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7. Die Eröffnung der eigentlichen Friedensunterhandlungen erfolgt in Brüssel nach Ratifikation des Vertrags.

8. Die Verwaltung der occupirten Departements wird französischen Beamten übergeben, jedoch stehen dieselben unter den Befehlen der deutschen Corps-Commandanten.

9. Durch gegenwärtigen Vertrag wird jedes Recht auf Häfen oder ein anderes nicht beseztes Territorium ausgeschlossen.

10. Dieser Vertrag soll der Ratifikation der Nationalversammlung unterbreitet werden.

M. Barthélemy St. Hilaire verlas dann das Dokument, das den Einzug von 30,000 deutschen Truppen in Paris vorschrieb, und belehrte die Versammlung, daß sich die contrahirenden Partien das Recht vorbehalten hätten, von dem Ablauf des Waffenstilstandes nach dem 3. März Notiz zu geben. In diesem Falle dürften indessen die Feindseligkeiten erst nach Verfluß von drei Tagen wieder beginnen. Im Namen der Regierung beantrage er, daß die Versammlung den Vertrag sofort in Erwägung ziehe.

M. Thiers, der soeben wieder in die Halle zurückkehrte, appellirte jezt in einer gefühlvollen und eindringlichen Rede an den Patriotismus der Versammlung. Er sagte, es komme ihm nicht in den Sinn, die Billigkeit des Vertrages zu vertheidigen; da aber keine besseren Bedingungen zu erhalten seien, so rathe er die Annahme der Präliminarien dringend an. Da verschiedene Abgeordnete von Paris, von M. Gambetta unterstüßt, einen Aufschub beantragten, so sagte M. Thiers: Wir sind ebenso wie ihr die Opfer einer Situation, die wir nicht herbeiführten, der wir uns aber unterwerfen müssen. Wir bitten Sie, keinen Augenblick zu verlieren. Sie werden dadurch vielleicht der Stadt Paris großes Ungemach ersparen. Ich habe meine Verantwortlichkeit übernommen, meine Collegen haben dasselbe gethan, und Sie müssen nun die Ihrige übernehmen. Es darf sich keiner der Abstimmung enthalten. Wir Alle müssen unsern Antheil an der Verantwortlichkeit übernehmen." M. Thiers bean= tragte dann, daß der Vertrag einem Ausschuß überwiesen werde, der sich Abends um 9 Uhr versammle und dem Hause am nächsten Mittag bei offener Sigung Bericht abstatten solle. Dieser Antrag wurde angenommen und die Commission ernannt, worauf sich die Versammlung vertagte.

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Sigung der National-Versammlung zu Bordeaux: Berathung über die

Friedensbedingungen.

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Mit Ausnahme einiger weniger Deputirten, die durch Krankheit abgehalten waren, fanden sich sämmtliche Mitglieder der Versammlung bei der Sizung am 1. März ein. Das Comité berichtete einstimmig zu Gunsten der Annahme des Vertrages als der besten Schlichtung, die unter den Umständen zu erlangen sei. Der Bericht wurde von M. Victor Lefranc verlesen; die Nationalversammlung wurde darin ernstlich ermahnt, den Vertrag anzunehmen und Frankreich weitere Leiden zu ersparen, die eine Fortseßung des Krieges mit sich bringen würde. Auch drückte der Bericht die Hoffnung aus, daß kein Mitglied es unterlassen werde, seine Pflicht zu erfüllen.

Es erhob sich jezt eine stürmische Debatte.* M. Edgar Quinet verwünschte die Präliminarien und beschwor die Versammlung, die

*Mr. Edward King, der Correspondent des Boston Journal, giebt folgenden interessanten, obschon etwas stark gefärbten Bericht von den Auftritten der National. versammlung:

Auf der Ministerbank vorne zur Rechten sehe ich Thiers und Jules Simon eifrig mit einander reden und bedenklich die Köpfe schütteln. Natürlich sagt ihm Simon. wie wundervoll stark seit seiner Reise nach Paris und Versailles die Protefte der Elsässer geworden sind, und wie nicht anders zu erwarten stehe, als daß es in der Kammer zu stürmischen Debatten käme. Iezt erscheint ein Mann mit einem erschrecklich großen Manuscript. Ah! es ist M. Lefranc mit dem Bericht über die wehmüthige Berhandlung im preußischen Hauptquartier und den Ansichten der Commission über dieselbe. Augenscheinlich ist es ein langes Dokument. Da drů ben auf der Linken giebt sich eine außerordentliche Agitation kund. Hugo, Blane, Vacherot, Floquet u. s. w. nehmen ihre Size in regelmäßiger Ordnung neben ein. ander ein, als hätten sie irgend ein ausgehecktes Manöver zu arrangiren. Der Be richt der Commission zeigt nichts als die schrecklichen Folgen, die Frankreich betreffen müßten, wenn der Vertrag verworfen würde. „Jede Verlängerung des Waffen. stillstandes, sagt M. Lefranc, wurde uns rundweg verweigert; die Forts von Paris sind in den Händen der Deutschen; die Enceinte ist ihrer Geschüße beraubt, an verschiedenen Orten Frankreichs stehen ungeheure Massen feindlicher Truppen unsern desorganisirten Armeen gegenüber, und unser Volk sehnt sich nach Frieden. Die Nachricht von neuen kriegerischen Operationen wäre der Nationalversammlung wohl früher zu Ohren gekommen als die Ankündigung von dem Abbrechen der Unterhandlungen. Diese Worte mißsielen etlichen Patrioten auf der Gallerie, die heftig ausriefen: Ja. Ihr seid ein Preuße, wie Alle, die so reden wie Ihr.“ In Folge dieser Aeußerung ruft der alte Wächter der Loge aus, daß Jeder der sich Demonstrationen des Beifalls oder des Mißfallens erlaube, die Halle verlas sen müsse.

„Es wurde jezt ziemlich ruhig. Keiner weiß jezt, wie er stimmen soll.

Jeder lauschte mit gespanntem Interesse, und
Mittlerweile bestieg Edgar Quinet, ein Mit-

felben nicht anzunehmen, da diese furchtbaren Bedingungen der Gegenwart und Zukunft Frankreichs verderblich sein würden. M. Bamberger, ein Deputirter aus dem Moseldepartement, erging sich in bittern Schmähungen gegen Napoleon III., als den Urheber des Unglücks der Nation, und rieth der Versammlung, den Vertrag zu verwerfen und den Krieg fortzuseßen. Dieser Angriff auf Napoleon brachte M. Conti, den ehemaligen Chef des kaiserlichen Cabinets, auf die Rednerbühne. Er versuchte, den Kaiser zu vertheidigen, wurde aber mit einem Schwall von Vorwürfen und Schmähungen überhäuft und mußte sich zurückziehen. Die Versammlung passirte dann einstimmig und mit Beifallgeschrei einen Beschluß, der den Sturz des Kaiserthums bestätigte und Napoleon III. als den Urheber des über Frankreich hereingebrochenen Unglücks brandmarkte. glied der republikanischen Linken, die Rednerbühne und bat um's Wort, da er die Politik Preußens und Deutschlands seit vielen Jahren studirt habe. Quinet ist schon ziemlich bejahrt, und sein ganzes Wesen verräth den Franzosen der alten Schule. Er bemühte sich zu zeigen, daß die Annahme dieses Vertrages den offenen, schamlosen Raub gesetzlich sanctioniren würde. Es lag eine gehässige Bitterkeit in seinen Bemerkungen. Der Feudalgeist Deutschlands rächt sich an unsern freien demokratischen Institutionen, indem er durch dieselben unsern Ruin herbeiführt.' Durch diesen Vertrag, meinte er, würde der Friede keineswegs gesichert; im Gegentheil, es würde nur zu einem Vertilgungskrieg kommen. Preußen wünscht nicht nur unsern Fall.' sagte er. sondern unsere Vernichtung.' Die hohe, schlanke Gestalt des eminenten Gelehrten schwankte bei diesen Worten wie ein Rohr im Winde hin und her. Sogar M. Thiers fuhr halb zornig, halb erschrocken auf, als M. Quinet die Friedenspräliminarien für die Gegenwart und die Zukunft verderb lich bezeichnete. Mittlerweile drängte sich eine corpulente Figur durch die Menge der Tribüne zu. Jezt hat sie M. Quinet's Plaß eingenommen, und fünf Minuten später entstand die fürchterlichste Confusion, die jemals in einem gefeßgebenden Körper wahrgenommen wurde. Die bloße Erwähnung eines beinahe vergessenen, aber stets verhaßten Namen hat das Chaos heraufbeschworen. M. Bamberger der Abgeordnete von Straßburg, wagte es zu sagen, daß nur ein einziger Mann würdig sei, diesen Vertrag zu unterzeichnen, und dieser Einzige sei Napoleon der Dritte!

,,Es ist keine lebertreibung, zu sagen, daß das ganze Haus bei der Erwähnung dieses Namens in Convulsionen gerieth. Der bloße Klang desselben erweckte so verhaßte Erinnerungen, daß nicht nur die siebenhundert Deputirten insgesammt den Redner tadelten, sondern daß auch die vielen hundert Zuschauer auf den Gallerien ihren Zorn deutlich zu erkennen gaben. Natürlich entstand auch auf der Minister. bank große Aufregung, da der Vertrag als das .,Todesurtheil der Nation" gebrand. markt wurde. M. Thiers erhob sich zornig, um hierauf zu antworten, da vernahm man eine Stimme, die den Kaiser vertheidigte, und die stattliche Gestalt Conti's.

Victor Hugo und mehrere Andere protestirten dann gegen den Ver. trag; allein ihre Gründe wurden von M. Thiers und seinen Anhängern durch die einfache Bemerkung entwaffnet, daß durch eine Fortschung des Krieges nichts Besseres gewonnen werden könne, und dieses schlagende Argument verschaffte sich auch bei der überwiegende, Majorität Geltung. Mit Einbruch der Dunkelheit kam es zur Abstimmung, und das Resultat war: 546 Stimmen für und 107 gegen den Vertrag. Ueber einhundert Deputirte enthielten sich der Abstimmung. Mit diesem Akt war der Vertrag ratifizirt und der Krieg beendigt.

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M. Thiers telegraphirte das Resultat sofort an Jules Favre in Paris, und dieser verlor feine Zeit, dem deutschen Reichskanzler da

des vieljährigen Privatsekretärs des Kaisers, erhob sich unter den Deputirten. Er bat um Erlaubniß, die Versammlung anzureden, und ein wahres Gebrüll der Wuth und des Hohnes folgte ihm, als er der Bühne zuschritt. Da ging er, der verkörperte Schatten von Wörth, Sedan und Wilhelmshöhe. Die Wuth der Reru. blikaner hätte nicht größer sein können, wenn der Exkaiser selbst plöglich unter ihnen erschienen wäre. Bamberger zieht sich einen Augenblick zurück, und Conti steigt be herzt die Stufen der Tribüne empor.

„Plöglich springt ein Mann in der Nähe der Tribüne empor und ist im Begriff, den verwegenen Exsekretär zu ergreifen und über die Bühne auf den Boden hinabzuschleudern; allein zwei oder drei seiner Freunde fallen ihm in den Arm und halten ihn zurück. „Rache! Rache!“ brüllt dieser patriotische Langlois von Paris — Langlois, der bei Montretout so tapfer kämpfte — und aufs Neue entsteht ein schrecklicher Tumult. Die Damen erheben sich, um ihre Siße zu verlassen. Der Präsident bemüht sich vergeblich, die Ordnung aufrecht zu erhalten.

,,Allein Conti, der unerschrockene Corse, kümmert sich nicht um den Höllenspektakel und das Wuthgebrüll, sondern öffnet den Mund, um seinen alten Herrn und Gebieter zu vertheidigen. Jezt hättet ihr die wuthverzerrten Gesichter sehen sollen. die den Mann angrinsten, als er zu reden begann. Drei Männer stehen unten am Fuß der Rednerbühne, anscheinend bereit, ihm den Hals zuzuschnüren, wenn er herabkömmt. Allein Conti kennt keine Furcht. Er hat den Pöbel von Paris schon oft heulen und brüllen hören und hat schon ganze Körbe voll mysteriöse Drohbriefe erhalten. Er kennt das politische Leben aus dem Fundament und fürchtet keinen Schicksalswechsel. Er war schon Mitglied einer früheren Nationalversammlung und stimmte für Cavaignac. Es paßte damals in seinen Plan. Später ging er zur kaiserlichen Faktion über und wurde Staatsrath, Privatsekretär Seiner Majestät und sogar Senator. Er hat durch den Fall des Kaisers eine schöne Position ver. loren; dennoch kann er sich nicht enthalten, seinem weiland Souverän das Wort zu reden nnd damit den Zorn der Republikaner herauszufordern.

Ich durchschaue seine Karten. Er hat gehört, daß die Nationalversammlung Ten Sturz des Kaiserthums feierlich bestätigen will; er fürchtet dies and wünsch

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