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auch die Juden unter alle Völker zerstreut, damit jedes an ihnen den lebendigen historischen Beweis des Christenthums hat. Und zwei Juden des alten Testaments, Elias und Enoch, werden am Ende der Welt auch als lebendige Zeugen kommen, zum Beweise für die Juden, daß Christus der Messias ist, und für die Christen, daß der Heiland im alten Testamente vorbedeutet wurde.

Das alte Testament wird unter dem Bilde der Synagoge vorgestellt; sie war die Trägerin der Prophezeiungen Gottes im alten Bunde, wie diese erfüllt sind, wird der Tempel zerbrochen und die Kirche des neuen Bundes tritt an seine Stelle als Trägerin der Offenbarung Christi, geleitet durch den heil. Geist, der ihr allzeit die Wahrheit sagt bis an das Ende der Welt.

Der Namen Mysterium, den diese Spiele führen, zeigt an, daß eine gründliche Einsicht dazu gehört, all' die Beziehungen zu wissen und zu kennen, in welchen Christus das alte Testament erfüllt hat. Es ist dieser Begriff ein historischer, er geht rückwärts; verschieden davon der philosophische der Mystiker, *denn er geht vorwärts, indem er die menschliche Seele nach der Offenbarung zu ergründen sucht; anderst ausgedrückt, das Mysterium ist Religionsgeschichte, die Mystik Neligionsphilosophie.

Das folgende Stück ist in der Bedeutsamkeit besser angelegt als in der Kunst ausgeführt. Der Chor der Engel und der Synagoge beginnt, richtig, denn es gibt noch keine Kirche, aber die Engel singen vorbedeutend im Kirchenchoral. Halte man es nicht für Spigfündigkeit, daß ich diesen kleinen Umstand hervorhebe, denn man weiß ja, daß auf mehreren alten Bildern im Stalle zu Bethlehem ein Krucifir an der Wand hängt und Christus doch erst als Kind in der Krippe liegt. Unsere Vorältern waren gerade so gescheid wie wir, um einzusehen, daß dieß der Zeitfolge gemäß nicht seyn konnte, fie wollten aber damit die Kreuzigung des Kindes in der Krippe vorbedeuten.

Die erste Handlung betrifft die Sünderin Magdalena. Damit wird gezeigt, wie tief die Tochter Eva's gefallen, welche Folgen also der Ungehorsam Eva's gehabt, wie nothwendig die Erlösung war, und wie durch die Bekehrung der Magdalena ein Vorbild gegeben wurde, daß sich die gefallene Menschheit wieder durch Christus erheben könne.

In der zweiten Handlung ist der Gegensag des Sündenfalles dargestellt, Christus widersteht der Versuchung des Teufels. Nun beginnt er sein Erlösungswerk und verkündet zuerst den Juden das Heil, denn die Scene ist in Jerusalem. Aber er wird nicht gehört, die Wunder gehen an den verstockten Pharisäern wirkungslos vorüber.

Da verläßt Christus Jerusalem und verkündet das Heil den Samaritern, die sein Wort gläubig aufnehmen. Es ist auch hier wieder eine Sünderin hervorgehoben, die. Samariterin am Brunnen, auch sie glaubt an Christus, und dieser Zug, die Töchter Eva's zu erheben, geht auch durch die folgende Handlung. Ein zweiter Grund, warum die Samariterin eingeführt ist, liegt in der Prophezeiung Christi (Joh. 4, 21), daß die Zeit kommen werde, wo man weder zu Samaria noch zu Jerusalem den himmlischen Vater anbeten werde. Das war ein Hauptpunkt für das Schauspiel, denn damit war auch die Lokalisirung der Passion in jeder christlichen Kirche gerechtfertigt. In dieser Handlung bringt Christus den Armen und Fremden das Brot des Lebens, welches die Söhne des Hauses weggeworfen (Matth. 15, 26).

In der vierten Handlung macht Christus den zweiten Versuch in Jerusalem, und um ihn zu verhöhnen, führen die Pharisäer die Ehebrecherin in den Tempel, damit er sie verurtheilen solle. Also wieder eine Tochter der gefallenen Eva, für welche die Schriftgelehrten keine Rettung sondern nur Strafe haben. Und auch sie wird von Christus durch Besserung gerettet, wie Magdalena, auch sie ist ein Beweis, daß die Erlösung naht, aber die Weltweisen sehen es nicht.

Darum folgt gleich darauf die Heilung des Blindgebornen zum schärfsten Tadel der pharissäischen Blindheit, denn leichter heilt Christus den gebornen Blinden als den verstockten Pharisäer. Dieser tritt unter dem Namen Leviathan auf, um anzuzeigen, daß der Teufel die Ursache dieses Widerstandes ist. Wie viel tiefer steht der weltweise Schriftgelehrte als der Blinde, dieser ist blind geboren, er entbehrt ohne Schuld das Licht, jener ist durch sein böses Herz verblendet worden, er ist schuld an seiner Blindheit. Der Blinde entbehrt nur das leibliche Licht, der Pharisäer das Licht der Seele. Weil die Schriftgelehrten das Heil von sich abstoßen, so läßt der Dichter unmittelbar darauf die Kaufleute aus dem Tempel treiben, zum Vorzeichen, daß dieselbe Verwerfung den Pharisäern droht, denn auch sie wurden hinausgeworfen und ihr Tempel zerstört, und während sich Christus seinem Leiden näherte, wurde der Fürst dieser Welt, der Teufel, auch hinausgeworfen (Joh. 12, 31. Matth. 8, 11. 12).

In der fünften Handlung zieht sich die Vorbereitung ernfter zusammen. Durch die Erweckung des Jünglings von Nain hat Christus den Juden außerhalb Jerusalem den Beweis der Auferstehung gegeben, und sie standen auch geistig auf und glaubten an ihn. Größeres that er für die Juden in Jerusalem durch die Erweckung des Lazarus, der schon drei Tage todt war, und nach diesem großen Wunder gibt er sich den Juden zu erkennen, aber statt an ihn zu glauben, finnen sie jezt schon ernstlich auf seinen Tod. Es scheint auf den ersten Anblick sonderbar, daß hierauf der Dichter das Gastmahl der Martha folgen läßt, es ist aber das Vorbild des himmlischen Gastmahls nach der Auferstehung der Todten (Matth. 26, 29).

In der sechsten Handlung erscheint Jesus als der König seines Reiches, er, der Sohn Davids, zieht in seine heilige Stadt ein und wird von seinem himmlischen Vater den Juden geoffenbart. Vergebens, fie beschließen ihn zu tödten, Christus

weiß es voraus und sagt es seinen Jüngern. Mit dem Anfang des Verrathes durch Judas schließt dann die Vorbereitung des Leidens und der erste Tag der Aufführung.

Dieses Vorspiel ist mit vielem Geschick zusammengefügt, denn die Handlungen aus dem Leben Jesu sind in Bezug auf das Drama mit Verstand gewählt und in einer so folgerechten Entwickelung dargestellt, wie es die religiöse Bedeutung des Schauspiels verlangte. Hie und da ist von der Zeitfolge der einzelnen Handlungen abgewichen, was um so leichter geschehen konnte, weil die Evangelien nicht die Annalenform des Mittelalters haben und weil man die einzelnen Handlungen nach der Bedeutung des Ganzen in die Anlage einfügte.

Der zweite Tag der Aufführung umfaßt das Leiden und die Auferstehung. Er ist nicht im richtigen Verhältniß zum ersten Theile, denn nach der ausführlichen Anlage des Vorspiels sollten es drei Stücke seyn, das zweite nämlich nur das Leiden enthalten (bis zur sechsten Handlung des zweiten Tages einschließlich) und das dritte Stück die Auferstehung darstellen, die aber in den beiden legten Handlungen sehr abgekürzt wurde. Vergleicht man nämlich die Höllenfahrt mit andern Schauspielen, so hat sie hier nur etwas über hundert Verse (3859- 3976), während sie anderwärts ein ganzes Teufelspiel enthält, und in der legten Handlung ist die Scene mit dem Salbenhändler ebenfalls sehr kurz behandelt (4033 -4072), die anderwärts ein ganzes Zwischenspiel ausmacht. Hat doch der Dichter in der ersten Handlung (173 — 238) eine doppelt so lange Scene mit dem Apotheker eingefügt, die in andern Stücken nicht vorkommt, warum ist er denn hier so kurz, wo andere Spiele so ausführlich sind? Die Absicht dieser kürzeren Behandlung ist nicht zu verkennen: das Stück sollte in zwei Tagen aufgeführt werden und mußte daher gegen Ende zusammen gezogen werden.

In dem Leiden Christi wird die richtige Folge der Handlungen beobachtet, die Entwickelung aber durch eingeschaltete

Auftritte oft aufgehalten. Dieses Hinderniß lag theils in dem epischen Charakter des Schauspiels, theils in der Einrichtung der Bühne, was ich näher angeben muß, um die Sache verständlich zu machen. Nach dem epischen Charakter soll keine. Handlung unvorbereitet in die andere übergehen, das hätte jedoch auf der alten Bühne oft geschehen müssen, weil die Dertlichkeiten alle darauf beisammen standen. Wenn daher Christus vom Annas zum Kaiphas und von diesem zu Pilatus geführt wurde, so konnten diese drei Handlungen ohne Zwischenscenen aufeinander folgen, denn die Häuser jener drei Personen standen ganz nahe beisammen. Das hätte gegen die epische Entwicklung verstoßen, daher wurden Zwischenscenen eingefügt, worin man die Mißhandlung Christi auf dem Wege von einem zum andern darstellte (2213 - 2260. 2603 — 2628. 2721 — 2736 u. a.). Solche Zwischenscenen konnten vermieden werden, wenn die Gruppen, wie jezt, von der Bühne abgetreten und auf der andern Seite wieder gekommen wären. Unterdeß hätte ein anderer Auftritt gespielt werden können, was aber bei der alten Einrichtung nicht möglich war. Daher mußten auch manche Personen stumm und ohne Theilnahme bleiben, bis die Reihe an fie kam, was bei den Klagen Mariä am meisten auffällt (3515 flg.). Aber auch das war nicht zu ändern, denn ein gleichzeitiges Handeln aller anwesenden Personen hätte nur eine vollständige Verwirrung gegeben. Man fühlt diesen Uebelstand schon an den wenigen Stellen, wo die Scenen einander durchkreuzen (711. 737 u. a.).

Völlig undramatisch sind die Gespräche zwischen Christiana und Judäa, einmal weil beides allegorische Personen find, sodann weil sie nicht mithandeln. Solche Einschiebsel schienen aber nothwendig, um den Begriff des Mysteriums zu erklären. Denn durch die Handlungen der wirklichen Personen konnten die Beziehungen des alten und neuen Testamentes nicht so deutlich gemacht werden als in dem Lehrgespräch der allegorischen Personen.

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