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Notizen.

Von Iwan Turgénjew's Werken erscheint in Mitau bei Behre eine Gesammtausgabe, die der Dichter selbst durchgesehn hat und deren vollkommene. Treue in der Uebersetzung er auf's nachdrücklichste" garantirt: „eine Genugthuung," sett er hinzu, die mir nur selten oder auch wohl gar nicht zu Theil. geworden ist. Ich verdanke Deutschland zu viel, um es nicht als mein zweites Vaterland zu lieben und zu verehren: vor dem aber, was man liebt und verehrt, ist der Wunsch, in seiner eigenen Gestalt auftreten zu dürfen, wohl natürlich!"

Der erste Band dieser Uebersetzung, der soeben herausgegeben ist, enthält „Väter und Söhne;" ich habe den Roman bereits in meiner früheren Anzeige in den preußischen Jahrbüchern besprochen.

Gleichzeitig erscheint in der Collection Hezel von Turgénjew ein Band Nouvelles moscovites," theils von dem Verfasser selbst, theils von Prosper Mérimée in's Französische übersetzt. Abgesehen von den apparitions, die ich auch bereits charakterisirt habe, enthält der Band drei neue Novellen, le chien," le brigadier" und l'histoire du lieutenant Yergounoff;" ferner drei ältere, die früher nur in einzelnen pericdischen Blättern veröffentlicht waren, „Annouchka," le juif" und Pétouchkoff;" die beiden letteren gehören sogar zu den frühsten Dichtungen Turgénjew's, sie fallen in die Jahre 1846 und 1847.

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Neues über das Talent des Verfassers lernt man aus ihnen nicht, aber sie sind durchweg erfreuliche Belege für das, was früher zum Lobe desselben gesagt ist. In der Erzählung zeigt sich überall der Meister. Sie sind diesmal sämmtlich specifisch russisch; sie enthalten Ereignisse und Charaktere, die nur auf russischem Boden aufwachsen können. Den Vorzug möchte ich der kleinen Burleste le chien" geben, einer Gespenstergeschichte, die an toller übermüthiger Laune nichts zu wünschen übrig läßt. Pétouchkoff“ und „le brigadier" erzählen die Geschichte von zwei braven nicht gerade bedeutenden Leuten, die durch die dämonische Macht der Liebe elend geworden sind. Die zweite Erzählung hat einen fast zu bänglichen Charakter, bei der ersten überwiegt entschieden. der komische Eindruck, so ernst auch der Verfasser die Sache zu nehmen scheint. Die Scene, in welcher der arme Teufel, den die Liebe ganz aufgezehrt hat, in lautes Schluchzen ausbricht und damit nicht blos seinen Bedienten, sondern auch die hartherzige Bäckerin ansteckt, die doch von ihm nichts wissen wollte, ist von einer unwiderstehlichen Wirkung. Jeder Zug ist wahr und echt, und durch diese Wahrheit wird man selbst mit der Atmosphäre versöhnt, die sonst nicht gerade wohlthut. Ein ähnliches Thema behandelt „Yergounoff," nur daß man hier mit Frauenzimmern zu thun hat, welche die Ausbeutung von Männern zum förmlichen Handwerk machen. „Der Jude" schließt fast mit einer zu schreienden Dissonanz ab, die Charakterzeichnung ist wieder ebenso neu als tief. Während alle diese Geschichten in der Provinz spielen und altrussische Typen dar

stellen, bewegt sich „Annouchka“ in der modernen Gesellschaft, in der strebsamen und bildungsbedürftigen Jugend, die aber durch zu weit getriebene Reflexion. ihre Thatkraft untergräbt. Der Held der Geschichte verliert sein Lebensglück, weil er mit seinem Entschluß nicht fertig wird, im rechten Augenblick zuzugreifen.

Turgénjew's Werke scheinen auch im deutschen Publicum immer mehr Beifall zu gewinnen und man überzeugt sich immer mehr davon, daß er uns ein ganz neues und bedeutendes Gebiet der Poesie aufgeschlossen hat.

3. S.

Graf Georg Friedrich v. Waldeck, ein preußischer Staatsmann im siebzehnten Jahrhundert, von B. Erdmannsdörffer. (Verlin, 1869, bei G. Reimer.)

Man hat Preußen zum Vorwurf gemacht, daß es keine nationale Macht, sondern nur ein geographischer Begriff sei. Es läßt sich nicht leugnen: während Frankreich um Paris, England um London, Spanien um Castilien u. s. w. immer stärker werden, und um gegebene nationale Kernpunkte ringsum hier sich anschloß was zu dieser Bewegung sich gedrängt oder gezwungen fühlte, erblicken wir Anfangs kein Centrum in Preußen, wir sehen nichts wirksam als den Willen einer Dynastie, die kaum mit einem Fuße in Deutschland drinsteht. Preußen besaß, als es Mitte des siebzehnten Jahrhunderts unter den Mächten zu zählen begann, keine nationale Eigenthümlichkeit. Wo lag denn das Reich des Churfürsten, den der König von Frankreich 1646 sich herbeiließ, mit mon frère" anzureten? Es bestand aus weitzerstreuten kleinen Theilen ter disparatesten Art. Alle die Städte, welche deutsche Cultur repräsentirten, lagen außerhalb; auf alle die Landstücke, welche durch Menschen- und Bodenreichthum glänzten, fiel auch nicht der fernste Schimmer preußischer Oberherrlichkeit. Die Entwickelung der deutschen Litteratur und Gelehrsamkeit vollzog sich ohne Preußen. Preußen war geographisch zusammenhangslos, eine Armee aus lauter Vorposten, eine Anzahl von Punkten. Innerhalb dieser Punkte aber ein mächtiges ideales Centrum, repräsentirt durch eine organisatorische Dynastie, deren Wille war, groß und herrschend zu werden; und ihrem Drange zu dieser Höhe entgegenkommend, wenn auch ohne seiner selbst bewußt zu sein, das Gefühl in Norddeutschland: man müsse sich concentriren gegenüber dem spanischen Oesterreich, es müsse eine auf sich beruhende protestantische Macht entstehen. Beide Elemente erblicken wir Anfangs so weit getrennt, daß eine Vereinigung undenkbar scheint. Und dennoch: unablässig arbeiten diese Elemente einander entgegen, bis diese Dynastie und dieses Norddeutschland endlich sich finden und Eins werden. Zweier Jahrhunderte bedurfte es um dieses zu bewirken. Schritt auf Schritt verfolgen wir heute diese Genesis. Sie erscheint uns als ein nothwendiger Proceß heute. Aus dem bloßen Gedanken ist ein Reich geworden, aus wenigen Punkten eine geschlossene Peripherie. Die Frage wirft sich auf; wann entstand dieser Gedanke?

Wann ward der erste Versuch gemacht, ihu politisch durchzuführen? Die Schrift, auf die wir hinweisen wollen, vermehrt das Material zu Beantwortung dieser Frage um ein bedeutendes.

Die Art wie Preußen in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts seine Macht innerhalb Deutschlands geltend machte, hat etwas durchaus Modernes. Die ganze Existenz dieses Staates erscheint künstlich und precair. Alle Mittel werden darauf verwandt, den Zusammenhang der zerstreuten Herrschaftstheile herzustellen und eine Armee zu schaffen, welche Respect einflößt. Preußen allein scheint damals unter den norddeutschen Mächten politische Ziele zu haben, welche auch heute noch diesen Namen verdienen. Man ist unablässig bemüht, sich bewußt zu werden was man wagen, wieweit man gehen dürfe und wie Verlust und Gewinn sich stellen könnten. Man hat nichts im Auge als den Staat. Zwei Wege gab es zur Größe, oder einstweilen nur zur Selbständigkeit, denn diese war das Nächste, zu gelangen, und zwei Parteien sehen wir unter den Beamten, auf deren politischer Thätigkeit der Begriff „Preußen" damals beruhte. Die einen möchten wagen und gewinnen, die andern abwarten und erhalten. Der sicherste, vorgeschriebene Weg für die Politik des Churfürsten, dem die Nachwelt den Namen des Großen und den Ruhm die preußische Macht begründet zu haben zuertheilte, war, sich in Deutschland dem Kaiser so viel als irgend anging willfährig zu zeigen, um Schweden und Polen gegenüber, außerhalb des deutschen Reiches, um so freiere Hand zu haben und dort die Anerkennung ciner Souveränetät zu schaffen, welche später dann auf Deutschland zurückwirkte. Diese letztere Folgerung nehmen wir an, obgleich wir sie nicht ausgesprochen finden. Polen und Schweden vermochten handgreiflich mehr zu gewähren als sich Kaiser und Reich jemals abringen ließ. Nach Osten hin war möglich, eine auf sich beruhende abgerundete preußische Herrschaft herzustellen. Hier auch lagen die Verhältnisse einfacher. Es handelte sich offener um Geben und Nehmen im großen Sinne, es hatten weniger Factoren dreinzureden, man konnte fordern und brauchte sich nicht zu verstellen. Wie ganz anders, wenn man es darauf hätte anlegen wollen, sich nach der deutschen Seite, hin zu consolidiren!

Diese westlichen Alliancen waren unzuverlässig und gefährlich. Aller Künste der Politik bedurfte man hier. Kaiser, Frankreich und deutsche Fürsten mußten, jeder nach bestimmter Methode, behandelt, benußt und überlistet werden. Man durfte nicht eingestehen was man wollte. Es galt, günstige Conjuncturen auszuspioniren oder herbeizuführen. Es brauchte Geist, Kühnheit, Genie nach dieser Seite, während man nach jener hin mit Kraft, Ausdauer und Vorsicht auskam.

Kein Wunder, daß die leztere Politik die meisten Stimmen unter den Rathgebern des Churfürsten für sich hatte. Kein Wunder aber auch, daß sobald ein Mann von Genie hier eintrat, diesen die deutsche Politik bei weitem mehr reizen mußte. Dieser Fall ereignete sich, als Graf Waldeck auf eine Reihe von Jahren das Vertrauen des Churfürsten gewann. Die ganze Energie dieses Mannes ist auf die Verfolgung der deutschen Politik Brandenburgs gerichtet. Er weiß, dem

Widerstande der bisherigen Schule entgegen, den Fürsten immer von neuem auf Deutschland zu lenken. Er ist unermüdlich, günstige Situationen aufzufin den, als vortheilhaft darzustellen und die größten Hoffnungen auf ihre Ausbeutung zu erregen. All diese Bemühungen finden dann jedoch ein Ende durch deu schwedisch-polnischen Krieg. So ganz und gar sind diese ersten Versuche Preußens, active antiösterreichische Politik zu treiben, sammt dem Manne von dem sie ausgingen, vergessen worden, daß selbst Friedrich der Große sie nicht gekannt zu haben scheint. Nicht das Berliner Archiv nämlich gewährte dem Verfasser die von ihm benutten Papiere, sondern das Archiv zu Arolsen war die Fundgrube, in dessen Besitz die Papiere Walded's übergingen und wo fie bis zu der vorliegenden Ausnutzung unberührt gelegen haben. Erdmannsdörffer hat durch seine Studien in gewisser Beziehung einen neuen Mann in die preußische Geschichte eingeführt, denn was man bisher über den Grafen Waldeck und seine Absichten wußte, schrumpft zu fast nichts zusammen mit den hier gegebenen höchst interessanten Details in Vergleich gebracht; und was Waldeck wollte, steht in so engem Zusammenhange mit heute Jedermann geläufigen Gedanken, daß er uns als Staatsmann und Charakter näher tritt als er in mancher Hinsicht sogar vielleicht verdient. Denn das darf bei Allem nicht vergessen werden (wie denn auch der Verf. darauf hinweist), daß die Motive aus denen damals hohe Staatsmänner sich zu dieser oder jener Politik bekannten, nicht so flar vorliegen als dies heute der Fall ist. Die complicirteren Verhältnisse des siebzehnten Jahrhunderts bildeten complicirtere Charaktere aus.

Aber nicht über Waldeck allein enthält das Buch Neues. Was der große Churfürst gewollt und ausgeführt hat, pflegte bis jetzt als der Ausfluß einer fast mythischen Persönlichkeit betrachtet zu werden. Man sah, rückwärtsblickend heute, nur die Gestalt des großen Fürsten und seine Erfolge, die Gedanken schienen ihm alle fertig aus dem Haupte gesprungen. Diese Auffassung wird einer natürlicheren Plaß machen dürfen. Wir erblicken den Churfürsten inmitten sich entgegenarbeitender Männer, denen er je nach den Umständen nachgiebt, deren Ideen er zu den seinigen macht. Verliert er so nach der einen Seite aber, so gewinnt er nach der andern. Ist er nicht mehr der Fürst, der mit genialem Instincte sich selbst bestimmend sofort die richtigen Wege einschlägt; sehen wir ihn zaudern, wählen, schwanken, sich dem Zufalle überlassen: mit um so größerer Bewunderung gewahren wir ihn nun alle die Einflüsse, die auf ihn eindringen, überblicken und sich zu Nuße machen, und geleitet von einem nicht minder genialen Instincte, der ihn zur rechten Zeit die Leute festhalten oder loslassen heißt, immer die Richtung heraus fühlen, welche für sein Land die vortheilhafteste war. Wir haben den großen Churfürsten menschlicher vor Augen und doch nicht kleiner deshalb.

Was dem Buche Erdmannsdörffer's zum Vortheile gereicht, ist der litterarische Tact mit dem der Verfasser die einzelnen Abschnitte abzurunden und aneinander zu reihen verstanden hat. Man fühlt in den Charakteren und Verhältnissen den Drang zu einer Krisis und liest mit wachsendem Interesse weiter.

Zum Vorwurf machen ließe sich der Arbeit, daß sie uns aus dem vielbewegten Leben des Grafen Waldeck nur die auf seine preußischen Dienste bezügliche Thätigkeit vorführt. Dem psychologischen Interesse wird damit allerdings nicht genug gethan; auf der andern Seite wird der Leser das nicht groß vermissen, was dem Plane der Arbeit nach hier auch kaum zugleich gegeben werden konnte. Schließlich das Buch ist voll von den interessantesten Details über preußische Beamtenverhältnisse der Zeit, und läßt das oft sehr seltsame Material, mit dem der Churfürst arbeiten mußte, in intimster Deutlichkeit vor uns auftreten.

Verantwortlicher Nedacteur: W. Wehrenpfennig.

Druck und Verlag von Georg Reimer in Berlin.

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