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nicht wohl abdrucken 201) so staunen wir darüber, daß Luther dabei noch imstande war, irgend etwas, und nun gar noch so viel, zu arbeiten, und daß er an die Christen zu Wittenberg schreiben mochte: „Am Leibe habe ich ein kleines Gebrechlein überkommen; aber es schadet nit".

Zu dem Trübsinn Luthers werden unsere Gegner auch das rechnen, daß er sich mit Selbstmordgedanken getragen habe. Majunke erzählt uns, daß nach Luthers eigenen Worten es ihm der Teufel „gar oft sehr nahe gebracht, daß man die Leute am Morgen im Bett tot findet.202) Dieses Citat ist eine solche Entstellung, als wenn wir als Majunkes Meinung die Worte aus seiner Schrift citieren würden: „Das Werk Luthers steht heute gewaltiger da, denn je seit dreihundert Jahren“. Wirklich hat Majunke dies geschrieben; wir haben nur einige Worte ausgelassen. So schreibt Luther an der fraglichen Stelle: „Ich habe da wohl erfahren, wie es zugeht, daß man des Morgens die Leute im Bette todt findet. Er [der Teufel] kann den Leib erwürgen: Das ist eins. Er kann aber auch der Seele so angst machen mit Disputieren, daß sie ausfahren muß in einem Augenblick, wie er's mir gar oft fast nahe gebracht hat". Luther redet also mit dem, was er von sich sagt, nicht von Selbstmordgedanken, sondern von Gemütsbewegungen, welche tötlich werden können.

Janssen berichtet: Als einst ein Prediger erzählte, der Teufel versuche ihn, er solle sich mit einem Messer erstechen, erwiderte Luther: Das ist mir auch oft begegnet, daß, wenn ich ein Messer habe in die Hand genommen, so sind mir desgleichen böse Gedanken eingefallen'.203) Schon die Einleitung, welche Janssen diesem Worte Luthers giebt, ist unrichtig. Denn nach ihr scheint es, als ob die evangelischen Prediger sich gegenseitig ihre Neigung zum Selbstmord gestanden hätten. Aber Leonhard Beier, Pfarrer zu Guben, erzählte das Erwähnte nicht von der damaligen Gegenwart, sondern sagte, früher einmal, „als er gefangen gewesen", hätte ihn der Teufel versucht, mit einem Messer oder mit einem Strick seinem traurigen Dasein ein Ende zu machen. Ebenso ersieht man aus dem angeführten Wort Luthers, daß auch dieser nur von der Vergangenheit redet. Und

zwar war es spätestens i. I. 1532, daß er jene Aeußerung that. Denn Beier ist noch als Pfarrer in Guben bezeichnet, welche Stelle er i. I. 1532 verließ.204) Freilich giebt Luther nicht näher die Zeit an, zu welcher ihm früher solche Gedanken gekommen seien. Wir können also nicht aus seinen Worten ersehen, ob dergleichen nur in seiner ehemaligen katholischen Zeit oder auch noch später vorgekommen ist. Jedenfalls ist es eine Erdichtung, wenn Majunke 205) solche Gemütsverfassung' Luthers in das Jahr 1546, das Todesjahr des Reformators, verlegt. Derjenige aber kennt weder Luther, noch das, wovon er redet, welcher meint, Luther sei durch Verzweiflung auf Selbstmordgedanken gebracht. Janssen will es ohne Zweifel so verstanden haben. Denn er schiebt das in Frage stehende Wort Luthers zwischen zwei andere, zu anderen Zeiten geäußerte, Worte, in deren einem er von seinen Gewissensbissen' reden, in deren anderem er den Wunsch aussprechen soll, nie geboren zu sein. Schmiedet man aber drei verschiedene Aussagen so kunstvoll zusammen, so erweckt das hierher gehörende Wort freilich den Eindruck, als habe Luther den Wunsch gehabt, seinem Leben ein Ende zu machen. Solche Mißdeutung läßt sich gewöhnlich schwer widerlegen, dieses Mal aber spricht zufällig die Form des Wortes Luthers gegen solche Deutung. Denn wer in Verzweiflung sich töten will, der sucht ein Messer, einen Strick oder etwas Aehnliches; in solchem Falle ist der Selbstmordgedanke das frühere, die Ursache des Suchens und Findens. Derjenige aber, welcher - wie Luther hier von sich erzählt, - erst durch den Anblick des Messers in seiner Hand auf den Gedanken, er könnte sich selbst töten, verfällt, braucht durchaus nicht des Lebens überdrüssig zu sein. In solchen Fällen liegt der Kizel nicht in dem Gedanken, des Lebens Last von sich werfen zu können, sondern darin, daß man mit größter Leichtigkeit das Allergrößte thun könnte. So kann den besten, lebensfrohesten Christen, wenn sie auf hohem Turme oder an einem Bergesabhange oder auf der obersten Stufe einer steilen Treppe stehen, der Gedanke kommen, wie es sein würde, wenn sie sich hinabstürzten. Ohne im mindesten Neigung zum Selbstmord zu haben, fühlen sie infolge der besonderen Situation nur die schreckliche Möglichkeit. Darum erzählt auch Beier, da er von

seinem einstmaligen Lebensüberdruß redet, nicht nur von einem Messer, sondern auch von einem Strick; Luther aber weiß nur von einem Messer zu sagen. Denn wer einen Strick mit Selbstmordgedanken betrachtet, der möchte in der That seinem Leben ein Ende machen. Denn diese Todesart erfordert längere Vorbereitungen, also Ueberlegung. Es trägt demnach die Anfechtung, an der Beier gelitten, einen durchaus anderen Charakter als diejenige, welche auch Luther gekannt hat. Vielleicht von Nervosität, nicht aber von Melancholie, zeugt das von Luther Berichtete.

Auf welche Weise aber hat Luther seinen Trübsinn zu überwinden gesucht? Wir haben schon erwähnt, daß es eine arge Verdrehung ist, wenn Janssen schreibt: Luther suchte aus dem Kampfe mit sich selbst und seinem Gewissen seinem eigenen Geständnisse nach durch reichliches Trinken, durch Spiel und Scherze... zu entkommen'.206) Es war die Schwermut, in welche Hieronymus Weller geraten war, zu deren Ueberwindung Luther ihm diese Ratschläge erteilte. Was nun zuerst das Janssensche reichliche Trinken' betrifft, so ist dies eine sehr kleine, aber sehr mächtige Fälschung. Luther hat nicht reichlich', sondern „reichlicher" geschrieben. Und bekanntlich meint dieser Komparativ gewöhnlich etwas Geringeres als der Positiv. Einem Kranken, welcher sich besser“ fühlt, geht es vielleicht noch längst nicht „gut“. „Reichlicher trinken" heißt: mehr trinken, als man bisher gethan. Dies empfiehlt Luther den Weller. Nach seiner Ueberzeugung ist der Rat der römischen Askese, durch Fasten gegen Anfechtung zu kämpfen, bei der Anfechtung des Trübfinns für manchen durchaus verkehrt. Nach seiner Ueberzeugung war die Konstitution des Weller eine solche, daß auf ihn eine Vernachlässigung der leiblichen Pflege, zu welcher bekanntlich der Trübsinn geneigt macht, nur schädlich wirkte.

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Was aber sollen wir unter Spiel' uns vorstellen? Janssen scheint an Kartenspiel od. drgl. zu denken. Luther aber erklärt es deutlich genug: Bei dieser Art von Anfechtung ist die beste und leichteste Weise, den Teufel [welcher uns schwermütig machen will] zu überwinden, die, ihn zu verachten. So lache über den. Widersacher und sorge dafür, daß du dich mit jemandem unter

hältst. Fliehe auf jede Weise die Einsamkeit, durch spielenden Spott207) wird der Teufel besiegt, nicht durch Widersprechen und Disputieren. Daher [wahrscheinlich von Koburg aus schreibt Luther an den in seinem Hause zu Wittenberg wohnenden Weller] mögest Du scherzen und spaßen mit meiner Frau und den übrigen.“ Daß aber diese Ratschläge nicht die einzigen sind, welche Luther gegen Melancholie erteilt hat, wird wohl jeder Leser schon selbst sich sagen. Vielleicht hat Janssen auch nur aus diesem Grunde alles weitere unerwähnt gelassen. So sagte Luther einmal: „Darum so betet fleißig und gehet mit gottseligen Leuten um und tröstet euch mit Gottes Wort."208) Oder: „Wer mit Traurigkeit, Verzweiflung oder anderem Herzeleid geplagt wird, derselbe halte sich an den Trost des göttlichen Wortes, darnach esse und trinke er und trachte nach Gesellschaft und Gespräch gottseliger, christlicher Leute, so wird es besser mit ihm. werden." Nachdem er dann erzählt, wie ein Bischof seiner trübsinnigen Schwester theoretisch und praktisch den Rat erteilt habe: „Warte deines Leibes mit Essen und Trinken, dem Teufel zum Verdruß, so wirst du die bösen Träume und Anfechtungen los werden“, fügt er hinzu: „Aber allen würde das Remedium nicht nüße sein, sonderlich nicht jungen Leuten.“209) Wir wissen in der That nichts gegen diesen Rat Luthers einzuwenden: Schwermütige Gedanken können nicht durch Brüten überwunden werden; sie müssen durch Verachtung derselben, durch absichtliches Aufsuchen von erheiternden Einflüssen, häufig auch durch Kräftigung des Körpers, durch angemessene Diät, vertrieben

werden.

Freilich betrübte es Luther, daß er selbst ebenfalls noch solche Mittel anwenden mußte, um seiner Schwermut ledig zu werden. Er wußte, in Christo, seinem Herrn, sprudele eine so reiche Freudenquelle, daß ein vollkommener Glaube keines anderen Mittels bedürfe, um ungetrübt fröhlich zu sein, als nur sich an Christus zu erinnern. Aber es giebt auf Erden keinen vollkommenen Glauben. So ist es denn nicht auffallend, wie Janssen zu meinen scheint, sondern ganz natürlich, wenn Luther einmal äußerte: „Ich bin oft selbst auf mich zornig, daß ich nicht kann in der Anfechtung [der Schwermut; denn einzig von

dieser ist die Rede] durch Christum meine Gedanken austreiben, noch derselben kann los werden, da ich doch soviel davon gelesen, geschrieben und gepredigt habe.“210)

Gewöhnlich mit Trübsinn verbunden, doch um der besonderen Ursache willen von dieser Art der Anfechtung weit zu unterscheiden, ist die andere: die Ungewißheit darüber, ob man einen gnädigen Gott habe oder nicht. Und ebenso die lezte Art: Die Unsicherheit über die Wahrheit der religiösen Ueberzeugung. Diese beiden Anfechtungen kann kein Römischer, solange er diesen Namen thatsächlich verdient, wirklich kennen. Denn an einem Besize zweifeln kann nur der, welcher vorher desselben gewiß war. Ein römischer Christ aber darf nach der Vorschrift seiner Kirche und kann infolge seiner Rechtfertigungslehre niemals dessen gewiß sein, daß er bei Gott in Gnaden stehe. Ebenso kann an seiner Glaubensüberzeugung zweifeln nur derjenige, welcher eben eine Ueberzeugung besigt. Ein Römischer aber soll die Glaubensfäße auf Autorität hin annehmen, sie bilden also nicht seine persönliche Ueberzeugung. Wohl können auch Katholiken ihre Lehre mit großer Zuversicht, ja mit stolzem Bewußtsein und scharfer Siegesgewißheit verteidigen, sodaß sie den Eindruck erwecken, als wären sie ihres Glaubens' ebenso gewiß, wie etwa Luther des seinigen gewiß war. Sieht man aber näher zu, so zeigt sich, daß der Einzelne nicht seines Glaubens persönlich gewiß ist, sondern nur sich nicht vorstellen kann, daß die von dem Ganzen, welchem er angehört, behauptete Lehre eine falsche sein könne. Nicht eine persönliche Ueberzeugung ist es, sondern eine auf Berechnungen des Verstandes beruhende, die Zweifel als grausame Räuber ignorierende Hoffnung. Sowenig kennen sie das große Gut, um welches es sich handelt, daß z. B. einer unserer Gegner schreiben kann: Wären wir, die wir in der katholischen Kirche geboren und erzogen sind, umgekehrt im Protestantismus aufgewachsen und hätten unsern ganzen Bildungsgang in dieser Richtung durchzumachen gehabt, wir wären sicherlich so eifrige Protestanten, als wir jezt Katholiken sind'.211) Darum sind die Römischen absolut inkompetent, über diese beiden Arten von Anfechtungen

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