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ist es keine Ueberschätzung seines Genius, wenn Ebeling ihn an ursprünglicher Kraft und eigenartiger Begabung den ersteren überlegen nennt. Welches Auffehen seine Schriften erregten, haben wir bereits oben hervorgehoben. Von der Vielseitigkeit seiner litterarischen Thätigkeit und der Mannichfaltigkeit der von ihm behandelten Stoffe legen die in die Ebelingsche Sammlung aufgenom= menen Auffäße Zeugniß ab. Alle möglichen Gegenstände der gleichzeitigen und der älteren Geschichte, theologische und ästhetische, psychologische und moralphilosophische Themata werden darin erörtert, immer in einer geistvollen, lebendigen, den Leser anregenden Weise. Es ist uns unbegreiflich, daß Gervinus, der Wekhrlin überhaupt mit geringem Wohlwollen behandelt, seinen Wiß „erstaunlich spärlich" findet. Ebenso auffallend ist die Behauptung, daß seine Freimüthigkeit noch sehr zahm und vorsichtig sei. Die zahlreichen rücksichtslosen Angriffe, die Wekhrlin nach allen Seiten richtete, wo es galt, den religiösen und politischen Druck zu bekämpfen, widerlegen diesen Vorwurf zur Genüge, der, wie Ebeling bemerkt, mit viel größerem Rechte Moser und Schlözer gemacht werden darf.

Daß sich in den Urtheilen und Ansichten Wekhrlin's neben manchem Trefflichen auch viel Halbwahres, Schiefes und Unreifes findet, wen sollte das wundern! Wekhrlin ist ein Kind seiner Zeit, und von allem Guten und Schlechten, was die Aufklärung des vorigen Jahrhunderts charakterisirt, tragen auch seine Schriften die Spur. Das große Verdienst dieser Epoche ist, daß sie die Freiheit des Gedankens verfocht. Auch Wekhrlin's Polemik wendet sich vor Allem gegen die Jesuiten und die Pfaffen. Er selbst faßt sein Glaubensbekenntniß in die Worte zusammen: „Gott und die Duldung!" Die Kehrseite dieser Anschauung ist ein blinder Haß gegen Alles, was Kirche und Religion heißt, eine rein negative Auffassung des Christenthums, das der Entwickelung der Kultur stets feindselig gewesen sei, und, was damit zusammenhängt, ein gänzlicher Mangel an eigentlich historischem Sinn. Es wiegt bei ihm eine einseitig moralisirende Tendenz vor, der die Geschichte, namentlich die biographische, lediglich als Stoff zur Reflexion dient und die das Anekdotenhafte liebt, wie man z. B. aus den Aufsägen über Justinian und Julian ersehen kann. Der philosophische Standpunkt Wekhrlin's ist im Ganzen ein materialistisch gefärbter Deismus, der je doch eine starke Beimischung von Skepticismus enthält. Für Kant hat er kein Verständniß. Er brandmarkt besonders „jene Philosophie, welche Religion geworden" und zieht gegen die Herdersche Schrift „Gott! Einige Gespräche" und den darin enthaltenen Superintendenten-Spinozismus" zu Felde. Der ästhe= tischen Auffassung fehlt es nicht nur an Tiefe, sondern auch an einem eigentlichen Princip. Die Künste gelten lediglich als ein Ornament der Kultur. Daher tritt der Nußen derselben gegen die Fortschritte der Industrie und der Naturwissenschaften zurück.

Als Politiker ist Wekhrlin, kein Radicaler im Sinne unserer Zeit." Er hat keine ausschließliche Vorliebe für irgend eine Regierungsform. „Man gebe uns unser Recht - Denk- und Redefreiheit, Preßfreiheit und Glaubensfreiheit,

mit diesen vier Freiheiten ist jede Regierungsform gut." 3m Ganzen giebt er in Uebereinstimmung mit Montesquieu, seinem Lieblingsschriftsteller, der englischen Verfassung den Vorzug, ohne jedoch an das Dogma von dem constitutionellen Gleichgewicht der Gewalten zu glauben. Die republikanische Staatsform ist ihm am meisten anthipathisch. Er eifert daher gegen den amerikanischen Aufstand und gegen die abstracte Richtung, welche die französische Revolution besonders in socialer Hinsicht verfolgte. Mehrmals hat er namentlich für den Adel eine Lanze gebrochen und dabei Ansichten entwickelt, die in den Kreisen unser heutigen Feudalen sich den lebhaftesten Beifall erwerben würden. Auf der anderen Seite finden sich auch bereits Forderungen ausgesprochen, wie die der Handelsfreiheit und der directen Besteuerung. Als ein Curiofum, das uns bei einem sonst so freisinnigen Geiste besonders frappirt hat, heben wir endlich eine Idiosynkrasie gegen die Juden hervor, in der merkwürdiger Weise Wekhrlin sowohl wie sein Biograph mit dem Dichter des Tannhäuser und Lohengrin übereinkommen. Wir schließen hiermit eine Schilderung, die weit davon ent= fernt ist, eine erschöpfende zu sein, und verweisen den Leser zur Ergänzung der= selben auf das Buch, das uns dabei als Grundlage gedient hat.

Die wirthschaftlichen Ergebnisse der lezten Reichstags= Session.

Als das deutsche Vaterland in dem ewig denkwürdigen Jahre 1866 eine vollständige Umgestaltung erfuhr, und wenige Wochen dasjenige verwirklichten, was die Nation seit Jahrzehnten vergeblich erstrebt hatte, gab es eine große Anzahl patriotischer Gemüther, die des unerwarteten und glänzenden Erfolges nicht recht froh werden konnten. Der Entwickelungsgang. den die Dinge genommen, entsprach nicht den Idealen, die man gehegt, der Weg zur Einheit war ein anderer gewesen, als man ihn erträumt hatte. „Nicht mit den Mitteln der geistigen Ueberzeugung, sondern mit machtvoller Anstrengung der Kräfte des preußischen Staates, durch Gewalt und Krieg, war der Boden geschaffen worden, auf welchem das deutsche Reich aufgebaut werden konnte." Die Verfassung des Norddeutschen Bundes, die zu errichten man im Begriffe stand, wie wenig paßte sie zu den geschichtlichen Erinnerungen und romantischen Theorien, welche die älteren Generationen aus früherer Ueberlieferung her in tiefster Seele bewahrt hatten. Der alten Gewohnheit zuwider, an der Meublirung zu arbeiten, bevor das Haus noch fertig war," sollte hier mit den untersten Fundamenten begonnen, und der Ausbau in den höheren Stockwerken der Folgezeit überlassen werden. Statt die obersten Grundrechte zu fixiren und nach den Anforderungen constitutioneller Ornamentik die politischen Machtbefugnisse abzugrenzen und sicher zu stellen, sollte man sich auf die elementarsten Grundlagen des Staatslebens

beschränken und die erstrebte Einheit nur in wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen verwirklichen. Statt des poetischen, von allen Dichtern verherrlichten Kaiserthums ein Bundes-Präsidium, statt einer wahrhaften National-Vertretung ein Gewerbe-, Zoll-, Post- und Telegraphen - Parlament!

Und doch wie heilsam war der durch die Macht der Verhältnisse aufgenöthigte Zwang für die Erziehung des nationalen Geistes. Hatte die Zerklüftung des deutschen Volkes in eine große Anzahl territorial geschiedener Gemeinwesen auch nicht vermocht, das dem germanischen Stamme eigene zähe Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zu ersticken, so war doch durch die kleinstaatliche Drganisation ein Gegensatz der Interessen hervorgerufen worden. In der Wissenschaft und in den Künsten hatte das Einheitsgefühl seither fast einzig und allein eine willkommene Nahrung gefunden, und es erklärt sich hieraus zur Genige, insbesondere wenn man der Naturanlage und dem beschaulichen Wesen des germanischen Geistes Rechnung trägt, daß Ideologie und Flucht in die Welt der Gedanken die hervorstechende Eigenschaft des deutschen Volkes werden konnte. Sollte somit ein fester Kitt für den Aufbau des deutschen Einheitsstaates gewon= nen werden, so mußte ein Ausgleich und eine Versöhnung der Interessen stattfinden, und das Werk mußte gerade auf bürgerlichem und wirthschaftlichem Gebiete begonnen werden, auf welchem der Gegensatz seither am meisten hervor getreten war. Hatte doch der Zollverein bewiesen, welche Widerstandsfähigkeit ein wirthschaftliches Band besißt; denn troß aller particularistischen Gelüste und diplomatischen Intriguen war es nicht möglich geworden, dasselbe zu zerreißen oder nur zu beeinträchtigen.

Einsichtsvolle Politiker hatten von Anfang an die Situation gehörig gewürdigt. Bei der ersten Berathung des Verfassungs-Entwurfes bemerkte Miquél in jener berühmten Rede, in der er die Mainlinie mit der Haltestelle verglich, wo wir Wasser und Kohlen einnehmen:

„Was die Einheit betrifft, so glaube ich, können wir uns vorerst mit diesem Entwurf begnügen. Im Einzelnen mag Manches auszusetzen sein, im Wesentlichen entspricht aber der Entwurf den vorhandenen und gewährt Raum für die Befriedigung zukünftiger Bedürfnisse..... Ich möchte den Entwurf nicht mit dem herabseßenden Namen eines Zoll- und Post-Parlaments belegen. Wenn wir ein Indigenat bekommen, wenn der eine Deutsche dem andern in allen deutschen Staaten gleichgestellt wird, wenn der Bund das Gewerbewesen, das Versicherungswesen, die Civil-Proceß-Ordnung, das Handelsrecht, das Wechselrecht, das Zollwesen, die Herstellung eines gleichen Marktes für Deutschlands Producenten und Consumenten seiner Competenz unterwirft, so paßt es nicht, von einem Zollparlamente zu sprechen. Ich finde hierin einen ganz ungeheuren Fortschritt, und unsere Kinder werden nicht begreifen, wie wir uns diesem Fortschritt gegenüber so kalt und abstoßend verhalten konnten."

Die Erwartungen, die man von den neuen Zuständen gehegt hatte, sind in reichem Maße in Erfüllung gegangen. Es ist nicht allein das Verfassungs

werk in kürzester Frist zu Stande gebracht, sondern auch in rascher Folge eine Reihe der wichtigsten organischen Gefeße zum Abschluß gekommen. Seit langen Jahren hatte man in den einzelnen Territorial - Landtagen für die ersten Voraussetzungen wirthschaftlich freier Bewegung, für Freizügigkeit, für Aufhebung der Ehebeschränkungen u. dgl. vergeblich sich abgemüht, und hier wurden die wichtigsten und einschneidendsten Reformen im Fluge bewirkt. Selbst widerstrebende Parteien mußten anerkennen, daß „die Maschine des deutschen Bundes“ rasch und mächtig zu arbeiten vermöge. Wohl wissend, daß die „intensive Wirthschaft zugleich das wirksamste und sicherste Mittel sei, der extensiven für die Zukunft in die Hände zu arbeiten," waren alle Fractionen bestrebt, nicht allein die Vorlagen des Bundesrathes in versöhnlichem Geiste aufzunehmen und nach Kräften zu fördern, sondern auch anregend und befruchtend auf die Thätigkeit der Bundes - Regierungen zurück zu wirken. Es stellte sich zugleich mit Evidenz heraus, daß auf allen Seiten die Einsicht in die Bedürfnisse, die Structur und den Mechanismus der Gesetzgebung gewachsen war, und daß man sich von dem Erbfehler frei gemacht hatte, Alles auf einmal zu fordern. Wenn man erst

anfängt," äußerte Michaelis unter dem Beifall des Hauses, in eine GesetzesVorlage Bestimmungen aufzunehmen, die über das Princip derselben hinausgehen, dann giebt es für die Ausdehnung keine Grenzen mehr. Es sind aber die dringendsten Reformen niemals sicherer und länger verzögert worden, als dadurch, daß man die eine als Bedingung für die andere forderte."

So waren denn in verschwindend kurzer Zeit auf den verschiedensten Gebieten der Gesetzgebung Einrichtungen festgestellt worden, welche nicht blos in sich eine hohe Bedeutung hatten, sondern auch für ferner zu schaffende Institutionen die leitenden Gesichtspunkte vorzeichneten. Durch die Freizügigkeit war der fruchtbare Keim, der in dem Bundes-Indigenate lag, zu seiner ersten Entfaltung gebracht. Wenn das Princip der individuellen Freiheit als die Grundlage des modernen Staatsrechts anzusehen ist, so muß die Befugniß, sich innerhalb des Staatsgebietes aufhalten und niederlassen zu können wo man will, als die erste Voraussetzung und oberste Grundlage dieses Princips betrachtet werden. Die Freizügigkeit befreit aber nicht allein wirthschaftlich, sondern sie stärkt auch in der Masse des Volks das Gefühl der Einheit und Zusammengehörigkeit. Hatte man aber einmal das Recht der freien Bewegung von Ort zu Ort einem jeden Bundesangehörigen gegeben, so mußte man ihm auch die Befugniß gewähren, an seinem Aufenthaltsort einen häuslichen Heerd zu errichten, mit anderen Worten, es mußten die Ehebeschränkungen aufgehoben werden, die in einzelnen Theilen des Bundesgebiets noch bestanden. In der Regel," heißt es in den Motiven zu diesem Gesezentwurfe, „bilden die Ergreifung eines festen Wohnsizes, die Verheirathung und die mit der legteren verbundenen Gründung eines eigenen Haushalts eine eng zusammenhängende Reihe von Acten, durch deren Gesammtheit der Einzelne erst die rechte Grundlage seiner socialen und sittlichen Existenz gewinnt, deren Vollziehung ihm also möglich gemacht werden muß, wenn das Recht der wirthschaftlichen Selbstbestimmung eine

Wahrheit werden soll. Die persönliche Freizügigkeit entbehrt so lange einen wesentlichen Theil ihres Werthes, als sie nicht in dem Rechte, am Orte der Niederlassung eine Ehe zu schließen, ihre fernere Entwickelung und ihren Abschluß findet."

Eine weitere Folge des Rechts der freien Bewegung von Ort zu Ort war das Gesetz über das Paßzwesen. Aus dem ursprünglichen Geleitsbriefe, der zum Schuß des Reisenden und zur besseren Erfüllung seines Reisezwecks ertheilt wurde, hatte sich unter veränderten staatlichen und polizeilichen Verhältnissen der Paßzwang und der Grundsaß ausgebildet, daß die Entfernung von der Heimath und der Aufenthalt in der Fremde Unternehmungen seien, die um der öffentlichen Ordnung willen nicht in das freie Belieben der Einzelnen gestellt werden könnten, sondern der Erlaubniß und Controle der Behörden bedürften. Obwohl die Bundesregierungen schon unter Anwendung des veränderten Grundfazes das Gesez ohne jeden Geleitsbrief sich seinen Weg bahnen ließen, so wurde dasselbe doch von der großen Majorität des Hauses bereitwilligst angenommen und damit in das System der auf der Gebundenheit an die Scholle und der polizeilichen Bevormundung beruhenden Gesetzgebung eine neue Bresche gelegt.

Das Postwesen und der Portotarif wurde mit Hintenanseßung fiscalischer und finanzieller Rücksichten lediglich nach den Maximen der Volkswirthschaft geregelt und dadurch für den Verkehr Erleichterung und Beförderung geschaffen.

Durch das Gesez vom 17. August 1868 über das Maß- und Gewichtswesen wurde einem wirthschaftlichen Bedürfnisse abgeholfen, das sich bei der hochgesteigerten Entwickelung der internationalen Verkehrsbeziehungen seit Jahren fühlbar gemacht hatte und dessen Befriedigung nicht länger von der Hand zu weisen war. Nächst der Verschiedenheit der Sprache erschwert nichts in einem solchen Umfange den Verkehr der Völker, als die Verschiedenheit von Maß, Gewicht und Münze, und es ist eine auffallende Erscheinung, daß so spät an die Einführung eines universellen Systems gedacht worden ist. Der GesetzesEntwurf ging von zwei Rücksichten aus, die eine allseitige Billigung verdie= nen; er wollte ein streng decimales System wählen, gleichzeitig aber ein solches, das Aussicht hatte, sich zu einem Weltsystem zu erweitern. Bei der großen Popularität und Verbreitung des metrisch - decadischen Systems und nachdem dasselbe fast in allen Staaten Europas sowie in einem Theile Südamerikas bereits eingeführt ist und die Einführung auch in den vereinigten Staaten Nordamerikas zu erwarten steht, konnte die Entscheidung von vornherein nicht zweifelhaft sein. Die allgemeine Einbürgerung des neuen Systems wird bei der Zähigkeit, womit die Völker an den hergebrachten Maß- und Gewichtsformen festzuhalten pflegen, nicht ohne Schwierigkeiten sich vollziehen. Es ist aber mit Rücksicht auf den Bildungsgrad und die Bildungsfähigkeit des deutschen Volkes anzunehmen, daß die Schwierigkeiten sich in nicht allzu langer Zeit werden überwinden lassen, zumal die Schulverwaltung bereits begonnen hat, durch Lehre und Anschauung das Verständniß der neuen Gewichtsformen vorzubereiten.

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