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durch kein politisches Band mit uns verbunden war, stets eine noch tiefere Einwirkung auf den deutschen Geist aus.

Ganz unrichtig ist es ferner, wenn man gemeint hat, die deutschen Fürsten und das Volk hätten je einen nationalen Widerspruch gegen diese ehrgeizigen Fahrten ihrer Kaiser erhoben, wie das allerdings von den Franken Pippin's erzählt wird. Die Italiener, aber auch sie nur zum Theil, sahen das deutsche Regiment als eine verhaßte Fremdherrschaft an, die Deutschen dagegen betrachteten es, so lange ihr Reich überhaupt noch etwas bedeutete, als ihr gutes Recht, die Romfahrt gehörte ihnen zur Vollendung der königlichen Machtvollkommenheit. Der oft vernommene Vorwurf, daß die Kaiser über Italien die heimischen Angelegenheiten allzusehr vernachlässigt hätten, trifft eigentlich erst unter Friedrich II., d. h. seit der Erwerbung Siciliens zu, welche den Wendepunkt bildet. Der Staufer Konrad III., der die Alpen niemals überschritt, stand auch diesseit derselben nur in geringem Ansehen. Nicht in der Abwendung von Deutschland lag die übelste Folge dieser Züge, sondern vielmehr in dem engen Verhältniß zum päpstlichen Stuhle, der in seiner univerfalen Stellung doch viel ausgiebigere Machtmittel besaß, als irgend ein weltlicher Herr scher. Wie einst Desiderius und Berengar der päpstlichen Feindschaft zum Opfer fallen mußten, so mußten es auch ihre viel mächtigeren und viel glücklicheren Nachfolger, die deutschen Könige, auf daß der Nachfolger Petri als weltlicher Machthaber ungehemmt schalten könne. Nur durch eine gewaltige Umwälzung konnte dies Ziel erreicht werden, eine Um wälzung, die den deutschen Königsthron den Fürsten zur Beute werden ließ und damit zugleich die alte Herrlichkeit des Reiches zertrümmerte. Wie früher Italien seinen deutschen Gebietern hatte steuern und zinsen müssen, so wurde nun Deutschland gründlicher als andere Völker und schutzloser von der römischen Curie ausgesogen, bis endlich Hutten und Luther den nationalen Zorn gegen die Erpressungen des päpstlichen „Antichristes" wachriefen.

Eines aber dürfen wir schließlich nicht vergessen, was uns von unserem heutigen Standpunkte aus fast als das Wichtigste erscheint: an den Römerzügen vorzugsweise hat sich im Mittelalter das deutsche Nationalbewußtsein entwickelt. Nicht allein dadurch hat es sich an ihnen auferbaut, daß die Kaiserkrone ihrem Träger den anerkannten Vorrang vor allen anderen Herrschern des Erdkreises sicherte, daß ihr Besiß also die Deutschen mit freudigem Nationalstolze erfüllen mußte, wichtiger noch sind uns diese Züge als fast die einzigen großen öfter wiederkehrenden Unternehmungen, an denen ohne Ausnahme alle deutschen Stämme sich betheiligten. Biel seltener und nur vereinzelt fanden Heerfahrten gegen andere Reichsfeinde

statt gegen Magyaren und Slaven schlugen sich großentheils die be= nachbarten Stämme, über die Alpen gingen sie insgesammt, um einer so eigenthümlichen Nation gegenüber wie die Italiener es waren sich selbst als Ganzes zu fühlen. Nicht zufällig kommt in Italien unser Volksname selbst zuerst in Gebrauch und dient alsdann zumal uns von den Welschen und Slaven zu unterscheiden. Ein kriegerisches thatenlustiges Volk, wie die Deutschen des Mittelalters es waren, vermag nicht still zu sitzen: die Kräfte aber, die sich sonst unter einander verzehrt und aufgerieben hätten, wurden durch die Romfahrten geeinigt gegen das Ausland gekehrt. So dienten sie zur Erhöhung des deutschen Namens, das Ende der Römerzüge aber ist zugleich der Beginn unserer Zerrissenheit. Als den Kaifern die Kraft gebrach, jenseits der Alpen ihre alten Gerechtsame zur Geltung zu bringen, da vermochten auch diesseit derselben Gemeinsinn und Vaterlandsliebe wenig oder nichts mehr wider die Sonderzwecke der einzelnen Landesherrschaften und ihre rücksichtslose Durchführung. Nicht zum wenigsten wurden die Träger des Kaiserthums selbst diesem Geiste dienstbar und verscherzten durch den Abfall von ihrem wahren Berufe die innere Berechtigung ihrer Würde. Wenn daher für das politische Gesammtleben der Deutschen eine neue Gestaltung auf anderen Grundlagen nothwendig geworden ist, so dürfen wir darum doch nicht gering schätzen und verkennen was einst unsere Nation zu einer ganzen und einheitlichen bilden und festigen half.*)

Ernst Dümmler.

*) Die Veröffentlichung des vorstehenden Aufsatzes an diesem Orte ließ Anführungen nicht räthlich erscheinen, die leicht zu zahlreich hätten werden können, der Sachver ständige wird jedoch bald herausfühlen, wo und wie die Arbeiten von Böhmer, Ficker, Floto, Giesebrecht, Gregorovius, Weiland u. a. benutzt worden sind und danach den etwaigen selbständigen Werth dieses Versuches ermessen.

Verfassung und Verwaltung der Provinzen und Gemeinden des Königreichs der Niederlande.

Eine Stizze.

Die Reform der Verwaltung steht gegenwärtig in Deutschland, vor Allem aber in Preußen auf der Tagesordnung. Die von der Verwaltung getrennte Justiz hat das alte Kleid abgelegt und sich fast überall den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechende Formen gegeben.

Die Grundsäge der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit haben der Justizpflege das fast verlorene Vertrauen wieder gewonnen, die Processe abgekürzt, die Kosten vermindert und doch die Gründlichkeit der Urtheile erhöht.

Dem gegenüber ist die Organisation und Handhabung der Staats-, Kreis- und Gemeindeverwaltung namentlich in Preußen und insbesondere in den älteren Provinzen seit 50 Jahren fast stabil.

Das heimliche Verfahren beeinträchtigt in der Bevölkerung den Glanben, daß auch in der Verwaltung das Recht der oberste leitende Grundsat sei. Der Mangel an Unmittelbarkeit, das ausschließliche Verfügen und Entscheiden aus den Acten schwächt das Vertrauen zu der vollen Einsicht der Büreaukratie.

Das System des Centralisirens und der damit unzertrennlich verbundenen Bevormundung urtheilsfähiger Kreise, die häufige Unkenntniß der lokalen Verhältnisse, die Gleichgültigkeit gegen dieselben und die daraus erwachsende Sucht der Reglementirerei und der Gleichmacherei in Verbindung mit der büreaukratischen Geringschägung selbständigen corporativen Lebens und Wirkens, haben einen hohen Grad von Mißstimmung gegen den bestehenden Verwaltungsorganismus erzeugt.

Glücklicher Weise wird heute dieser Zustand von allen Seiten als ein Uebel erkannt, dessen längere Dauer für die Gesundheit des Staats gefährlich sein würde. Die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Reform wird kaum noch bestritten.

Auch über die allgemeine Richtung, in welcher sie zu suchen, ist man durchweg einig.

Abwälzung von Geschäften von oben nach unten, Herstellung neuer Verbände resp. Reform der bestehenden Verbände nach den wahren Interessenverhältnissen der Gegenwart, Unabhängigkeit derselben innerhalb des ihnen eigenthümlichen Kreises, Recht und Pflicht der Theilnahme der Bür

ger an der Selbstverwaltung, feste gesetzliche Schranken der VerwaltungsCompetenz, vertrauenerweckende Formen für das Verfahren diese allgemeinen Grundsäge sind im Augenblicke Gemeingut aller Parteien.

Man darf die Bedeutung dieser Uebereinstimmung jedoch nicht überschätzen. Die Schwierigkeiten liegen auf diesem Gebiete viel weniger in den Grundsägen, als in deren praktischer Durchführung. Tradition und Interesse kommen erst bei dem positiven und unmittelbaren Inslebentreten von Principien in Conflikt, welche wesentlich nur Negationen des bisherigen Zustandes sind.

Die Schwierigkeiten wachsen, wenn, wie in Preußen, es sich nicht um die vereinzelte Reform einzelner Institutionen handelt, wenn vielmehr an Haupt und Gliedern reformirt werden muß. Die richtige Begrenzung der Competenz der Verwaltung gegenüber der Justiz, der Staatsverwaltung gegenüber der Selbstverwaltung, die Organisation der Verbände auf fast allen Stufen der Letteren, die zutreffende Normirung ihrer Competenz so ist die Frage gegenwärtig gestellt. Es handelt sich nicht mehr darum, für eine einzelne Institution die zweckmäßigste Organisation zu finden, sondern sie als harmonisches Glied in eine den ganzen Organismus umfassenden Kette einzureihen.

Eine befriedigende Lösung der Kreisverfassung ist ohne volle Klarheit über die Organisation und Stellung der Gemeinden einer Seits, wie über ihr Verhältniß zur Provinzialverwaltung und Regierung anderer Seits undenkbar.

Jede Berührung an einer Stelle ergreift und erschüttert das ganze Räderwerk. Ich bin daher überzeugt, daß die bisherigen Partialversuche, wie sie bis jezt erfolglos geblieben sind, auch in Zukunft wesentlich „schätzbares Material" liefern werden. Ihre Discussion hat jedoch den Nugen, die Frage lebendig zu erhalten und allmählig den allein möglichen Weg zur Lösung zu zeigen.

Auf der andern Seite wird ein umfassender Reformplan leichter die Zustimmung aller Parteien finden, als die Reform einer einzelnen Justitution. Nach dem Stande der Parteimeinung ist jedes große Reform= gesetz in Preußen von einem Compromiß der liberalen und conservativen Parteien mehr oder minder abhängig. Ein solches Compromiß ist aber nur für einen großen Reformplan zu erreichen, der für die Mängel auf dem einen Gebiete Ersaß auf einem andern gewährt, und dadurch den besonnenen Elementen aller Parteien annehmbar wird.

Die Geschichte der deutschen Staaten giebt uns nur wenige Beispiele planmäßiger Durchführung umfassender Verwaltungsreformen, und jedenfalls sind nirgends in Deutschland die heute allein möglichen Grundfäße

der Decentralisation zur vollen praktischen Anwendung gebracht. Bei dieser Sachlage wird es für Ihre Leser vielleicht von Interesse sein, zu sehen, in welcher Weise ein hochgebildetes stammverwandtes Nachbarvolk unter ähnlichen Umständen gehandelt hat.

Durch die Schriften Gneist's haben wir uns gewöhnt, England als das eigentliche Mutter- und Musterland der Selbstverwaltung anzusehen. Da die romanischen Völker, soweit ihre Einrichtungen in Deutschland bekannt sind, in Wahrheit auch wenig Brauchbares bieten, sehen wir mehr und mehr von dem Continent ab, wenn es gilt, das Wesen der Selbstverwaltung zu begreifen oder ihren Segen zu preisen.

Aber wir sind über das Stadium des bloßen Copirens hinaus. Kein fachkundiger Politiker denkt daran, die auf englischem Boden im Laufe der Jahrhunderte gewachsenen Institutionen ohne Weiteres nach Deutschland verpflanzen zu wollen. - Auch kann die ungeheure Verschiedenheit der englischen und der deutschen Zustände, der Traditionen, der Sitte, des Rechts, der Stände, der Vertheilung des Besizes u. f. w. nicht genug gewürdigt werden. Wir müssen uns stets vor Augen halten, daß wir aus unseren eigenen Verhältnissen heraus zu reformiren haben, daß es nicht gilt, ein auswärts erprobtes System" bei uns einzuführen“ und in dasselbe unsere Einrichtungen hineinzuzwängen, sondern durch sorgfältiges Studium von Menschen und Dingen im eigenen Lande sich klar darüber zu werden, in welchen Formen die Deutschen am besten ihre Interessen verwalten, welche auswärts erprobten Einrichtungen in Deutschland überhaupt brauchbar sind, und welche Modificationen sie erleiden müssen.

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Die Erfahrungen anderer Völker können nur dann richtig benut werden, wenn die dortigen und die heimischen moralischen und wirthschaftlichen Zustände sorgfältig mit einander verglichen sind. Je größer die Gleichartigkeit beider ist, je mehr werden die gewonnenen Resultate des einen Volks auch von dem anderen verwerthet werden können. In dieser Beziehung nun steht uns Holland näher, als England. Es darf freilich nie übersehen werden, daß die Verwaltungsformen eines kleinen Landes in keiner Weise ohne Weiteres für ein großes Land sich eignen.

Das jezige Königreich der Niederlande war bekanntlich bis zur französischen Fremdherrschaft eine Föderativrepublik von sieben unabhängigen Staaten, welche, im Uebrigen souverain, zu bestimmten Zwecken, namentlich behufs der Vertheidigung ihrer Unabhängigkeit, sich vereinigt hatten. Delegirte der einzelnen Staaten bildeten die Vertretung der Republik, und übten deren wesentlich auf die auswärtigen Angelegenheiten beschränkte Regierungs- Rechte aus. Dem oranischen „Statthalter" waren nur ein

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