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Bodensee ist nicht mehr zu hemmen durch das Geschrei kleiner Völker, die erschollener Tage nicht vergessen können. Der alte Baum der europäichen Gesittung ist stark genug, um neben den schweren Aesten der großen Culturvölker, die seine Krone tragen, auch einige bescheidene Zweige zu ulden, die das Laubdach reich und gefällig abrunden.

15. Angust.

Heinrich von Treitschke.

Die französische Krisis.

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II.

Kommenden Sonntag werden es hundert Jahre seit der Geburt des Gründers der kaiserlichen Dynastie. Wird uns das Jubiläum die endliche Lösung unserer langen Wirren bringen? Wird es das Datum einer neuen Aera des Aufschwungs oder des Verfalls sein? Schwierige Fragen und doch unabweisbare; näher als je sind sie uns herangerückt und das Jahr kann nicht vorübergehen, ohne ihre Lösung zu bringen. Der Krieg, der fie allein hätte aufschieben können und dessen Ausbruch man seit drei Jahren wie ein Damoklesschwert über sich schweben fühlte, ist durch die lezten parlamentarischen Ereignisse glücklich beschworen und sein Phantom dürfte wohl für's Erste nicht wieder auftauchen. So bleiben nur drei Wege offen: offene Revolution, verkappte Reaktion, oder liberale Evolution. Eine kurze Aufzählung der jüngsten Ereignisse mag zeigen, nach welcher Seite hin die Schaale neigt.

Die allgemeinen Wahlen vom 23. und 24. Mai (resp. 6. und 7. Juni) hatten, wie man sich erinnern wird, gegen 40 Repräsentanten der radikalen Partei, 60 Mitglieder des tiers-parti oder der Gemäßigt-liberalen, 200 Kreaturen Herrn Rouher's nach Paris geschickt. Am 28. Juni trat die neue Legislation zusammen, um die Wahlprüfungen vorzunehmen. Schon am ersten Tage zeigten sich die Symptome bevorstehender bedeutender Ereignisse. Man konnte voraussehen, daß diese kurze Sommersißung, einzig dazu berufen die Wahlen zu prüfen und so die Kammer für etwaige unerwartete Ereignisse beschlußfähig zu machen, sich nicht auf diesen engen Geschäftskreis beschränken werde. Kaum war man zusammengetreten, al8 die ganze offizielle Lüge wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Man kann es nicht genug wiederholen: in keinem Lande der Welt ist die öffentliche Preußische Jahrbücher Bt. XXIV. Heft. 2.

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Meinung eine so absolute Macht als in Frankreich. Wenn man von irgend einem Volke sagen kann: „es hat die Regierung, die es verdient,“ so ist es von Frankreich, und man müßte, um wahr zu sein, hinzufügen : ,,es hat immer die Regierung, die es wünscht. Liberale und patriotische Franzosen möchten gern die ersten 10 Jahre des zweiten Kaiserreichs als eine Aera des aufgezwungenen Despotismus darstellen; sie haben nicht das Recht dazu: der Absolutismus der ersten 10 Jahre war ebenso Wille und Ausdruck der öffentlichen Meinung, als es die liberale Wendung heute ist. Sicher ist, daß das Bewußtsein der wirkliche und alleinige Ausdruck des Volkswillens zu sein der gemäßigten Linken troß ihrer officiellen Minderheit eine beispiellose Kraft und Sicherheit in ihrem kurzen Feldzuge gab. Alle numerische Stärke verschwand vor dieser moralischen; und die Linke sah verblüfft, die Rechte rath- und kopflos dem raschen Vorgehen der jüngst noch so unentschlossenen Partei zu.

Eine Interpellation in liberalem Sinne, unterzeichnet von den 60 Mitgliedern des linken Centrums, war der Zustimmung der 40 Radikalen immer sicher, und schon kamen zu Dußenden die Mitglieder der Rechten, um sie zu unterzeichnen und dem aufgehenden Gestirne sich zuzuwenden. Rouher, als gewandter Taktiker, suchte den Streich zu pariren und feine ihm entgehenden Truppen rasch wieder zu sammeln. Sein parlamenta= rischer Lieutenant, du Miral, brachte eine ebenso liberale Interpellation ein unter dem Vorwand, jene des linken Centrums sei nicht bestimmt genug und lasse die Natur der gewünschten Reform im Dunkeln. Sogleich traten die Häupter des tiers-parti wieder zusammen und seßten eine zweite Interpellation in bestimmterer Fassung auf, in welcher sie einfach Ministerverantwortlichkeit und Wiederherstellung aller parlamentarischen Privilegien verlangten. Damit war tu Mirals Diversion vereitelt. Von Neuem fcharte sich Alles um die so erneuerte Interpellation: ein Ueberläufer nach dem Andern kam aus dem Rouher'schen Lager herüber: der Herzog von Mouchh der Gemahl der Prinzessin Murat, Herr von Mackau, der Correspondent des Kaisers, der noch vor 14 Tagen seinen Herrn beschworen hatte, keine Concessionen zu machen; die „Mamelucken" selbst, so nennt man Rouher's Getreuste ja die, Arkadier," die sich noch vor einem Jahre so männlich der Erweiterung der Preßfrelheit widersett, sie Alle erschienen, drängten sich einen Plag für ihre Unterschrift zu finden: schon waren sie 116, mit den 40 Stimmen der äußersten Linken war man sicher im Vorans die Majorität in einer Kammer von 292 Mitgliedern zu haben. Jetzt hieß es Einlenken. Rouher selbst rieth dem Kaiser zum Nachgeben, sicher wie er sich fühlte: er, der Unentbehrliche, werde die neue parlamentarische Aera in's Leben rufen, wie er

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zwei Jahre vorher die anfangs von ihm bestrittenen Reformen des Preßgesetzes und des Versammlungsrechtes in's Werk zu sehen berufen worden. Hart war es für den Kaiser in einem Punkte dem der Verantwort= lichkeit nachzugeben; aber es mußte geschehen und es geschah. Am 12. Juli, genau vierzehn Tage nach dem Zusammentritt der Kammer, las Rouher die kaiserliche Botschaft, tonlos seinen ungetreuen Getreuen vor.

Der Sieg war indeß nur zur Hälfte erfochten. Es galt, nun man die Sicherheit hatte die Reformen zu erlangen, den Mann zu beseitigen, der sie hätte verfälschen können, wie er die Zugeständnisse des 19. Januar verfälscht hatte. Persönliche Intriguen kamen dem linken Centrum halbwegs zu Hülfe. Der Präsident der Kammer, Herr Schneider, seit lange mit Rouher zerfallen, benußt die Gelegenheit den Sturz des Gegners zu beschleunigen. Er weiß nur zu wohl, die Rechte, welche jetzt einen Augenblick in den Couloirs des Hauses den Muth gefaßt sich gegen ihren Meister aufzulehnen, wird diese Heldenthat nur zu bald bereuen und, sobald die sieggewohnte Stimme, der sie seit acht Jahren blindlings folgt, wieder von der Tribüne herab an ihr Ohr dringen kann, sich dem Gefürchteten wieder zitternd fügen. Um jeden Preis also muß es vermieten werden, daß demselben diese gefährliche Gelegenheit geboten werde, die rebellischen Legionen durch seinen Herrscherblick und seine Herrscherbewegung wieder zum Gehorsam zu bringen. Noch am Abend fährt Herr Schneider nach Saint-Cloud, wo er um 10 Uhr ankömmt. Im Vorzimmer kreuzt er sich mit Herrn Rouher, der triumphirend den Kaiser verläßt. Bald wendet fich das Blatt: Schneider überredet den leicht Beeinflußten, Rathlosen, Ueberraschten, die Kammer sofort zu vertagen, erringt eine Unterzeichnung des wichtigen Dekretes und bringt es selbst um Mitternacht dem Staatsminister, der sich schon zur Ruhe begeben. Es erscheint den andern Morgen im Journal officiel. Die Kammer ahnt den Zusammenhang, ohne in der ersten Ueberraschung sich zurecht finden zu können. Rouher, der so oft seine Meinung von gestern dreist verläugnet, um sich am Ruder zu halten, zeigt zum ersten Mal eine Art von Würde, reicht seine Entlassung und die seiner Kollegen ein. Sie wird angenommen. Der Verabschiedete begiebt sich sogleich auf seine Güter, um von da eine Reise nach Karlsbad anzutreten. Seinem Herrn indessen wird bange, als er sich allein ohne seine gewohnte Stüße sieht. Noch will er sich nicht in die Hände der Liberalen liefern; ihre Forderungen will er ihnen wohl gewähren, ihre Personen will er sich nicht aufdrängen lassen; und außer den Liberalen mustert er vergebens die politischen Männer des Landes: Keiner, dessen Rath ihm von irgend einem Gewicht scheinen könnte; denn unglaublich gering ist die Zahl der Staatsmänner, die das zweite Kaiserreich heran

gebildet. So ruft er in der Noth Rouher zurück, erbittet seinen Rath, seine Hülfe. Der neue Richelieu weiß schnell die Lage zu benutzen. Er erhält das Präsidium des Senates mit seinem ungeheuren Einkommen und man weiß, der ehemalige Staatsminister ist für dergleichen nicht unempfindlich, läßt daneben ein Ministerium ernennen, das noch halbwegs von ihm abhängt, zum größeren Theil wenigstens aus Männern seiner Schule besteht.

So lagen, so liegen die Dinge feit mehr als drei Wochen. Die Versprechungen der Botschaft sind in 32 Ministerräthen ausgearbeitet worden; das daraus hervorgegangene Senatuskonsult ist in den Händen der hohen Versammlung, der die Wache über die Verfassung anvertraut ist; der gesetzgebende Körper bleibt vertagt, damit seine Diskussionen nicht mit denen des Senats kollidiren. Was man auch von der vagen Fassung des Senatuskonsultes sagen mag, die übrigens wohl bestimmter aus der Berathung hervorgehen dürfte, es stellt alle parlamentarischen Rechte wieder her: Wahl des Präsidenten und der Vicepräsidenten, Recht der Amendements, Recht der Interpellation, Recht einer eingehenderen Berathung des Budgets, Recht der Zustimmung zu Handelsverträgen, vor Allem aber Recht der Initiative in Gesetzesvorschlägen, Recht der Deputirten in's Ministeriam zu treten und endlich die Ministerverantwortlichkeit. Das persönliche Regiment hat abgedankt; zum ersten Male seit 1789 wird ein Sieg auf dem friedlichen Wege errungen, anstatt hinter den Barrikaden der Hauptstadt. Wird der Versuch glücken? Die Zeit wird es lehren und es wird sich zeigen, ob die Nation im Stande ist sich selbst zu regieren. Was noch an sonstigen Freiheiten und Garantien zu gewinnen ist, kann und muß auf dem Wege der Gesetzgebung errungen werden: dahin gehören vor Allem drei Reformen, die in Jedermanns Munde sind und deren dringende Nothwendigkeit die Geschichte der letzten Jahre auf jeder Seite lehrt: Abschaffung des Art. 71 der Verfassung des Jahres VIII., d. h. Recht der gerichtlichen Verfolgung der Beamten, die durch jenen Artikel jezt gegen jede Heimsuchung geschützt sind, so ungesetzlich auch ihre Handlungen gewesen sein mögen; gesetzliche Festsetzung der Wahlbezirke, mit denen die Willkührregierung den schnödesten Mißbrauch getrieben; endlich Wahl der Magistrate und der Präsidenten der Generalräthe durch die Gemeinderäthe und die Generalräthe selbst, sowie Ausdehnung der Attributionen beider. Alle übrigen Reformen verschwinden vor der Wichtigkeit dieser drei Punkte, ohne die freie Wahlen kaum möglich sind und jede parlamentarische Verfassung nur ein Stück Papier bleibt. Erweiterung des Versammlungsrechtes, der Preßfreiheit, der Unterrichtsfreiheit, das sind alles Fragen, deren Lösung noch warten kann, ohne daß das Land darunter leidet: jene

drei angedeuteten Reformen müssen die erste Arbeit des neuen gesetzgebenden Körpers sein, dem ja die Initiative zurückgegeben.

Ein neuer gesetzgebender Körper scheint in der That nothwendig. *Als ich Ihnen nach den Wahlen unterm 15. Juni als das einzige, freilich undenkbare, Mittel, aus der gründlich verfahrenen Lage herauszukommen, Auflösung des kaum gewählten Parlaments und Ausschreibung neuer Wahlen andeutete, hielt ich dies unerhörte Mittel für unausführbar. Heute ist's eine Nothwendigkeit geworden. Dem Wortlaute nach könnte freilich Alles nur so fortgehen: Herr Forcade de la Requette, der jezt die Seele des Ministeriums ist, war im Departement des Innern zur Zeit der Wahlen und hatte sie unter Rouher's Oberaufsicht geleitet. Die Majorität gehört ihm also; und der Kaiser trennt sich nur ungern von seinen früheren Räthen, die gewohnt sind ihm zu gehorchen, während er bei den Männern des linken Centrums keine gleiche Gefügigkeit vorfände. Aber hier rächt sich wieder die innere Lüge der ganzen Lage. Die parlamentarische Minorität hat jenen Sturz des persönlichen Regimentes herbeigeführt, fie repräsentirt die Meinung des Landes, sie muß dem Geiste der neuen Reformen nach an die Leitung der Geschäfte gerufen werden und sie hat dem Wortlaute des parlamentarischen Herkommens nach nicht das mindeste Anrecht darauf. Die Auflösung und freie Wahlen, die ohne jeden Zweifel das linke Centrum in großer Majorität in die Kammern brächten, würden alle Schwierigkeiten heben und uns die Wahrheit anstatt des Buchstabens der Selbstregierung geben. Sollte es der Kaiser versuchen wollen, wie nach dem 19. Januar den neuen Wein in alte Schläuche zu gießen, mit den unverantwortlichen Ministern des persönlichen Regimes parlamentarische Politik treiben zu wollen, so wäre es besser gewesen, er hätte nicht nachgegeben und Alles beim Alten gelassen; denn Nichts hat unheilvollere Folgen für ein Volk wie das französische als ihm nichtsfagende Formen zu geben und unter dem Schein der Gefeßlichkeit, mit einer Volksvertretung, die nicht der Ausdruck der öffentlichen Meinung ist, im Grunde die Politik der Willkühr fortzusetzen: es gewöhnt sich nur zu leicht den Schein für die Wirklichkeit zu nehmen.

Freilich wäre es für einen Deutschen und einen Protestanten leichtsinnig, sich durchweg Glück zu wünschen zur Wiederherstellung der Selbstregierung in Frankreich. Die öffentliche Meinung, die so lange, der lieben Ordnung willen, zu Gunsten eines Mannes abgedankt, der in vielen Stücken anders dachte als sie und ihr zuwider handelte, die Meinung der gemäßigt-liberalen Partei ist katholisch gesinnt und Deutschland feindlich: allein sie ist die Mehrheit, folglich gebührt ihr die Regierung. Auch ist sie in der That weniger gefährlich als sie es scheinen möchte. Denn sie

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