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mitzureden. Sie halten diese Anfechtungen bei Luther für einen Beweis davon, daß er niemals seines Gnadenstandes und seiner Lehre gewiß geworden sei, während in Wirklichkeit dieselben nur bei solchen möglich sind, welche die stolze Gewißheit kennen, und während dieselben nichts weiter sind, als das durchaus unentbehrliche Mittel, um die Gewißheit noch tiefer zu gründen und damit fester zu machen.

Doch hören wir die einzelnen Aussprüche Luthers, welche unsern Gegnern so auffallend sind. Janssen liest in ihnen allen Luthers Zweifel bezüglich der Wahrheit seiner Predigt'. Er schreibt: Um sich zu trösten in seinen Zweifeln, suchte Luther sich zu überreden, daß auch der heil. Paulus seiner Lehre nicht fest habe glauben können, und daß dies der Pfahl im Fleisch, von dem Paulus rede, gewesen sei. Das Wort dieses Apostels, er sterbe täglich, heiße soviel als, er habe gezweifelt an seiner Lehre. „Ich wahrlich [schreibt Luther] kann's auch so stark leider nicht glauben, als ich davon predigen, reden, schreiben kann, und wie andre Leute von mir wohl denken, daß ich so fest glaube“.212)

Das freilich ist in der That verwunderlich, daß auch Paulus an der Wahrheit seiner Lehre gezweifelt haben soll, und daß man den Pfahl im Fleisch so zu erklären habe. Und wenn Luther sich davon zu überreden' suchte, um nur nicht über seine eignen Zweifel sich grämen zu müssen, so ist dies ein Zeichen von innerer Verlogenheit. Doch Janssen hat hier drei verschiedenartige und zu verschiedenen Zeiten geredete Worte Luthers zu einem einzigen Gedanken verschlungen, vermutlich, weil er die betreffenden Worte niemals selbst sich angesehen hat. Er schreibt nämlich von Döllinger ab.213) Dieser aber citiert - vermutlich, weil auch er aus verschiedenen Büchern abschrieb die drei in Frage stehenden Aussprüche Luthers nach drei verschiedenen Ausgaben der Tischreden, nach Walch, Förstemann und Aurifaber, obwohl sie alle auch bei dem sonst von ihm benußten Walch stehen. Infolgedessen konnte Janssen die Worte nicht in seiner Erlanger Ausgabe finden. Da aber diese Stellen ihm doch garzu angenehm waren, so verwandte er sie, ohne irgend eine Belegstelle anzugeben. Bei so schweren Beschuldigungen sollte man nicht so verfahren.

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Was nun zunächst die Stelle vom Pfahl im Fleisch betrifft, 214) so ist es natürlich, daß die Römischen sie falsch verstehen. Luther redet von der „Anfechtung des Glaubens." Das versteht Janssen, weil er nicht weiß, was Luther nach der Bibel Glauben nennt, dahin, als habe nach Luther Paulus seiner Lehre nicht fest glauben können, während selbstverständlich von einer Verdunkelung des auf Christum gesetzten Vertrauens die Rede ist. Nicht näher aber erklärt Luther, was er an dieser Stelle meint. Der andre Ausspruch, in welchem er an das Wort Pauli „ich sterbe täglich“ gedenkt,215) giebt es an. Da redet Luther davon, wie unbegreiflich Christus in diesem Leben“ sei; „er schweigt stille dazu und läßt es geschehen", daß die Welt seinen besten und treusten Dienern sehr übel lohnt und sie verfolgt . . . als die ärgsten, schlimmsten Kezer und Uebelthäter." Dies sei eine schwere Anfechtung für Christi Diener. Denn das scheine ihrem Glauben, dem fröhlichen Vertrauen, zu widersprechen, daß ihr Herr auf ihrer Seite stehe und thue, was das beste für sein Reich sei. Ihm selbst, fügt Luther hinzu, sei dies „bisweilen“ so schwer zu ertragen gewesen, daß er gedacht habe: „Ich weiß schier nicht, woran ich bin, ob ich recht predige oder nicht." Daß Paulus je dasselbe gedacht habe, sagt er nicht. Zu einer Anfechtung aber ist dergleichen nach seiner Meinung auch dem Paulus geworden. Auch dieser hat sich nicht immer ohne weiteres darin finden können, daß der Herr stille schweigen könne zu dem scheinbar so schadenbringenden Treiben seiner Feinde. Ob Luther mit dieser, einmal bei Tisch geäußerten, Ansicht Recht gehabt habe, mag fraglich bleiben. Doch gestehen wir, daß auch wir einen so hochstehenden und in so schwierigen Verhältnissen wirkenden Christen, wie Paulus, nicht ohne solche Anfechtungen uns vorstellen können. Wir wundern uns also nicht, wenn Luther in Aeußerungen des Apostels Andeutungen davon zu lesen gemeint hat.

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von

Von ganz andrer Anfechtung handelt das dritte Wort Luthers;216) durchaus nicht wie Janssen angiebt Zweifeln an seiner Lehre', sondern von der Frage, ob die Gewißheit des Christen, daß er Gottes Kind und Erbe des ewigen Lebens sei, keinen Schwankungen unterworfen sei. Justus Jonas hatte sich gewundert über die Zuversicht, mit welcher

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Paulus 2. Tim. 4, 8 geschrieben: „Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit"; er hatte gestanden, seiner Seligkeit nicht immer so gewiß zu sein. Darauf äußerte Luther die Vermutung, auch Paulus habe es nicht so stark glauben können, wie er davon geschrieben habe; ihm selbst, fügte er hinzu, ergehe es ebenso. Da Janssen wieder nicht das Wort „Glaube“ versteht, so wird er meinen, Paulus solle nach Luther etwas anderes gepredigt haben, als er für wahr hielt. Aber er wird auch nicht begreifen können, warum Luther an dieser Stelle hinzufügt: Es wäre schier nicht gut, wenn wir alles thäten, was Gott befiehlt... Es wäre dann nicht vonnöten des Artikels von Vergebung der Sünde.“ Der Gläubige also weiß, daß er bei Gott in Gnaden steht und ein Erbe des ewigen Lebens ist, daß ihm die Krone der Gerechtigkeit schon beigelegt ist. Diese selige Gewißheit spricht er auch fröhlich aus. Daraus aber darf man nicht schließen, daß dieselbe sich stetig gleich bleibe. Vielmehr, sobald der Christ wieder darauf sieht, daß er nicht gethan, was Gott befiehlt", kann er es nicht so stark glauben. Dann bedarf es wieder des Glaubens, welcher die Gnade Gottes annimmt. Indem aber dieser die Gewißheit erlangt, daß auch die neue Sünde vergeben sei, wird die Gewißheit des eigenen Gnadenstandes tiefer und fester. Nicht, als ob sie vorher nicht fest gewesen wäre. Nein, auch vorher konnte nichts von dem, was der Mensch kannte, ihn an seiner Begnadigung irre machen. Aber jezt kennt er noch mehr als vorher, und auch dieses kann ihn nun nicht mehr ungewiß machen.

Hat Luther dem großen Apostel Unrecht gethan, da er ihm solche Anfechtungen zutraute? Es ist undenkbar, daß ein Mensch, welcher seine Sünde so tief fühlte, wie Paulus, zu solcher Höhe der Glaubensgewißheit, wie er sie eben 2. Tim. 4, 8 ausgesprochen hat, auf einem andern Wege habe aufsteigen können, als auf dem, daß er immer neu und tiefer die Undenkbarkeit seiner Begnadigung fühlte, um durch Ueberwindung auch dieser Anfechtung des Heiles noch gewisser zu werden. Oder könnte es jemand Wunder nehmen, daß denselben Weg auch Luther gehen mußte, welcher ein so tiefes Sündengefühl hatte und so aufrichtig feiner Sünde ins Auge sah? Wenn die Römischen ihn wegen

Walther, Luthers Beruf.

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seiner Anfechtungen bemitleiden', wenn sie von seinem „Klagen' und Jammern' berichten, so dürfen sie sich beruhigen, denn unzähligemal hat Luther seine Freude über diese Anfechtungen ausgesprochen. Er hatte erlebt, wie Großes sie ihm einbrachten. Es ist uns sehr nüße und gut, daß der Teufel uns also treibt. Denn dadurch macht er das Wort der Lehre soviel desto gewisser, daß der Glaube in uns desto stärker werde. . . Christus hat noch immerdar den Plaß und das Feld behalten und behält es auch noch durch uns." „Es ist unmöglich, daß der Menschen Herz könne recht Gott erkennen und im Gedächtnis behalten und an ihn gedenken, ohne das liebe Kreuz und Anfechtung." Darnach wandte er sich zu Schlaginhaufen und sprach: Glaubt mir, wenn ihr nicht so einen guten Stein im Brett hättet bei Gott, unserm Vater, ihr würdet die Tentation und Anfechtung nicht haben.“217) Es heißt also die Sache auf den Kopf stellen, wenn man schreibt: Luther litt nach eigenem Geständnis Höllenängste, ohne zu der Heilssicherheit gelangen zu können.'218) Seine Gewißheit wurde im Gegenteil durch die Höllenängste' immer umfassender und tiefer.

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Ein andermal äußerte Luther: „Ich habe dem Papst und Mönchen alles geglaubt; aber was jezt Christus sagt, der doch nicht lügt, das kann ich nicht glauben."219) Wem aber ergeht es nicht ebenso, etwa nicht den Römischen? Sie glauben ja noch immer dem Papst, nicht aber Christo. Und dies ist sehr begreiflich. Denn Christus sagt z. B.: „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben." Das ist ungemein schwer zu glauben. Denn es ist über alle Vernunft, daß ein Sünder das ewige Leben schon besigen solle, und das aus keinem anderen Grunde, als darum, weil er sich an Christum hält. Der Papst dagegen sagt: Da nicht mehr von dir verlangt wird, als du leisten kannst, so hat Christus deine Sündenschuld getilgt. Aber die Strafen mußt du nun selbst abbüßen und durch gute Werke dich göttlicher Belohnung würdig machen. Je eifriger du das thust, desto mehr darfst du dich der Hoffnung auf das ewige Leben hingeben'. Das ist ja ungemein einleuchtend, ist so echt menschlich gedacht, daß man es sehr leicht glauben, d. h. für wahr halten kann, zumal dann, wenn man noch in blindem Autoritätsglauben diesem Ausspruch des Papstes sich unterwirft. Dasjenige aber, was Christus sagt,

fann man garnicht bloß für wahr halten. Es erfordert vielmehr eine persönliche Aneignung im Herzen. So handelt es sich auch hier nicht um Zweifel an der Lehre, sondern um die Gewißheit, daß man durch Christum bei Gott in Gnaden stehe.

Oder Janssen schreibt: Es nimmt mich wunder, klagte Luther, nachdem er schon über 20 Jahre lang seine Lehre gepredigt hatte, daß ich dieser Lehre nicht vertrauen kann; ich bin mir selber darum feind, da doch alle meine Discipel meinen, sie können sie auf ein Nägelein.'220) Aber auch hier redet Luther nicht von Zweifeln an der Wahrheit seiner Predigt, wie Janssen meint, sondern von der persönlichen Aneignung der Gnade Gottes. Er schreibt nämlich vorher: „Das ist nun der Christen Kunst allein, daß ich mich von meiner Sünde abwende und davon garnichts wissen will und kehre mich allein auf Christi Gerechtigkeit, daß ich so gewiß weiß, daß Christi Frömmigkeit, Verdienst, Unschuld und Heiligkeit mein sei, so gewiß ich weiß, daß dieser Leib mein ist... Christus nimmt sich unser an; allein [das ist das Schwere], daß wir ihm vertrauen. Es nimmt mich wunder, daß ich dieser Lehre nicht vertrauen kann.“ Es ist Luther nicht in den Sinn gekommen, an der Wahrheit seiner Lehre d. h. daran zu zweifeln, daß wir allein durch den Glauben an Christum gerecht werden. Wohl aber hat er erfahren, wie schwer es sei, nach dieser Lehre zu handeln, dieses Vertrauen zu Christo zu fassen und festzuhalten. Er lächelt über seine Schüler, welche meinen, sie seien damit schon fertig. Sie waren eben noch Anfänger, welche noch nicht, wie Luther, die Tiefe und Größe ihrer Sünde erkannt hatten.

Dasselbe, was dieses Wort meint, wird auch wohl jene andre Aeußerung Luthers im Auge gehabt haben, welche er dem Antonius Musa gegenüber gethan haben soll. Dieser hat dieselbe dem Mathesius wieder erzählt, und leßterer berichtet in einer Predigt davon. Unter solchen Umständen läßt sich der genaue Sinn nicht mehr völlig sicher feststellen. Musa soll erzählt haben, „er habe dem Doctor einmal herzlich geklagt, er könne selbst nicht glauben, was er anderen predige.“ Ihn zu trösten, habe Luther geantwortet: „Gott sei Lob und Dank, daß andern Leuten es auch so ergeht; ich meinte, mir wäre allein so.“221) ——

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