast da drinnen.

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Und weshalb denn hier, statt daheim, weit, weit, fern in den von der Vorzeit Tagen raunenden, rauschenden alten Buchenwäldern an der See, wo es jezt in diesen ersten Herbstestagen so schön ist, mit dem stetig heiteren, glücklichen Sonnenlächeln, daß man meinen möchte, es sei Frühling, als wolle die Natur den Menschen noch eine schöne Erinnerung schenken an den verblühten Lenz und an den Sommer voll Sonnenschein und Blumen, bevor die lange, starre, eisige Winternacht hereinbricht.

Oder weshalb nicht drunten irgendwo am ewigschönen Tyrrhener - Meer oder weiter drüben, in Granada, in den Märchengärten voll üppig blühender Granatbüsche des alten Maurenschlosses, oder wo sonst die Welt schön ist im lachenden, sonnigen Süden?

Auf meiner Irrjagd nach Vergessen war ich nach Rußland gekommen. Empfehlungen und daraufhin angeknüpfte wertvolle Verbindungen hatten mir die Wege geebnet, und so war ich tief, weit hineingekommen, über den Ural hinüber, und hatte mich jetzt dem Zuge einiger Sotnien Kosaken anschließen können, die auf räuberisch streifende Tatarenhorden fahnden, sie fangen, vernichten sollten.

Ein tolles, wildes Leben war's, mir aber gerade recht, die tägliche Aufregung dieser Jagd, wie ich sie mir gewünscht, auf solch ein Wild, wobei man doch das bißchen Leben einsehen konnte, ein heißes Blei hinein ins heißere Herz, und still steht's und kalt wird's, und bald braust über deinem modernden Gebein der eisige Sturm der Steppe.

Wir hatten sie gestellt, morgen, übermorgen mußten wir sie fassen. Wir lagen auf Vorposten, neben mir Major Fürst Alexis Alexandrowitsch Yeremiatoff, sich auch gleich mir unruhig hin und her werfend. Der Fürst und ich hatten uns im vorigen Winter in Petersburg kennen gelernt, wo er bei einem der vornehmsten Reiterregimenter der Garde stand. Einer uralten, unermeßlich reichen Bojarenfamilie entstammend, der Herr gewaltiger Ländereien, war er mit seinen 35 Jahren in kraftstrogender, männlicher Schönheit das Vorbild des vornehmen Russen, ohne dessen oft so häßliche Schwächen. Sein Geist war hochstrebend, seine Bildung außerordentlich gründlich und vielseitig, dank der vorzüglichen Erziehung, die die geistvolle edle Mutter aus deutschem Hochadel gebürtig

dem einzigen Kinde nach des Vaters frühem, jähem Tod hatte zu teil werden lassen. So war er ein Mann, zu Höchstem geboren und berufen.

Wir hatten uns hier und da in der Gesellschaft getroffen, hatten bald und oft mehr als gesellschaftlich oberflächlich miteinander verkehrt, und aus der Art, wie er mich aufsuchte, fühlte ich heraus, daß er sich zu mir hingezogen fühlte. Dann, mit dem Ende der Saison, hatte ich ihn aus den Augen verloren, er war wie verschwunden. Sommer ward es. Ich war einer Einladung gefolgt, aufs Land, in den tiefen russischen Wald hinein, in dessen furchtbarer Melancholie ich mit meinem Seelenleid mich wohl fühlte.

„Wir werden Besuch bekommen," sagte eines Tages mein Gastfreund, einen foeben erhaltenen Brief in der Hand, „denken Sie, mir schreibt Yeremiatoff, er wolle auf einige Wochen kommen, er habe längeren Urlaub genommen, sehne sich nach Einsamkeit, die er auf seinen Gütern nicht so haben könne; er fühle fich seelisch elend, aber wer ihn lieb habe, solle ihn nichts fragen, sondern still Lassen. Nun, übermorgen wird er also hier sein, und wir werden sehen, was mit ihm ist!"

Und er kam, ein gänzlich andrer Mensch, als wie ich ihn zulezt gesehen; finster, mürrisch, verschlossen und schweigsam, um Jahre gealtert; den Mund, der sonst zu so herzgewinnendem Lächeln halb geöffnet war, jezt fest zusammengefniffen, und um ihn herum jenen höhnischen Zug von Menschen- und Lebensverachtung, wie Enttäuschungsqual ihn eingräbt.

Ich sah und fühlte, was ihm war, und das brachte uns einander bald nah. Wir wurden einander sympathisch mit unsern gleichen Lebenserfahrungen und Anschauungen, und eng schlossen wir uns aneinander an. Die Büchse über der Schulter, machten wir weite Streifen in den einsamen, schier unermeßlichen Wald, aber das Wild war vor uns sicher, wir freuten uns, es beschleichen und belauschen zu können. Oft sprachen wir stundenlang kein Wort, doch wenn wir uns dann ansahen, wußten wir, daß wir dieselben Gedanken gehabt hatten. Eines Tages fanden wir große Spuren, die Fährte eines Bären, und wir freuten uns des einigermaßen ebenbürtigen Gegners. Jezt hatten wir den Braunen gestellt, er nahm uns an, und Yeremiatoff, der den ersten Schuß erlost hatte, gab Feuer. Aber der sonst so sichere Schüße fehlte, es war nur ein Streifschuß, der Fürst sprang zur Seite, strauchelte, fiel, und in rasender Wut stürzte der Braune auf ihn los. Doch mein Arm war schneller und mein Schuß sicher, dicht vor Yeremiatoff brach das mächtige Tier zusammen. Er drückte mir die Hand.

„Sie haben mir wahrscheinlich das Leben gerettet; meine Ansicht über den Wert des Lebens kennen Sie, aber im Namen meiner Mutter danke ich Ihnen herzlich!"

Natürlich wies ich jeden Dank ab, es war ja nichts Besonderes gewesen, ich hatte nur, wie meist, sicher geschossen, aber doch brachte uns der Vorfall einander noch näher, und eine aufrichtige, herzliche Freundschaft entspann sich zwischen uns.

Späterhin ging ich mit ihm auf seine Güter und hatte nun so recht Gelegen

Deutsche Revue. XXVIII. August-Heft.

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heit, seinen wahrhaft vornehmen Charakter kennen zu lernen. Wie reich und vielseitig war sein Geist, wie war sein Leben angelegt zu hohem Streben, für Ruhm und Glanz und Glück, wie hätte er mit seinem edeln, reichen Herzen beglücken können, aber wie eine Lähmung lag es auf ihm.

„Lassen Sie mich; ich weiß wohl, wenn es einer gut meint mit mir, mir helfen, mir mein Seelenleid erleichtern möchte, so wären Sie es. Aber lassen Sie, lassen Sie, mir ist nicht zu helfen. In meiner Seele ist etwas zerrissen, in meinem Herzen ist etwas zersprungen, -nun flingt es nimmermehr darinnen hell und rein, nur ein schriller Mißton, wie eine Glocke, die einen Sprung bekommen hat. Was es ist, ich brauche es Ihnen, der so in Herzen zu lesen versteht, nicht erst zu sagen, nur ein Weib! Es ist ja unglaublich, darüber elend zu werden und zu Grunde zu gehen, und doch ist es so trotz allem männlichen, steten Ringen und Dagegenankämpfen. Nur ein Weib, ach, mich efelt!"

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Ja, ich verstand ihn, verstand ihn nur zu gut, und ich versuchte nie, ihm etwa zuzureden, denn ich kannte es ja selbst so gut und wußte zur Genüge, daß solch Zuspruch nur ein zweckloses Wiederaufwühlen der brennenden, nie verheilenden Wunde ist. Was täte, was gäbe man nicht um einen Trunk des wunderbaren, köstlichsten Zaubertranks „Vergessen“, umsonst! Vielleicht, daß der mächtige Arzt, die Zeit, leichte Linderung schafft, indem sie die Wunde verharschen läßt, aber es ist nur scheinbar, denn bald, so bald bricht es wieder auf und schmerzt und brennt nur desto mehr. Wie könntest du je vergessen, was du einmal geliebt hast mit großer, inniger Liebe, was dein ganzes Wesen erfüllte und was du nun verloren, - nie; der Schmerz kehrt immer wieder, ein Schmerz, als wühlte dir ein Anatom mit rauhen Händen das Herz aus der Brust bei lebendigem Leibe oder griff dir hinein ins Hirn und zerpflückte es, Faser um Faser, in wilder Gier. Armer Mensch, dem also geschehen, armes, jämmerlich verpfuschtes Leben.

Ich ging nach Südrußland. Dort erhielt ich einen Brief des Fürsten, in dem er mir mitteilte, daß er sich habe versehen lassen, ins Gouvernement X, ob ich mitwollte, es gäbe dort wohl was für mich, Gefahr und wilde Aufregung, und so lagen wir nun hier nebeneinander in der Steppe.

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Er rief mich an: Sie können auch nicht schlafen! Drückt's wieder so? Armer Freund!"

„Ja, Alexei Alexandrowitsch, es ist wieder so eine grausam lange Nacht, ich wünschte, es wäre erst Morgen und wir kämen an den Feind.“

„Wir werden an ihn kommen, und mit dem Tag wird für mich die Nacht kommen, die ewige Nacht, und es ist gut so. den Ahnherrn unsrer Familie, er hat mir unserm Hause und hat noch nie getäuscht,

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Ich habe Boris Iwanoff gesehen, gewinkt; es ist uralte Tradition in ich werde morgen fallen.“

haben Sie geträumt, seit wann sind

„Keine Phantasie, Freund, es ist so, und es ist gut so, dann hat es ein

Ende.

Kommen Sie, sezen wir uns weiter abseits, ich will Ihnen etwas erzählen, die Geschichte meines Elends, ganz offen und rückhaltlos.

„Natürlich war es ein Weib, nur ein Weib! Im Lenz, im ersten Frühjahr war's, in Moskau auf der Ausstellung lernte ich sie kennen. Eine Pardon, eine Deutsche war's, Marie Berger, sie war auf der Ausstellung Repräsentantin einer großen Firma. War sie hübsch? Nein, aber von außerordentlich pikantem Reiz in ihrer Erscheinung, ihren Formen, ihrem Blick, kurz, sie fesselte mich. Also, en avant, Alexei, lieber Gott, Mädchen, die auf Ausstellungen gehen, haben mehr zu verkaufen als ihren kleinen Kram, dem sie vorstehen! Aber ich wurde abgewiesen, nicht plump, nur um einen höheren Preis herauszuschlagen, sondern wie meine Annäherung selbstverständlich kavaliermäßig gewesen, so war ihre Abweisung durchaus damenhaft. Das reizte und fesselte mich erst recht. Wir kamen ins Gespräch, ich fand eine Dame in ihr, Dame in jeder Beziehung, gesellschaftlich fein gebildet, klug, geistreich, dabei von eigenartigem Liebreiz. Ich suchte sie täglich auf, sie wurde zutraulicher und nahm kleine Aufmerksamkeiten an. Sie dinierte mit mir, natürlich öffentlich in den ersten Restaurants, bald erfuhr ich auch ihre Lebensgeschichte, die den Stempel vollster Wahrhaftigkeit trug und mit der sie erst recht meine ganze Sympathie gewann, furz, was soll ich viel reden, in einigen Wochen war ich ganz gefangen von diesem Mädchen, richtig verliebt, nicht nur oberflächlich, sondern in ehrlicher, herzinniger Neigung. Ich war so deprimiert von den Erfahrungen, die ich, der Fürst, bisher mit Weibern gemacht hatte. Alle waren sie zu haben, alles nur Halbwelt oder meinetwegen Dreiviertelwelt, ich hätte nur die Hand auszustrecken brauchen und ich hätte an jedem Finger einen Harem gehabt, gleich dem Padischah, und heiraten lieber Gott, kaum retten und bergen konnte man sich vor all den wohlerzogenen, d. h. auf den Mann dressierten besten Töchtern, Komteßchen und Prinzeßchen, die sich mir anboten mit Augenzwinkern, mit Seufzen und Schmachten, und die mir täglich von den sämtlich kupplerisch veranlagten, in der Hinsicht geradezu genial talentierten Müttern und Tanten auf dem Präsentierbrett offeriert wurden, alle,liebten sie mich, d. h. meinen Rang, mein Vermögen, und wäre ich krumm und lahm und häßlich wie ein Pavian gewesen, - alles im Grunde nur käufliche Liebe!

„Da begegnete sie mir, Marie. Wie sie war, hatte ich mir ein Weib gewünscht, eine Frau zum Heiraten. Ich fühlte mich von ihr geliebt, herzinnig und ehrlich, um meiner selbst willen, denn sie wußte nicht, wer ich war, — für einen Gutsbefizer hatte ich mich ausgegeben. Schlicht vertrauend und traut kam sie mir entgegen, aber dann eines Tages war sie von eisiger Kälte, streng ablehnend, als müsse alles zwischen uns aus sein. Ich drang in sie, nach dem Grunde forschend, meine warme, ehrliche Art ließ sie auftauen, und unter Tränen kam es heraus, daß sie erfahren, wer ich sei, — nicht der schlichte Gutsbesizer, sondern Alexei Alexandrowitsch, der Fürst. Es war am Spätnachmittag, wir waren nach dem schönen botanischen Garten an der Moskwa gegangen, wo es um die Zeit still und ganz einsam ist. Ich sprach ihr zu, mit Worten inniger Liebe, sie wurde weich und weinte, leise, aber so tieftraurig.

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