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nicht nur erwacht in ihm aufs neue der Jammer um dieverlorne Seligkeit (1069, 1101), sondern auch der Haß und Neid gegen die Menschen. Denn der Mensch, der unter den Engeln steht, hat durch den Sündenfall die Seligkeit nicht verloren, sondern Gott hat sich seiner durch die Erlösung. erbarmt und ihn wieder in sein Reich aufgenommen. Aber die Teufel haben durch ihren Sündenfall die Seligkeit auf immer verloren, für sie ist keine Erlösung, keine Begnadigung, ja sie müssen die Demüthigung erfahren, daß der Mensch, das schwächere Geschöpf, das der Teufel vernichten wollte, in die Seligkeit eingehen kann, von welcher die Teufel ausgeschlossen sind. Daher der Ingrimm Lucifers, aber selbst gefesselt schickt er die übrigen Teufel in die Welt aus, daß sie die Menschen aller Stände und Klassen in die Hölle bringen sollen.

Hier beginnt ein komischer Zug doppelter Art. Satan ist die rechte Hand Lucifers, ihm werden die hauptsächlichsten Aufträge gegeben, aus dem Grunde, weil er der klügste sey (1104). Schon im ersten Theile des Schauspiels benahm sich Satan als ein dummer Teufel, seine gerühmte Klugheit muß daher auch im zweiten zu Schanden werden, wie auch zu Ende des Stückes wirklich geschieht, wodurch das Ganze folgerecht abgerundet und geschlossen wird. Bei dem Auftrage macht er aber schon die einfältige Bemerkung (1114 flg.), es müsse dem Lucifer jede Seele recht seyn, welche die Teufel zur Hölle brächten. Es gab nämlich keine gerechten Patriarchen mehr auf der Welt, also mußte man sich an gewöhnliche Menschen halten. Darüber wird er von Lucifer ausgescholten (1117 flg.), und ihm abermals eine Reihe aller Klassen und Stände aufgezählt, aus welchen er seine Beute holen solle. Dies ist der andere Zug der ernsten Komik, die Satire auf die Sünden und Laster aller Stände.

Mit einer Ermahnung Satans zur Klugheit zerstreuen sich die Teufel in die Welt. Kaum sind sie fort, so ruft sie

Lucifer zurück, aber sie hören ihn nicht und ihm thut der Kopf vom Rufen wehe (1159). Eine leise Andeutung starker Satire. Endlich kommt Satan zurück und fragt, was Lucifer wolle, dieser weiß selbst nicht was, und jener bedauert, daß er durch den frühzeitigen Rückruf an seiner Beute gehindert wurde, wie auch die andern Teufel, welchen Lucifer nicht Zeit gelassen habe, ihren Fang zu machen. Er ist vorerst mit dem zufrieden, was sie schon haben, und ruft sie zurück, um ihnen neue Lehren zu geben.

Dieser Auftritt ist zunächst für die bessere Einrichtung des Stückes angelegt, sonst hätte ein langes Selbstgespräch Lucifers dort stehen müffen, zum Nachtheil der Handlung, da ein solcher Monolog unmittelbar vorher geht. Nebstdem ist aber damit auch die Unruhe des Teufels geschildert, der auf seinen Raub nicht warten kann und fürchtet, ihn zu verlieren. Wie ist er jegt um jede menschliche Seele froh, nachdem er die gerechten Altväter verloren, und schimpft den Teufel Astrot aus, der hundertmal die Welt durchlaufen und nichts gefangen, weil man ihm keine Zeit gelassen. So weit braucht man nicht zu gehen, meint Lucifer, und schickt sämmtliche Teufel nach Lübeck, mit dem Auftrage, dort ihre Beute zu holen, denn es fänden sich dort Sünder genug, Geistliche und Laien.

Nun tritt die landschaftliche Satire in das Stück ein, die ernste Komik geht aus dem Kreise der Teufel in das menschliche Leben über und wird lokalisirt. Man sieht hier den Anfang der menschlichen Komödie, deren Inhalt aber noch religiös bleibt, während er in den Fastnachtspielen in die gewöhnlichen Lebensverhältnisse übergeht. Himmel und Hölle sind der Inhalt der divina comedia, das menschliche Leben ist ein schwaches Abbild derselben. Die Spöttereien und Mißverhältnisse zwischen Lübeck und Wismar sind als satirischer Zug ebenso diesem Schauspiele einverleibt, als Dante Menschen und Geschichten seiner Zeit in sein Werk verwebte. Jene

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Städte hatten sich hauptsächlich Sünden der Gewerbs und Handelsleute vorzuwerfen, welche denn auch in diesem Stücke aufgeführt werden und anzeigen, in welchen Ständen das Uebel der Zeit seinen Sig hatte *). So kommen vor Bäcker, Schuster, Schneider, Wirthe, Weber, Megger u. s. w., deren Betrügereien dadurch aufgedeckt werden, daß sie vor dem Teufel ihre Sünden bekennen und um Gnade flehen. Eine schneidende Ironie, als wenn der Teufel der Richter am jüngsten Tage wäre und verzeihen könnte.

Diese Aufzählung der Lübecker Sünder ist zugleich eine Satire auf die Teutschen. Wismar gehörte nämlich zu den wendischen Städten der Hanse, aus diesen holt der Teufel seine Beute nicht, sondern Lucifer sagt zum Satan (1118): verstehst du denn nicht mehr teutsch? glaubst du denn, daß ich wendisch sey? Lucifer redet also teutsch mit den Teufeln und mit den Sündern, ein scharfer Spott, bei welchem die Wenden besser wegkommen als die Teutschen.

Der einzige Teufel Funkeldune kommt ohne Beute zurück und entschuldigt sich, er sey vor Zorn eingeschlafen, weil er Niemand erhaschen konnte; da hätte ihn Lucifer abgerufen. Dieser schilt ihn derb aus und verwünscht seine Trägheit. Auch das ist eine Gegenstellung, nämlich zu dem ungetreuen Knecht im Evangelium, der sein Pfund vergraben. Satan bleibt am längsten aus, worüber Lucifer auf komische Weise besorgt wird. Satan, sagte er, war immer der schlaueste, jezt kommt er so spät, hat er vielleicht die Gicht oder eine andere Sucht? Könnte ich ihm nur das Wasser besehen lassen.

*) Eine St. Blasier Handschrift zu Karlsruhe von 1440 Bl. 200 gibt hierüber folgende Erläuterung: Tria sunt genera hominum, quae fecit deus clericos, milites, laborantes; quartum fecit diabolus, scilicet burgenses usurarios, qui non sunt aliqui istorum Sunt enim burgenses inter homines quasi burdones inter apes. Burdones sunt apės, quae nec mellificant, nec fructificant, sed apibus nocent. Similiter burgenses milites exhereditant, laborantes cruciant, cum ipsi sint otiosi.

Ist er vielleicht gar todtgeschlagen? Diese Uebertragung menschlicher Leiden auf die Teufel ist schon oben beim Kopfweh Lucifers vorgekommen, sie gehört zum Widersinn der bösen Geister.

Satan bringt einen Pfaffen. Das Lustspiel ist hierin so streng wie die alten Bilder vom jüngsten Gerichte, wo der Teufel hohe und niedere Geistliche am Seil in den Rachen der Hölle hinab zieht. Satan führt den Geistlichen während dem Brevierlesen weg, und dieser weiß anfangs nicht, wer der Verführer ist. Damit wird angedeutet, wie der Teufel die Geistlichen berückt, wenn sie bei ihrer Andacht zerstreuet sind und weltliche Gedanken haben *). Sie hängen diesen nach, und das ist das Seil, woran sie der Teufel zieht und bald durch seine Vorwürfe zeigt (1730 flg.), wer er ist. Da merkt der Geistliche die Gefahr und will sich retten, aber er muß vor den Lucifer, wo ihm Satan seine Sünden vorwirft und Lucifer ihn beißend verspottet, daß die Pfaffen nun selbst in die Hölle kämen, die doch andere Menschen zur Seligkeit führen sollten. Aber die Nähe des Pfaffen ist dem Lucifer unheimlich, er heißt ihn zurücktreten und das gibt dem Geistlichen Muth, den Kampf mit dem Teufel zu wagen, dem schon von den schlichten Worten des Pfaffen die Haare versengt werden (1797) und der fürchtet, er müßte mit allen Teufeln die Hölle verlassen, wenn der Pfaffe darin wäre. Es ist dieses ein großartiger Spott auf die Disputirsucht des späteren Mittelalters, daß selbst der Teufel ihr nicht gewach

*) Dies wurde auch in anderer Weise dialogisch ausgesprochen, wie folgende Stelle aus derselben Karlsruher Hf. v. N. in Quart Bl. 139 angibt. Hos versus dicit angelus.

Cum prece devota famulantum colligo vota,
et quae sunt lota, praesto sum scribere tota.
Hos versus dicit diabolus.

Dictio neglecta vel syllaba murmure tecta
per me collecta patet ipsa litera secta;

et vox et votum, tonus et sonus et nota, totum
per me colligitur et ab alto judice scitur.

sen sey. Aber der Geistliche pocht nun auf seine Schulweisheit (1812) und Lucifer befiehlt dem Satan, ihn gehen zu lassen, denn er mache ihm zu heiß. Voll Verdruß läßt Satan den Geistlichen gehen und dieser verflucht und verbannt den Satan in ein wildes Bruch und bedeutet ihm, man müsse größere Kraft anwenden, um einen Pfaffen in die Hölle zu bringen. Satan fühlt die Gewalt des Exorcismus und jammert, daß ihn auch der Geistliche aus einer besessenen Frau getrieben und er nun schändlich in ein Bruch fahren müsse. Das geschieht dir recht, sagt Lucifer, hättest du den Pfaffen in Ruhe gelassen; und damit überläßt er den Satan, dessen Klugheit zu Schanden geworden (1904) dem Bannfluche des Geistlichen.

Hat die Austreibung Satans Bezug auf die Stelle bei Matth. 12, 43, wie ich glaube, so ist das, was bei Matthäus weiter steht, diesem Stücke beizudenken, um den Ernst dieser Komik zu verstehen. Denn der ausgetriebene Teufel, der eine Zeit lang an öden Stätten herum irrt, kommt mit noch ärgeren Genossen wieder zurück, und der Geistliche, der über ihn. einmal gesiegt hat, ist nicht sicher, daß er zum zweitenmale nicht vom Teufel überwältigt werde. Wohl fühlt der Teufel die Macht der göttlichen Heilsmittel auch aus den Händen eines fündhaften Geistlichen, aber dieser wird deßhalb nicht gerettet, wenn er auch einmal den Prozeß gegen den Teufel gewonnen, denn gegen Gott vermag die Schulweisheit nichts. Dieser Auftritt mit dem Geistlichen ist nämlich ein Rechtsstreit, worin er seinen eigenen Fürsprech gegen den Lucifer spielt. Ein Seitenstück zu dem processus Belial, worin der Teufel den Streit gegen Gott verliert, und eine Vorbedeutung des jüngsten Gerichtes, denn der Geistliche droht dem Lucifer, daß Jesus noch einmal kommen und der Teufel seine Uebermacht fühlen werde (1908 flg.) *).

*) Im Belial wird die ganze biblische Geschichte als ein Prozeß des Teufels gegen Christus vor dem König Salomon verhandelt. Der Teufel

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