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Beitrag II.

Erörterung der Controverse:

ob nach unvollständig geführtem Beweise pro exoneranda conscientia, von Amts wegen auf das suppletorium oder purgatorium zu erkennen?

Die ie Lehre von der Gewissensvertretung beginnt mit einer interessanten und practisch wichtigen Controverse über 'den Ursprung dieses Instituts, indem nåmlich einige Rechtslehrer denselben schon im Römischen Rechte finden wollen 1), andere aber die probatio pro exoneranda conscientia als durch die Praxis gebildet ansehen 2). Koch 3) und Glück 4) haben die Unhaltbarkeit der ersten Meinung ausführlich und mit den einleuchtendsten Gründen nachge= wiesen, und unbedenklich darf man wol mit ihnen annehmen, daß die Gewissensvertretung von einem Gerichtsge Brauche ausgegangen ist, der den sonstigen Grundsåßen des Canonischen Rechts 5) über die Verpflichtung zur Eidesleistung völlig entspricht. Positive Gesetze, welche sich auf den gemeinen Proceß beziehen, haben auch spåterhin diese

1) Voet Comment. ad Pand. lib. 12. tit. 2. §. 15. Hofacker Princip. jur. civ. to 3. §. 4519. not. f, Malblanc de jurejur. §. 58. 2) Danz Grundfähe des ordentl. Proc. §. 380. - Thibaut Sy stem des Pand. R. §. 1164. Bauer Pr. de defensione consc. per probat. jure comm. fundata. Lips. 1753. Günther Prine. jur. Rom. to. 2. §. 1233. Schmidt Theorie des ordentl. Proc. S. 159. Claproth Einl. in den ordentl. Proc. Bd. 2. §. 327. Gönner Handbuch des gem. Proc. Thl. 2. pag. 494. Schaumburg Princip. prax. jurid. judic. lib. 1. sect. 1. memb. 3. cap. 12.

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3) Koch Progr. de probat. pro exonerauda conscient. in foro Rom. ignot. Gissae 1783.

4) Glück Erläuter. der Pand. Thl. 12. §. 804.

5) Cap. 2. X. de probat.

Art der Beweisführung nicht näher normirt, vielmehr blieb ihre weitere Ausbildung stets den verschiedenen Ansichten der Rechtskundigen überlassen *). Eine nothwendige Folge waren mehrere Streitfragen, welche für die Theorie und für die Praxis gleich wichtig und interessant find. So wie diese Controversen früher erörtert wurden, reducirte sich der Streit mehr auf ein bloßes Behaupten von Såhen, oft ohne irgend eine Anführung von Gründen. Die Hauptsache, nåmlich das eigentliche Wesen der Gewissensvertretung, "ward überall nicht erörtert, oder doch nicht in völliger Klarheitdargestellt.

Zwey Streitfragen beschäftigten hauptsächlich die Proceßrechtslehrer bei der Abhandlung dieser Materie. Die erste bezieht sich auf die Zulässigkeit des Gegenbeweises bey der probatio pro exoneranda conscientia; die zweite hat die Statthaftigkeit der nothwendigen Eide bey der Gewissensvertretung zum Gegenstand. Jene Controverse ift von Gönner und neuerdings auch von Linde ) einer ausführlichen und gründlichen Erörterung unterzogen, die zu dem Resultate führt, daß auch bey der probatio pro exoneranda conscientia der Gegenbeweis zu gestatten ist.

Die bisherige Praxis der meisten Oberinstanzen Deutschlands dürfte hiemit nicht übereinstimmen, wie denn auch das Obergericht zu Glückstadt der gegentheiligen Meinung stets gefolgt ist 7). Gönner, und nach ihm Linde, haben sich das

*) Linde Abhandlungen aus dem Deutschen Civilproceß, Bd. 1. pag. 75-77.

6) Gönner loc. cit. Thl. 2. pag. 491–502. Linde Abhandlungen aus dem Deutsch. Civil-Proceß Bd. 1. pag. 75 u. f.

7) So ward z. B. erkannt in Sachen Wittmack zu Ihehoe, Klåger und Supplicanten, wider den Fuhrmann Suhrbehr_in Heide, Beklagten und Supplicaten, in pto. Ablieferung einer Kiste mit Spiel-Charten; und in Sachen Claus Bustorff in Bissen, Klägers,, ctr. N. H. Frahm, Beklagten, in pto. zu leis ftenden Altentheils. -cfr. Goldschmidt Abhandlungen aus dem

große Verdienst erworben, endlich den Gesichtspunct gehörig festzustellen, unter dem die Gewissensvertretung aufgefaßt® werden muß. Eine kurze Angabe desselben mag der nåhern Erörterung der zweiten, von Gönner und Linde nicht ventilirten, Streitfrage:

ob bey der Vertretung des Gewissens durch Beweis der Richter von Amts wegen auf die juramenta necessaria erkennen darf?

auch hier voranstehen, da ohne diese Basis die gründliche Würdigung der verschiedenen Meinungen nicht thunlich ist.

Nachdem Gönner gezeigt, daß die Gewissensvertretung ein Gegenbeweis nicht sey, stellt er die Veränderungen. welche dieselbe an dem Rechtsverhältnisse der Partheien in dem Beweisverfahren hervorbringt, auf folgende Weise dar. Wer sein Gewissen mit Beweisen vertritt, läßt sich auf die „Eidesdelation, als solche, noch gar nicht ein, er versucht vielmehr sein Glück, durch andere Beweise den ganzen Eid „entbehrlich zu machen. Er muß daher den Beweis des „Sahes übernehmen, welchen sein Gegner durch einen Eid zur juristischen Gewißheit emporheben wollte, und indem er dieses thut, verwandelt er sich in den eigentlichen Be,,weisführer, und stellt der Vollführung des Beweises durch ,,Eid seine Beweisführung als eine Präjudicialfrage ,,entgegen, von deren Ausgang erst abhängt, ob die Voll„führung des Beweises durch einen Eid nothwendig sey oder „nicht."

,,Dies ist der eigentliche Gesichtspunct, aus welchem ,,die Gewissensvertretung zu betrachten ist; er bewährt, daß fie keine Annahme, keine Verweigerung, keine Zurückschie,,bung des Eides ist, daß der ganze Beweis durch Eid su„fpendirt bleibt, daß der Deferent während diesem Zwischen.

Proces No. 6 pag. 76–79, und Collmann Grundlinien pag. 76 1. f.

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