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finden können, wenn wir uns nach ihr sehnen, oder es muß keinen Gott geben. Indem nun Luther fühlte, daß all sein bisheriger Glaube in Frage gestellt werde, wenn dieser eine neue Zweifel berechtigt sei, war es ihm schon möglich, diesen zu überwinden. Und indem er diesen überwand, wurde das, was ihm früher schon gewiß gewesen, aber durch das neue Dunkel wieder in Frage gestellt war, nur noch gewisser. Es ist dies der Gang, den bei jedem seines Glaubens selbständig gewissen Christen der Fortschritt der Glaubenserkenntnis nimmt. Freilich besißt nicht jeder den sittlichen Mut oder die Konsequenz des Denkens, um sich in allen einzelnen Fällen klar zu machen, daß es sich bei jedem Zweifel um den ganzen Glaubensbesig handelt. Viele schlagen neue Dunkelheiten aus Furcht vor der drohenden Gefahr einfach nieder. Die Anfechtung bringt daher nicht den Segen, welchen sie in ihrem Schoße barg. Nur der, welcher des Centrums seines Glaubens so felsenfest gewiß ist, wie Luther, kann sich in die tiefste Dunkelheit mutig hineinbegeben. Er weiß, daß er an dem, was ihm schon gewiß ist im Glauben, den Ariadnefaden besißt, welcher ihn nicht sich verirren läßt in dem Labyrinth.

Wenn aber Luther die scheinbar gegen die göttliche Wahrheit sprechenden Gründe nicht unerwogen ließ, wenn er, nach immer größerer Klarheit ringend, auch die Macht der Gegengründe völlig offen und klar empfand, so kannte er auch viel mehr von dem, was gegen seine Lehre vorgebracht werden konnte, als viele andre. So äußerte er einmal: „Wenn ich wollte Christum verleugnen, so wollte [könnte] ich der Christenheit großen Schaden thun. Denn der Teufel giebt mir andere, spizigere Argumente vor, die sie [meine Gegner] noch nicht wissen und vorgeben können. Aber Gott behüte mich davor".234) Evers sieht hierin ein auffallendes Geständnis' davon, daß Luther die heimliche Ueberzeugung von der Echtheit und Wahrheit der römisch-katholischen Kirche nie hat los werden können'.235) Je= dem vernünftigen Menschen aber zeigen Luthers Worte, wie tief er alles erwogen hat, ehe er seines Glaubens gewiß sein mochte, wie unerschütterlich er von der Wahrheit seiner Lehre überzeugt gewesen ist, da selbst „die spißigsten Argumente nicht seine Ueberzeugung erschüttern fonnten".

Es ist klar, woher es kommt, daß die Katholiken Luthers Anfechtungen nicht verstehen, sondern verspotten. Sie kennen nicht das Große, was Luther von allen gefordert und für sich selbst gesucht und gefunden hat, sie kennen nicht die persönliche Glaubensgewißheit. Wer in Verzweiflung auf diese verzichtet, wer sich mit dem traurigen Surrogat einer blinden Unterwerfung unter die Aussprüche der Kirche begnügt hat, der kennt keine Anfechtungen, wie der Arme die Sorgen des Reichtums nicht kennt.

Ob die Römischen oder wir Luthers Anfechtungen richtig beurteilt haben, ob er wirklich wie wir zu zeigen suchten schon bald der ihm von Gott übertragenen Berufspflicht völlig gewiß war, und ob seine sonstigen Seelenkämpfe nichts weniger als ein Beweis von Unsicherheit, vielmehr das von Gott gewollte Mittel waren, seine Glaubensgewißheit immer tiefer und umfassender zu machen, das muß sich vor allem an einem Punkte zeigen. War unsere Darstellung die richtige, so muß der Reformator von jenem sittlichen Mute erfüllt gewesen sein, welcher alles auf sich zu nehmen bereit ist, was der göttliche Beruf auferlegt; so dürfen auch die größten Gefahren nicht im stande gewesen sein, ihn in seiner Ueberzeugung zu erschüttern oder von dem betretenen Wege abzubringen. In tadelloser Konsequenz suchen daher seine römischen Ankläger nachzuweisen, daß er von einer bis zum Verfolgungswahn gehenden Todesfurcht beherrscht worden sei und in gefahrvollen Situationen jammervoll hin und her geschwankt habe. Prüfen wir dieses neue Geschichtsbild!

Luthers Feigheit.

Es ist eigentümlich zu beobachten, daß eine so in die Erscheinung tretende Eigenschaft, wie der Mut es ist, an einem Manne, dessen ganzes Leben so ungemein offen am Tage liegt, wie an Luther, von seinen Freunden so hoch bewundert, von seinen Feinden so gänzlich geleugnet wird. Es ist dies ein

Beleg dafür, daß die klarsten geschichtlichen Thatsachen je nach der Neigung des Anschauenden einen total verschiedenen Eindruck machen. Entweder muß die Liebe zu Luther oder der Haß gegen ihn blind machen.

Die krankhafte Furcht vor Verfolgung und Meuchelmord, an der Luther schon 1520 litt, wurde später zu einer förmlichen Monomanie', weiß Janssen zu berichten.236) Wir kennen Luther', so belehrt uns ein anderer,237) sein Leben und seinen Charakter zu gut und zu sehr bis ins Detail, um nicht zu wissen, daß persönlicher Mut Luthers stärkste Seite gerade nicht war'. Er legt eine zärtliche Besorgnis und eine komische Angst für sein „Körperchen“ bei jeder gegebenen Gelegenheit an den Tag und bietet stets alles auf, etwaigen Gefährdungen desselben aus dem Wege zu gehn'. Professor Luther war ein kluger Mann, der stets das Gebot: Du sollst Gott nicht versuchen, als höchstes anerkannte, wenn seiner Haut Gefahr sich von fern zu zeigen. schien'.238) So zeigt sich dieser von Haus aus und seiner Natur nach nichts weniger als heldenmütige und unerschrockene, vielmehr ängstliche, furchtsame, mißtrauische, um sein Leben besorgte und bis zur lächerlichsten Uebertreibung zitternde Luther'.239) Und als wäre dieser zitternde Luther nicht schon verächtlich genug, fügt man dem Gemälde einen noch widerlicheren Zug hinzu: Man malt ihn zugleich als den größten Renommisten. So berichtet Janssen: Luther kam in Worms an, sest entschlossen, „allen Pforten der Hölle und Fürsten der Luft" [wie er selbst sagt] Troß zu bieten. An Spalatin schreibt er: „Wir sind Willens, Satan zu schrecken und zu verachten". Aber bei seinem ersten Verhör war Luther keineswegs in einer zuversichtlichen Stimmung'.240) Oder ein anderer schreibt: Zwar hatte er früher in mehreren Briefen hochtrabend sich zum Märtyrertod für sein Evangelium bereit erklärt; allein, als es Ernst zu werden drohte, sank sein revolutionärer Mut zu Boden'.241)

So ungeheuerlich auch diese Aussagen uns Evangelischen erscheinen, so zwingt doch die Einhelligkeit und Zuversichtlichkeit unserer Gegner zu ruhiger Erwägung derselben. Wir hoffen auch, einen positiven Gewinn aus den notwendig gewordenen Untersuchungen zu erzielen.

Zunächst ist uns eins sehr auffällig. Bekanntlich thut Janssen sich viel darauf zu gut, daß in seiner Geschichte des deutschen Volkes' er selbst sowenig sagt, sondern vorwiegend die Quellen selbst reden läßt. Damit meint er den Eindruck größter Objektivität zu machen. Doch er muß ja aus all den vorhandenen Quellen eine Anzahl auswählen und aus diesen wieder die Säße und Worte aussuchen, welche er mitzuteilen wünscht. Damit aber wird sein Werk ebenso subjektiv gefärbt, wie jedes andere. Der ganze Gewinn dieses Verfahrens kommt nicht dem Werke, sondern dem Verfasser zu gute, welcher den ehrenvollen und vertrauenerweckenden Heiligenschein der Objektivität erlangt und nur schwer für den Eindruck, den er hervor= bringt, zur Verantwortung gezogen werden kann, da er ja nichts gesagt, sondern nur Quellen citiert hat. Wonach aber trifft er seine Auswahl aus den Quellen? Ist es nicht auffallend, daß er, der so unendlich viele ungünstige Urteile von Zeitgenossen Luthers über diesen anführt, garnichts darüber zu berichten hat, wie dieselben sich über die vorliegende Frage ausgesprochen haben? Wenn er Luthers Mut erwähnt, so redet doch allein er selbst, oder er läßt nur die von ihm ausgewählten und passend gruppierten vermeintlichen Thatsachen' reden. Und doch giebt es wohl keine Frage, über welche die Ansicht der Zeitgenossen ein so kompetentes Urteil wäre als die nach dem Mute oder der Feigheit einer bedeutenden, viel bekämpften Persönlichkeit. So holen wir das von Janssen Versäumte wenigstens mit ein paar Worten nach.

Crotus Rubianus z. B. schrieb an Luther: „Alle Welt redet davon,242) wie du nicht im allergeringsten erschreckt wirst durch die Drohungen der Tyrannen, welch ein unerschrockener Verächter des Todes du bist, wie du wünschest, aus freien Stücken für Christum tausend Gefahren auf dich zu nehmen. Diese Gesinnung billigen wir zwar und erkennen darin den Geist des Herrn. Aber wir fürchten, daß durch deinen heiligen Mut der Welt Gefahr droht. . . Mutig will Gott uns haben, aber nicht unvorsichtig; tapfer, nicht tollkühn; wer die Fürsorge für sich selbst vernachlässigt, der scheint mir Gott zu versuchen. Ich glaube, ich bin dir ein ungelegener Mahner; aber gern nehme

ich diese Schuld auf mich, deren viele teilhaftig sind, weil sie meinen, daß große Gefahren dir drohen vermöge deiner erwähnten Bereitschaft, welche viele für Sorglosigkeit auslegen“. Janssen kennt diesen Brief, citiert auch aus ihm, doch nichts von diesen Worten, nur etwas anderes, um Luther zu verunglimpfen.243)

Oder Hutten schreibt an Luther: „Sieh dich vor und halte Auge und Sinn auf die Feinde gerichtet. Du siehst, was für ein Verlust für das öffentliche Wohl dein Untergang sein würde. Denn, was dich selbst betrifft, so kenne ich deine Gesinnung, daß du lieber so sterben als irgend wie anders leben willst".244) Janssen kennt diesen Brief, citiert auch eine Reihe von Säßen aus ihm. Doch da er unmittelbar vorher von Luthers Ver= folgungsfurcht' geredet, kann er diese eben erwähnten Worte Huttens nicht gebrauchen. Er schneidet umgekehrt solche Säße heraus, in welchen der furchtsame Luther als durch Hutten zum Mut angespornt erscheinen kann. So läßt er Hutten schreiben: Sei männlich und stark und wanke nicht. An mir hast du einen Anhänger für jeden Fall'. Wer läse nicht daraus, daß Hutten gefürchtet hat, Luther werde in seiner Verfolgungsfurcht' wanken, und für nötig gehalten hat, ihn durch Zusicherung seiner Hülfe aufzurichten? Janssen hat die Worte Huttens fortge= Lassen: wanke nicht. Aber wozu ermahne ich, wo es dessen nicht bedarf!"

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Daß Luther von vielen Seiten zur Vorsicht gewarnt wurde, weiß auch Janssen. Anstatt aber daraus zu folgern, daß er nach dem Urteil seiner Freunde sorglos“ und „ein unerschrockener Verächter des Todes“ gewesen, schreibt er: Die krankhafte Furcht vor Verfolgung und Meuchelmord, an der Luther schon damals litt, wurde durch solche Warnungen, er stehe in Lebensgefahr, bedeutend verstärkt'.245) Janssen also weiß es besser, als die Freunde Luthers. Er citiert für diese Warnungen' einen Brief des Crotus Rubianus an Luther vom 28. April 1520. Hätte er uns aus demselben doch auch die Stelle mitgeteilt, in der Crotus sich müht, den Reformator „von dem Vorsah, die Zahl der christlichen Märtyrer zu vermehren, womöglich abzubringen"!

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