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Ein centralisirtes, büreaukratisch regiertes Staatswesen kann die deutsche Frage nicht lösen.

Je mehr der Staat seine Thätigkeit beschränkt und concentrirt auf die die Gesammtheit der Staatsbürger gleichmäßig berührenden Interessen, um so stärker wird er sein. Je mehr eigenes Leben aus selbstän= diger Thätigkeit die Theile entwickeln, um so lebenskräftiger ist die Gefammtheit. Wahrhaft conservativ ist nur die Bevölkerung welche in der Gemeinde, im Kreise, in der Provinz, im Staate selbst mitarbeitet, dadurch Interesse und Liebe für den Verband gewinnt, und sich mitverantwortlich fühlt für das Gedeihen desselben.

Der passive Staatsbürger steht dem Vaterland und seiner Regierung als fremder mißgünstiger Kritiker gegenüber.

Seine innere Neigung muß daher stets eine revolutionäre werden. In Zeiten der Noth und der Drangsale läßt er die Regierung allein handeln, weil er nicht gelernt hat, daß das Vaterland auch auf ihn und seine Mitwirkung rechnet.

Eine Regierung, welche, wie die holländische vor 20 Jahren, mit sicherer Hand die große Aufgabe der Gegenwart ergreift und mit Consequenz und innerer Klarheit löst, wird den wahren conservativen Juteressen einen mächtigen Vorschub leisten und dem Staate nach dem Ausspruche der holländischen Volksvertreter dasjenige Gewicht und diejenige Festigkeit sichern, welche die Folgen der Gesundheit aller Theile und die besten Bürgschaften gegen alle inneren und äußeren Stürme und Gefahren sind.

In den Jahren 1848-50 unterschäßte vielleicht die liberale Partei die Schwierigkeiten, heute, wo das Werk weit leichter, scheint die Regierung in den entgegengesetzten Fehler gefallen zu sein.

Ueberall in Deutschland regt sich der genossenschaftliche Sinn, das Streben nach selbständiger Thätigkeit in freier Gemeinschaft. An die Stelle der Theorie und des unfruchtbaren Idealismus ist die Lust am freien Schaffen getreten. Ein allgemeines Gefühl durchdringt die Nation, daß die Zeit ihrer Mündigkeit gekommen ist.

Der einsichtige und entschlossene Gesetzgeber wird ein Volk finden, welches allen mäßigen Anforderungen vollständig zu entsprechen im Stande ist, wie ja auch bisher jeder aufrichtige Versuch zur Erweiterung der Selbstverwaltung in Deutschland mit gutem Erfolge belohnt wurde.

Das deutsche Beamtenthum wird seinen großen unleugbaren Verdiensten die Krone aufsehen, wenn es den Entschluß faßt, sich Schritt um Schritt freiwillig zurück zu ziehen und schließlich sein Mandat für erloschen zu erklären. J. Miquél.

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Ein Publicist des achtzehnten Jahrhunderts.

Wir leben in der Periode der Rettungen." Was durch Zufall oder durch den Undank der Zeiten in Vergessenheit gerathen ist, die Gegenwart zieht es an's Licht. Was ein engherziger Sinn, was das Interesse der Parteien entstellt oder verdunkelt hat, es darf in unsern Tagen auf gerechte Anerkennung, auf unbefangene Würdigung rechnen. Nicht nur ein Gottsched ist von der neueren Kritik seinem wahren Verdienste nach gewürdigt worden, auch der durch den Streit mit Lessing zu einer traurigen Berühmtheit gelangte ehemalige Hauptpastor Göze zu Hamburg hat seinen Anwalt gefunden. Wenn in diesem letzten Falle sich die allgemeine Ansicht nicht auf die Seite des Vertheidigten gestellt und auch sonst das Streben nach allseitiger Gerechtigkeit und Billigkeit vielfach über's Ziel geschossen und weiß zu waschen versucht hat, was nun doch einmal schwarz bleiben wird, so kann doch der Gewinn nicht hoch genug veranschlagt werden, der dem Ganzen der geschichtlichen Wissenschaft aus diesem Streben erwachsen ist. Man braucht nur ein Werk wie die Straußische Schrift über Schubart zu lesen und das herkömmliche Bild, das uns bisher von dem Leben und Charakter des unglücklichen Dichters überliefert war, dagegen zu halten, um sich von dem unermeßlichen Fortschritt zu überzeugen, den die Gründlichkeit und die Vorurtheilslosigkeit, welche die heutige historische Kritik auszeichnen, herbeigeführt haben.

Eine Persönlichkeit, deren Schicksale mit denen Schubarts manche Aehn= lichkeit haben, und deren litterarische Thätigkeit sich zum Theil in einer verwandten Sphäre bewegt, ist W. L. Wekhrlin. Wenn schon die Mitlebenden seinen Charakter vielfach cum ira et studio geschildert und dadurch beigetragen haben, eine der Natur und Wirklichkeit wenig entsprechende Vorstellung von ihm zu verbreiten, so ist der Nachwelt eine selbständige und unparteiische Beurtheilung besonders dadurch sehr erschwert worden, daß die Schriften des Mannes, in denen sich seine Individualität am getreusten abspiegelt, theils in verschiedenen Zeitschriften zerstreut, theils wegen ihrer Seltenheit nur Wenigen zugänglich waren. Wir begrüßen daher mit großer Freude ein vor Kurzem erschienenes Buch, welches diesem Mangel abzuhelfen und einer gerechteren Auffassung des Charakters und der Bedeutung Wekhrlin's den Weg zu bahnen versucht: „Wilhelm Ludwig Wekhrlin. Leben und Auswahl seiner Schriften. Zur Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts. Von Dr. Friedrich W. Ebeling.

Man wird dem Verfasser mit einigem Grunde den Vorwurf machen dürfen, daß er in der apologetischen Tendenz, die ihn geleitet hat, hin und wieder zu weit gegangen ist und in dem Leben Wekhrlin's Dinge und Aeußerungen in Schuß genommen hat, die vor einer ernsten und ruhigen Kritik unmöglich beste= hen können. Wir erkennen auf der anderen Seite an, daß einer mit persönlicher Wärme und Liebe geschriebenen Biographie eine solche Verirrung sehr nahe liegt, Preußische Jahrbücher. Bd. XXIV. Heft 3.

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und sind der Meinung, daß ein Zuviel in dieser Richtung immer noch eher zu entschuldigen und in den meisten Fällen der Wahrheit weniger schädlich ist, als die Abwesenheit dieser Sympathie, die der Biograph, wenn er seiner Aufgabe gerecht werden soll, nicht entbehren kann. Eine kurze, an die Darstellung des Herausgebers sich anlehnende Skizze von Wekhrlin's Leben und eine daran ge= knüpfte Besprechung seines Charakters und seiner Schriften wird unsere Leser in den Stand seßen, von der Persönlichkeit und dem Wirken Wekhrlin's eine annähernd richtige Anschauung zu gewinnen und uns zugleich Gelegenheit geben, diejenigen Punkte zu bezeichnen, wo unserer Ansicht nach der Verfasser etwas zu milde geurtheilt hat.

W. L. Wekhrlin ist am siebenten Juli 1739 zu Bothnang bei Stuttgart geboren. Von seinem Vater, einem Prediger, bis zum vollendeten funfzehnten Jahre unterrichtet, bezog er nach einem zweijährigen Aufenthalte auf der Gelehrtenschule zu Stuttgart die Universität Tübingen, um die Rechte zu studiren. Der unwissenschaftliche Charakter der dortigen Juristenfacultät bewog ihn jedoch, noch vor dem Ablauf seiner Studienzeit die Hochschule zu verlassen und eine Hauslehrerstelle in Straßburg anzunehmen. Zwei Jahre später 1763 ging er nach Paris, wo er sich mit vielem Eifer dem Studium der französischen Litteratur widmete und durch Sprachunterricht und schriftstellerische Thätigkeit die Mittel zu seinem Lebensunterhalt erwarb. In die aristokratischen und litterarischen Salons eingeführt, wußte er durch seine Talente das Interesse des Ministers Choiseul und anderer hochgestellter Personen zu erregen, deren Einfluß ihm den Titel eines französischen Legationsraths verschaffte und es ihm leicht gemacht haben würde, für immer in Paris festen Fuß zu fassen. Die Sehnsucht nach der Heimath indessen trieb ihn nach einem neunjährigen Aufenthalte wieder fort.

Er begab sich zunächst nach Wien, um, wenn möglich, in der diplomatischen Welt eine Stellung zu erlangen. Die steife spanische Hofetiquette jedoch und das Treiben der dortigen höheren Gesellschaft, in der weder das in Leipzig gesprochene, reinere Hochdeutsch, noch das Französische verstanden wurde, und die von der Pariser Bildung nichts angenommen hatte, als eine in's Grobe übersette Frivolität der Sitten, sagte ihm wenig zu. Er zog es deshalb vor, seinen Umgang in anderen Kreisen zu suchen, ohne dabei sehr wählerisch zu verfahren. Seine Gegner zögerten nicht, ihm diese Handlungsweise vorzuwerfen und allerhand verleumderische Gerüchte über ihn auszustreuen. Wekhrlin seinerseits war unvorsichtig genug, in wißigen Flugblättern und in den Caraibischen Briefen" den Wiener Adel und sein Gebahren zu verspotten. Als er sich endlich öffentlich zum Verfasser einer übermüthigen Satyre bekannte, welche unter dem Titel ,,Denkwürdigkeiten von Wien" anfangs anonym erschienen war, büßte er seine Kühnheit mit einer halbjährigen Gefangenschaft und einer förmlichen Ausweisung aus der Stadt.

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-Auch in Regensburg, das er nun aufsuchte, war seines Bleibens nicht lange. Zwar schien der tortige kaiserliche Commissarius, der Fürst von Thurn und

Taxis, seinen Plänen anfangs günstig gestimmt. Aber seine Wiener Antecedentien und einige unbesonnene Sarkasmen über die anwesenden Gesandten und den melancholischen Reichsverfassungskörper" zerstörten diese Aussichten auf's Neue.

Sein nächstes Ziel war Augsburg. Die Aufnahme, die er dort fand, war eine glänzende. Alles trug ihn auf Händen, die Weiber besonders bezeugten ihm ihre Gunst. Sein Dämon aber verwickelte ihn auch hier bald in die verdrießlichsten Händel. Der dünkelhafte Hochmuth der Reichsstädter, ihre geistige Beschränktheit und vor Allem die herablassende Form ihrer Protection forderten seinen Spott heraus, und eine taktlose Hinweisung auf genossene Wohlthaten reizte ihn zu einem „Pasquill," welches, wie es scheint, seinen schleunigen Abzug aus Augsburg bewirkte. Er rächte sich durch die 1778 veröffentlichte Schrift ,,Anselmus Rabiosus Reise durch Oberdeutschland."

Diese von dem Rathe zu Augsburg mit der Strafe der Confiscation belegte, aber nur um so schneller verbreitete „Schand- und Schmähschrift,“ deren Inhalt Wekhrlin's Biograph zum Theil in ausführlichem Auszuge mittheilt, ge= hört nach dem Urtheil des lepteren zu dem Besten, was die Reiselitteratur in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hervorgebracht hat. Sie beschäftigt sich nicht mit Augsburg allein, sondern enthält eine in kulturhistorischer Beziehung sehr interessante Schilderung von dem größten Theile Süddeutschlands; einen großen Raum nimmt insbesondere eine Darstellung der östreichischen Verhältnisse ein, in welcher die wohlthätigen Wirkungen der von Maria Theresia eingeführten Reformen gebührend gewürdigt, daneben freilich auch die Ungesundheit der sittlichen Zustände, der corrumpirende Einfluß der Geistlichkeit und die in der Litteratur herrschende Flachheit und Ungründlichheit hervorgehoben werden. Der sprichwörtlich gewordene Schlendrian, der bei allem Fortschritt noch immer der öftreichischen Verwaltung eigen blieb, wird durch die bekannte Anekdote von dem Grafen Windischgrät charakterisirt, welcher eines Tages zu dem preußischen Gesandten äußerte: Wollen Sie die Langsamkeit unseres Expeditionswesens kennen lernen, so laffen Sie sich eine Anweisung auf sofortige Er= theilung von fünfzig Prügeln geben, und dann sehen Sie zu, wer Sie Ihnen bei uns vor Ablauf eines Vierteljahres auszahlt."

In demjenigen Theile der Schrift, welcher Augsburg selbst gewidmet ist, entwirft Wekhrlin ein allerdings nicht sehr schmeichelhaftes, aber, wie Ebeling mit Recht bemerkt, keineswegs entstelltes, sondern durch andere Berichte vielfach bestätigtes Bild von seinen Bewohnern. Die ehemals so angesehene durch die Webereien der Fuggers in ganz Europa berühmt gewordene Reichsstadt „ist sich nicht mehr ähnlich.“ Eine traurige Abhängigkeit von dem Kurfürsten von Bayern einerseits und von dem kaiserlichen Hofe andererseits hat ihre Selbständigkeit und ihren politischen Einfluß herabgedrückt. Von der früheren Souveränetät ist nichts übrig geblieben als ein eitler Schein, mit dem man sich brüstet, und an die Stelle der ehemaligen Wohlhabenheit ist eine allgemeine Verarmung getreten, deren Ursache Wekhrlin in der immermehr um sich greifenden Geld

spekulation zu finden glaubt. Von besonders unheilvollem Einfluß ist nach der Ansicht des Verfassers der confessionelle Zwiespalt, der unter der Bürgerschaft selbst einen beständigen Hader unterhält und auf alle öffentlichen Angelegenhei= ten in störender Weise zurückwirkt.

Ganz ähnliche Verhältnisse fand Wekhrlin in Nördlingen wieder. Auch hier schienen sich ihm zuerst alle Herzen und Thüren zu. öffnen. Ein Streit mit dem einheimischen Verleger einer von ihm herausgegebenen politischen Zeitung „das Felleisen" entfremdete ihm jedoch die Sympathien der Einwohnerschaft, und nachdem er sich sogar mit dem Bürgermeister der Stadt überworfen, wurde er von hier ebenfalls ausgewiesen.

Durch so viele unangenehme Erfahrungen verbittert und zugleich von mancherlei körperlichen Schmerzen heimgesucht, beschloß er 1778 sich in die Stille eines ländlichen Aufenthaltes zurückzuziehen und wählte dazu das fürstlich OettingenWallersteinsche Dorf Baldingen. Unter dem Schuße des ihm persönlich sehr gewogenen Fürsten und im Besiße einer ihm von seinem Vater hinterlassenen mäßigen Rente, verbrachte er hier ohne weitere Störung die zehn nächsten Jahre seines Lebens, „die Schatten Tarents dem Glanze Roms" vorziehend, die Vormittage wie Descartes meist im Bette arbeitend, des Abends hin und wieder den Bauern in der Dorfschenke die Sonntags gehörte Predigt nicht eben im orthodoxen Sinne interpretirend, der Liebe hingegeben, wie die in seinen Briefen öfters wiederkehrende Erwähnung des Namens „Nanchen" andeutet und auch sonst nicht gerade einer ascetischen Lebensweise huldigend, aber Fremde, welche die Neugier zu ihm trieb, gern durch ein zu diesem Zwecke eigens angelegtes bäurisches Costüm überraschend und von seinem „Dunkel" oder, wie er sich sonst auch scherzend ausdrückt, seinem „Rittersize" aus mit scharfem Auge die Dinge, welche draußen in der Welt vorgingen, verfolgend.

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In die Zeit dieses Aufenthalts und die darauf folgenden vier Jahre fällt die Abfassung einer Reihe von periodischen Schriften, die Wekhrlin unter verschiedenen Namen (,,die Chronologen," „das graue Ungeheuer," "Hyperboreische Briefe" und Paragrafen“) erscheinen ließ. Politische, religiöse und litterarische Gegenstände wurden darin ohne gelehrte Pedanterie in einer geistreichen, Allen zugänglichen Form behandelt und nach allen Seiten hin eine scharfe, die Sache der Aufklärung und der Freiheit unermüdlich verfechtende Kritik geübt. Eine große Anzahl von hervorragenden Männern aus allen Kreisen, denen auf ihr Verlangen die strengste Discretion von Wekhrlin bewahrt wurde, unterstüşte ihn dabei durch Beiträge. Wir heben außer dem Herzog Karl von SachsenMeiningen Namen wie K. Th. Beck, Bürger, Dohm, G. Forster, Merck, I. von Müller, Planck, Salzmann, Schlözer, Thümmel und endlich den Kantianer Reinhold hervor, der als regelmäßiger Mitarbeiter namentlich auf philosophischem Gebiete thätig war.

Was sich Wekhrlin vorgesetzt hatte, - so zu schreiben, daß er auch gele sen würde, das wurde im weitesten Maße von ihm erreicht. Seine Blätter waren in allen Theilen Deutschlands gekannt und wurden von Freund und

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