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war keine1Nraft da, welche für ihn hätte eintreten können. Ohne ihn wat das Blatt noch immer in München unmöglich. Es mußte nach Frankfurt wandern.

na Bon-daan hat Brater nur mit einem schwer leidenden Körper dem Baterlande dienen können. Ich muß es Andern überlassen, diese Periode feiner immer gleich raftlofen Thätigkeit zu schildern, in der ich ihm nicht so genau habe folgen können, in der auch unsere Ansichten öfter' ziemlich weit auseinander gingen. Aber was er in jener kritischen Zeit von 1859 war, das ist er bis zum letzten Athemzuge geblieben: ein Patriot von völlig felbstloser Hingebung, ein Mensch von fleckenloser Reinheit. Ein peinliches siebenjähriges Brustleiden war nicht im Stande, diese reiné Gluth zu mindern, diese Klarheit des feelenvollen Auges zu trüben. Das Baterland hat ihm nichts gegeben als Mühen und Sorgen, aber seine Liebe blieb immer die gleiche. Sein Leben ist in einem gewissen Sinné nichts gewesen als Arbeit und Entbehrung, aber nie ist ein Laut der Klagè deswegen über seine fein geschnittenen Lippen gekommen. Denn was Andern unerträglich hart erschienen wäre, das nahm er mit ruhigem Gleichmuth. Wie sollte er etwas entbehren, was er nie begehrt hatte? Für sich hatte er nie etwas gewollt und da diese einzige Selbstlosigkeit von seiner tapfern, ihm vollkommen ebenbürtigen Frau ganz getheilt wurde, so waltete in den bescheidenen Gemächern, in denen er die letzten Jahre seiner Krankheit verlebte, ein hohes Glück.

1. Sollte der Leser finden, daß diese unbedeutenden Worte der Erinnerung eine zu persönliche Farbe trügen, so mag er sie mit der Lebendigteit entschuldigen, in der mir das Bild des Verewigten über dem Schreiben vor die Seele trat. Ich kann an dieses Leben nicht ohne tiefe freudige Bewegung zurück denken; und es wird immer eine meiner schönsten Erinnerungen sein, diesem Manne, in dem der Adel der deutschen Natur eine nicht glänzende aber wundervoll reine Ausprägung gefunden hatte, freundschaftlich nahe gestanden zu haben.

H. Baumgarten.

Preußische Jahrbücher. Bd. XXIV. Heft 6.

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Ziemlich allgemein erwartete man in Rußland, das am 7. Septem ber 1862 zu Nowgorod gefeierte tausendjährige Jubiläum der Begründung des russischen Reichs werde durch einen großen legislativen Aft bezeichnet werden. Die Einen erwarteten Freigebung des religiösen Bekenntnisses, die Andern Verkündigung der Preßfreiheit, die Dritten gar den Erlaß einer constitutionellen Verfassung auf breitester demokratischer Grundlage. Verschiedene Zeitungen des Auslandes brachten bereits Mittheilungen über den Inhalt dieses Verfassungsentwurfs; am verbreitetesten war eine Version, nach welcher das Reich in eine Anzahl Gruppenmit gemeinsamen Landtagen getheilt werden sollte, um auf diese Weisedem Uebel einer all' zu vielköpfigen Reichsversammlung zu entgehen. Die Socialisten sprengten aus, an dem Tage, wo das zweite Jahrtausend russischen Staatslebens beginne, werde eine neue Freiheit" d. h. unentgeltliche Ueberlassung des bäuerlichen Grund und Bodens, an die länd lichen Gemeinden ausgesprochen und damit das Fundament des russischen, Bauernstaats der Zukunft gelegt werden eine Fabel, an welche natür lich die Urheber derselben nicht glaubten, die aber wohl geeignet war, das leichtgläubige und begehrliche Landvolk zu bethören. - Die Regierung strafte all' die an die Feier des Millenniums geknüpften Erwartungen, Lügen. Der Kaiser und seine Familie nahmen an der Nowgoroder Feier. Theil, im Uebrigen blieb derselbe aber auf militärische Schaustellungen der allergewöhnlichsten Art beschränkt und wurde Alles vermieden, was nach einer Kundgebung in panslavistischem Sinne ausjah..

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Aber noch bevor die turbulente Demokratie Zeit gehabt hatte, ihren Aerger über diese Enttäuschung zu öffentlichem Ausdruck zu bringen, erfolgte eine neue Ueberraschung. Drei Wochen nach dem Nowgoroder Fest brachte die Nordische Post, das amtliche Organ des Ministeriums des Jnnern, die Entwürfe für zwei Reformen von größter Tragweite: Das „Fundamental-Reglement" für die Umgestaltung der Rechtspflege und die Grundlinien einer neuen, auf das Prinzip der Selbstverwaltung gegründe ten Provincial- und Kreisordnung. Obgleich diese lettere den Beweis führte, daß die Regierung von allen Gedanken an Adoption des Repräsentativsystems weit entfernt war und daß sie die Betheiligung des Volks an der Staatsverwaltung zunächst auf einen Kreis untergeordneter Geschäfte

und materieller Interessen beschränken wollte, war die Wirkung dieser

für Umgestaltung berordentliche. Namentlich erregte das Programm

der Rechtspflege die allgemeinste Begeisterung, zumal

gleichzeitig bekannt geworden war, daß der bisherige, hochconservative und darum unpopuläre Justizminister Graf Victor Panin*) seinen Abschied genommen habe, um durch seinen bisherigen Gehilfen, den Staatssekretär Samjätin ersetzt zu werden.at or dicity presto das

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Die gänzliche Umgestaltung der Juftig war feit lange ein dringend und allgemeine gefühltes Bedürfniß gewesen. Nicht nur daß die Bestechlichkeit auch der höchsten russischen Justizbehörden seit lange innerhalb wie außerhalb Rußlands sprichwörtlich war, die Organisation der Gerichte war so 'befchäffen gewesen, daß die Handhabung einer wirklichen Rechtspflege so gut wie unmöglich gewesen war. Die absolute Heimlichkeit des Civil wie bes Criminalverfahrens, die Schriftlichkeit aller Verhandlungen, die Länge der Termine, der endlose Instanzenzug hatten das Vertrauen des Volks zu den Gerichtshöfen in der Geburt erstickt. Es war bekannt, daß Prozesse, die an die dritte Instanz (den Senat) gelangt waren, hier Jahre lang liegen blieben und dann nach dem zufälligen Dafürhalten der Sekretäre und Obersekretäre entschieden wurden in der Regel zu Gunsten der Partei, welche diese Beamten am reichlichsten bezahlt hatten. Die Senateure selbst, meist alte Generale, hatten weder eine Spur von juristischer Bildung noch gaben sie sich die Mühe, die ihnen vorgelegten Acten selbst zu studiren. Dazu kam noch, daß von der Entscheidung der einzelnen Senatsdepartements (welche bereits die dritte Instanz bildeten) an die volle Senatsversammlung appellirt werden konnte und daß von diefer ein Recurs an den Kaiser möglich war mit einem Wort, daß die Sachen endlos verschleppt werden konnten, sobald die eine Partei über bedeutende Geldmittel oder einflußreiche Verbindungen zu verfügen hatte. Ferner war die Justiz in schmählichster Weise von der Verwaltung abhängig gewesent; nicht nur Minister und General-Gouverneure, sondern auch Generale und Würdenträger aller Art mischten sich nach Belieben in den Lauf der Gerechtigkeit, um denselben zu hemmen und zu freuzen. Jeder General Adjutant bes Kaisers besaß z. B. das Recht, die Ausführung gerichtlicher Urtheile in Straffachen zu fuspendiren, sobald er die Verantwortung dazu übernahm, alle Urtheile mußten von den Procurato ren und Gouverneuren unterschrieben werden, die Beamten der geheimen. Polizei durften sich in die Gerichtsverhandlungen mischen, alle Senateure hatten das Recht die Unterbehörden beliebig zu revidireń. Zu diesen

*) Seit dem Tode des Reichskanzlers Grafen Nesselrode (März 1862), war Panin der einzige Minister, der noch zur Zeit des Kaisers Nikolaus ernannt worden war.

Uebeln kamen noch andere: die Justizbeamten waren so schlecht bezahlt, daß sie stehlen mußten, die meisten Glieder der Provinzial-Gerichtshöfe bestanden aus unwissenden Lenten, welche nicht vom Staat, sondern von den Ständen gewählt wurden, um als Beifißer zu fungiren; endlich wa= ren Justiz, Polizei und Verwaltung nicht von einander getrennt, sondern die meisten Gerichte zugleich Verwaltungs-Instanzen und als solche von der Willkühr der Administration abhängig. Endlich waren die Geseßbücher, nach denen Recht gesprochen wurke und welche die Formen des Proceßverfahrens vorschrieben, so schwerfällig, veraltet und unpraktisch, daß sie der Willkühr der Richter den weitesten Spielraum ließen.

All' diesen Uebeln sollte nun plötzlich und mit einem Mat abgeholfen werden. Das am 29. September (a. St.) 1862 veröffentlichte Fundamental-Reglement für Umgestaltung der Rechtspflege, schrieb Unabhän gigkeit der Justiz von der Verwaltung," Oeffentlichkeik und Mündlichkeit der Verhandlungen, Beschränkung des Instanzenzugs, Einführung der Jury in Strafsachen, Aufhebung des privilegirten Gerichtsstandes, Ernennung aller Richter durch den Staat vor u. f. w.

Da diese neuen Justizeinrichtungen bereits in einen großen Theil des russischen Reichs eingeführt worden sind und sich jährlich weiter ausbreiten **), wird es nothwendig sein auf dieselben näher einzugehen und ihre Organisation der Hauptsache nach näher kennen zu lernen. Gleich hier sei erwähnt, daß diese neuen Einrichtungen sich im Großen und Ganzen rortrefflich bewährt, das Vertrauen des Volks gewonnen, fein Rechtsgefühl gehoben haben. Von einer tadellosen, durch die Rechtswissenschaft und deren richtige Anwendung geläuterten Rechtspflege kann darum freilich noch nicht die Rede sein: da die meisten Richter ohne Rechtsbildung" sind kann vielmehr nicht ausbleiben, daß sie oft verkehrte Urtheile fällen, in Civilsachen nicht selten mit Verlegung der bekanntesten Rechtslehren verfahren, der Billigkeit und dem menschlichen Gefühl**) mehr Raum geben, als Vör dem strengen Recht verantwortet werden kann. Aber diese Richter sind meist ehrliche Leute, die nach bestem Wissen und Gewissen verfahren, die öffentlich Recht sprechen und für Bestechung und ungefeßliche Beeinfluffæng unzugänglich sind. Aehnlich steht es um die Geschworenengerichte, die sehr

*) Die neuen Gerichte wurden Anfangs nur in den beiden Residenzstädten Moskau und Petersburg und deren Umgebungen eingeführt. Sodann zog man andere Provinzen hinzu. Für das Königreich Polen, Finnland und die Offeeprovinzen sind diese neuen russischen Einrichtungen gar nicht bestimmt, saistī **) 3m allgemeinen herrscht bei den neuen Gerichten, namentlich den Friedensrichtern die Tendenz vor, die bis dahin gedrückten niederen Klassen aufUnkosten der höheren Stände zu begünstigen.

viel Thorheiten begangen, sehr viel sentimentale Freisprechungen gefällt haben, die in andern Staaten unmöglich gewesen wären, Nichts desto weniger, aber einen Fortschritt bezeichnen. Von allen unter der gegenwärtigen Regierung vorgenommenen Reformen ist die Umgestaltung der Justiz entschieden am Besten geglückt. Die Erwartungen welche sie erregte, sind zum Theil übertroffen worden, die Vorhersagungen der Pessimisten nicht eingetroffen. Troß des Jubels, mit welchem die liberale Presse die Anfündigung der neuen Organisation begrüßte, fehlte es nämlich keineswegs an beachtenswerthen Stimmen, welche den Sprung, den die Regierung zu thun im Begriff war, für allzukühn und gewagt hielten. Daß der „Scwremennik," das Organ der vorgeschrittensten. Radikalen, sich nicht zufrieden gab, und von unerfüllt gebliebenen Erwartungen fabelte, wollte freilich Nichts sagen, denn in den Kreisen, welche dieses Journal repräsentirte, war an eine unbefangene Würdigung von Regierungshandlungen im Voraus nicht zu denken. Von größerer Bedeutung war es, daß Zwan Aksafow, der, Redakteur des Slawophilenorgans,, Djen" die Anwendbarkeit der projektirten neuen Znstitutionen ernstlich in Zweifel zeg - und zwar unter Berufung auf die Unreife desselben Volks, das gerade dieser Publicist zu vergöttern und als Urquell aller politischen Macht und Weisheit zu preisen, gewohnt war. War es auch zum guten Theil auf Rechnung nationaler Principienreiterei zu setzen, daß Atsakow sich vor dem „westeuropäischen Charakter" der neuen Institutionen entsegte, so schien doch höchst plausibel, was dieser Schriftsteller über die Unfähigkeit des russischen Bayern und Kleinhändlers zum Rechtsprechen, namentlich die Gleichgiltigkeit dieser Klassen gegen das Eigenthumsrecht und dessen Verletzung sagte und daß er davor warute in andern Fällen als denen, wo Leidenschaften ins Spiel kämen, jemals ein verurtheilendes Verdict zu erwarten: auch der blasirte Ex-Gardelieutenant und der apathische russische Landjunker würden es nur ausnahmsweise dazu bringen, eine energische Verurtheilung auszusprechen.

hom Daß diese von wahrhaft kundiger und nichts weniger als reactionärer Seite ausgesprochenen Befürchtungen sich nicht bewahrheitet haben, be¿weist, daß der Werth einer unabhängigen und volksthümlichen Justiz auch von seinem auf der niedrigsten Stufe intellektueller Cultur stehenden Volke begriffen werden kann, zumal wenn dasselbe über die Folgen jahrhundertelanger "Kabinetsjustiz in Kriminal- und völliger Justizverweigerung in Civilsachen Erfahrungen hinter sich hat. Experimente auf diesem Gebiet scheinen ein Mal minder gefährlich zu sein als Rechnungen auf politische Frührelfe und Mündigkeit der Völker.

Die von der „Nordischen Post" veröffentlichten „Grundzüge für die

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