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Ein merkwürdiger Zug naiver Sorglosigkeit und Lüderlichkeit ging auch durch die höhern Regionen der Gesellschaft und der Staatsverwaltung. Der Staat machte Schulden über Schulden und zwar nicht blos aus Noth, sondern zum großen Theil leichtsinnig und in gewissenloser Nachgiebigkeit gegen Leute, die sich auf Kosten der steuerpflichtigen Unterthanen, welche doch am Ende die Zinsen der Schuld zahlen mußten, bereichern wollten. Bestechung, Unterschleif kamen an die Tagesordnung und Juden spielten dabei die Hauptrolle. Diese Judenwirthschaft wurde so vorherrschend und mächtig, daß sie bald auch die einflußreichsten Organe der Tagespresse in ihre Gewalt bekam. Dabei versäumte die Regierung, die natürlichen Hilfsquellen des weiten Reichs auszubeuten, hemmte Handel und Verkehr durch Mauthen und baute keine Straßen, wo sie am nöthigsten gewesen wären, um den Ertrag fruchtbarer Ländereien durch Erport zu verwerthen.

Unter einem solchen Verwaltungssystem mußte sich mancherlei Unzufriedenheit regen, aber sie verstummte bei den Deutsch-Oesterreichern in einem gutmüthigen Sichallesgefallenlassen, bei den nicht deutschen Desterreichern im Gewohnheitsgehorsam, in der alten Furcht. Nur im Adel und in den gebildeten Klassen, die viel reisten und ihre Studien in Paris und London machten, bildete sich sehr allmälig eine Opposition aus, und zwar anfangs ausschließlich in den nicht deutschen Provinzen. Mit Hankas literarischem Betruge (der Deutschenhaß athmenden s. g. Königinhofer Handschrift) und Palackys böhmischer Geschichtschreibung begann das Czechenthum leise die Fahne zu entfalten. In der Lombardei und Venetien griff der Mazzinismus um sich, der sich verschwur, alles Deutsche bis auf den Tod zu bekämpfen. In Ungarn trachtete Kossuth, sein Vaterland von Deutschland unab= hängig zu machen. Man glaubte anfangs freilich nicht, daß das gefährliche Oppositionen seyen, aber sie wurden sehr gefährlich und führten wirklich zum offenen Abfall. Das hätten der Wiener Hof und Fürst Metternich vermeiden können, wenn sie das deutsche Element beffer

gepflegt und nach altem geheiligten Herkommen die Tradition des deutschen Kaiserthums bewahrt, den alten Respect der nichtdeutschen Unterthanen vor dem deutschen Namen aufrecht erhalten und zugleich die Provinzen besser verwaltet, solider gewirthschaftet, Bildung und Wohlstand der Unterthanen mehr gefördert hätten.

Nicht minder fahrlässig behandelte Fürst Metternich die deutschen Bundesstaaten, indem er alles unterließ, sie durch das österreichische Präsidium des Bundestags im nationalen Sinne gleichsam zu electrifiren, gemeinsame Nationalinteressen zu fördern und einen Geist zu pflegen, der stark genug gewesen wäre, dem wiedererwachten Nationalstolz der Franzosen würdig entgegen zu treten und dem wach= senden Uebermuth der Russen und Engländer würdig das Gegengewicht zu halten. Nicht einmal die Rheinschifffahrt wurde frei, obgleich es die Verträge verlangten. Jeder Bundesstaat blieb vom andern durch Zollschranken abgeschlossen. Bitten um Aenderung wurden verächtlich vom Bundestag zurückgewiesen, Friedrich List zum Dank für seine Anstrengungen und Rathschläge zum Besten des Verkehrs, der Industrie und des Handels, in die Verbannung, in den Kerker, endlich in einen verzweiflungsvollen Tod geschickt. Die Bundesacte hatte allen Bundesstaaten Verfassungen zugesichert. Desterreich entband sich aber von dieser Verpflichtung und Preußen ließ sich zu sehr von Metternich gängeln, um nicht diesem Beispiel zu folgen. Ständeversammlungen wurden nur in den vormaligen Rheinbundstaaten einberufen und sollten ganz machtlos bleiben. Die vormaligen Rheinbundfürsten hatten durch ihr langes Festhalten an Napoleon das 1813 so lebhaft erwachte deutsche Nationalgefühl beleidigt, sahen sich vor der öffentlichen Meinung vielfach blosgestellt und suchten das Vertrauen wieder zu gewinnen, indem sie Verfassungen gaben und sich dadurch einen Vorzug aneigneten, den sie vor den Beherrschern Desterreichs und Preußens voraus hatten. Es war ihnen jedoch nicht bloß um diese Popularität in Deutschland zu thun, sondern sie frischten auch ihre Sympathien

mit Frankreich wieder auf, indem sie ihre Verfassungsurkunden nach der Schablone der französischen Charte entwarfen. Auch England befreundeten sie sich mittelst des Constitutionalismus. Ihr Scheinliberalismus fiel ihnen aber leicht und war ihnen nicht gefährlich, weil, wenn irgend eine Kammeropposition etwas zu laut zu lärmen anfing, gleich der Bundestag bei der Hand war, um sie zum Schweigen zu bringen.

Preußen nahm viel weniger Theil an der Bundesregierung als Desterreich. Es ließ den Fürsten Metternich gewähren. Es diente ihm sogar, indem es die patriotische Partei, in der die Begeisterung der Freiheitskriege nachglühte und der größtentheils die studirende Jugend und das muntere Volk der Turner anhingen, schonungslos maßregelte und mit Verbannung oder langjährigem Kerker bestrafte. Es legte damals den höchsten Werth auf die Pflege der Wissenschaft, jedoch nur in dem Sinne, daß die studirende Jugend dadurch von ihrer deutschen Begeisterung abgekühlt werden sollte. Die damaligen geistigen Größen Berlins, Humboldt und Hegel, verbreiteten eine Gefinnung und Geistesrichtung, die nichts mehr mit dem Patriotismus zu schaffen hatte, ja demselben verächtlich den Rücken kehrte. Im Uebrigen war die preußische Staatsverwaltung unendlich solider als die österreichische, und eifrig bemüht, die Wunden des großen Kriegs zu heilen.

Der anfangs sehr unscheinbar aufgetauchte Liberalismus kam mittlerweile in Frankreich zu Kräften und erstarkte zu einer überwältigenden Macht, indem er die ältere Linie der Bourbons stürzte und der jüngern den Thron nur unter liberalen Bedingungen einräumte. Dieser Vorgang ermuthigte natürlicherweise die liberalen Oppositionen auch in Deutschland, doch kam es hier nur zu kleinen Tumulten und das alte österreichische System und der Bundestag behielten die Oberhand. Auch fehlte es der liberalen Partei an Patriotismus. Die Völker und ihr Unterschied waren ihr gleichgültig. Sie wollte gleiche

Freiheit für alle Völker, für alle Menschen. Sie ging nicht vom deutschen Nationalgefühl aus, sondern von der französischen Doctrin, welche seit Rousseau verbreitet war, der großen französischen Revolution im vorigen Jahrhundert den Impuls gegeben hatte und nach der Restauration im Liberalismus aufs neue zur Geltung fam.

Inzwischen lag es doch nahe, daß die liberale Partei aus ihrer Einseitigkeit irgend einmal heraustreten mußte, da sie die Erfahrung machte, daß ihr der Particularismus doch nicht so zuträglich sey, als fie sich eine Zeitlang eingebildet hatte. Denn obgleich sie allerdings, wenn sie es nur mit der Regierung eines kleinen Einzelstaats zu thun hatte, einen vorübergehenden Erfolg leichter erreichen konnte, so legte sich doch immer die Bundesgewalt dazwischen und der Erfolg wurde wieder vereitelt. So lange Preußen zu Destereich hielt, haben alle Oppositionen in den kleinen deutschen Kammern der Bundesgewalt nichts abgewinnen können. Erst als der Liberalismus in Frankreich) im Sturmjahr 1848 zum zweitenmal den Thron umstürzte, wurde auch Deutschland vom Revolutionsfieber ergriffen und konnte auch hier der Liberalismus triumphiren. Die Regierungen verloren die Besinnung, bangten schon vor der rothen Republik und warfen sich den Liberalen in die Arme, deren bisherige Häupter Minister wurden. Die Liberalen aber begnügten sich jetzt nicht mehr mit der Freiheit und mit Rechtserrungenschaften, die nur ins Gebiet der inneren Politik gehörten, sondern sie dachten jezt zum erstenmal auch auf nationale Zusammenfassung aller liberalen Capacitäten in einem großen deutschen Parlamente und auf Vereinigung aller Deutschen in einem neuen Reiche und weil Desterreich damals tief darnieder lag, in Wien das greise Regiment Metternichs im schmählichsten Bankerott geendigt hatte, aber nur um einem noch unfähigeren Bubenregiment Plaß zu machen, während Italien, Ungarn und Böhmen abfielen, blieb nur der preußische Staat als der größte in Deutschland noch unangetastet übrig, nach dem nun alle Blicke sich richteten. Schon ein Jahr vorher hatte

König Friedrich Wilhelm IV. das Band gelöst, durch welches Preußen bisher an das Metternich'sche System gefesselt gewesen war, und Preußen unter die constitutionellen Staaten einzureihen sich entschlossen. Das flößte den Liberalen Vertrauen ein und so wurde nun die Einigung Deutschlands unter Preußen mit Ausschluß Desterreichs das Ziel, welches die Mehrheit des im Frühjahr nach Frankfurt einberufenen deutschen Parlaments zu erreichen trachtete. Sie hat das Ziel nicht erreicht, weil sie dem König von Preußen keine ausreichenden Bürgschaften leisten konnte. Sie war nicht stark genug, um weder die particularistische Opposition in den Mittelstaaten, welche sich Preußen nicht unterwerfen wollten, noch auch um die tumultuarischen Demokraten niederzuhalten, die gar kein fürstliches Reichsoberhaupt, sondern eine Republik wollten. Zudem hatte die tapfere österreichische Armee unter Windischgrät und Radetzky dem monarchischen Princip wieder Achtung verschafft und einen jungen Kaiser auf den Thron erhoben, dessen energischer Minister Fürst von Schwarzenberg eine Umgestaltung Deutschlands nicht duldete und einfach die Wiederherstellung des alten Bundestages und des österreichischen Einflusses, wie unter Metternich, forderte.

Unter diesen Umständen konnte der friedliebende König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die deutsche Kaiserkrone nicht annehmen, die ihm jezt noch, aber viel zu spät, im April 1849, vom Parlament in Frankfurt angeboten wurde. Die liberale Partei hätte nicht einmal Stimmen genug für seine Wahl zusammengebracht, wenn ihr die Demokraten nicht zugestimmt hätten. Diese thaten es aber nur unter der Bedingung, daß der neue Kaiser auch die bereits fertige Reichsverfassung beschwören müsse. Das wollte nun der König von Preußen nicht, weil die Bestimmungen dieser Verfassung ihm zu sehr die Hände würden gebunden haben. Auch hätte er die neue Krone nicht behaupten können, ohne zuvor einen blutigen Krieg mit Desterreich bestehen zu müssen, und das wollte er nicht. Er schlug also die deutsche Kaiser

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