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Erstes Buch.

Das alte österreichische System und der Bundestag.

Was dem großen Kriege vorherging, das erklärt ihn. Wir müssen in die Geschichte zurückgreifen, um, wenn auch nur in einer kurzen Skizzirung, die Fäden der Zwietracht zu verfolgen, die das blutige Jahr 1866 herbeiführten.

Es handelte sich um die alte Rivalität der zwei mächtigsten deutschen Dynastien, aber auch zugleich um die neue Hoffnung der Nation, das durch Theilung so tief aufgelockerte und geschwächte Deutschland der Einheit wieder näher gebracht zu sehen, Unsere große Nation bildete früher ein einiges Reich, das mächtigste in Europa. Der Deutsche war der geachtetste und zugleich der gefürchtetste Mensch in Europa. Aber durch das Emporkommen so vieler großer und kleiner Dynastien und durch die unaufhörliche Uneinigkeit derselben ist das deutsche Reich von Innen zerrissen und der Zerstörung durch äußere Gewalt preisgegeben worden. Als im Anfang des gegenwär Menzel, der deutsche Krieg 1866. I.

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tigen Jahrhunderts ein großer Theil Deutschlands mit Frankreich vereinigt und die Fürsten des übrigen Deutschland Frankreichs Vasallen wurden, als zum erstenmal in der Weltgeschichte das ganze deutsche Volk unter ein fremdes Joch gebeugt war, da dämmerte endlich in den Deutschen das Bewußtseyn einer ungeheuern Verschuldung, eine tiefe Scham über die verlorene Nationalehre und eine sehnsüchtige Erinnerung an die ehemalige Macht und Größe des deutschen Reichs. Sobald aber den fremden Weltstürmer das Gottesgericht in Rußland erreichte, war es unter allen deutschen Regierungen zuerst die preußische, unter allen deutschen Stämmen zuerst der preußische, die das französische Joch zerbrachen. Von Preußen ging der Ruf zur Freiheit und Einheit der Deutschen aus und die Größe der preußischen Siege, die ungeheure Zahl der preußischen Todten bewiesen, mit welcher Heldenkraft und Opferfreudigkeit die Preußen für die deutsche Sache kämpften.

Die großen und in jeder Beziehung natürlichen und berechtigten Hoffnungen für Deutschland, wie sie in Preußen waren geweckt und gepflegt worden, sollten troß der unsterblichen Waffenthaten und Siege nicht in Erfüllung gehen, einfach weil Desterreich nicht wollte. Denn hätte Desterreich gewollt, so würde es sich nach Napoleons Sturz bei der Neugestaltung Deutschlands mit Preußen gegen jede auswärtige Einmischung haben verbinden können. Aber es wollte nicht. Es verband sich mit den auswärtigen Mächten gegen Preußen. Unbestritten hat die Schwächung Napoleons in Rußland begonnen; ohne den Untergang seines Heeres im Winter von 1812 hätte Deutschland sich nicht sobald erheben können. Unbestritten haben Russen, Engländer und, wenn auch nur in geringem Maße Schweden mitgewirkt, Napoleon zu entthronen. Das meiste dabei aber haben die Deutschen gethan und nur ihre Streitkräfte haben den Sieg entschieden. Somit beschränkte sich die Berechtigung Rußlands, Englands und Schwedens darauf, daß sie mit Oesterreich und Preußen gemein

schaftlich über das besiegte Frankreich verfügten. Niemals aber waren fie befugt, uns Deutschen die Zurücknahme von Elsaß und Lothringen, wie auch von Belgien (den österreichischen Niederlanden) zu verwehren und bei der Neugestaltung Deutschlands auch nur ein Wort mitzusprechen. Preußen verfocht dieses natürliche Recht der Deutschen und wenn Desterreich sich an seine Seite gestellt hätte, so würden beide vereinigt stark genug gewesen seyn, um jeden fremden Einfluß vom deutschen Verfassungswerke fern zu halten. Aber das wollte Desterreich nicht. Es suchte und beförderte den fremden Einfluß auf die deutschen Angelegenheiten, nur um Preußen nicht aufkommen zu lassen. Es verband sich mit dem Ausland gegen Preußen und verschaffte sogar dem eben besiegten Frankreich eine Stimme auf dem Wiener Congreß, nur um ein Votum mehr gegen Preußen aufzutreiben.

Kaiser Franz wußte wohl, er könne nicht Alleinherr der Deutschen werden, denn Preußen war schon zu mächtig, der ganze deutsche Protestantismus, wie auch der Partikularismus des katholischen Bayern sträubten sich gegen die österreichische Herrschaft. Der Kaiser, unterstützt von seinem berühmten Minister, Fürsten Metternich, fand es also dem Interesse seiner Dynastie entsprechender, sich im Osten abzurunden und sich mehr auf die Ungarn, Slaven und Italiener seines Reichs, als auf die Deutschen zu stüßen. Das übrige außeröster reichische Deutschland sollte nun aber neben der trefflich abgerundeten und compacten österreichischen Monarchie das war der Grundgedanke der Wiener Politik getheilt bleiben und vor allem sollte Preußen gehindert werden zu erstarken. Deshalb wurde der vom preußischen Volke ausgegangene nationale Gedanke, wie viel er auch zur Begeisterung der deutschen Heere und zum Siege beitrug, von Desterreich verschmäht, zurückgewiesen, bekämpft. Desterreich schonte damals die Rheinbundfürsten, nur um sie zu seinen Bundesgenossen gegen Preußen zu machen, um mit ihrer Hülfe die patriotische Begeisterung im preußischen Volke niederzuhalten. Auch Frankreich wurde

nur deshalb geschont und blieb für seine schweren Versündigungen an der deutschen Nation ungestraft, weil Oesterreich den im preußischen Hauptquartier vertretenen Willen der deutschen Nation brechen wollte. Desterreich wurde dabei natürlicher Weise von demselben Frankreich), wie auch von Rußland und England unterstüht, denn das ganze übrige Europa war, wie damals im Congreß zu Washington gesagt wurde, gegen den nationalen Gedanken in Deutschland verschworen und fest entschlossen, die Kräfte, die im großen deutschen Volke schlummern, nicht zur Entwicklung kommen zu lassen." So wurde das siegreiche Deutschland einzig durch die Schuld Desterreichs, welches Rußland, England und Frankreich zur Seite hatte, kleiner, als es vorher gewesen war, und erhielt die lockere, die innere Zwietracht und den äußern fremden Einfluß verewigende Bundesver: fassung. So blieben die preußischen Patrioten in der Minderheit und indem das russische Kaiserhaus sich dem preußischen Königshause verschwägerte, schloß sich das letztere den europäischen Verträgen an, durch welche jeder Aufschwung der deutschen Nation fortan verhindert und ihre Vielstaaterei verewigt werden sollte. Der Wiener Congreß, die Stiftung des deutschen Bundestags, die Karlsbader Beschlüsse und die Wiener Schlußakte hatten keinen andern Zweck.

Seit den Karlsbader Beschlüssen kannte man Preußen nicht wieder. Der dort unter dem Einfluß des Kaiser Alexander und des Fürsten Metternich erfolgte Systemwechsel ließ alles vergessen, was von Preußen aus in den großen Kriegen gegen Napoleon Herrliches und für die deutsche Nation ewig Ruhmwürdiges geleistet worden war. Auch der Fortschritt war vergessen, durch den Preußen schon im vorigen Jahrhundert sich Desterreich so sehr überlegen gezeigt hat. Das Zeitalter Friedrichs des Großen war vergessen. Das Berliner Cabinet befand sich unter geheimer russischer Leitung und anerkannte zugleich im Fürsten Metternich den größten Staatsmann der Zeit, das glänzende Vorbild wie für jede, so auch für die preußische Diplomatie.

Die Macht und das Ansehen Qesterreichs überwog damals die Macht und das Ansehen Preußens bei weitem und schien auf lange Zeit gesichert zu seyn. Desterreich hatte sich mit Galizien, Venedig und der Lombardei abgerundet. Es besaß vorherrschenden Einfluß in Italien und im Orient. Es beherrschte den deutschen Bundestag und die römische Curie. Und doch that Desterreich nichts, was ihm seine starke Stellung in Europa auf lange Dauer hätte sichern können. Es hatte sich gewissermaßen mit einem Fluche beladen, indem es den nationalen Gedanken in Deutschland unterdrückte. Es wurde in eine falsche Consequenz hinein getrieben. Sofern es nämlich von keinem Aufschwung des deutschen Elements etwas wissen wollte und seine Grenzen selbst gegen den spärlichen Einfluß- deutscher Gesinnung aus den Bundesstaaten durch Mauthen, Bücherverbote, Censur und Paßquälereien absperrte, schmeichelte es dagegen den Czechen, Magyaren und Italienern, billigte und pflegte deren nationale Bestrebungen, hielt die undeutschen Akademien in Prag, Pesth und Padua, während es in Wien noch keine gab, im besten Stande und in hohen Ehren und ließ die deutsche Sprache und Sitte in Südtirol viele Jahrzehnte hindurch von der italienischen verdrängen, was das Volk selbst keineswegs wollte, was aber durch kaiserliche Beamte und Priester allmälig durchgesezt wurde. Damit sich keine deutsche Gefinnung und Begeisterung in Wien einschleiche, wurde die Presse niedergehalten, wurde auch in den höhern Schulen außer in mathematischen und Naturwissenschaften, die mit Politik nichts zu thun haben, kein Geist und höheres Streben geduldet. Ja sogar die katholische Theologie in Desterreich durfte an der glänzenden Regeneration, die sie in den deutschen Bundesstaaten und Frankreich fand, nicht theilnehmen. Der Geist war sprichwörtlich gelähmt. Wer nach Wien kam, fand das Volk liebenswürdig und gutmüthig, aber in einer künstlichen Unmündigkeit und Kindheit niedergehalten. Die Sitten waren außerordentlich gelockert.

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