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neuen Form bald als das erkennen, was sie war. Oder, wie er es bildlich ausdrückt, sein Herz konnte sich auflehnen gegen die Wellen derartiger Gedanken, konnte ihnen widerstehen. Und das ist die Festigkeit des Herzens, die Gewissensüberzeugung, die er den Augustinern zu Wittenberg wünscht.

So zeigt uns denn dieses auf der Wartburg niedergeschriebene Selbstbekenntnis das Gegenteil von dem, wozu die römischen Lutherbilder es vorführen. Nicht einen Abtrünnigen, dem erst in der Einsamkeit das Gewissen rege wird, sondern einen Luther, der mitten in der Hiße des Kampfes troß des ihm gespendeten Beifalls, trog der ihm gewordenen Zustimmungen, doch im Gewissen sich mit der Frage quält, ob er wirklich zu seinem Kampf berechtigt sei, der aber dann - i. J. 1521 — schon zu der klaren Gewißheit hindurchgedrungen ist, daß er zu seinem Vorgehen verpflichtet gewesen sei.

Janssen fährt fort: Fast unaufhörlich kehrten die Beängstigungen wieder, und noch in seinem Alter fragte ihn dieselbe innere Stimme, die er allerdings für eine Stimme des Teufels ausgab, wer ihn dazu berufen habe, das Evangelium in einer Weise zu predigen, als in viel hundert Jahren sich's kein Bischof noch Heiliger je unterstanden hat. Wiederum ist alles in diesem Sage unrichtig. Denn woher weiß Janssen, daß ihn noch in seinem Alter die innere Stimme' so gefragt habe? Es ist uns unbekannt, in welche Zeit er bei Luther den Beginn des Alters anseßt. Möglicherweise vor dessen 58. Lebensjahr. Denn schon im I. 1537 hat Luther die fraglichen Worte gesprochen.183) Aber daraus folgt doch nicht, daß Luther noch' zu der Zeit solche Fragen gehört habe. Es kann ja viel früher gewesen sein. Ja, eigentlich redet er in den fraglichen Worten gar nicht von sich selbst. Denn nur Janssen, nicht aber Luther erzählt, daß ihn eine Stimme gefragt, wer ihn berufen habe. Luther sagt: „Der Teufel beginnt uns vorzuhalten: Wer hat euch dazu berufen". Er beschreibt eine Anfechtung, die all denen kommen konnte, welche der römischen Lehre widersprachen; auch er selbst freilich kannte sie aus eigener Erfahrung. er noch damals von ihr geplagt worden wäre. in dem er redet, kann nur das beschreibende

Nicht aber, als ob Denn das Praefens, Praesens sein, weil

er es auch mit dem Zeitwort „pflegen“ umschreibt: „Also pflegt der Bösewicht. . .", und weil er diesem Praesens ein anderes gegenüberstellt, in welchem er von sich allein und von der Gegenwart redet: „Ehe ich das thue [ehe ich nach dem Willen des Papstes von dem Evangelium weiche], will ich mich, ob Gott will, wenns möglich wäre, lieber zehnmal darüber verbrennen lassen. . . Nun weiß ich das in allen Anfechtungen. . .". Im Gegensatz aber zu dieser seiner Gegenwart, da ihn nichts mehr an seiner Berufspflicht irre machen konnte, erzählte er von der Vergangenheit: „Nun hätte ich mich gern dem Papst und seinen Geistlichen in der erste unterworfen. . . Mir hätte der Satan viel mehr zu schaffen gemacht, wenn ich nicht wäre Doktor gewesen. Es ist nicht eine geringe Sache, die ganze Religion und Lehre des Papsttums zu ändern. Wie schwer mirs geworden ist, wird man an jenem Tage sehen; jezt glaubt es niemand“.184) So lehrt denn auch diese Stelle, daß er, weit entfernt davon, an seinem Berufe zu zweifeln, vielmehr eben durch das Bewußtsein seines Berufes die Kraft gefunden hat, das zu thun, was ihm „so schwer“ wurde. Mögen die Römischen dies leztere ihm nicht glauben." Aber hören sie dann auch auf, seine eigenen Worte zu verwenden, als ob sie ihm glaubten, um daraus das Gegenteil von dem zu folgern, was er gesagt hat!

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Nicht ohne Grund aber hat Janssen diese vermeintlichen Gewissensbisse' in Luthers Alter' verlegt. Was sie dort sollen, zeigt deutlich der Abschnitt, dessen Ueberschrift lautet Luthers lette Lebenszeit 1546'. Hier werden uns wieder die unaufhörlichen Beängstigungen, Zweifel und Gewissensqualen bezüglich der Rechtmäßigkeit seines Vorgehens' gemalt. Es soll die Stimmung Luthers kurz vor seinem Ende geschildert werden. Die Absicht ist klar. Wie die Einsamkeit der Wartburg zuerst das Gewissen geweckt hat, so hat die Einsamkeit des Alters dasselbe noch einmal mit furchtbarer Stimme reden lassen und ihm sein verfehltes, fluchbeladenes Leben vorgehalten. Der Teufel ließ ihn auch nicht einen Tag in Ruhe', das Vorspiel dessen, was bald, mit seinem Tode, eintrat. Wie könnte auch Janssen anders urteilen, da Luther von dem unfehlbaren Papste der Hölle zugesprochen war. Doch, die Beweise! In Luthers lezte

Walther, Luthers Beruf.

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Lebenszeit versezt er die citierten Aussprüche des Reformators. Mit welchem Rechte? Er wußte nicht, aus welcher Zeit sie herrühren. Denn die von ihm benußte Erlanger Ausgabe der Tischreden Luthers giebt zu jenen Ansprüchen nicht an, wann sie gesprochen sind. Meint denn Janssen damit das Recht gewonnen zu haben, sie in das Jahr 1546 zu verseßen und aus dieser von ihm erfundenen falschen Datierung die Stimmung Luthers, kurz bevor seine Seele vor den ewigen Richter trať, 185) zu erweisen? Daß er nicht wußte, wann Luther so gesprochen, ist allenfalls entschuldbar, obwohl er es in dem von ihm selbst als benutt' aufgeführten Buche, in Lauterbachs Tagebuche, hätte finden können. Er versteht nun einmal unter Benußung' von Quellen etwas Eigentümliches; er findet nur, was er sucht. Aber daß er diese seine Unwissenheit benußte, um eine falsche Datierung zu erfinden und mit Hülfe dieser ein solches Bild von Luthers letter Lebenszeit zu malen, wie er es suchte, das wissen wir nicht zu entschuldigen. Nicht im Jahre 1546, sondern am 16. August 1538 hat der Reformator jene Worte gesprochen: „Wenn einer die Anfechtung hätte leiden sollen, die ich gelitten habe, so wäre er lange tot".186) Und natürlich dürfen diese Worte nicht einmal zur Charakterisierung von Beängstigungen', die er im Jahre 1538 erlitten habe, verwandt werden. Denn er redet ja nicht von der Gegenwart, sondern von einer — wer weiß, wie lange hinter ihm liegenden Vergangenheit. Will Janssen aber wissen, wie denn in Wirklichkeit Luther am Ende über sein Leben und Wirken, über seinen Beruf, ge= dacht habe, so möge er das Gebet zu Herzen nehmen, mit dem der Reformator sein Leben schloß. Es heißt darin: „Ich danke dir, daß du mir deinen lieben Sohn, Jesum Christum, offenbart hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt habe, den ich geliebet und gelobet habe, welchen der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern. . . O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib lassen und aus diesem Leben hinweggerissen werden muß, so weiß ich doch gewiß, daß ich bei dir ewig bleiben [werde] und aus deinen Händen mich niemand reißen kann".187)

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Fassen wir die übrigen von Janssen ins Feld geführten

Worte Luthers ins Auge, so finden wir, daß sie allesamt nichts weiter besagen, als daß der Reformator nicht leichtsinnig vorgegangen ist. Janssen leitet das eine Citat mit den Worten ein: Sein Gewissen warf ihm vor'. Luther leitet es anders ein. Luther schreibt: „Wenn mich der Teufel müssig findet, daß ich Gottes Wort außer Acht lasse“. Soll beides dasselbe sein? Es ist das Gegenteil. Luther hat beobachtet, daß dann, wenn sein Gewissen durch Beschäftigung mit Gottes Wort lebendig und wach war, solche Gedanken fern von ihm blieben; Janssen berichtet, daß sein erwachtes Gewissen ihm solche Ge= danken erregt habe. Wenn Luther im allgemeinen diese Gedanken als vom Teufel kommend ansieht, so steht Janssen das Recht zu, anderer Meinung zu sein und darin die Stimme des Gewissens zu sehen; denn dabei handelt es sich um eine Beurteilung. Wenn aber Luther eine Zeitbestimmung giebt, so hat niemand ein Recht, dieselbe unerwähnt zu lassen und das Gegenteil zu schreiben.

Dann also, sagt Luther, wenn er Gottes Wort außer Augen lasse, werfe ihm der Teufel vor, er habe „den vorigen Stand der Kirche, der unter dem Papsttum fein still und friedsam war, zerrissen, viel Aegernis, Zwietracht und Rotten durch seine Lehre angerichtet".188) Dasselbe besagt jenes andere Wort: „Ich habe keine größere noch schwerere Anfechtung gehabt, denn von meinem Predigen, daß ich gedacht: Dies Wesen richtest du alles an“.189) Oder jener Ausspruch, den man für so wichtig hält, daß man ihn gar als Motto für Luthers Charakterbild' verwendet 190): „Wer wollte auch angefangen haben zu predigen, wenn wir zuvor gewußt hätten, daß so viel Unglück, Rotterei, Aergernis, Lästerung, Undank und Bosheit sollte darauf folgen?" 191) Oder gar: „Es möchte einer schier mit Hiob und Jeremias sagen: Ich wollt, daß ich nie geboren wäre; so möchte ich auch sagen: Ich wollt', daß ich mit meinen Büchern nicht gekommen wäre, fragte auch nichts darnach, möchte leiden, daß sie schon alle wären untergegangen“.192)

Mit solchen Stellen will man also beweisen, daß Luther an der Berechtigung seines Auftretens irre geworden sei? Ist denn der Prophet Jeremias - an den Luther erinnert daran irre geworden, daß er von Gott zum Propheten berufen sei, und daß er nach Gottes Willen gelehrt habe, wenn ihm

Folgen seines Wirkens so tief zu Herzen gingen, daß er hätte wünschen mögen, er wäre gar nicht geboren, um „solch Jammer und Herzeleid nicht sehen zu müssen“? Ist denn der Prophet Elias an den Luther weiter gedenkt irre geworden an seinem Auftreten', hat er auch nur leise daran gezweifelt, ob er von Gott berufen sei, wenn er keine guten, wohl aber böse Folgen seines Wirkens zu sehen meinte und darum unter dem Wachholderstrauch der Wüste seufzte: „So nimm nun, Herr, meine Seele von mir“? Nein, sie beide zeigen damit nur, daß ihnen ein entseglich schwerer Beruf auferlegt war, und daß sie gewissenhaft das Schwere empfanden; daß sie also nicht leichtfertig selbsterwählte Wege gegangen, sondern durch den von Gott erhaltenen Auftrag im Gewissen gebunden waren, zu thun, was sie thaten. Troß seiner Verzagtheit über die scheinbare Erfolglosigkeit seines Wirkens weiß Elias doch gewiß, daß er um den Herrn geeifert" hat.193) Troß seiner tiefen Niedergeschlagenheit über die Folgen seines Auftretens weiß Jeremias unerschütterlich gewiß: „Herr, du hast mich überredet [zu meinem Wirken], und ich habe mich überreden laßen; du bist mir zu stark geworden und hast gewonnen“ 194)

Gerade ebenso war es ein unbeschreiblich schwerer Beruf, welcher Luther auferlegt war. Denn sein Auftreten hatte Folgen, welche ihm schmerzlichste Qual verursachen mußten, weil er etwas ganz anderes von seinem Wirken gehofft und erwartet hatte. Er hatte gemeint, der Wahrheit, die seinem Gewissen den Frieden gebracht, werde die Welt mit Jubel zufallen, und fie erregte die bittersten Spaltungen. Er hatte gemeint, durch die Predigt der Wahrheit werde die gesammte Kirche gebessert werden, und sie wurde von nicht wenigen gemißbraucht zu ihrem Verderben. Jene Selbstbekenntnisse' beweisen, wie tief ihm dies alles zu Herzen gegangen ist. Sie beweisen, daß keine Anklage ungerechter sein kann als die seiner Widersacher, er habe nach den Folgen seines Auftretens nichts gefragt. Und wie hätte ein Mensch derartiges zu sehen und zu fühlen ertragen können, ohne auf dem betretenen Wege inne zu halten, wenn er nicht unzweifelhaft gewiß gewesen wäre, daß er nicht aus eigenem Willen, sondern nach dem Befehl Gottes wirke?

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