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Dadurch dürfte dann endlich ins Licht gestellt werden, welches die lehte principielle Frage ist, um deren entgegengesetter Beantwortung willen die Römischen und die Evangelischen über Luthers Werk so entgegengesezt urteilen. Das Ende unserer Erwägungen dürfte also die Grunddifferenz zwischen Luther und Rom als die alleinige Ursache der zahllosen gegen Luther als den größten Revolutionär erhobenen Anklagen aufdecken.

Luther selbst stellt eine doppelte Forderung an den, welcher im Namen Gottes wirken will: „Das erste ist, daß er ein Amt habe und gewiß sei,' daß er berufen und gesandt sei, und was er thue, um seines Amtes willen thue. . . Zum andern, so soll er auch gewiß sein, daß er Gottes Wort lehre und predige und nicht Menschenlehre oder Teufelslehre führe. Dann ist es recht, wenn ein Prediger gewiß ist, daß er nicht allein Gottes Wort, sondern daß er auch das Amt habe"!) Wir nehmen an, daß auch die römische Kirche eben diese Requisite aufstellen wird. Denn einerseits fordert auch sie von ihren Dienern die ordnungsgemäße Berufung, die missio canonica; anderseits ist es auch ihr selbstverständlich, daß ihre Diener nur die Wahrheit zu lehren. haben. So können wir die Frage nach der Legitimation Luthers in die beiden Fragen zerlegen, in die nach dem Berufe desselben und in die nach dem Inhalt des von ihm Verkündigten. Die erste dieser beiden Fragen soll uns im folgenden beschäftigen.

Luther war sich seines Berufes völlig gewiß. Aber ehe wir untersuchen, worauf sich diese Gewißheit gründete, müssen wir uns über die Vorfrage klar werden, was denn eigentlich Luther als seinen Beruf angesehen hat, was denn eigentlich er gewollt, und was er zu stande gebracht hat. Denn schon hier weichen wir weit ab von der römischen Darstellung der Reformation.

Was hielt Luther für seinen Beruf?

Die Unbestimmtheit des Wortes Beruf" ermöglicht unseren Gegnern, große Verwirrung in die vorliegende Frage hineinzubringen. Sie vermögen offenbar nicht die verschiedenen Bedeutungen auseinander zu halten, welche man mit jenem Worte verbindet. Sie wirren beständig durcheinander die Thätigkeit, welche ein bestimmter

Beruf uns auferlegt, und die Wirkung, den Erfolg, die Bedeutung, welche nach höherem Ratschluß unser Thun findet. Ohne Schaden kann man auch Letzteres als den Beruf oder die Mission, welche ein Mensch erfüllt hat, bezeichnen; doch nur solange als es sich nicht um die Frage handelt, was ein Mensch als seinen Beruf ansieht. So hatte einst Joseph die Mission, Jakobs Familie zur Zeit der Teurung vor dem Untergange zu bewahren und nach dem Lande Gosen zu verpflanzen. Aber nur Gott, nicht er selbst, konnte dies als seinen Beruf ansehen. Nur Gott, nicht aber er selbst, konnte auf die Erfüllung dieser seiner Mission hinarbeiten. Der Beruf, den er im Auge haben mußte, war ein durchaus anderer, das treue Dienen in den verschiedensten Situationen. Indem er diesem Berufe genügte, wurde der Erfolg erzielt, daß er seine weltgeschichtliche Mission erfüllte. Hätte er aber, ohne eine besondere Offenbarung von Gott zu empfangen, sich einen so hohen, folgenreichen Beruf beigelegt, so wäre dies das Zeichen des ärgsten Hochmuts gewesen, so hätte man ihn höhnend nach den Beweisen für solch eine Praefumtion fragen können. Nachdem er aber durch Gottes Fügung eine so große Bedeutung erlangt, nachdem ihm selbst klar geworden war, wozu Gottes Vorsehung ihn gebraucht hatte, konnte er auch ruhig davon reden, ohne daß wir darin Hochmut zu erkennen haben.2) Wie wichtig es ist, diese beiden Bedeutungen des Wortes „Mission“ auseinander zu halten, wird besonders an denjenigen Fällen klar, wo ein Mensch den ihm von Gott zugedachten Beruf nicht erfüllt und eben damit eine göttliche Mission erfüllt. Wer sich rechtswidrig eine Herrscherkrone aneignet, hat sicher nicht hierzu, sondern zu etwas ganz anderem den Beruf erhalten. Nachdem er aber so den ihm zugedachten Beruf verworfen hat, kann er von Gott dazu gebraucht werden, wie eine Geißel das von ihm beherrschte Volk und andere in Gottlosigkeit gesunkene Nationen zu züchtigen. Dies ist dann seine weltgeschichtliche Mission, das Gegenteil seines wirklichen Berufes.

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Wenden wir das Gesagte auf Luther an! Er hat eine unermeßlich große Bedeutung erlangt, eine Bedeutung für alle Völker und Zeiten. Es ist zu erwarten, daß man von ihm reden, um ihn streiten wird, solange dieser Weltlauf währt. Zeugen

seiner hohen Bedeutung sind gerade Janssen und Genossen, welche ein paar Jahrhunderte, nachdem des Papstes Bann, des Kaisers Acht und der Tod ihn unschädlich zu machen gesucht, noch mit allen nur möglichen Waffen gegen ihn streiten müssen. Niemals aber hat Luther solch eine Bedeutung begehrt. Niemals hat er auf Grund derselben ein Wort geredet, ein Werk unternommen. Wohl hat er später, da die Welt durch sein Wirken in zwei feindliche Lager geteilt war, selbst erkannt, zu wie großen Dingen er von Gott gebraucht war. Wäre er doch ein Narr gewesen, wenn ihm allein unter Allen das verborgen geblieben wäre! Aber wer es noch heute nicht sehen will, der mag gern bei seiner Blindheit bleiben; weder Luther noch wir wollen ihm diese Erkenntnis aufdrängen. So lassen wir Gottlieb ungestört, wenn er sich beklagt: Luther weist jede Forderung eines verständigen, wissenschaftlichen Nachweises seiner weltumfassenden Mission von sich'.3) Denn nie hat Luther eine weltumfassende Mission' für seinen Beruf ausgegeben, d. h. dahin gearbeitet, dadurch sich bestimmen lassen. Mit allem, was er that, wollte er nur seiner nächstliegenden Berufspflicht genügen. Er war und wollte nichts weiter sein, als ein „Doktor der heiligen Schrift“, dessen Beruf es war, die göttliche Wahrheit immer tiefer zu erfassen und zu lehren, also auch gegen Angriffe zu verteidigen. Nur der unweise, allgemeines Aufsehen erregende, zu Gewaltmaßregeln greifende Widerspruch seiner Gegner hat ihm so große Bedeutung verschafft. „Sie heben mich auf, sagt er, daß ich, ein Einiger, allein mich hervorthue, jedermann zu lehren. Da antworte ich auf, daß ich mich selbst noch nie dargethan [vorgedrängt] habe, sondern allezeit zu Winkel zu kriechen [verborgen zu bleiben] geneigt gewesen bin. Sie haben mich aber mit List und Gewalt hervorgezogen, Preis und Ehre von mir zu erlangen. Nun, da ihnen das Spiel mißlingt, bin ich vor ihnen der Ehrgeizigkeit schuldig".4)

Ein anderer 5) fragt, woher Luther die Berechtigung zu seinem Wirken genommen: war er denn so wunderbar zum Apostel berufen wie Paulus'? Aber wer behauptet denn, daß er zu einem Apostel berufen gewesen sei? „Die Apostel“, sagt er, waren dazu geordnet, berufen und gesandt, daß sie an allen

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Orten sollten predigen. Aber darnach hat niemand mehr solchen allgemeinen, apostolischen Befehl.“ Niemand, also auch Luther nicht.

Oder man fragt; Woher nahm Luther die Berechtigung zu dem gewaltsamen Bruch mit der geschichtlichen Kontinuität im Christentum' ?6) Er unternahm', so belehrt uns Janssen, eine Kirchentrennung. Sein Unternehmen bezweckte den völligen Umsturz des ganzen bisherigen Kirchenwesens und hiermit zugleich der bestehenden Rechtszustände'.7) Aber weder von uns noch von Luther wird es zugegeben, daß er mit der Vergangenheit total gebrochen' habe.8) Denn wann und wie sollte er das gethan haben? Schon äußerlich, werden unsere Gegner antworten. Nimmermehr durfte er sich von der Kirche trennen', er aber ging geradezu darauf aus, die Kirche, deren Priester und Lehrer er war, zu vernichten'.9) Aber wann hat er denn von der Kirche sich getrennt? Er ist ja in ihr geblieben, bis man ihn hinausstieß. Er kann schreiben: „Es ist meiner Freuden Trost auch einer und zwar nicht der geringste, daß ich mich nicht habe aus dem Papsttum gethan. Denn ich hielt fest bei der roten Hure und that der Mörderin in allem Dienst und Demut. Aber sie wollte mich nicht leiden und verbannte und stieß mich aus ihrer Mitte." 10) Und nachdem sie so gethan, klagen sie ihn an, daß er nicht darin geblieben sei?!

Oder sollte er doch wenigstens im geheimen von Anfang an eine solche Kirchentrennung beabsichtigt haben? Doch, wie konnte er dann im Juli 1519 auf der Leipziger Disputation beteuern, er habe nie ein Schifma gebilligt und werde es in Ewigkeit nicht billigen“?11) Oder sollte Evers einmal berechtigt sein zu der Frage, die er bei allen ihm nicht passenden Worten Luthers, und so auch hier sich erlaubt: Sind die Worte aber so gemeint, wie sie lauten'? 12) Und Janssen sagt etwas feiner: Ist es meine Schuld, daß Luthers Wort „bis in Ewigkeit“ bei ihm kein Jahr mehr galt, daß er schon im folgenden Jahre erklärte, die Böhmen und Griechen hätten sich mit Recht von dem römischen Babylon abgesondert; daß er alle verfluchte, die noch Gemeinschaft hätten mit dem römischen Stuhl, daß er den Papst für den Antichrist ausgab und zum Religionskriege aufrief'? 13)

Seit dem Jahre 1519 war er entschlossen, mit der katholischen

Kirche für immer zu brechen'.14) Wir freuen uns des Zugeständnisses, daß Luther doch ein paar Jahre lang seit seinem Thesenanschlag noch nicht an eine Kirchentrennung gedacht habe. Wie aber verhält es sich mit den Beweisen Janssens für die Behauptung, daß er in dem Jahre 1519 seine Absicht direkt geändert habe? Sie sind eine Verdrehung. Alle jene die Trennung von der römischen Kirche erwähnenden Säße sind bei Luther Nachsäge, deren Vordersäge mit ihrem „wenn“ Janssen fortläßt. Freilich ist es nicht „Janssens Schuld“, daß Luther solche Aeußerungen that. Auch war es nicht die Schuld einiger Hussiten, welche nach Janssen 15) und Genossen den schnellen Meinungswechsel' 16) bewirkt haben sollen. Es war vielmehr die Schuld des päpstlichen Beamten Sylvester Prierias. Dieser hatte eine solche Theorie über das Papsttum aufgestellt, 17) daß sie nach Luthers Urteil nur „aus der Hölle hervor an den Tag gebracht sein“ konnte, „voll greulicher, schändlicher Gotteslästerung vom Haupt an bis zu den Füßen“ war und „aus jedem Papste, auch dem gottlosesten, Gott machte". Sollte eine solche Theorie mehr sein als das Hirngespinst eines verschrobenen Kopfes? Ihr Autor war angesehener päpstlicher Beamte. War es möglich, daß man zu Rom allgemeiner so dachte? daß vielleicht gar dem Papste solche Doktrinen wohlgefielen? Luther kann es sich noch nicht vorstellen. Es wäre zu entseßlich. In flammender Entrüstung ruft er: „Hält und lehrt man freiöffentlich dermaßen zu Rom, als ich nicht hoffe ..., ist das der Römischen Kirchen Glauben. .., wo der Papst und die Kardinäle dies unver= schämte Lästermaul des Satans nicht zum Schweigen bringen“

für diesen Fall muß er in solchem Papste den Antichrist erkennen und diejenigen glückselig' preisen, welche nichts mehr mit ihm zu schaffen haben. Er sagt nicht, wie Janssen 18) behauptet, die Böhmen hätten sich mit Recht von dem römischen Babylon abgesondert'. Ueber diese Frage, ob sie seinerzeit zu solcher Trennung berechtigt gewesen, sagt er nichts. Sondern für den Fall, daß der Papst durch Billigung jener gotteslästerlichen Säße des Prierias zum Antichrist werden würde, beneidet er die, welche nichts mehr an den Papst bindet. Es kann ein Sohn

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